Bürgerinitiativen in Großbritannien und Deutschland - Welchen Einfluss haben sie auf die Politik in ihren Staaten?


Dossier / Travail, 2007

27 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffliche Grundlegung
2.1 Partizipation
2.2 Bürgerinitiative

3. Charakteristika der Regierungstypen
3.1 Großbritannien
3.2 Deutschland

4. Institutionelle Bedingungen für politische Partizipation von Bürgerinitiativen in Großbritannien und Deutschland
4.1 Entstehungsbedingungen von Bürgerinitiativen?
4.2 Geschichte der Bürgerinitiativen
4.3 Politische Funktion von Bürgerinitiativen
4.4 Strategie und Taktik
4.5 Mittel der Einflussnahme

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Partizipation ist in der Politikwissenschaft ein wichtiges Forschungsfeld. Konventionelle Partizipationsformen sind die Wahlbeteiligung, die Partizipation in Parteien und Gewerkschaften und die Übernahme von politischen Ämtern in Parlamenten und Regierungen. Schwer zu quantifizierende Partizipationsformen sind unkonventionelle, weniger institutionalisierte oder auch illegale Formen der Partizipation. Zu nennen sind hier Bürgerinitiativen, das Mitwirken in Verbänden, Vereinen und in den neuen sozialen Bewegungen, diskursive Praktiken, Demonstrationen, Streiks und Besetzungen. In dieser Hausarbeit sollen Bürgerinitiativen, im folgenden als BI bezeichnet, als Partizipationsform in Großbritannien und Deutschland näher untersucht, ihre institutionellen Bedingungen verglichen werden.

Bürgerinitiativen in Demokratien - auf den ersten Blick und den Idealfall voraussetzend sollten sie kaum eine Berechtigung haben. Denn die Parlamente werden vom Volk gewählt, das somit seinen Willen kundtut. Die parlamentarische Demokratie ist eine Form der repräsentativen Demokratie: die gewählten Volksvertreter repräsentieren das Volk. Die repräsentative Demokratie ist die Alternativform zur direkten Demokratie, bei der das Staatsvolk unmittelbar die grundlegenden politischen Entscheidungen in Abstimmungen trifft. Diese gibt es derzeit in Europa lediglich in der Schweiz. Allerdings kennen auch parlamentarische Demokratien einzelne Fälle von Entscheidungen des Wahlvolks in Volksabstimmungen.

Eine parlamentarische Demokratie kann sowohl eine Republik (z.B. Deutschland, Ungarn) wie auch eine Monarchie (z.B. die Niederlande, Spanien, Großbritannien) sein. In der Praxis ist es häufig so, dass der Willen der Bürger ignoriert oder nicht ernst genommen, teilweise als lästig empfunden wird. Hier gibt es kaum einen Unterschied zwischen den westlichen Demokratien. Bürger, die ihre Ziele durchsetzen wollen, müssen politisch direkt aktiv werden. BI sind dabei in Westeuropa besonders zahlreich. Die auffällige Ausnahme bildet Großbritannien. Im Gegensatz zu Deutschland, Frankreich und Österreich ist die Zahl der BI hier recht klein. Aus diesem Grund erfolgt der Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien.

Worin liegt der Unterschied, welche Voraussetzungen, Ziele, Taktiken, Funktion und Mittel der Einflussnahme haben BI in beiden Staaten. Unter welchen Bedingungen entstehen BI, wie haben sie sich entwickelt und welchen Einfluss haben sie auf die Politik. Hier spielt das unterschiedliche Regierungssystem eine große Rolle. Für einen entsprechenden Vergleich bieten sich die Vorgaben von Arend Lijphart[1] an. Er zieht zehn Variablen zum Vergleich von Demokratien heran, die er in die Exekutive-Parteien-Dimension und die Föderalismus-Unitarismus-Dimension unterteilt. Mit Hilfe dieser Punkte soll ein Vergleich zwischen den Regierungssystemen Großbritanniens und Deutschlands gezogen werden. Sodann sollen die unterschiedlichen Bedingungen für die Einflussmöglichkeiten von BI in diesen beiden Ländern dargelegt werden.

