Sozialstruktur und Segregation

Versuch einer Synthese von Makro- und Mikrotheorie


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2006

17 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Segregationsheorien
1.1 Definiton
1.2 „Klassische“ Segregationsmerkmale: Ethnie, sozioökonomischer Status
1.3 Theorie der Wohnstandortwahl nach Friedrichs
1.4 Der Lebensstilansatz

2 Ansätze zur Sozialstrukturanalyse mit Lebensstilen
2.1 Soziale Positionen und Lebensstile nach Bourdieu
2.2 Der Constrained-Choice-Ansatz

3 Verbindung von Mikro- und Makroebene

Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

Residentielle Segregation ist als Phänomen bereits seit 1925 bekannt: Richard Burgess integrierte damals die These von der ungleichen Verteilung von Nutzungen und Bevölkerungsgruppen innerhalb eines Stadtgebietes in seine umfassendere Theorie der Stadtentwicklung.[1] Robert Ezra Park hat ebenfalls 1925 für diese ungleiche Verteilung von nach sozio-ökonomischen und/oder sozio-kulturellen Merkmalen definierten Gruppen in einem Gebiet die Bezeichnung „residentielle Segregation“ eingeführt.[2] An Aktualität hat das Thema seit dem nichts eingebüßt: Weder in der Tagespresse, wo die Diskussion um verwahrloste Kinder oder das Prekariat bevorzugt mit Bildern der obligatorischen Hochhaus-Vorstädte und somit den entsprechenden Implikationen illustriert werden, noch in der Diskussion der soziologischen Forschung. Praktisch unumstritten ist die empirische Messung, sie erfolgt meist mittels der Indizes von Duncan und Duncan, sie erfassen sowohl Dissimilarität (Disproportionalität der räumlichen Verteilung von zwei Bevölkerungsgruppen) als auch Segregation (Disproportionalität der räumlichen Verteilung einer Bevölkerungsgruppe). Eine Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen belegt, dass Segregation nach sozialem oder ethnischem Status überall existiert.[3] Ein Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Segregation ist auf Ebene dieser Aggregatdaten empirisch durch viele Studien belegt[4], die genauen Mechanismen der Segregierung als Ergebnis eines Prozesses der Wohnstandortwahl von Haushalten, die als Aggregat betrachtet ein spezifisches Siedlungsmuster ergeben, hier also Segregation, werden durch diese Analyse auf der Makroebene jedoch nicht erklärt.[5] Eine erschöpfende Erklärung residentieller Segregation bedarf daher einer umfassenden Erfassung der Sozialstruktur als Abbildung von Ungleichheiten auf der Makroebene, sowie der Klärung ihres Einflusses auf die Wohnstandortwahl der Haushalte auf der Mikroebene. Die Auswirkungen der Wohnstandortwahl auf die Siedlungsstruktur sind wiederum in Relation mit anderen (z.B. stadtstrukturellen) Einflussfaktoren zu betrachten, die nicht der Sozialstruktur zuzurechnen sind. Nicht zuletzt kann auf diesem Wege der Raumbezug der Ungleichheitstheorie hergestellt werden.[6]

Die in dieser Arbeit zu untersuchende These soll daher lauten: Segregation als Makrophänomen erklärt sich durch Mikrophänomene der Wohnstandortwahl, die sich im Rahmen der Sozialstruktur abspielen . Zur Untersuchung dieser These soll in dieser Arbeit zunächst expliziert werden, welche Konzepte zur Erklärung der Segregierung von Stadtbevölkerungen die Segregationsforschung bereithält und wo mögliche Ansatzpunkte für eine Verbindung mit den Theorien sozialer Ungleichheit liegen könnten. Einige dieser Modelle der Sozialstruktur sollen in einem zweiten Schritt dargestellt werden und auf ihre Aussagekraft für eine Erklärung der Segregation überprüft werden. In einem dritten Schritt soll schließlich aus den erarbeiteten Ansätzen ein möglichst erschöpfendes Konzept zur Erklärung von Segregation aus der Sozialstruktur heraus zusammengefügt werden, dass es gestattet, die eingangs vorgestellte These zu beweisen.

1 Segregationsheorien

1.1 Definiton

Segregation ist nach Jürgen Friedrichs die „disproportionale Verteilung von Bevölkerungsgruppen über die städtischen Teilgebiete“[7]. Analog dazu, aber unter Verwendung des allgemeineren Begriffes „Raum“ anstelle von „Stadt“ definiert Jens S. Dangschat nach Park Segregation als „ungleiche Verteilung der Wohnstandorte von sozio-ökonomisch und/oder sozi-kulturell bestimmten sozialen Gruppen im Raum“[8].

