Politisierung der deutschen Skinhead-Szene


Seminar Paper, 2002

38 Pages, Grade: 2,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Ursprünge der Skinheads
1.1. Inhalte der Skinhead-Bewegung
1.2. Spaltung der Bewegung

2. Deutsche Skinhead-Szene vor 1989
2.1. Skinhead-Szene in der alten BRD
2.1.2. Rechte Skinheads in der alten BRD
2.2. Skinhead-Szene in der DDR
2.2.1. Rechte Skinheads in der DDR

3. Deutsche Skinhead-Szene nach 1989
3.1. Zusammenwachsen oder Teilung
3.2. Rechte Skinheads
3.2.1. Strukturen und Ideologien
3.2.2. Einfluss rechtsextremer Musik
3.3. Körperliche Gewaltausübung

4. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Politisierung der deutschen Skinhead-Szene. Neben einer allgemeinen historischen Betrachtung dieser Subkultur werden die Schwerpunkte auf den Bereichen der körperlichen Gewaltausübung, der politischen Einflussnahme sowie der politischen Betätigung von Skinheads liegen. Ein besonderes Interesse liegt in der Frage, ob zwischen politischer Überzeugung und Gewaltanwendung ein Zusammenhang besteht. Diese Fragen sollen hauptsächlich auf solche Skinheads fokussiert werden, die dem rechten Spektrum zuzurechnen sind.

Die mediale Darstellung des Skinheads als Person weicht in großen Teilen von der Realität ab, wird dieser häufig als besonders aggressiv, gewalttätig und zudem rechtsextrem dargestellt. Das Bild eines kahlköpfigen, mit Armee-Springerstiefeln und Bomberjacke bekleideten jungen Mannes, dessen Verhalten nicht nur die elementarsten Höflichkeitsregeln vermissen lässt, sondern auch stets mit dem Gesetz kollidiert, prägt daher häufig die Vorstellung der Bevölkerung. Dass diese Jugend-Subkultur eine differenzierte innere Struktur aufweist, zahlreiche politische als auch unpolitische Strömungen beheimatet und nicht automatisch mit einer Zusammenrottung von xenophob denkenden Menschen gleichzusetzen ist, wird im Alltagsleben verkannt. Berichte über Angriffe rechter Skinheads auf hier lebende Ausländer haben den Nachteil, dass sie nicht nur die Komplexität einer Subkultur verkennen, sondern auch die unbeteiligten und dem rechten Spektrum nicht zugehörigen Skinheads als sog. „Nazi-Schläger“ regelrecht brandmarken.

Im ersten Abschnitt der Arbeit wird die Skinhead-Bewegung anhand ihrer Geschichte, äußerer Inhalte und Ideale vorgestellt, um Vergleiche zur heutigen Szene in Deutschland ziehen zu können. Dies soll spätere Veränderungen aufzeigen, die zwar auf den ersten Blick rein äußerlichen Charakters sind, in Wirklichkeit aber einen Bezug zu der vertretenen politischen Überzeugung aufweisen und für diese kennzeichnend sind. Im zweiten Abschnitt wird die deutsche Skinhead-Szene beleuchtet. Dabei wird zunächst der Zeitraum vor der Wiedervereinigung unter Berücksichtigung der Existenz zwei deutscher Staaten betrachtet. Hier wird bereits auf die rechte Skinhead-Subkultur und die externen politischen Einflüsse eingegangen. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit der Phase nach 1989 und speziell mit der Frage, ob eine einheitliche rechtsextreme Bewegung innerhalb der Skinhead-Subkultur existiert und welchen Einflüssen diese unterliegt. Der Rechtsextremismus unter Skinheads wird besonders unter dem Aspekt untersucht, ob und inwieweit Organisationen Einfluss ausüben, neue Mitglieder unter Skinheads rekrutieren und wie dauerhaft diese Bindungen sind. Einen weiteren Untersuchungsgegenstand nimmt die rechte Musikszene ein, bei der deren Einwirkung auf die Bereitschaft zur körperlichen Gewaltausübung unter Skinheads hinterfragt werden soll. Den abschließenden Punkt bildet schließlich die Frage, ob zwischen einer rechten Überzeugung von Skinheads und der Neigung zum Einsatz körperlicher Gewalt Affinitäten existieren und wie sich diese äußern.

