Antizipation im Tennissport - Die Auswirkung von Erfahrung, Training und Spielbeobachtung im Hinblick auf die Wahrnehmung und Vorhersage des Ballfluges


Mémoire de Maîtrise, 2005

149 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Diagrammverzeichnis

1 Einführung und Problemstellung

2 Theoretische Aspekte und Hintergründe der visuellen Informationsaufnahme und -verarbeitung
2.1 Leistungen des visuellen Systems
2.1.1 Zentrales und peripheres Sehen
2.1.2 Räumliches Sehen
2.1.3 Bewegungssehen
2.2 Die visuelle Wahrnehmung
2.3 Antizipation und Antizipationsfähigkeit

3 Der aktuelle Forschungsstand
3.1 Bisherige Untersuchungen
3.2 Kann Antizipation trainiert werden?

4 Experimenteller Teil
4.1 Fragestellung und Untersuchungsgegenstand
4.1.1 Formulierung der Hypothesen
4.1.2 Eingrenzungen der Fragestellung und des Untersuchungsgegenstandes
4.2 Personenstichprobe
4.3 Untersuchungsdesign
4.3.1 Prätest
4.3.2 Versuchsaufbau
4.3.3 Gütekriterien
4.4 Ergebnisse
4.4.1 Darstellung der Ergebnisse
4.4.2 Diskussion der Ergebnisse
4.5 Mögliche Folgeuntersuchungen

5 Umsetzung der Ergebnisse

6 Zusammenfassung

7 Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Schematischer Aufbau des menschlichen Auges (FreeVis)

Abbildung 2: Das behavioristische S-O-R-Modell der Wahrnehmung (mod. nach Kebeck 1994, 157)

Abbildung 3: Prozessmodell der Wahrnehmung (mod. nach Sonnenschein 1987, 46)

Abbildung 4: Anforderungen an die Antizipation im Tennisspiel (mod. nach Widmaier 1987, 76)

Abbildung 5: Letzte Einzelbilder zweier Ballwechsel. An dieser Stelle der Schlagausführung enden die Filme. (Links: Rückhand-Winner, Lob, longline. Rechts: Rückhand-Slice, cross.)

Abbildung 6: Tennisplatzskizze mit der Abschnittseinteilung A-D

Abbildung 7: Leistungskurve beim Lernvorgang der Antizipationsfähigkeit (A)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Faktoren der Aufmerksamkeitsbeeinflussung (vgl. Gabler 2000, 186)

Tabelle 2: Anforderungen an die Raum- und Bewegungswahrnehmungen im Tennisspiel (mod. nach Widmaier 1987, 74)

Tabelle 3: Personenbezogene Daten des Tennisspieler-, des Fernseh- und des Kontrollkollektivs (mit Mittelwert und Standardabweichung)

Tabelle 4: Aktive Tenniserfahrung des Tennisspielerkollektivs (Mittelwert und Standardabweichung)

Tabelle 5: Auflistung der im Versuch gezeigten Tennisspieler und -spielerinnen

Tabelle 6: Angaben zum Alter der Probanden und zu ihrer aktiven Tenniserfahrung in Jahren

Tabelle 7: Auflistung der richtigen Antworten pro Kollektiv und insgesamt in Prozent (mit Mittelwert)

Tabelle 8: Mittelwerte und Varianzen der richtigen Antworten und Umfänge der Kollektive

Tabelle 9: Zusammenfassung der Ergebnisse der statistischen Auswertung (Signifikanzniveau 5 %, df = Freiheitsgrade)

Diagrammverzeichnis

Diagramm 1: Häufigkeiten Geschlecht der Versuchspersonen in Prozent

Diagramm 2: Häufigkeiten Alter der Versuchspersonen und Verteilung in Prozent

Diagramm 3: Aktive Tenniserfahrung in Jahren und jeweilige Probandenanzahl

Diagramm 4: Streudiagramm und Regressionsgerade bzgl. der Korrelation zwischen Tenniserfahrung und Anzahl an richtigen Antworten

Diagramm 5: Histogramm der richtigen Antworten und ihrer jeweiligen Anzahl getrennt nach Männern und Frauen

Diagramm 6: Boxplot bzgl. Geschlecht und Anzahl der richtigen Antworten

Diagramm 7: Richtige Antworten von Frauen und Männern in Prozent

Diagramm 8: Histogramm der richtigen Antworten und ihrer jeweiligen Häufigkeit des TK

Diagramm 9: Histogramm der richtigen Antworten und ihrer jeweiligen Häufigkeit des FK

Diagramm 10: Histogramm der richtigen Antworten und ihrer jeweiligen Häufigkeit des KK

Diagramm 11: Anzahl der richtigen Antworten getrennt nach Hart-, Sand- und Rasenplatz

Diagramm 12: Haben Sie in den Filmen BEWUSST auf etwas Bestimmtes geschaut?

Diagramm 13: Bewusst beobachtete Elemente des TK

Diagramm 14: Bewusst beobachtete Elemente des FK

Diagramm 15: Bewusst beobachtete Elemente des KK

1 Einführung und Problemstellung

„Warum dominiert ein Roger Federer im Tennis? Ein Federer hat einen Tennisschläger wie alle anderen, aber die spezielle Wahrnehmung, die Antizipation geht den anderen ab.“

Olympiasieger Anton Innauer[1]

Diese Aussage über Roger Federer ist kein Einzelfall. Während des Wimbledon-Finales am 3. Juli 2005 betonte der Kommentator der Live-Übertragung wiederholt die hervorragende Antizipation des späteren Gewinners. Ganz gleich, wo sein Gegner Andy Roddick hinspielen würde, Roger Federer wäre bereits da. Er sei im Besitz einer außergewöhnlichen Antizipationsfähigkeit. „Auch in anderem fachlich fundierten Kontext, z. B. bei der Trainerausbildung oder im Leistungstraining, wird die Antizipationsfähigkeit als ein wichtiger Bestandteil der Gesamtleistung hervorgehoben“ (Vogt 2001, 89).

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Thema der Antizipationsfähigkeit und ihrer Relevanz im Rahmen des Tennissports. Dieser war Anfang der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrtausends ins Blickfeld gerückt, als es in Deutschland einen regelrechten Popularitätsschub im Tennissport gab. Sicherlich auch infolge der internationalen Erfolge deutscher Spieler(innen)[2] konnten die Vereine steigende Mitgliederzahlen verbuchen. Mittlerweile ist diese Entwicklung zwar wieder etwas rückläufig, dennoch verzeichnen die ca. 10.000 Vereine nach der Mitgliederstatistik des Deutschen Tennisbundes e.V. knapp 1,8 Millionen Tennisspieler, davon sind 59 % Männer und 41 % Frauen (Stand: August 2004). Von ihnen sind ungefähr 75 % Breitensportler, d. h. sie betreiben den Sport als Hobby in ihrer Freizeit. Die anderen 25 % werden aufgrund regelmäßiger Teilnahme an Wettkämpfen dem Leistungssport zugeordnet.

Das Anforderungsprofil des Tennisspiels ist für beide Gruppen identisch: Typische leistungsbeeinflussende Faktoren sind u. a. Kraft, Geschick, Koordination, Kraftschnelligkeit, Ausdauer und Energiebereitstellung. Diese Themen waren in der Vergangenheit wiederholt Gegenstand entsprechender Erörterungen. Dabei

„wird vielfach übersehen, dass sportliche Leistungen auch an kognitive, emotionale und volitive [willentliche] Prozesse gebunden sind, die zum Zwecke der Leistungsverbesserung ebenso wie die körperlichen Voraussetzungen optimiert werden müssen“ (Sonnenschein 1987, 13).

Solche Prozesse sind jedoch selten bewusster Gegenstand des Trainings. Zwar ist anzunehmen, dass sie im Rahmen eines sportartspezifischen Trainings indirekt mittrainiert werden, doch die Förderung der beschriebenen Prozesse erfordert mehr Zeit und wird in der Regel nicht direkt gelenkt.

