Analysearbeit zu den Charakterstücken „Vogel als Prophet“ und „Jagdlied“ aus Robert Schumanns „Waldszenen“ Op.82

Schumanns Spätwerk als Konstrukt mentalen Abbaus?


Seminararbeit, 2006

29 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführender Kommentar zum Zyklus „Waldszenen“, Op.82

2. Zum Stück „Vogel als Prophet“

3. Zum Stück „Jagdlied

4. Literaturverzeichnis

5. Abbildungsverzeichnis

1. Einführender Kommentar zum Zyklus „Waldszenen“, Op.82

„Als sie eintraten, sah sie Dorian Gray. Er saß am Klavier, den Rücken ihnen zugekehrt und blätterte in einem Bande von Schumanns ‚Waldszenen’. ‚Sie müssen mir die Noten leihen, Basil!’ rief er aus. ‚Ich muß diese Musik lernen, sie ist einfach entzückend.[1]’“

Diese aus dem Roman Oscar Wildes „Das Bildnis der Dorian Gray“ stammenden Zeilen geben ein recht treffliches Zeugnis für die Beliebtheit der Schumannschen „Waldszenen“ ab. Nicht nur der Gesamtzyklus, sondern auch losgelöste Stücke aus demselben haben Berühmtheit erlangt. Vor allem „Vogel als Prophet“, eine der subtilsten Kostbarkeiten romantischer Klaviermusik, oder wie Hermann Hesse es bezeichnet, dieses „holde und geheimnisvolle Stück[2]“ ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Ebenso wurden die „Verrufene Stelle“, in welcher laut Draheim Bachsche Kontrapunktik und eine „kühne, dissonanzenreiche Harmonik sich zu beklemmender Wirkung verbinden[3]“, und das frisch wirkende Jagdlied bereits sehr früh vom Publikum geschätzt. Selbst die Fachpresse urteilte im Jahr der Veröffentlichung des Zyklus, 1850, durchaus positiv: „Unsere Dichter und Musiker flüchten seit einiger Zeit vorzugsweise gern in die Waldeinsamkeit, so gleichen diese neuen Clavierstücke den trefflichen Waldliedern von Gustav Pfarrius. In beiden würde der spähende Kritiker vielleicht Reisig finden, aber er sucht nicht danach; er erfreut sich an dem gehimnißvollen Rauschen, an fern erklingenden Weisen, mystischen Blumen des musikalischen Zauberwaldes und wünscht dem Componisten viele Spieler, die auf seine Wesenheit eingehen und ihn mit Geschicklichkeit und Verständniß vortragen können[4]“. Neben der Anerkennung der Komposition ist in diesem Zitat überdies zu erkennen, dass Schumann mit seiner Wahl der Thematik des Waldes zunächst keine neuen Wege einschlägt.

Der Wald ist als spezifisch romantischer Idealraum, wie beispielsweise in Eichendorffs Gedichten, anzusehen. Schumanns Affinität zu diesem Raum zeigt sich nicht nur in den hier behandelten Charakterstücken, sondern unter anderem im „Liederkreis nach Eichendorff“ Op.39 (1840), im zweiten Teil von „Das Paradies und die Peri“ Op.50 (1843), im 4. Akt der Oper „Genoveva“ (1848) und im ersten Teil der Chorballade „Vom Pagen und der Königstochter“ Op.140 (1852)[5]. Der bereits genannte Idealraum stilisierte den Wald zum Symbol der absoluten Harmonie zwischen Mensch und Natur, zum Inbegriff der Natur schlechthin. Der Wald symbolisierte etwas Zwiespältige: einerseits als Hort des Dämonischen, Ungewissen und Bedrohlichen, andererseits erschien er als Stätte der Ruhe und Besinnung, bis hin zur religiösen Aura[6]. Die typische Motivik für diese Sphäre liegt besonders in der Darstellung von rauschenden Wälder und Quellen, von singenden Vögeln, vom einsamen Wanderer, von Jagd- und Hörnerklang und letztlich vom Dunkel der nächtlichen Stille[7].