Als Arbeitsbegriffe werden die Bezeichnungen „Rechtsextremismus“, sowie „rechtsextrem“ und „rechts“ verwendet, während andere Bezeichnungen vermieden werden. Der Rechtsextremismus ist aufgrund seiner Definition (Birzer 1996: S. 72ff.), die soziale, politische, kulturelle und biologische Aspekte beinhaltet, für diese Untersuchung am sinnvollsten.

1. Ursprünge der Skinheads

Um sich mit der Thematik der Politisierung und Gewaltanwendung innerhalb der Skinhead-Szene zu beschäftigen, ist es zunächst notwendig, nicht nur die Geschichte dieser Jugendbewegung, ihre ursprünglichen Ideale und Zielsetzungen zu kennen, um sie mit den heute herrschenden Verhältnissen vergleichen zu können, sondern die soziale und innenpolitische Situation Großbritanniens – dem Geburtsland der Skinheads – nach dem Ende des 2. Weltkriegs zu kennen.

Die wirtschaftliche Stagnation, die anhaltende Einwanderung, der Zerfall des Empire und eine seitens der konservativen Regierung gegenüber den Gewerkschaften geführte Politik erzeugten Ende der 50er Jahre vermehrt soziale Spannungen, die in den Großstädten soziale Konfliktherde hervorriefen. Die jahrelang vernachlässigte Integration von Einwanderern förderte deren Segregation und die Errichtung von Gemeinschaften, die alteingesessenen britischen Familien fremd waren. Die Auswirkungen dieser misslungenen Sozialpolitik waren erstmals in den Arbeitervierteln sichtbar, da diese aufgrund ihres Status als Wohnquartiere für die schlecht oder gar nicht ausgebildeten Neuankömmlinge finanzierbar waren.

In den Arbeitervierteln entstand auch die britische Jugendkultur: Jugendliche schlossen sich zusammen, die über einen bestimmten Habitus verfügten und für Außenstehende als Gruppen eindeutig erkennbar waren. Dass es sich bei diesen Zusammenschlüssen primär um Angehörige des Arbeitermilieus betraf, sollte nicht überraschen, entstammten diese einer unterprivilegierten sozialen Schicht. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe verkörperte eine bestimmte Haltung und war Ausdruck einer Rebellion derjenigen, die das Gefühl hatten, benachteiligt zu sein (Farin/Seidel-Pielen 1993: S. 27). Das Zusammenschließen zu Gruppen war in Großbritannien der Nachkriegszeit nicht neu, denn bereits seit den 30er Jahren existierten Straßen-Gangs, denen sich männliche Heranwachsenden anschlossen (Marshall 1993: S. 11). Der Unterschied zu der neu aufgekommenen Kultur der Jugendbewegungen bestand aber in der Findung einer eigenen Identität, die sich u.a. durch Kleidungsstil und Musikgeschmack von den um territoriale Macht kämpfenden Gangs unterschied. Die Gemeinsamkeit bestand in der Bereitschaft zu extremen Gewaltanwendungen, die von der britischen Presse gar mit Bürgerkriegsunruhen gleichgesetzt wurde (Farin/Seidel-Pielen 1993: S. 28).

Der genaue Zeitpunkt der Entstehung von Skinheads lässt sich nicht bestimmen, wird aber auf die Periode 1967 bis 1969 geschätzt. Mitte der 60er Jahre löste sich die Bewegung der Mods langsam auf, wobei sog. Hard-Mods weiterhin ihrem Kult treu blieben und diesen erweiterten. Bei diesen Hard- oder auch Gang-Mods handelte es sich um Jugendliche, die im Gegensatz zu den gemäßigten Vertretern der Bewegung wenig Wert auf teure Designer-Kleidung und die Anbiederung an die Mittelklasse legten (zumal sie nicht über die nötigen finanziellen Mittel dafür verfügten), sondern sich ihrer proletarischen Wurzeln besinnten (Farin 1998: S. 17). Dazu gehörte nicht nur die Kleidung (Arbeiterstiefel, ausgewaschene Jeans und Baumwollhemd) und der markante Kurzhaarschnitt, sondern auch die proletarische Überzeugung, mit harter körperlicher Arbeit seinen Lebensunterhalt verdienen zu wollen, anstatt über berufliche Ausbildung oder gar den akademischen Weg den sozial-ökonomischen Aufstieg nach oben zu suchen (Farin 1998: S. 18). Diese Entwicklung bzw. Abspaltung könnte man als die Geburtsstunde des Skinhead-Kults bezeichnen, obwohl dieser Kult inhaltlich relativ frei variabel war, da er sich aufgrund der noch kurzen Lebensdauer nicht gefestigt hatte. So gab es kaum Regeln und Konventionen, die es zu beachten galt – es „genügte alles, was okay aussah“ (Marshall 1993: S. 14). Die nächsten Jahre bedeuteten eine Periode der Wert-Findung, in der bestimmte Symbole, vor allem äußerlicher Art, von der Skinhead-Bewegung übernommen und als Erkennungszeichen nach außen sowie als Definitionsmuster nach innen verwendet wurden.