So bestimmen beispielsweise sinnesphysiologisch beeinflusste Abläufe wie Informationsaufnahme, Informationsverarbeitung und Informationsspeicherung die Leistung des Spielers. Die Spieler müssen in sehr kurzen Zeitintervallen den Ball fokussieren und dabei die Position im Raum, die Geschwindigkeit und Flugbahn sowie die Beschleunigung des Balles einschätzen und gleichzeitig ihre eigene und die Position des Gegners bestimmen. Auch müssen in die Abschätzung sowohl das eigene als auch das Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvermögen des Gegners einfließen. Aufgrund der hohen Ball- sowie Aktionsgeschwindigkeiten und des komplexen Spielgeschehens überwiegt beim Tennis reaktives und antizipatives Handeln. Dieses Handeln basiert auf visuellen Informationen. Allgemeine sinnesphysiologische und das Sehsystem betreffende Themen wurden in der Literatur bereits differenziert dargestellt und sollen in dieser Arbeit nur kurz referiert werden.

Die vorliegende Arbeit konzentriert sich vielmehr auf die Antizipation. Diese Eigenschaft hilft uns, Situationen im Alltag zu meistern. Das Antizipieren, das „Erahnen“ oder „Vorwegnehmen“ von Handlungen, bestimmt viele Ereignisse des Lebens. So bremst z. B. ein Autofahrer beim Umspringen der Ampel von Grün auf Gelb ab, weil er weiß, dass die Ampelanlage gleich auf Rot wechselt und er anhalten muss. Auch im Sport spielt das Antizipieren eine wichtige Rolle. Könnte ein Boxer die Aktionen des Gegners nicht in einem gewissen Maße vorausahnen, endete der Boxkampf vermutlich häufig mit einem Knock-out. Antizipiert er richtig, kann er seine Abwehrhaltung rechtzeitig aufbauen. Auch im Tennissport ist es entscheidend, zu antizipieren, z. B. zu erahnen, wo der Ball aufspringen wird: Wenn ein noch so schneller und beweglicher Spieler nicht zumindest grob abschätzen kann, wo der Ball des Gegners aufschlägt, hat er wenig Chancen, den Ballwechsel für sich zu entscheiden.

In diesem Zusammenhang ergibt sich die Fragestellung, ob es einen Unterschied zwischen der Alltags-Antizipation und der im Sport zum Einsatz kommenden Antizipation gibt. Antizipieren Sportler anders? „Für richtiges Antizipieren sind vor allem genaues Beobachten, die Berücksichtigung taktischer Prinzipien sowie Spielerfahrungen die entscheidenden Voraussetzungen“ (Stiehler et al. 1988, 16). Der Aussage Stiehlers zufolge müsste jemand, der kein Vorwissen bzgl. taktischer Prinzipien einer Sportart hat und auch keine aktive Spielerfahrung vorweisen kann, schlechter antizipieren als ein geübter Aktiver. Oder kann dies durch eine bessere Beobachtungsgabe ausgeglichen werden?

Diese Arbeit beschäftigt sich also mit der Antizipation und ihrem Einfluss auf die sportliche Leistungsfähigkeit. Aufgrund der Komplexität des Themas wird sich die vorliegende Arbeit auf ausgewählte Teilaspekte der Antizipationsfähigkeit beschränken. Dabei sollen zwei, nachfolgend vorgestellte, zentrale Fragestellungen behandelt werden, die in einer empirischen Untersuchung analysiert werden sollen:

1. Unterscheiden sich aktive Tennisspieler hinsichtlich ihrer Antizipation des Ballfluges von einer von der Altersstruktur her vergleichbaren „Normalpopulation“?

Dabei gilt es zunächst, die Antizipationsleistung von Tennisspielern anhand eines Versuches zu bestimmen, um diese anschließend mit der Antizipationsleistung des Kontrollkollektivs[3] zu vergleichen. Das Ergebnis soll zeigen, ob Tennisspieler besser antizipieren können als Nicht-Tennisspieler, und Antizipation demzufolge trainierbar ist, oder ob es lediglich individuell bedingte Unterschiede gibt.

2. Welchen Stellenwert hat das Betrachten von Tennisspielen im Fernsehen auch unter dem Aspekt der passiven Trainingsmöglichkeit?

Hierbei soll das Kollektiv der Nicht-Tennisspieler in zwei Gruppen unterteilt werden: Eine Gruppe, deren Teilnehmer sich in ihrer Freizeit regelmäßig Tennisspiele im Fernsehen ansehen und eine zweite Gruppe, deren Teilnehmer sich nicht mit Tennis beschäftigen. Es soll dabei untersucht werden, ob die Antizipation durch reines Beobachten zu schulen ist.

Ferner soll untersucht werden, ob die Antizipationsleistung von weiteren Faktoren beeinflusst wird. Hier werden vor allem die Auswirkungen der aktiven Tenniserfahrung sowie des Geschlechts der Teilnehmer in den Blickpunkt der Untersuchung gerückt.

Zum Einstieg in das Thema werden in Kapitel 2 zunächst einmal die theoretischen Aspekte der Antizipation dargestellt. Da sich die Arbeit auf die visuell beeinflusste Antizipation konzentriert (sie wird ebenfalls von den Leistungen der anderen Sinnesorgane bestimmt), werden die Hintergründe der visuellen Informationsaufnahme und -verarbeitung genauer erörtert. Hierbei werden die einzelnen Leistungen des visuellen Systems vorgestellt, welche die Voraussetzungen für die visuelle Wahrnehmung bilden. Anschließend wird die Antizipation vor diesem Hintergrund betrachtet.

Das dritte Kapitel stellt den aktuellen Forschungsstand mitsamt einiger bisheriger Untersuchungen auf diesem Gebiet vor, um die vorliegende Arbeit in einen thematischen Kontext zu bringen. Entscheidende Erkenntnisse und grundlegende Ergebnisse werden präsentiert. Zusätzlich wird der Frage nachgegangen, ob Antizipation trainierbar ist und welche Antworten diesbezüglich bereits formuliert wurden.

Im Anschluss an die theoretischen Grundlagen der ersten Abschnitte dieser Arbeit erfolgt die Erörterung des praktischen Teils. In diesem werden die Erstellung, Durchführung und Auswertung der Untersuchung zur Antizipationsfähigkeit vorgestellt. Als erstes werden diesbezüglich die Hypothesen der Untersuchung aufgestellt, welche die zentralen Fragestellungen beinhalten. Im Anschluss daran werden die Stichproben und das Untersuchungsdesign dargelegt. Abschließend erfolgt die Diskussion der Ergebnisse mit den entwickelten Schlussfolgerungen für eine Umsetzung der Ergebnisse in die Praxis.

Im letzten Kapitel werden die zentralen Aspekte der vorliegenden Arbeit sowie die erarbeiteten Ergebnisse übersichtlich dargestellt.

2 Theoretische Aspekte und Hintergründe der visuellen Informationsaufnahme und -verarbeitung

Der folgende Abschnitt stellt grundlegende Aspekte der Teilleistungen des visuellen Systems vor. „Die visuelle Wahrnehmung besitzt für die Orientierung des Menschen in seiner Umwelt unbestritten die größte Bedeutung[4]“ (Neumaier 1979, 1) und auch im Sport spielt sie eine beachtliche Rolle, da sie „eine identifizierbare leistungslimitierende Komponente des sportmotorischen Handlungsvollzugs und eine wesentliche Größe für das Verständnis der Antizipation“ (Ritzdorf 1982, 2) darstellt. Daher sollen an dieser Stelle anatomische und physiologische Grundlagen des Sehens beschrieben werden. Anschließend befasst sich die vorliegende Arbeit mit der Antizipationsfähigkeit und ihrem Bezug zum Sport, insbesondere hinsichtlich des Tennisspiels.