Über die Entstehung der Stücke gibt Schumann selbst in seinem Haushaltsbuch gewohnt kurze, aber wichtige Details preis. Im Dezember des Jahres 1848 lesen wir: „24. Dezember 1848 Waldszenen – Abends Bescheerung – Sehr heiter … 29. Dezember 1848 - Eine Waldszene (Blumen) … 31. Dezember 1848 - Herberge a.d. Waldszenen - Vergnügt[8]. Laut Knechtges sind fünf der insgesamt neun Stücke 1848, und vier im Folgejahr entstanden[9], wobei der Zyklus mit dem nach der Kompostion von „Abschied“ erst mit dem rückwirkend, am 06.01.1849 an siebter Stelle eingearbeiteten „Vogel als Prophet“ seinen Abschluss gefunden habe[10]. In Tabelle 1 findet sich eine Gegenüberstellung der Mottos und Überschriften, sowie der Anordnung zwischen Niederschrift und Druckfassung. Es lässt sich ersehen, dass die grobe Abfolge gleich geblieben ist. In Abb.1 können die unterschiedlichen Titel noch einmal verfolgt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Gegenüberstellung „Niederschrift“ und „Druckfassung“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Unterschiedliche Titel der „Waldszenen

Am 08.10.1850 richtet Schumann eine revidierte Version der „Waldszenen“ an den Verleger Bartholf Senff in Leipzig. Schumann legt dem Notentext folgende Zeilen bei:

„Sie empfangen hier die Waldszenen – ein lang und viel von mir gehegtes Stück. Möchte es Ihnen Lohn bringen, und wenn keinen ganzen Wald, so doch einen kleinen Stamm zum neuen Geschäft[11].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Das autographe Titelblatt[12] bestimmt die Widmungsträgerin mit Annette Preußer und weist als Datierung „Leipzig, d. 1sten September 1850“ auf. Die Setzung von Überschriften für jedes der Charakterstücke dieses Zyklus lässt eine mögliche Beziehung zu den „Phantasiestücken“ Op.12 und den „Kinderszenen“ Op.15. erkennen, wobei Knechtges darauf hinweist, dass durch das Thema „Wald“ ein engerer Rahmen vorgegeben ist, als bei dem Thema „Kind“[13]. Auch Hohenemser erkennt eine ähnliche Gestaltung der „Wald -“ und der „Kinderszenen“.

Abb.2: Titelbild der Erstausgabe der „Waldszenen

Er weist darauf hin, dass sich die Stücke der „Waldszenen“ infolge ihrer größeren Ausdehnung zum Einzelvortrag besser eignen und ergänzt, dass ihre innere Zusammengehörigkeit an verschiedenen Punkten durch die Musik selbst stärker hervorgehoben wird[14]. In der romantischen Gesamtthematik spielte der Wald zwar eine prägende Rolle, in der romantischen Klaviermusik, d.h. bei Mendelssohn, Chopin, Schumann und Liszt tauchen Naturbezüge in den Titeln kaum auf. Eingegrenzt auf Schumann stellen dessen Waldszenen in diesem Kontext gar einen Einzelfall dar[15]. Neben den Überschriften notierte Schumann auf der letzten Seite der Stichvorlage sieben literarische Mottos zu den Stücken. Damit folgte er einer durchaus gängigen Praxis, die keiner programmmusikalischen Intention, sondern vielmehr einem synästhetischen Gedanken dienen wollte[16]. Auch Draheim bemerkt, dass diese Mottos ebenso wie die Überschriften vieler Stücke bei Schumann nach der of bekundeten Absicht des Komponisten nicht als programmatische Festlegungen verstanden werden sollen, sondern als poetische Fingerzeige für den Hörer wie für den Spieler zur Verdeutlichung des musikalischen Charakters[17]. Die Sorge, den Rezipienten tatsächlich im programmatischen Sinne zu beeinflussen, veranlasste Schumann vermutlich zur Streichung fast aller Mottos. Lediglich die Verse Hebbels bei Nr. 4 „Verrufene Stelle“ blieben im Druck erhalten. Vorgesehen waren noch fünf weitere literarische Mottos, nämlich für die Stücke „Eintritt“, „Jäger auf der Lauer“, „Vogel als Prophet“, „Jagdlied“ und „Abschied“. Es handelte sich dabei um Strophen und Verse von Eichendorff, sowie aus zwei damals beliebten Gedichtsammlungen: dem Jagdbrevier von Heinrich Laube und den Waldliedern von Gustav Pfarrius[18]. Der bereits genannte Vergleich zu den Kinderszenen ist fällt aber bei Weitem nicht in Gänze positiv aus. So führt Lindner an, dass Schumann bei den „Waldszenen“ – im Gegensatz zu den „Kinderszenen“ den inneren Zusammenhang der Stücke unbeachtet ließe[19]. Dieses Urteil gründet auf dem Vorwurf, welcher Schumanns Spätwerk immer wieder angelastet wird. Robert Schumanns Kompositionsfähigkeit habe unter seiner Geistesstörung gelitten. Jensen erkennt ferner: „Even today those works are frequently regarded with some suspicition[20]“. Ob diese andauernde Skepsis berechtigt ist, oder ob es sich lediglich um einen “different musical style[21] ” handelt und die Verweise auf die Geisteskrankheit als pure Spekulation zurückzuweisen sind, wie es Jensen erörtert, soll anhand der Beispiele „Vogel als Prophet“ und „Jagdlied“ genauer geklärt werden.