1.1. Inhalte der Skinhead-Bewegung

Die Skinhead-Bewegung übernahm im Laufe der Jahre einige Merkmale, die für sie charakteristisch sind und die jedem Angehörigen das Selbstverständnis vermitteln, ein Skinhead zu sein. Problematisch ist die Aufzählung dieser Elemente, da sich während der über 30-jährigen Geschichte der Bewegung Inhalte veränderten und aufgrund der Zersplitterung der Szene (auf die später eingegangen wird) neue, für jede Skinhead-Fraktion wiederum eigentümliche Dinge entstanden sind. Es wird daher versucht, solche Merkmale wiederzugeben, die zumindest die erste, also die „Gründer-Generation“ von Skinhead kennzeichnen.

Das Äußere ist bei allen Jugendbewegungen Großbritanniens ein Erkennungszeichen, das auf der einen Seite abgrenzen aber auf der anderen Seite Zusammenhalt vermitteln sollte: waren es bei den Teddy-Boys Röhrenhosen und Jacketts mit Samtkragen, so bevorzugten die Mods extrem spitze Schuhe und eng geschnittene Jacketts (Farin 1998: S. 14 ff); Markenzeichen, die für jeden sichtbar waren. Auch wenn es zu Beginn des Skinhead-Kults noch keine strikten Vorgaben bezüglich des Stils gab, so waren doch einige wenige Elemente vorhanden, die einen Skinhead in der Anfangsphase bereits ausmachten. Der bei den Hard-Mods schon in Mode gekommene Kurzhaarschnitt wurde bei den Skinheads noch kürzer und mit elektrischen Schermaschinen auf eine Länge zwischen 3 mm und 2,5 cm gekürzt; eine komplette Nassrasur der Kopfhaare war dagegen verpönt. Dieser Haarschnitt war nicht nur bei Schlägereien von Vorteil, sondern symbolisierte ein proletarisches „anti-hipppie-haftes“ Außenseitertum, das aus einem anderen Zusammenhang bekannt ist: „Militärs, Gefängnis, Zuchthaus sind Instanzen, die ihre Macht und die Ohnmacht ihrer Opfer mit der Schere unter Beweis stellen“ (Jeggle 1996: S. 147). Neben dem markanten Haarschnitt war die Kleidung ein wichtiges Erkennungszeichen: die mit Stahlkappen versehenen Sicherheitsschuhe der Firma „Dr. Martens“ waren schon im Vorfeld einer gewalttätigen Auseinandersetzung eine optische Warnung und erzielten bei Tritten eine verheerenden Wirkung; darüber wurden hochgerollte Jeans-Hosen getragen, die das peinlichst gepflegte Schuhwerk erst zur Geltung brachten (Farin 1998: S. 23). Beliebt waren dazu Baumwoll-Hemden der Marken „Ben Sherman“ und „Fred Perry“ (El-Nawab 2001: S. 71). Diese Utensilien stellten zu Beginn sozusagen den Grundstock der Skinhead-Bekleidung dar. Im Laufe der Jahre kamen weitere Kleidungsstücke hinzu, die – abhängig von der politischen Ausrichtung des Trägers – von einer Fliegerjacke über Militärhosen bis hin zu Sportbekleidung des Boxausstatters „Lonsdale“ reichten. Die Akzeptanz der verwendeten Produkte hing und hängt nach wie vor von der jeweiligen Fraktionszugehörigkeit ab, die ihre Symbole nach eigenen Vorstellungen selbst definiert und mit der Zeit ggf. verändert.