1.2 „Klassische“ Segregationsmerkmale: Ethnie, sozioökonomischer Status

Friedrich führt Segregation direkt auf soziale Ungleichheit zurück, die eine Ungleichheit sowohl von Chancen als auch von Präferenzen einzelner Bevölkerungsgruppen erzeugt. Dem Ausmaß der Benachteiligung einer Gruppe entspricht ihre Chance, auf dem Wohnungsmarkt eine zu ihren Präferenzen passende Wohnung zu finden.[9] Offen bleibt hier zunächst die Frage nach der Verknüpfung zwischen Ungleichheit und den Präferenzen. Die Theorie von Chancen und Präferenzen basiert auf Friedrichs grundsätzlichen Überlegungen über das Wesen des Wohnungsmarktes: Er konstatiert nicht nur eine soziale Differenzierung der Wohnungsnachfrager, sondern ebenso eine stadtstrukturelle Ungleichheit des Wohnungsangebots in Qualität und räumlicher Verteilung.[10] Es trifft also ein nach Qualität, Ausstattung, Lage und topographischer Qualität heterogener Bestand auf eine ebenso heterogene Nachfrage, die sich hinsichtlich der Wohnpräferenzen und der Mietzahlungsfähigkeit/-bereitschaft differenziert. Somit wäre die disproportionale Verteilung sowohl von Nutzungen als auch von Bevölkerungsgruppen nichts anderes als „das räumliche Bild dieses Marktes“.[11] Die Ergebnisse empirischer Untersuchungen zeichnen jedoch ein anderes Bild. Wie bereits erwähnt ist eine Segregation nach sozialem uns ethnischen Status praktisch überall vorzufinden. Während Ungleichheiten des sozialen Status, z.B. definiert über das Einkommen, sich in ein ökonomisches Marktmodell fügen, scheint sich entgegen der Marktlogik unabhängig vom Einkommen ein ethnischer Minoritätenstatus ebenfalls negativ auf die Mietchancen auszuwirken.[12] Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Ausmaß der residentiellen Segregation mit dem Ausmaß der folgenden Faktoren korreliert: Einkommensungleichheiten, Ungleichheit der Schulabschlüsse, Höhe des Anteils der Minorität an der Gesamtbevölkerung, Größe der Gesamtbevölkerung. Diese Zusammenhänge auf Makroebene sind empirisch belegt.[13] Neben der sektoralen Struktur von Segregation nach Ethnie oder sozialem Status existieren weitere, relativ zum Stadtkern konzentrisch strukturierte Formen von Segregation: Hier wären Dimensionen wie Alter, Stellung im Lebenszyklus, oder Haushaltstyp, bzw. -größe zu nennen.[14] Gunnar Otte kritisiert an der Mehrzahl der bislang durchgeführten Studien ihre monofaktorale Herangehensweise: Statt Segregationsmerkmale zu vergleichen, um herauszufinden, welche von ihnen strukturdominant sein könnten, wird meistens nur eine Dimension residentieller Segregation untersucht.[15]

Welche Erklärungen auf mikrosoziologischer Ebene hält die Forschung für diese Ergebnisse bereit? Friedrichs referiert die folgenden, häufig gebrauchten Erklärungsmodelle:

1. Die Distanz von Menschen im Raum entspricht ihrer Distanz in sozialer Hinsicht.
2. Die Möglichkeiten der Wohnstandortwahl nehmen analog zum Einkommen eines Haushaltes zu. Somit wäre residentielle Segregation auf die „berufliche Segregation“ zurückzuführen, eine Ungleichheit im Zugang zu Berufen und damit zu Einkommen.
3. Es gibt einen Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit (Messwerte: Einkommen, Schulbildung, Beruf) und einer Differenzierung der Lebensstile (siehe unten). Je größer diese Differenzierung ist, desto größer ist der Wunsch nach räumlicher Nähe von Personen mit vergleichbarem Lebensstil.
4. Ein höherer Anteil einer Minorität führt zu einem stärkeren Wettbewerb zwischen Minorität und Majorität um Wohnstandorte oder Berufspositionen. Diese Konkurrenz führt auf Seiten der Majorität zu Angstreaktionen, wie Diskriminierung, die sich im Zugang der Minorität zu den Wohngebieten der Majorität konkretisiert.[16]