2.1 Leistungen des visuellen Systems

„Die visuelle Wahrnehmung dient im Sport zur Orientierung, zur Antizipation und Erfassung von Fremdbewegung(en), zur Kontrolle der Eigenbewegung sowie zur Bewegungsbeurteilung“ (Neumaier 1988 in Jendrusch & Brach 2003, 176). Über 90 % aller aus der Umwelt aufgenommenen Informationen werden durch die visuelle Wahrnehmung geliefert (vgl. Ritzdorf 1982, 10). Visuelle Teilleistungen sind u. a. zentrales und peripheres Sehen, räumliches Sehen und Bewegungssehen. Diese Teilbereiche werden nachfolgend im Hinblick auf das Tennisspiel genauer betrachtet. Des Weiteren sollen die Anforderungen an die visuelle Wahrnehmung im Tennis und eventuelle Grenzen definiert werden.

2.1.1 Zentrales und peripheres Sehen

Zur Veranschaulichung sich anschließender Ausführungen vorab eine schematische Abbildung des Auges:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Schematischer Aufbau des menschlichen Auges (FreeVis)

Das zentrale Sehen bezeichnet die Wahrnehmung im Zentrum und das periphere Sehen die Wahrnehmung in den Randzonen der Netzhaut (Retina). Auf der Netzhaut sind in unterschiedlicher Dichte die Sehzellen, die Stäbchen (insgesamt ca. 120 Millionen) und Zapfen (insgesamt ca. 6 Millionen) (vgl. Schmidt 1987, 16 und Daugs et al. 1989, 20) angeordnet. Bereits im Auge findet eine gewisse Informationsverarbeitung statt, weil der aus den Augen austretende Sehnerv nur über ca. 1,2 Millionen Leitungsfasern verfügt. Es kann also lediglich „ein Bruchteil aller auf die Rezeptoren einströmenden Reize an das zentrale Nervensystem weitergeleitet [werden]“ (Schmidt 1987, 16). Zapfen sind die für das Farbsehen verantwortlichen Sehzellen und „zeichnen sich durch ein hohes räumliches Auflösungsvermögen aus“ (Daugs et al. 1989, 20). Sie kommen gehäuft im Zentrum der Netzhaut vor. Gegenüber dem Pupillenloch befindet sich der so genannte Gelbe Fleck (Macula lutea), dessen kleine Vertiefung (Fovea centralis) die Stelle des schärfsten Sehens darstellt. Hier sind die Zapfen am dichtesten gelagert. Stäbchen hingegen befinden sich vor allem in der Peripherie der Retina und sind verantwortlich für das Hell- und Dunkelsehen. Zwar ist die Sehschärfe hier geringer, dennoch ist das periphere Sehen für das Tennisspiel und andere Sportarten sehr wichtig:

„Die Wahrnehmung seitlich agierender Gegner oder eigener Mitspieler, die Kontrolle von seitlichen Distanzen und Geschwindigkeiten ebenso wie die Kontrolle der oberen und unteren (z. B. Bodenbeschaffenheiten) Bereiche des Blickfeldes erfolgt über das periphere Sehen“ (Loosch 1999, 109).

Beeinflusst wird die Wahrnehmung im peripheren Feld durch Größe, Farbe und Helligkeit des Objektes sowie seiner Darbietungszeit, seinem Hintergrund, der Beleuchtung der Umgebung und seiner Entfernung zum Auge (vgl. Neumaier 1979, 42).

„Es ist davon auszugehen, dass für viele Sportarten eine Mindestsehschärfe erforderlich ist, um nicht von vorneherein Leistungseinbußen hinnehmen zu müssen“ (Neumaier 1988, 43). Beim Tennis wird die Leistungsfähigkeit durch die Sehschärfe beeinflusst, wenn es gilt, z. B. die Griffhaltung oder den Kippwinkel des Schlägers zu erkennen. Die Sehschärfe kann durch physische Belastung beeinträchtigt werden. Neumaier betont, dass es „durch ein Aufwärmen bzw. durch körperliche Aktivität [...] zu einer Verbesserung der Sehschärfe [kommt]“ (Neumaier 1988, 45). Ferner, so Neumaier weiter, käme es mit fortschreitender Ermüdung wieder zu einer Abnahme der Sehschärfe. Dies hängt jedoch auch mit anderen Faktoren wie der Aufmerksamkeit zusammen. Zusätzliche Beeinflussung erfährt die Sehschärfe durch äußere Faktoren wie der Beleuchtung. Eine Verschlechterung der Beleuchtung geht mit einer Abnahme der Sehschärfe einher, woraus eine Verlangsamung der Sehprozesse und der visuellen Reaktionszeit resultiert (vgl. ebd.). Eine weitere Dimension bei Sinnesreizen ist die Zeit.

„Die Reizdauer beeinflusst stark die Intensität der Sinnesempfindungen [...], ferner lassen sich Zeitunterschiedsschwellen für Reize verschiedener Dauer bestimmen, oder bei periodischen Reizen kann die Frequenz, bei der die Reize gerade nicht mehr getrennt wahrgenommen werden können, die Verschmelzungsfrequenz, gemessen werden“ (Schmidt/Thews 1983, 206).

Hier sei das Beispiel der Flimmerfusionsfrequenz zu nennen: Ein periodisch hell-dunkel modulierter Lichtreiz wird mit zunehmender Frequenz zunächst als Flimmern wahrgenommen. Mit weiterer Frequenzzunahme geht dieses Flimmern in eine gleichmäßige Lichtwahrnehmung über. Die Frequenz, bei der dieser Übergang stattfindet, wird als Flimmerfusionsfrequenz bezeichnet. Generell sind die Sinnesorgane relativ „träge“ und benötigen eine gewisse Zeit, um sich der Umgebung anzupassen (s. Adaptation, Kap. 2.1.2). Das Auge kann bis zu 18 Bilder pro Sekunde einzeln wahrnehmen. Sind es mehr, verschwimmen sie ineinander. Folglich kann dieser Umstand als leistungsbeeinflussend gelten.

Wissenschaftliche Untersuchungen, die sich mit der Frage beschäftigten, ob sich Sportler und Nicht-Sportler in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit im peripheren Sehbereich voneinander unterscheiden, führten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Außerdem konnte ein signifikanter Unterschied bezüglich unterschiedlicher Leistungsniveaus und peripherem Sehen erbracht werden (vgl. Neumaier 1988, 52 f.). Generell kann dementsprechend keine Aussage darüber gemacht werden, ob durch sportliche Tätigkeit die periphere Wahrnehmung geschult werden kann. Neumaier fasst dies wie folgt zusammen:

„Insgesamt gesehen ist der sportbezogene Forschungsstand zum peripheren Sehen – trotz relativ vieler Arbeiten – als unbefriedigend zu bezeichnen. Hierfür verantwortlich sind vor allem methodische Probleme (geringe Standardisierung der Testverfahren) in Verbindung mit der Nichtbeachtung der spezifischen Bedingungen der Sportpraxis“ (Neumaier 1988, 59).

Unter Umständen kann es vorkommen, dass das Umfeld weniger als im Normalzustand über das periphere Sehen erfasst werden kann. Dies ist z. B. bei schlecht beleuchteten oder reflektierenden Reizen der Fall. Exemplarisch sei hier das Spiel mit einem verschmutzten Tennisball zu nennen (vgl. Neumaier 1988, 48). Als Konsequenz müssen mehr Blickbewegungen eingesetzt werden, welche in Kapitel 2.1.3 ausführlicher besprochen werden.