Bei den Idealen der Bewegung herrschte wie bei den Äußerlichkeiten zunächst eine gewisse Uneinigkeit, denn der später bekannt gewordenen „Skinhead-way-of-life“ musste Ende der 60er Jahre mit Inhalten gefüllt werden. Als stilprägend erwies sich die Betonung der Zugehörigkeit zur „working class“, der britischen Arbeiterschicht. „Die positive Besetzung von Körperkraft und Handarbeit, die charakteristisch ist für bäuerliche, handwerkliche, aber auch bestimmte industrielle Produktionsformen, lassen Jugendliche, die aus diesem Milieu stammen, in einer Zeit, wo Qualifikationen vom Typus beweglicher und produktiver Handarbeit/Körperkraft immer weniger gefragt sind, an diesem zumindest symbolisch auf vielfältige Weise festhalten“ (Becker/Eigenbrodt/May 1983: S129/130).

Wie bei allen Jugendbewegungen spielte Protest eine wenn auch allgemeine, so doch treibende Motivation: man begehrte als Jugendlicher gegen die Erwachsenen auf, man widersetzte sich den sozialen und gesetzlichen Regeln und hatte vor allem Freude am Erlebten, das man mit Gleichgesinnten teilen konnte. Die Selbstthematisierung und Biographisierung (Fuchs 1983: S. 366) stand im Vordergrund, Spontaneität und Unverbindlichkeit verbanden untereinander und prägten den subkulturellen Lebensstil.

Die typischen Skinhead-Aktivitäten der späten 60er und frühen 70er Jahre bestanden aus

gemeinsamen Treffen, Gesprächen, der Teilnahme als Zuschauer an Fußballspielen, Musik- und Alkoholkonsum und vor allem dem „Nichtstun“ (Corrigan 1979: S. 176) in der Tristesse der Arbeiterviertel. Und wie bei allen Jugendbewegungen Großbritanniens spielte Gewalt eine wichtige Rolle. Dies war jedoch ein nicht nur für die Skinheads typisches Charakteristikum, denn alle Jugendgruppierungen nahmen Gewalt in Kauf, um ihre „Männlichkeit kollektiv unter Beweis zu stellen“; „Skinheads mit pazifistischen Neigungen waren in jenen Tagen wohl eher selten“ (Farin 1998: S. 22). Die Lust auf körperliche Konfrontationen, Jagdabenteuer und Angstüberwindung verkörperte aber nicht nur einen Spaßfaktor, sondern hatte auch ideologische Faktoren, denn die Verteidigung des Wohnbezirks, der Strassen oder der eigenen Freundin war ein männliches Ritual, das an eine heile Arbeitsklassenwelt erinnerte, in der „Männer noch Männer waren und die Mädchen durch dick und dünn zu ihren Kerlen hielten“ (Hebdige 1993). Dem „Schutz“ des eigenen Territoriums fielen besonders oft Hippies zum Opfer, da diese aufgrund der Ende der 60er Jahre aktuellen Flower-Power-Bewegung und des damit verbundenen Erscheinungsbildes leicht auszumachen waren. Andere Opfer waren u.a. (vermeintliche) Homosexuelle, Studenten, Pakistanis oder Afrikaner. Diese Angriffe hatten aber in den meisten Fällen keinen politischen Hintergrund – Opfer konnte jeder werden (Farin 1998: S. 22). Die Akzeptanz von Einwanderern war ambivalent: einerseits mochten Skinheads die afro-karibische Musik, anerkannten die schwarzen Jugendlichen aufgrund ihrer Tapferkeit als Straßenkämpfer und bewunderten ihren expressiven Lebensstil sowie ihre Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse (Farin/Seidel-Pielen 1993: S. 34), andererseits waren sie Konkurrenten in Auseinandersetzungen und um Mädchen, fielen durch ihre Kultur und ihren sozialen Außenseiter-Status auf. Dass es sich auf Seiten der Skinheads um keine rein politisch oder rassistisch begründete Gewalt handeln konnte, wird an der Tatsache deutlich, dass viele der schwarzen Gangs den Skinheads in nichts nachstanden und gemeinsam mit ihnen „Jagd auf Schwule, Hippies oder Pakistani“ (Farin/Seidel-Pielen 1993: S. 35) machten. Durch den gemeinsamen Musikgeschmack – es handelte sich um Reggae- und Ska-Musik – war die Beziehung zu den „Einwanderern aus der Karibik komplexer, als zu den asiatischen Jugendlichen“ (Farin 1998: S. 25). Ska galt als unprofessionell und wurde vom britischen Mainstreampublikum abgelehnt, der Handel mit Ska-Musik stand unter der Kontrolle von karibischen Einwanderern. Durch den Erwerb entsprechender Tonträger waren die Skinheads schon aus pragmatischen Gründen auf die schwarzen Jugendlichen angewiesen und kamen auf diesen Weise mit ihrer Kultur in Berührung. Gemeinsamkeiten mit asiatischen Einwanderern hingegen existierten kaum, der Kontakt zu ihnen gestaltete sich aufgrund deren Lebensstils, der in sich gekehrter, auf die Familie zentrierter und auf die Mittelklasse tendierte (Clarke/Jefferson 1976), problematisch – konfliktschlichtenden Beziehungen zu dieser Gruppe konnten auf diese Weise kaum aufgebaut werden. Pakistanis wurden nicht nur Opfer von Skinheads, sondern auch von griechischen und karibischen Einwanderern (El-Nawab 2001: S. 25).