2. Zum Stück „Vogel als Prophet“

Die ganze Traditionslinie des Vogelgesanges kann an dieser Stelle nicht aufgezeigt werden. Lediglich zwei Beispiele seien genannt: Zum einen Beethovens Pastoralsinfonie, Coda des zweiten Satzes [„Szene am Bach (Andante molto mosso)“], wo nacheinander Nachtigall, Wachtel und Kuckuck auftreten lässt und zum andern die nach Schumann entstandenen Lieder eines fahrenden Gesellen von Mahler. Dessen „Vogel-Figur“ weist große Ähnlichkeiten mit dem Motiv Schumanns auf: [Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten]

Abb.3: Aus dem Klavierauszug von Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen

Zum Zykluscharakter der Waldszenen wurde sinnigerweise immer wieder auf das erste und letzte Stück hingewiesen, welche den Ein- in und den Austritt aus dem Wald erfassen. Desweiteren wird immer wieder die tonartliche Konzeption genannt. Auszüge aus Darstellungen über den Tonartenverlauf innerhalb des Zyklus bringen einen erstaunlichen Widerspruch zutage:

[...]


[1] Oscar Wilde: Das Bildnis des Dorian Gray, München 2005, S.56.

[2] Hermann Hesse: Musik, Betrachtungen, Gedichte, Rezensionen und Briefe, Frankfurt am Main 1977, S.221.

[3] Joachim Draheim: Vorwort, in: Peters Ausgabe Nr.9526, S.IV.

[4] Berliner Musik-Zeitung Echo, Erster Jahrgang, 1850, Nr.1, S.5.

[5] Draheim: Vorwort, ebd.

[6] Irmgard Knechtges-Obrecht: Waldszenen. Neun Stücke für Klavier Op. 82, in: Helmut Loos: Robert Schumann. Interpretation seiner Werke, Laaber 2005, S.72.

[7] Draheim: Vorwort, S.IV.

[8] Wolfgang Boetticher (Hg.): Robert Schumann in seinen Schriften und Briefen, Berlin 1942, S.447.

[9] Irmgard Knechtges: Robert Schumann im Spiegel seiner späten Klavierwerke (Kölner Beiträge zur Musikforschung, Band 142), Regensburg 1985, S.118.

[10] Knechtges-Obrecht: Waldszenen, S.71.

[11] Boetticher: Schumann in seinen Schriften, S.470.

[12] vgl. Titelbild der Erstausgabe (Abbildung 1).

[13] Knechtges: Schumann im Spiegel seiner späten Klavierwerke, S.118.

[14] Richard Hohenemser: Formale Eigentümlichkeiten in Robert Schumanns Klaviermusik, in: Alfred Einstein, Theodor Kroyer, Carl August Rau u.a.(Hg.): Festschrift zum 50. Geburtstag von Adolf Sandberger, München 1918, S.23.

[15] Peter Jost: Robert Schumanns „Waldszenen“ op.82. Zum Thema „Wald“ in der romantischen Klaviermusik, Saarbrücken 1989, S.124.

[16] Knechtges-Obrecht: Waldszenen, S.72.

[17] Draheim: Vorwort, S.V.

[18] ebd.

[19] Miriam Lindner: Die Psychose von R. Schumann und ihr Einfluss auf seine musikalischen Kompositionen (Schweizer Archiv für Neurologie und Psychatrie, Band 83), London 1952, S.89.

[20] Eric Frederick Jensen: A New Manuscript of Robert Schumann’s Waldszenen Op.82, in: ,S.69.

[21] ebd.

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Analysearbeit zu den Charakterstücken „Vogel als Prophet“ und „Jagdlied“ aus Robert Schumanns „Waldszenen“ Op.82
Untertitel
Schumanns Spätwerk als Konstrukt mentalen Abbaus?
Hochschule
Universität Osnabrück
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
29
Katalognummer
V75444
ISBN (eBook)
9783638812467
ISBN (Buch)
9783638813976
Dateigröße
2109 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Analysearbeit, Charakterstücken, Prophet“, Robert, Schumanns
Arbeit zitieren
Patrick Hehmann (Autor:in), 2006, Analysearbeit zu den Charakterstücken „Vogel als Prophet“ und „Jagdlied“ aus Robert Schumanns „Waldszenen“ Op.82 , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75444

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