2.1.2 Räumliches Sehen

Wie wird etwas dreidimensional wahrgenommen, das auf der Netzhaut lediglich in zweidimensionaler Form repräsentiert wird? Gibson (1982) zufolge wird der Zusammenhang von Tiefenkriterien (s. u.) und realer Tiefe durch Erfahrungen, die in der Umwelt gemacht werden, erlernt. Später werden mithilfe des Gedächtnisses Verbindungen zwischen einem bestimmten Signal und räumlicher Tiefe automatisch hergestellt. Es gibt unterschiedliche Tiefenkriterien: „Linearperspektive, scheinbare Größe, Überlappung, Licht und Schatten, relative Bewegung, Luftperspektive, Akkommodation (als monokulare Kriterien), dazu binokulare Disparation und Konvergenz (als binokulare Kriterien)“ (Gibson 1982, 160). Einige von ihnen werden nachfolgend eingehender betrachtet.

„Das räumliche Sehen basiert auf einer Reihe von binokularen und monokularen Leistungen des visuellen Systems. Bis zu Entfernungen von ca. 6-10 Metern ist die Beidäugigkeit für das räumliche Sehen von besonderer Bedeutung“ (Jendrusch/ Brach 2003, 180).

Zusätzlich gilt: „Mit zunehmender Entfernung werden die monokularen Tiefenkriterien für die Tiefenwahrnehmung immer wichtiger“ (Neumaier 1988, 121). Zu ihnen zählt u. a. das Verdecken von Objekten. Wir wissen, dass das verdeckte Objekt weiter entfernt ist als das verdeckende. Auch die relative Größe im Blickfeld spielt eine Rolle. Größere Objekte bewirken Nähe, kleine Objekte Ferne. Die lineare Perspektive kann ebenso einen Tiefeneindruck erzeugen. Linien scheinen auf einer zweidimensionalen Fläche Richtung Horizont zusammenzulaufen. Dadurch erscheinen Elemente, die gleich weit voneinander entfernt sind, mit zunehmenden Abstand vom Betrachter als immer dichter beieinander stehend.

Wie bereits erwähnt, dient das räumliche Sehen (Stereopsis) vor allem der Wahrnehmung von Tiefenunterschieden und somit der Entfernungsabschätzung. Dies geschieht ferner durch den Mechanismus der Querdisparation[5]. Das räumliche Sehen beruht auf der Auswertung von Reizwirkungen auf beide Augen. Für die beiden Augen erscheint ein Gegenstand unter unterschiedlichen Betrachtungswinkeln. Aufgrund dieser geometrischen Voraussetzungen bilden die Retinae beider Augen jeweils verschiedene Bereiche des Sehobjekts ab. „Die von korrespondierenden Netzhautstellen kommenden Signale werden im visuellen Cortex zu einem Bild ‚fusioniert’, um Doppelbilder zu vermeiden“ (ebd.). Das visuelle System ist in der Lage, die verschiedenen Beträge der Querdisparation als räumliche Tiefe zu interpretieren. Überschreitet die Querdisparation aber einen gewissen Toleranzbereich, zerfällt das räumliche Bild des Objekts in Doppelbilder. Dies wird in der Regel jedoch automatisch verhindert. Zum einen mag die geringe Sehschärfe der Netzhautperipherie der Entstehung von störenden Doppelbildern entgegenwirken, zum anderen wird vermutet, dass ein binokularer Hemmungsmechanismus im visuellen Kortex die Wahrnehmung von Doppelbildern verhindert.

„Unsere Augen sind kleine Computer. Nicht erst das Gehirn, sondern schon die Netzhaut rechnet die Rohdaten aus Licht um und komprimiert sie“ (Stöcker 2005). Sie nimmt Veränderungen in Raum und Zeit wahr und hat einen wesentlichen Anteil an der Weiterverarbeitung optischer Reize. Des Weiteren passt sie sich dynamisch den jeweiligen Umweltbedingungen an (vgl. Hosoya/Baccus/Meister 2005, 71). Zwei Prozesse, die im Wesentlichen and diesen Vorgängen beteiligt sind, sind die Akkommodation und die Adaptation.

Wird ein Objekt beobachtet, welches sich in unterschiedlichen Entfernungen bewegt, passt sich das Auge an, um das Objekt scharf zu stellen. Diese Anpassungsvorgänge heißen Akkommodation. Hierbei wird die Linse mithilfe des Ziliarmuskels, der den Ziliarkörper und somit die Oberfläche der Linse krümmt, angepasst. Dadurch wird ein Scharfstellen des Bildes bewirkt. Bei einem Abstand zwischen Auge und fixiertem Gegenstand von weniger als ca. sechs Metern kontrahiert der Ziliarmuskel und die Linse wird stärker gekrümmt (Nahakkommodation). Mit zunehmendem Alter verringert sich die Akkommodationsbreite, vor allem aber die minimale Distanz[6], in der ein Gegenstand scharf gesehen werden kann. Verursacht wird dies durch den „Wasserverlust und die Zunahme von ‚starren’ Fasern“ (Neumaier 1988, 80), wodurch die Linse an Elastizität verliert.[7] Bei Gegenständen, die weiter als ca. sechs Meter entfernt sind, wird die Linse durch eine Zugwirkung abgeflacht (Fernakkommodation).

Eine unscharfe foveale Abbildung gilt als Reiz für die Akkommodation, welcher über Neuronengruppen weitergeleitet wird. Diese Latenzzeit zuzüglich der Zeit für die Kontraktion des Ziliarmuskels und die Zunahme der Linsenkrümmung ergibt insgesamt eine Dauer von ca. einer Sekunde, bis ein Objekt erfasst und scharf gestellt ist (vgl. Mester 1988, 99).

Eine weitere Unterscheidung wird zwischen Akkommodation ohne, mit geringer und mit hoher Zeitlimitierung vorgenommen. Ersteres ist der Fall, wenn ein Ziel in Ruhe fixiert werden kann. Eine geringe Zeitlimitierung herrscht vor, wenn man sich auf das fixierte Ziel langsam zubewegt, z. B. Anläufe beim Weit- oder Hochsprung. Eine hohe Zeitlimitierung tritt bei sich schnell bewegenden Objekten auf, z. B. im Baseball, wenn der Schlagmann (Batter) versucht, einen hart geworfenen Ball zu fixieren. „Besonders an den Vorgang der Nahakkommodation werden in vielen Situationen Anforderungen mit hoher Zeitlimitierung gestellt“ (Mester 1988, 98).

Sollte beispielsweise ein Tennisspieler, der am Netz positioniert ist, versuchen, den ankommenden Ball bis zum Treffpunkt auf dem eigenen Schläger zu fixieren, so berechnet sich die zeitliche Anforderung an die Akkommodation wie folgt: Ihr steht eine Strecke von ca. 12 m zur Verfügung. Hiervon sind ca. 60 cm abzuziehen, welche die Entfernung zum Schläger darstellen. Gehen wir von einer Ballgeschwindigkeit von 120 km/h (ca. 33 m/s) aus, so ergibt sich eine Zeitanforderung von 0,34 s[8] an die Akkommodation (vgl. Mester 1988, 99). Es ist daher unmöglich, einen hart geschlagenen Tennisball durchgängig scharf auf der Netzhaut abgebildet zu haben. Allerdings ist dies lediglich ein theoretisches Rechenbeispiel.

In der Praxis wird der Ball nicht bis zum Auftreffen auf den Schläger mit den Augen verfolgt. Es ist auch nicht wichtig, den Ball über die gesamte Flugdauer scharf zu sehen. Viel wichtiger ist die Konzentration auf das Ziel. Wer beim Torwandschießen auf den Ball schaut, wird kaum in die Öffnung in der Wand treffen. Das Ziel muss „angepeilt“ werden. Das externe Handlungsziel ist wichtiger als das interne. Das heißt, dass es für einen Tennisspieler vorrangig gilt, den Ball platziert und druckvoll in des Gegners Hälfte zu spielen. Die Selbstreflexion seiner Bewegungen ist kaum bedeutend. Würde sich ein Spieler zu sehr auf seine Bewegungsausführung konzentrieren, würde er gleichzeitig die Handlungsintention vernachlässigen. Anfänger lernen häufig die von Trainern gebräuchliche Floskel „Laufen, stehen, schlagen“[9]. Sie konzentrieren sich so sehr auf diese Vorgabe, dass der Ball dann nur noch einfach über das Netz gespielt wird. Sobald diese Vorgehensweise verinnerlicht wurde, verlagert sich die Aufmerksamkeit auf das externe Handlungsziel.