Ein latenter Rassismus war in Großbritannien zweifelsohne vorhanden, beschränkte sich dieser nicht auf die Gruppe der Skinheads; es handelte sich vielmehr um ein breites nationales Problem, dessen Quelle u.a. in kolonialen Ambitionen und der weltumspannenden Hegemonie des britischen Empire im 19. Jahrhundert zu suchen war.

Gewalt stellte daher einen festen Bestandteil des Skinhead-Daseins dar und dies wurde mit der Zeit auch bei Fußball-Spielen deutlich, die zu regelrechten Schlachten ausarteten. Aber auch hier waren nicht nationalistische Überlegungen oder soziale Spannungen die treibenden Kraft, sondern schlicht der Spaß an Randale (Marshall 1993: S. 18).

Der politische Einfluss von den bisher existierenden britischen Organisationen auf die Skinhead-Bewegung war Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre so gut wie nicht existent, waren Skinheads eine von vielen Jugendbewegungen, die durch rüpelhaftes Auftreten auffielen und deren politische Brauchbarkeit in großem Stil durch deren undiszipliniertes Verhalten behindert wurde. Keine der drei großen britischen Parteien hatte weder Verständnis noch Interesse an der Einbindung von Menschen, die einen nicht-bürgerlichen Lebensstil verfolgten – und diese Menschen hatten wiederum kein Interesse, sich an der politischen Arbeit zu beteiligen, denn Probleme wurden auf eigene Art gelöst.

1.2. Spaltung der Bewegung

Der Boom, den die Skinhead-Bewegung nach ihrer Entstehung Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre erfuhr, ebbte bis 1975 ab. Der Grund hierfür liegt in der Schnelllebigkeit bzw. Vergänglichkeit jeder Jugendbewegung: das Interesse der Beteiligten lässt mit der Zeit nach, die Beteiligten werden älter und werden früher oder später sozialisiert. Zwar existierten in Großbritannien weiterhin Skinheads, war ihre Zahl aber stark zurückgegangen. Eine zweite Popularitätswelle erfuhr die Skinhead-Bewegung mit der Entstehung des Punk 1977. Hier spielte die Punk-Musik eine entscheidende Rolle, die eine anti-bürgerliche, provokante Aussage hatte, vom musikalischen Ausdruck her aggressiv war und im Auftreten ihrer Vertreter Ärger, Frustration und Gewalt (Graf 1986: S. 655) ausstrahlte. Dies waren Bestandteile, die für Skinheads ebenso attraktiv waren, wie für die neue Bewegung der Punks. Der ökonomische Erfolg und die damit zusammenhängende Kommerzialisierung der Punk-Bewegung stellte jedoch einen Treuebruch mit der Kultur der Jugendrebellion dar, die sich bewusst gegen existierende Regeln und somit auch gegen die Musikindustrie richtete.

Die Punk-Musik entwickelte sich zum großen Teil unter Einbeziehung neuer Elemente wie des New Wave weiter. Diese Entwicklung wurde nicht von allen Anhängern des Punk mitgetragen, so dass eine neue Musikrichtung entstand, die die Aggressivität des Punk noch steigerte. Die sog. Oi!-Musik, eine harte Variante des Punk mit grölartigem Gesang und ebensolchen Chören, bescherte der Skinhead-Szene neue Anhänger, da aus Punks, die nicht bereit waren, eine Entwicklung zum New Wave mitzutragen, Skinheads wurden.

Die Entwicklungsparallelen zum Punk waren auch bei Oi! sichtbar, da aus einem Musikstil ein Lebensstil wurde: hart, proletarisch, straßenbezogen und fußballbegeistert – Attribute, die der Skinhead-Kult innehatte.