Es fällt auf, dass die auf konkrete Ungleichheiten abzielenden Punkte 2 und 4 auf die ökonomischen und ethnischen Faktoren, die den Hauptuntersuchungsgegenstand der Segregationsforschung darstellen, und ihren Einfluss auf die Chancen am Markt verweisen. Der Lebensstilansatz, wie hier idealtypisch dargestellt, geht dagegen von einer mehr oder weniger bewussten Bestimmbarkeit des Umfeldes aus. Friedrichs geht davon aus, dass diese Ansätze eine über die Erklärung der reinen Segregation hinausgehende Theorie der Wohnstandortwahl von Individuen/Haushalten beinhalten.[17]

1.3 Theorie der Wohnstandortwahl nach Friedrichs

Wie genau läuft nach Friedrichs nun die Wohnstandortwahl ab? Sein Modell versucht die Makroebene mit der Mikroebene zu verbinden, indem ein so genannter „Kontexteffekt“, z.B. die Sozialstruktur in Form von Einkommensunterschieden oder auch Diskriminierungen, die Bedingungen für das Handeln der Individuen setzt. Innerhalb der Einschränkungen des Kontexts agieren die Individuen gemäß ihrer Präferenzen, soweit dies eben möglich ist[18]: „Selbst unter der Bedingung, dass alle Haushalte die selben Präferenzen hätten, […] träte eine Segregation auf, weil die Individuen/Haushalte einen ungleichen Zugang zu den verfügbaren Wohnungen haben. Eine Vielzahl von Haushalten ist demnach gezwungen, einen Wohnstandort zu wählen, der ihren Präferenzen nicht entspricht.“[19] Der Kontext, „ein Aggregat beliebiger Größe“[20], stellt praktisch eine Mittlerkonstruktion zwischen Makro- und Mikroebene dar: „Die Kontexthypothese enthält eine Aussage über die Wirkung eines Merkmals auf der Makroebene auf ein Merkmal auf der Individualebene“.[21] Auch die die Beschaffenheit des Wohnungsangebotes (Qualitätsunterschiede und räumliche Verteilung) oder Vorurteile können einen Kontexteffekt darstellen.[22]

[...]


[1] Vgl. Jürgen Friedrichs: Stadtsoziologie, Opladen 1995, S. 39.

[2] Vgl. Dangschat lebensstile 427

[3] Vgl. Friedrichs: Stadtsoziologie, S. 79 – 80.

[4] Vgl. Ebd., S. 90 – 92.

[5] Vgl. Gunnar Otte: Sozialstrukturanalysen mit Lebensstilen. Eine Studie zur theoretischen und methodischen Neuorientierung der Lebensstilforschung, Wiesbaden 2004, S. 257.

[6] Vgl. Jens S. Dangschat: Segregation. Lebensstile im Konflikt, soziale ungleichheiten und räumliche Disparitäten, in: Blasius, Jörg / Dangschat, Jens (Hrsg.): Lebensstile in den Städten. Konzepte und Methoden, Opladen 1994, S. 427 – 445.

[7] Friedrichs: Stadtsoziologie, S. 79.

[8] Vgl. Dangschat: Segregation, S. 427.

[9] Vgl. Friedrichs: Stadtsoziologie, S. 79.

[10] Vgl. Ebd., S. 79.

[11] Friedrichs: Stadtsoziologie, S. 59.

[12] Vgl. Ebd., S. 80 - 81.

[13] Vgl. Ebd., S. 91.

[14] Vgl. Ebd., S. 81.

[15] Vgl. Otte: Sozialstrukturanalysen, S. 256.

[16] Vgl. Friedrichs: Stadtsoziologie, S. 92 - 93.

[17] Vgl. Ebd., S. 93.

[18] Vgl. Ebd., S. 91 - 93.

[19] Ebd., S. 93.

[20] Ebd., S. 93.

[21] Ebd., S. 23.

[22] Vgl. Ebd., S. 93.

Fin de l'extrait de 17 pages

Résumé des informations

Titre
Sozialstruktur und Segregation
Sous-titre
Versuch einer Synthese von Makro- und Mikrotheorie
Université
University of Freiburg  (Institut für Soziologie)
Cours
Proseminar Reichtum und soziogeografische Reichtumsverteilung im urbanen Raum
Note
1,7
Auteur
Année
2006
Pages
17
N° de catalogue
V74834
ISBN (ebook)
9783638726252
Taille d'un fichier
420 KB
Langue
allemand
Mots clés
Sozialstruktur, Segregation, Reichtum, Reichtumsverteilung, Raum, Makrotheorie, Mikrotheorie, Armut
Citation du texte
Christoph Sprich (Auteur), 2006, Sozialstruktur und Segregation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74834

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