Fehres (1992) und andere Autoren unterscheiden diesbezüglich zwischen „knowledge of result“ (KR) und „knowledge of performance“ (KP). Beides sind Formen des intrinsischen Feedbacks, d. h. eine selbstbetrachtende, innere Rückmeldung des Handelnden. „Der interne Vergleich von KR (‚Wurde das Bewegungsziel erreicht?’) und KP (‚Wurde die Bewegung wie geplant ausgeführt?’) führt zur Modifikation oder auch der Stabilisierung der Bewegungsausführung“ (Fehres 1992, 42). Gemäß obiger Ausführungen wird KP durch Übung immer weiter verinnerlicht; ab einem gewissen Punkt erfolgt die Bewegungsausführung automatisch.

„Durch extensives Üben stellt sich ein Übergang von ursprünglich vorrangig aufmerksam kontrollierter, angestrengter, störanfälliger und fehlerhaft koordinierter Motorik zu schließlich weitgehend automatischer, anstrengungsloser, störresistenter und gut koordinierter Motorik ein“ (Daugs 1993, 39).

Dadurch verlagert sich die Aufmerksamkeit, so dass sich ein Spieler intensiver auf KR konzentrieren kann. Außerdem ermöglicht die zunehmende Entlastung des Bewusstseins bzgl. der eigenen Bewegungen einen zunehmenden Grad an Antizipation.

Neben der Akkommodation sorgt die Adaptation für die optische Informationsaufnahme. Die Lichtverhältnisse auf der Retina werden durch die Veränderung der Pupillenweite variiert. Durch die Erweiterung bzw. die Verengung der Pupille wird das Auge an die jeweiligen vorherrschenden Lichtverhältnisse angepasst. Diesen Vorgang bezeichnet man als Adaptation. Dabei wird zwischen Dunkel- und Helladaptation unterschieden.

„Bei der Dunkeladaptation nimmt die absolute Empfindlichkeit des visuellen Systems für Lichtreize allmählich zu“ (Neumaier 1988, 77). Die Netzhaut wird einerseits empfindlicher für Lichtreize, andererseits verringert sich das räumliche Auflösungsvermögen, d. h. die Sehschärfe wird stark reduziert.

Treten Blendeffekte in der Umwelt auf, setzt die Helladaptation ein. Diese Pupillenregulation benötigt naturgemäß eine gewisse Zeit, die sog. Latenzzeit. Diese variiert je nach Situation. Bei einem Wechsel von einem Extrem (sehr hell/dunkel) zum anderen Extrem (sehr dunkel/hell), ist die Latenzzeit am größten.

Bei Tennisspielern wird die Adaptationsfähigkeit besonders dann beansprucht, wenn eine Hälfte des Platzes im Schatten liegt und die andere von der Sonne beschienen wird, oder wenn ein Spieler bei einem hohen Ball direkt in die Sonne oder die Deckenbeleuchtung blickt. Bis sich das Auge an die neuen Lichtverhältnisse angepasst hat, vergeht also eine bestimmte Zeit, welche die Handlungszeit verkürzt, da der Ball erst später scharf gesehen werden kann. Die absolute Regelbreite des optischen Systems vermag demnach leistungsbeeinflussende Wirkung auszuüben.

Im Tennis werden zur Entfernungsberechnung äußere Merkmale wie Linienüberschreitungen, partielle Gegenstandsabdeckungen[10], Größenunterschiede, Schattenbildungen etc. herangezogen. „Befinden sich der Gegenspieler oder der Ball vor oder hinter einer Spielfeldmarkierung (T-Linie, Grundlinie), werden diese so räumlich lokalisiert“ (Mester 1988, 185). Je öfter man Tennis spielt, desto besser sollte man diese Entfernungen kennen, wie ein Torwart, der nach einer gewissen Zeit genau weiß, wie groß sein Tor ist und sofort erkennt, ob ein Ball vorbeigeht oder nicht. Das erklärt, weshalb es besonders für Anfänger schwierig sein kann, einen Lob[11] zu berechnen und im optimalen Treffpunkt als Schmetterball[12] zu spielen. Vor allem bei wolkenlosem Himmel gestaltet sich der Vorgang schwierig, da der homogene Hintergrund keinerlei Informationen zulässt und sich der Spieler lediglich an der visuellen Veränderung der Ballgröße orientieren kann. In der Regel ist es sicherer, den Ball erst einmal aufspringen zu lassen und anschließend zu spielen.

Bezüglich sportbezogener Untersuchungen zur Tiefenwahrnehmung kommt Neumaier nach der Zusammenfassung bisheriger Forschungen zu dem Fazit, dass „die Ergebnisse [...] widersprüchlich [sind]“ (Neumaier 1988, 129). Und weiter: „Insgesamt gesehen muss die Tiefenwahrnehmung unter Berücksichtigung sportbezogener Fragestellungen bisher als unzureichend untersucht gelten“ (Neumaier 1988, 135). Das liegt u. a. an der unterschiedlichen Verfahrensweise und der unzulänglichen Vergleichbarkeit. Demzufolge können keine wissenschaftlich fundierten Aussagen zur Trainierbarkeit der Tiefenwahrnehmung gemacht werden.

Außerdem spielt bei der Tiefenwahrnehmung der sog. Hysterese-Effekt eine gewisse Rolle (vgl. Haken 1996, 55 und Haken/Haken-Krell 1992, 25). Dieser bezeichnet den unterschiedlichen Umschlagpunkt von einem in ein anderes Bewegungsmuster. Bei gleichen Umgebungsbedingungen ist ein Zustand von dem jeweils unmittelbar vorhergehenden Zustand abhängig. Vollführt beispielsweise ein Basketballspieler einen Korbwurf aus drei Metern Distanz, greift das Gehirn auf bestimmte gespeicherte „’Motorprogramme’, die die Bewegungen der einzelnen Gliedmaßen steuern sollen“ (Haken/Haken-Krell 1992, 39) zurück. Tritt der Spieler nun einige Schritte zurück und wirft erneut auf den Korb, ist häufig das Phänomen zu beobachten, dass der Wurf zu kurz gerät. Das Gehirn hat noch das Programm des vorherigen Wurfes gespeichert. Dieses Beispiel lässt sich auf das Tennisspiel übertragen: Ein Spieler schlägt einen Ball von der Grundlinie lang ins gegnerische Feld. Beim nächsten Mal spielt er den gleichen Schlag, diesmal jedoch von zwei Metern hinter der Grundlinie. Es besteht die Gefahr, dass der Schlag aufgrund des Hysterese-Effekts zu kurz gerät. Da sich der empirische Teil dieser Arbeit mit einer zweidimensionalen Darstellung von Tennisspielen beschäftigt, wird die Hysterese im Folgenden nicht weiter berücksichtigt, sollte der Vollständigkeit halber im Zusammenhang mit der Tiefenwahrnehmung dennoch angesprochen werden.

Räumliches Sehen besitzt im Tennis eine wichtige Funktion. Kontinuierlich müssen die Spieler die eigene Spielposition und die des Gegners im Raum bestimmen. Auch die Einschätzung von Ballposition und Flugbahn ist ausschlaggebend, um die Länge und Richtung des Schlages zu berechnen und somit die Möglichkeit zu bieten, den Ball optimal treffen zu können. Je früher entscheidende Informationen bzgl. Spielrichtung und Schlagtechnik wahrgenommen werden, desto besser kann die Flugbahn des Balles antizipiert werden. Wird beispielsweise anhand der Schlagausführung des Gegners erkannt, dass dieser den Ball als Topspin[13] spielt, kann abgeschätzt werden, wie der Ball fliegen und vom Boden wieder abspringen wird. Schon Tiefenverlagerungen von wenigen Zentimetern (z. B. des Handgelenks) können wichtige Informationen bzgl. der Flugbahn liefern (vgl. Jendrusch 1995, 41).