2. Begriffliche Grundlegung

2.1 Partizipation

Der Begriff Partizipation stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Teilhabe. Allgemein bezeichnet er die aktive Beteiligung von Bürgern, Mitgliedern einer Organisation, einer Gruppe, einer Partei, eines Vereins usw. bei der Erledigung gemeinsamer politischer Angelegenheiten. Speziell meint Partizipation die Teilhabe der Bevölkerung an politischen Willensbildungsprozessen, insbesondere an Wahlen und Referenden. In einem rechtlichen Sinne bezeichnet Partizipation die Teilhabe der Bevölkerung an Verwaltungsentscheidungen. Als Partizipation werden alle Verhaltensweisen von Bürgern verstanden, die allein oder in einer Gruppe freiwillig Einfluss auf politische Entscheidungen auf allen Ebenen des politischen Systems ausüben wollen. Es werden konventionelle (verfasste, gesetzlich garantierte und geregelte) von unkonventionellen (nicht verfasste) Formen der politischen Partizipation unterschieden.

Bereits bei der Definition des Begriffs Partizipation gibt es sehr unterschiedliche Theorien und Ansätze. Wenn hinterfragt wird, woran wer beteilig ist, bzw. wofür wer Teilhabe einfordert oder auch mit welchen Motiven durchsetzt, geht es um Chancen der Partizipation und deren Verteilung sowie um den Unterschied zwischen von oben gewährten Partizipationsmöglichkeiten und von unten erkämpfter Partizipation. In der Politikwissenschaft wird zwischen instrumenteller und normativer politischer Partizipation unterschieden. Zur ersteren, einem konfliktorientierten Begriff, zählt vor allem die Gründung von Interessenverbänden mit dem Ziel, politische Entscheidungsträger im Sinne der jeweiligen Gruppeninteressen zu beeinflussen. Bei der zweiten Form geht es um Partizipation als Wert an sich und als gesellschaftliches Ziel. Partizipation lässt sich weiter in repräsentativ-demokratische und direktdemokratische Bürgerbeteiligung differenzieren[2].

Das Postulat nach politischer Teilnahme ist ein wesentlicher Bestandteil der Demokratietheorie. Bei der Entwicklung des demokratischen Verfassungsstaates waren es vor allem zwei Demokratiekonzeptionen, die die politische Ordnung moderner Demokratien prägten. Das ist einmal die liberale repräsentative Demokratietheorie von John Locke und zum anderen die auf Rousseau zurückgehende radikaldemokratische, plebiszitäre Variante.[3] In der liberalen Theorie Lockes ist Partizipation ein Mittel zur Kontrolle und Verhinderung staatlicher Eingriffe in vertraglich garantierte Freiräume. Damit dient sie politischer Selbstbestimmung, hat aber in erster Linie abwehrenden Charakter. Die angelsächsisch-liberale Theorie Lockes war eine Grundlage der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung.

2.2 Bürgerinitiative (BI)

Was eine BI ist und was nicht, führt nach wie vor zu Kontroversen. Es gibt keine allgemeingültige Definition für den Begriff BI. Allgemein kann man sagen, dass es sich bei einer BI um eine Interessengemeinschaft handelt, die sich bildet, um gemeinsam ein bestimmtes politisches Ziel zu erreichen. Die BI kann als basis-demokratisch angesehen werden, da sie versucht, eine politische Änderung von der Basis her zu initiieren. Allgemein werden BI definiert als spontan entstehende, kurzlebige, thematisch punktuelle, räumlich begrenzte, locker organisierte Zusammenschlüsse Betroffener in partiellen Aktionsgemeinschaften, um durch bürgerliche Selbsthilfe mittels öffentlicher Interessensartikulation gegen Missstände und Fehlentwicklungen, insbesondere politisch-administrative Fehlplanungen vorzugehen, um diese zu verhindern, beziehungsweise zu korrigieren. Zunehmend treten sie aber auch als langlebige, thematisch weitgefächerte, überregional vernetzte, schlagkräftig und vereinsmäßig durchorganisierte Gruppierungen auf.[4]