Der aus dem Punk hervorgegangene Oi! brachte in vielerlei Hinsicht eine Trennung der Skinhead-Szene mit sich. Die durch die neue Musik rekrutierten Skinheads hatten kaum Bezug zu den Skinheads der ersten Stunde, waren die Letzteren Anhänger von karibischer Ska-Musik, die in ihren musikalischen Grundelementen und Aussagen von der weitaus aggressiveren Oi!-Musik stark abwich. Auch der Kleidungsstil, ein wesentliches Erkennungszeichen der Szene nach innen und nach außen, veränderte sich, indem neben Punk-Elementen (zerrissene und mit Bleichmitteln behandelte Jeans-Hosen, mit Bandnamen bemalten Jacken, etc.) Militärkleidung (Farin 1998: S. 32) eingeführt wurde. Diese neuen Elemente dienten nicht der Stärkung des Zusammenhalts innerhalb der Szene, waren aber auch nicht der entscheidende Spaltungsgrund. Viel mehr Gewicht fiel der politischen Überzeugung neuer Skinheads zu, die sich von der Ansicht der Skinheads aus der Gründungszeit wesentlich unterschied. Diese Differenzen lassen sich anhand der politischen Lage Großbritanniens Mitte der 70er Jahre erklären.

Seit dem Ende der 60er Jahre erhielten rechtsextreme Organisationen zunehmend mehr Zuspruch. Dies war die Folge einer gescheiterten Einwanderungs- bzw. Integrationspolitik, der damit zusammenhängenden Probleme in den Großstädten sowie einwandererfeindlichen Wahlkampfslogans, die nicht zuletzt aufgrund des latenten Rassismus in der britischen Bevölkerung Zuspruch erhielten: die National Front (NF), ein seit 1967 existierender Zusammenschluss diverser rechter Gruppierungen, konnte bei den Kommunalwahlen 1977 in einigen Wahlbezirken mehr als 20% der Wählerstimmen für sich verbuchen. Es ist daher nicht überraschend, dass auch einige der neuen Skinheads rechte oder gar rechtsextreme Überzeugungen vertraten und sich dies in der Szene zumindest teilweise manifestierte. Anwerbungsversuche politischer Organisationen wurden sogar in Fußballstadien unternommen, wenngleich das erzielte Resultat letztendlich bescheiden blieb. So war beispielsweise der Anteil von Skinheads innerhalb der National Front, dem am aggressivsten um Skinheads buhlenden Lager, nie hoch: einerseits schreckte deren Gewaltlust potentielle Wähler aus dem bürgerlichen Lager ab, andererseits fühlten sich die Skinheads als Handlanger missbraucht und nicht ernstgenommen (Farin 1998: S. 40).

Die Ausrichtungen innerhalb der Skinhead-Szene wurden im Laufe der Jahre vielschichtig, denn neben den rechten Anhängern gab es auch Skinheads, die sich dem linken Lager zugehörig fühlten, genau so wie es Skinheads gab, die weiterhin lediglich Skinheads sein wollten, ohne eine politische Überzeugung vertreten zu wollen. Die britische Skinhead-Szene weist heute eine breite Vielfalt auf, deren Überschaubarkeit Probleme bereitet. Oft ist die Abgrenzung nicht möglich, da die Kategorien von den Betroffenen selbst verschieden ausgelegt werden. Die Mehrheit der britischen Skinheads blieb aber bis zum heutigen Tag unorganisiert (Farin 1998: S. 41).

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Details

Title
Politisierung der deutschen Skinhead-Szene
College
University of Frankfurt (Main)  (Institut für Gesellschafts- und Politikanalyse)
Course
Politische Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland 1967 bis 2000, Teil II
Grade
2,0
Author
Year
2002
Pages
38
Catalog Number
V7476
ISBN (eBook)
9783638147361
File size
613 KB
Language
German
Notes
Behandelte Themen: Entstehung und Entwicklung der Skinhead-Szene in Großbritannien, Entwicklung der Skinhead-Szenen in der DDR und der alten BRD vor und nach der Wende, Betrachtung der Entwicklung nach 1990, besondere Berücksichtigung der politischen Einflussnahme, der Gewaltausübung und Musik.
Keywords
Skinheads, Politisierung, Gewalt
Quote paper
Arkadius Neumann (Author), 2002, Politisierung der deutschen Skinhead-Szene, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7476

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