2.1.3 Bewegungssehen

Mit Bezug auf das Tennisspielen ist unter Bewegungssehen die visuelle Wahrnehmung der eigenen Bewegung, der des Balles und der des Gegners zu verstehen. Bewegt sich ein reales Objekt, so verschiebt sich dessen Bild auf der Retina des Beobachters. Dies wird von den Sensoren der Netzhaut registriert. Die aus der raum-zeitlichen Reizveränderung resultierende Entstehung eines Bewegungseindrucks nennt man afferente Bewegungswahrnehmung. „Beruht der Bewegungseindruck dagegen auf der Verrechnung von Augen-, Kopf- und/oder Körperbewegungen, während das Sehobjekt mit einer Augenfolgebewegung fixiert wird, spricht man von [...] efferenter Bewegungswahrnehmung“ (Neumaier 1988, 69). Die dritte Art der Bewegungswahrnehmung ist eine Kombination aus den beiden vorher genannten, also eine afferent-efferent-gemischte Bewegungswahrnehmung, die besonders dann zum Einsatz kommt, wenn das Objekt bei höheren Winkelgeschwindigkeiten nicht mehr mit gleitenden Augenbewegungen verfolgt werden kann (vgl. ebd.).

Um Details des bewegten Objekts zu erkennen, muss die Fovea durch Augen- und Kopfbewegungen mitgeführt werden. Bei geringeren Geschwindigkeiten des Objekts (Winkelgeschwindigkeiten bis ca. 50-100 °/s) kann dieses kontinuierlich mit den Augen verfolgt werden (Augenfolgebewegung).

Bei höheren Objektgeschwindigkeiten ist die Augenfolgebewegung nicht mehr möglich, der Blick „springt“ dem Objekt hinterher und fixiert es jeweils nur kurzzeitig. Diese ruckartigen Blicksprünge werden Sakkaden genannt. „Über den bis zu 600-700 °/s schnellen Blicksprung erfolgt wiederum eine möglichst präzise Annäherung an das sich bewegende Sehobjekt“ (Jendrusch/Brach 2003, 182), dies jedoch nicht ohne Informationsverlust zwischen den jeweiligen Fixierungspunkten, d. h. die Abschnitte zwischen den Sakkaden werden nicht informativ verarbeitet. Diese sog. sakkadische Suppression verhindert ein „Verschwimmen“ der Wahrnehmung während die Augen sich über das visuelle Feld bewegen.

Es existieren zwei weitere Arten der Augenbewegung, die an dieser Stelle der Vollständigkeit halber kurz erwähnt, jedoch nicht näher beleuchtet werden sollen: Zum einen sind es die vestibulären Augenbewegungen, welche die Augen mit der Kopfbewegung koordinieren und das Gleichgewicht unterstützen. Sie erlauben es, einen Fixationspunkt zu halten, obgleich sich der Kopf oder der gesamte Körper von ihm wegdrehen.

Zum anderen handelt es sich um die Vergenz. Diese bezeichnet das Gegeneinanderneigen der Blickachsen, zum Zweck der Fixation von Objekten in unterschiedlicher Entfernung. Natürlich sind auch die Eigenbewegungen des Körpers relevant. Erst durch die Bewegung des eigenen Körpers im Raum, können Relationen zu anderen bewegten Objekten hergestellt werden. Objekte, die einer Person räumlich näher sind, erscheinen ihr optisch größer als Objekte, die sich in der Ferne befinden. So scheint z. B. ein Ball kleiner zu werden, wenn man ihn wegwirft/wegschlägt. „Diese innerhalb bestimmter Grenzen gelegenen Vergrößerungsbereiche verbinden miteinander die Extreme des Hier und des Dort, den eigenen Körper mit der Außenwelt“ (Gibson 1982, 130). Aber dem Raum werden nicht nur von einem stationären Ort aus Informationen entnommen; bereits die einfache Beobachtung, dass die umgebende optische Anordnung beim Rückwärtsgehen einwärts fließt und nicht nach außen, wie das beim Vorwärtsgehen der Fall ist, lässt erahnen, dass die eigene Bewegung im Raum einen wesentlichen Einfluss auf die Informationsaufnahme hat. Die Fortbewegung ist also durch Fließmuster gekennzeichnet, die sich je nach Fortbewegungsrichtung des Beobachters verlagern (vgl. Gibson 1982, 133).

Hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung eines Bereichs des scharfen Sehens äußern sich Daugs et al. wie folgt: „Grundsätzlich ist die Abbildung des betreffenden Präsentationsmerkmales im Bereich der Fovea Centralis innerhalb eines Blickwinkels von 2° erforderlich, um die Identifikation komplexer räumlicher Reizstrukturen zu gewährleisten“ (Daugs et al. 1989, 22). Weniger komplexe Merkmale (z. B. Größe, Kontrast) können auch noch mittels der Peripherie der Retina erkannt werden.

Zu zeitlichen Bedingungen des scharfen Sehens werden in der Literatur keine einheitlichen Aussagen gemacht. Wird die durchschnittliche Fixationsdauer noch übereinstimmend mit einer Zeit von 100-300 ms angegeben, gibt es zu Minimalwerten von visuellen Aufmerksamkeitszuwendungen hingegen kaum Angaben (vgl. ebd.).

Eine weitere Variable ist die der sakkadischen Latenzzeit. Diese Zeitspanne muss

„eingeräumt werden, um während einer aktuellen Aufmerksamkeitszuwendung im peripheren Blickfeld das als nächstes mit einer Sakkade anzusteuernde Präsentationsmerkmal als u. U. bedeutungshaltig erkennen oder auf eine Objektbewegung mit einer ansteuernden Sakkade reagieren zu können“ (Daugs et al. 1989, 23).

Diese Art der sakkadischen Latenzzeit liegt bei ungefähr 200 ms. Soll jedoch eine Folgebewegung auf ein bewegtes Objekt ausgelöst werden, nachdem dieses vorher bereits stationär fixiert wurde, beträgt die Latenzzeit ca. 100-150 ms (vgl. ebd.).

Im Sport ist es zweifellos wichtig, Fixationsziele schnell aufsuchen und wechseln zu können,

„wenn z. B. die Information für eine rechtzeitige und adäquate Reaktion des Sportspielers so früh wie möglich extrahiert werden muss oder bei der Bewegungsbeurteilung zwei kurz aufeinanderfolgende, aber in verschiedenen Körperregionen lokalisierte Bewegungsteile erfasst werden sollen“ (Neumaier 1988, 90).

Aufgrund der Gegebenheit, dass Fixationsziele im Sport relativ schnell wechseln, ist die Antizipation der voraussichtlichen Lage dieses Ziels stärker gefordert. Dieses sog. antizipatorische Timing bezeichnet die Fähigkeit, „einen Blicksprung mit der (schnellen) Objektbewegung so zu koordinieren, dass dieser zu einem Zeitpunkt gestartet wird, zu dem der angesteuerte Wahrnehmungsort noch ‚leer’ ist“ (Tidow 1993, 22). Möglicherweise wird die Antizipationsfähigkeit mit steigender Erfahrung verbessert. Dann wäre das Trainieren der Fähigkeit eines „schnellen Blicks“ (vgl. Neumaier 1988, 90) möglich.

Tidow kommt nach der Analyse mehrerer Untersuchungen mit Blickbewegungskameras zu dem Resultat, dass „eine ‚Intimkenntnis’ des zu beurteilenden Bewegungsgeschehens das Beobachtungsverhalten und die Wahrnehmungsselektion in hohem Maß beeinflusst“ (Tidow 1993, 23). Die Untersuchungen zeigten, dass Fortgeschrittene in komplexen Situationen weniger Sakkaden einsetzen und andere Elemente bei der Bewegungsausführung fixierten als Anfänger. Fortgeschrittene wissen, wann sie worauf achten müssen, während Anfänger dieses Wissen erst noch erwerben müssen. Weitere Untersuchungen in Bezug auf Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zwischen Anfängern und Profis werden in Kapitel 3 vorgestellt.

Untersuchungen von Jendrusch und Brach zeigten, dass die sakkadische Ortungsgeschwindigkeit bei Rückschlagspielern deutlich höher ist als bei Spielern von Mannschafts- und Individualsportarten. Das deutet darauf hin, dass zumindest dieser Teil der Blickmotorik durch regelmäßiges sportartspezifisches Training beeinflussbar ist. Allerdings sind solche Aussagen vorsichtig zu beurteilen, da Augenbewegungen auch von anderen Funktionen des visuellen Systems abhängen. So kann z. B. eine Sakkade umso genauer programmiert werden, je präziser das Fixationsziel bereits über das periphere Sehen geortet wird.

Abschließend sei noch zu erwähnen, dass die aufgeführten Regelvorgänge des Auges natürlich nicht isoliert und unabhängig voneinander auftreten. Selbst in komplexen Situationen arbeiten sie immer fein aufeinander abgestimmt.

2.2 Die visuelle Wahrnehmung

Die Wahrnehmung ist Teil des komplexen Informationsaufnahmeprozesses und geht über die bloße visuelle Reizaufnahme[14] hinaus. Die Informationsaufnahme beinhaltet nicht nur die bereits erläuterten physiologischen Bedingungen des Ortes (in welche Richtung erfolgt der Blick) und der Art (Fixation oder Folgebewegung), sondern zugleich psychologische Bedingungen, subjektive Umstände, die den Prozess der Wahrnehmung beeinflussen. Dieser kann im Rahmen eines S-O-R-Modells dargestellt und charakterisiert werden, wobei S = Stimuli, O = Organismus und R = Response (Empfindungen, Urteile oder beobachtbare Reaktionen) bedeuten (vgl. Fischer/Wiswede 2002, 40).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Das behavioristische S-O-R-Modell der Wahrnehmung (mod. nach Kebeck 1994, 157)

Die Transformationsstrecke I der Reizverarbeitung wird Wahrnehmung oder Perzeption genannt und repräsentiert die sensorische Verarbeitung von externen Stimuli. Wenn ein physikalisches Außenereignis bzw. ein peripherer Reiz wahrgenommen wird, erfolgt dies nach dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ und kann vom Rezeptor nicht graduell abgestuft werden.

Die Strecke II wird als Kognition bezeichnet. Hierbei handelt es sich um die intrapersonellen Verarbeitungsprozesse im Zentralnervensystem, die in der Wirkung analog und ganzheitlich geschehen. Dabei wirken Gedächtnisprozesse, Gestaltungstendenzen und Motivprozesse hinein.

Die beiden Teilprozesse I und II werden wechselseitig durch zahlreiche Interaktionen gesteuert, Wahrnehmung findet immer als Ganzes statt. So wird für den Abschnitt I eine hypothesengeleitete, selektive und adaptive Strategie der Ausfilterung beobachtet. Hierdurch ergibt sich eine große Flexibilität des Organismus gegenüber der Informationsflut externer Reizangebote.

Der Mensch verfügt jedoch über aktive Strategien der Informationsverarbeitung. Generelle Akzentuierungs- und Selektionsmechanismen werden wirksam und entscheiden, was und wie viel der Organismus wahrnimmt. So kann die Wahrnehmung z. B. durch den Grad der Aufmerksamkeit beeinflusst werden. Die Aufmerksamkeit wiederum wird durch Bedürfnisse, Erwartungen, Gedächtnisfaktoren und Persönlichkeitseigenschaften des jeweiligen Menschen gesteuert. Die angesprochenen Mechanismen basieren ferner auf gesellschaftlich und kulturell beeinflussten Lernprozessen und formen Wahrnehmungsmuster, die, einmal etabliert, nicht mehr veränderbar sind (vgl. Daugs et al. 1989, 27). Neumaier unterscheidet diesbezüglich zwischen internalen und externalen Faktoren, die die visuelle Aufmerksamkeit steuern:

„Zu den internalen, personabhängigen Einflüssen zählen angeborene Faktoren, vergangene Erfahrung, Interessenlage und Gefühle. Externe, personunabhängige Einflüsse schließen Größe, Intensität, Lokalisation und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Stimulus mit ein“ (Neumaier 1979, 24 f.).

An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Aufmerksamkeit unterschiedlichen Reizen auch beliebig zugewandt werden kann:

„Die Reize, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten, nehmen wir dann gegenüber anderen Reizen bevorzugt oder doch wenigstens leichter wahr, als wenn unsere Aufmerksamkeit nicht auf sie gerichtet wäre. Unsere Wahrnehmung bevorzugt also das, was uns entweder gerade beschäftigt oder dem wir unsere Aufmerksamkeit aus anderen Gründen gezielt zuwenden“ (Hoffmann 1993, 75).

Deswegen ist für einen Tennisspieler wichtig zu wissen, welche Informationen für ihn von Bedeutung sind, um diesen seine Aufmerksamkeit zu widmen und sie zielgerichtet wahrzunehmen. So rentiert es sich z. B. kaum, dass ein Spieler seine gesamte Aufmerksamkeit auf den Kopf des Gegners richtet, da dieser keine entscheidenden Hinweise für den Schlag bietet. Schaut er jedoch auf den Schlagarm oder die Schulterstellung des Gegenspielers, wird er mehr nützliche Informationen bzgl. des kommenden Schlages erhalten. Obwohl ein Spieler während des Spielverlaufs auf eine Menge relevanter Informationen innerhalb seines Blickfelds achten muss, ist es wichtig zu selektieren und bestmöglich zwischen wichtigen und eher unwichtigen Informationen zu entscheiden. Dieser Vorgang der Aufmerksamkeitslenkung wird als selektive Aufmerksamkeit bezeichnet (vgl. Neisser 1979, 68).

Die motivationalen und affektiven Faktoren können folglich Einfluss auf die Wahrnehmung ausüben. Schmidt betont,

„dass bestimmte Bedürfniszustände wie Hunger, Durst und Schmerzvermeidung sich auf die Selektion entsprechender Schlüsselreize aus dem Wahrnehmungsstrom auswirken, indem sie das Aktivationsniveau gezielt erhöhen und die Aufmerksamkeit lenken“ (Schmidt 1987, 38).

Weitere Auswirkungen auf die Wahrnehmung haben Belohnung, Erfolg, Misserfolg, Strafe, Schmerz und Furcht, sowie Beanspruchungsvorgänge wie Stress, Ermüdung und Vigilanz (Bewusstseinswachheit) (vgl. Schmidt 1987, 38 f.).

In der nachstehenden Tabelle werden die wichtigsten Faktoren der Aufmerksamkeitsbeeinflussung zur Übersichtlichkeit noch einmal aufgelistet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Faktoren der Aufmerksamkeitsbeeinflussung (vgl. Gabler 2000, 186)

Aufgrund dieser Ausführungen kann folgende Begriffsbestimmung nach Neumaier auch hier aufgegriffen werden:

„Wahrnehmung ist die aktive Auseinandersetzung des Individuums mit dem Informationsangebot aus der Umwelt. Extraktion und Verarbeitung von Information werden wesentlich von subjektiven Einflüssen bestimmt“ (Neumaier 1988, 35).

Am folgenden Beispiel soll verdeutlicht werden, dass die Wahrnehmung eines Sachverhaltes, einer Situation etc., der gelernte Bedeutungsgehalt und die jeweiligen Handlungsmöglichkeiten nicht voneinander zu trennen sind: Ein Tennisspieler steht am Netz und sieht, dass sein Gegner einen Lob spielt, den er zu erreichen abschätzen kann. Ist der Spieler der Überzeugung, dass er Schmetterschläge sicher beherrscht, wird er versuchen, den Ball direkt zu „verwandeln“. Gesetzt den Fall, dass er diese Technik nicht perfekt beherrscht und nichts riskieren möchte, wird er zurücklaufen und den Ball zunächst einmal aufkommen lassen.

Ein Modell, welches alle Komponenten mit einschließt, ist das Prozessmodell nach Sonnenschein, in dem der Teil „Organismus“ des oberen Modells detaillierter dargestellt wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Prozessmodell der Wahrnehmung (mod. nach Sonnenschein 1987, 46)

An der Darstellung ist zu erkennen, wodurch die Wahrnehmung der Umwelt beeinträchtigt wird. Oben genannte Faktoren wie Aufmerksamkeit und Erwartungen sowie Stress etc. bilden die aktuelle Befindlichkeit. Die Selektions- und Kodierungsfähigkeit bezeichnen die kognitive Verarbeitung von Erregungsmustern, deren Bildung in den Sinnesorganen und Weiterleitung im Nervensystem. Die Wissensstruktur wiederum bezieht sich auf bereits existierende Strukturen (Schemata),[15] die aufgrund früherer Erfahrung gespeichert wurden. „Erkennen bedeutet nämlich, dass wir die neuen Erfahrungen ständig mit dem verknüpfen, was bereits früher von uns als ‚Erfahrung’ angelegt worden ist“ (Haken 1995, 129 f.). Laut Spitzer (1996) ergänzt das Gehirn unvollständige Informationen durch Erfahrungswerte und ein ständiger Abgleich von gespeicherten Informationen und externen Reizen findet statt. So können individuelle Bewertungsprozesse für das Ergebnis der Informationsverarbeitung ausschlaggebend sein. Spieler, die in ihrem Gedächtnis über ein gewisses „Vergleichsmaterial“ in Form von Erfahrungen verfügen (assoziatives Gedächtnis), haben mutmaßlich bessere Chancen, Handlungen und Situationen schnell und richtig zu bewerten. Dabei ist zu beachten, dass Schemata nicht starr sondern veränderlich sind. Mit jeder neuen Erfahrung wird ein aktiviertes Schema ergänzt oder revidiert. Je mehr Erfahrungen gesammelt werden, desto mehr Schemata für wiederkehrende Konstellationen werden geschaffen. Herrschen zu Beginn des Erlernens einer Sportart noch unvollkommene und fehlerhafte Programme vor, durch die Antizipation kaum möglich ist, und bestehen Probleme der Interferenz durch ähnliche Programme, so ändert sich dies mit vermehrter Bewegungserfahrung. Es entwickelt sich eine detaillierte Bewegungsvorstellung und viele Bewegungsvarianten werden gespeichert. Beim Erfassen einer neuen Situation findet eine Umprogrammierung des reaktiven Bewegungsprogramms statt, so dass die Bewegungsausführung aus der vorhandenen Situation heraus optimiert wird. Dieses Muster wird dann neu gespeichert. Aufgrund des differenzierteren Handlungsprogramms verbessert sich ebenfalls die Antizipationsfähigkeit. Daher sollte ein erfahrener Tennisspieler besser antizipieren können als ein Anfänger bzw. Nicht-Tennisspieler. Ob diese Vermutung stimmt, soll in Kapitel 4 geprüft werden. Mehr zu dem Thema der Schemata und ihrer Speicherung im Gedächtnis ist u. a. bei Neisser, Haken, Daugs, Blischke, Gabler, Nitsch, Hasselhorn und Singer nachzulesen. Auf ausführlichere Darstellungen hierzu soll an dieser Stelle verzichtet werden.

Bezüglich der Wahrnehmungsfähigkeit hat Widmaier die Anforderungen an die Raum- und Bewegungswahrnehmung im Tennis dergestalt aufgelistet:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Anforderungen an die Raum- und Bewegungswahrnehmungen im Tennisspiel (mod. nach Widmaier 1987, 74)

[...]


[1] Das Zitat von Anton Innauer, österreichischer Skispringer und Olympiasieger auf der Normalschanze 1980, wurde dem Artikel „Gnade der weiten Sprünge“ in der Berliner Zeitung vom 05.01.2005 entnommen. (Autor: Markus Völker, Ressort: Sport, Seite 18).

[2] Zur Übersichtlichkeit wird im Folgenden lediglich die maskuline Form gebraucht. Selbstverständlich sind in den Ausführungen jedoch beide Geschlechter gleichermaßen angesprochen. Sollte eine Form explizit gemeint sein, so erschließt sich dies aus dem Kontext.

[3] Das Kontrollkollektiv setzt sich aus Probanden, die keine aktiven Vorkenntnisse im Tennis haben, zusammen.

[4] Daher „wird der Mensch etwas ungalant auch als ‚Augentier’ bezeichnet“ (Neumaier 1979, 1).

[5] Die Querdisparation bezeichnet die horizontale Abweichungen der Augenachsen.

[6] Diese Nahpunktentfernung beträgt „bei Grundschulkindern [...] durchschnittlich noch weniger als 10 cm, beim 45-jährigen schon ca. 25 cm und im höheren Alter bis zu 1 m“ (Neumaier 1988, 80).

[7] Dieses Phänomen ist auch als die so genannte „Altersweitsichtigkeit“ bekannt.

[8] Die Zeit berechnet sich aus dem Weg geteilt durch die Geschwindigkeit.

[9] Dabei soll der Spieler dem ankommenden Ball frühzeitig entgegenlaufen, eine technisch korrekte Schlagstellung einnehmen und dann erst den Ball schlagen.

[10] Die partielle Gegenstandsabdeckung bezeichnet das Verdecken von Teilen des relevanten Objekts durch andere Objekte.

[11] Ein Lob ist ein hoch und weit über den Gegner gespielter Ball. Der Schläger wird beim Schlag mit leicht geöffneter Schlagfläche nach oben geführt.

[12] Der Schmetterball ist ein Schlag, bei dem der Ball über dem Kopf angenommen und mit großer Kraft gespielt wird. Er sollte so hoch wie möglich getroffen und ähnlich der Aufschlagbewegung mit Handgelenkseinsatz geschlagen werden.

[13] Durch Hochreißen des Schlägers erhält der Ball einen starken Vorwärtsdrall. Dieser als Topspin geschlagene Ball wird hoch und weit abspringen. Je dynamischer der Schlägerkopf beim Schlag von unten nach oben gezogen wird, desto mehr Vorwärtsdrall erhält der Ball.

[14] Reize werden hier als Träger von „Informationen über Gegenstände, zu deren Verwertung der Organismus fähig ist“ (Neumaier 1988, 32), verstanden.

[15] In der Literatur wird hierfür auch häufig der Begriff „Muster“ verwandt.

Fin de l'extrait de 149 pages

Résumé des informations

Titre
Antizipation im Tennissport - Die Auswirkung von Erfahrung, Training und Spielbeobachtung im Hinblick auf die Wahrnehmung und Vorhersage des Ballfluges
Université
University of Göttingen  (Institut für Sportwissenschaften)
Note
1,0
Auteur
Année
2005
Pages
149
N° de catalogue
V75775
ISBN (ebook)
9783638849814
ISBN (Livre)
9783638849180
Taille d'un fichier
2380 KB
Langue
allemand
Mots clés
Antizipation, Auswirkung, Erfahrung, Training, Spielbeobachtung, Hinblick, Wahrnehmung, Tennis, Videoanalyse, Sport, Ballflug, Vorhersage, Bewegung
Citation du texte
Magister Artium (M.A.) Silvia Alpers (Auteur), 2005, Antizipation im Tennissport - Die Auswirkung von Erfahrung, Training und Spielbeobachtung im Hinblick auf die Wahrnehmung und Vorhersage des Ballfluges, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75775

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