Die Auffassung darüber, was BI sind und was nicht, schwanken von Betrachter zu Betrachter. So sehen die einen in BI direktdemokratische, aktionsbezogene, nicht institutionalisierte Organisationsformen politischer Partizipation. BI gelten als Korrektiv zur parlamentarischen Demokratie mit ihren institutionalisierten Entscheidungsprozessen (Sachzwänge, Fraktionszwänge, Bürgerferne) und als Kontrastmodell zu verfestigten Instanzen wie Parteien, Verbänden und Verwaltungen. Andere betrachten BI als reine egoistische Vertretung partieller Interessen, die oft auch noch nach dem St.-Floriansprinzip ablaufen. Das heißt, die Akteure vertreten ihr Ziel mit Blick auf persönliche Betroffenheit ohne zum Nachbarn zu blicken. So soll zwar ein wichtiger Transportweg nicht durch das eigene Wohngebiet führen. Führt er durch das benachbarte ist es den Mitgliedern der BI allerdings egal. Motto: Heiliger St. Florian, verschon mein Haus, zünd´ andere an. Andere Definitionen sehen in BI die Hüter eines demokratisch-revolutionären Erbes aus der Französischen Revolution.[5] Bürgerinitiativen können aktiv sein, sind aber häufiger reaktiv. Das heißt, sie reagieren häufig auf Entscheidungen der Institutionen der repräsentativen Demokratie, versuchen sie zu ändern oder zu verhindern. Selten initiieren BI aktiv Veränderungen und Reformen, diese BI sind häufig überregional angelegt. Hanspeter Knirsch und Friedhelm Nickolmann unterscheiden allein vier Arten von BI.[6] Die erste Art bildet sich spontan, setzt ein gemeinsames politisches Bewusstsein voraus und löst sich wieder auf, sobald der Missstand beseitigt ist. Die zweite Art wird demnach von Bürgern ins Leben gerufen, die zwar nicht unmittelbar von einem Missstand betroffen sind, aber die Betroffenheit anderer erkennen. Die dritte Art der BI ist jene, die versucht, im Rahmen der bestehenden Gesellschaftsordnung Veränderungen zu erzielen. Sie wollen den gesellschaftlichen Fortschritt beschleunigen. Diese BI wirken meist überregional. Die vierte Art der BI ist schließlich jene, die über das bestehende System hinauszielt. Sie gehen in ihren Aktionen rechtlich umstrittene Wege, indem sie zum Beispiel Häuser besetzen. Der vorgegebene Gegenspieler von BI sind die Einrichtungen indirekter Demokratie - Parlamente, Regierungen, Parteien, Verbände. Sie sind die Adressaten der BI-Bemühungen. BI können nicht selbst Entscheidungen herbeiführen. Sie können lediglich die Entscheider dazu bewegen, im Sinne der BI zu entscheiden. Die BI sind daher ihrem Wesen nach, frei schwebende und frei organisierbare Konkurrenz der nicht frei schwebenden, fest verriegelten Institutionen. Sie sind aber auch Ergänzung dieser Einrichtungen.[7]

3. Charakteristika der Regierungstypen

3.1 Großbritannien

Das Regierungssystem Großbritanniens ist ein typisches Beispiel für das Westminister-Modell. Vorrangiges Kennzeichen dieses Modells ist die bewusste Aufhebung der in vielen anderen Verfassungsstaaten üblichen Gewaltenbeschränkungen. Der Mehrheitsherrschaft werden nur rechtsstaatliche, aber keine politischen Grenzen (außer der Abwahl einer Regierung) gezogen. Dadurch soll eine klar zurechenbare Verantwortlichkeit einer anhand des Wahlprogramms einer Partei gewählten und abwählbar bleibenden Exekutive geschaffen werden.[8] Das mächtigste politische Organ in Großbritannien ist das Kabinett bzw. der Premierminister. Die britische Regierung hat sich zu einer Premierministerregierung entwickelt, er dominiert das Kabinett. Ihm sind so gut wie keine institutionellen Schranken gesetzt, sofern eine Mehrheit des Parlaments hinter ihm steht. Die Partei, die die Wahlen mit relativer Mehrheit gewinnt, stellt auch die Regierung. Koalitionen werden, außer zunehmend auf lokaler Ebene, nicht geschlossen. Die Minderheit übernimmt die Rolle der Opposition. Die Partei, die die Regierung stellt, hat die fast uneingeschränkte Macht, begünstigt vom Mehrheitswahlrecht. Sie muss nicht notwendigerweise über eine Mehrheit der Wählerstimmen verfügen. Die Regierung kann somit während ihrer Wahlperiode weitgehend Interessen einer Minderheit der Bürger vertreten.

Das britische Kabinett ist ausschließlich vom Vertrauen des Parlaments abhängig. Das britische Parlament besteht aus einer vom Volk gewählten Kammer, dem House of Commons und dem House of Lords, deren Mitglieder vom Premierminister vorgeschlagen und vom Königshaus ernannt werden. Die Legislative liegt beim House of Commons während das House of Lords zu allen Gesetzesentwürfen Stellung nimmt und Verbesserungsvorschläge anbietet. Diese können aber vom House of Commons mit einer einfachen Mehrheit abgelehnt werden. Zu den Aufgaben des House of Commons (Unterhaus) zählen die Kontrolle der Regierung und die Gesetzgebung. Da aber die Regierungspartei im Unterhaus die Mehrheit stellt, ist die Kontrollfunktion vor allem eine Alibifunktion. Der Premierminister wird weder durch Koalitionsvereinbarungen, das Parlament, noch ein Verfassungsgericht eingeschränkt. Großbritannien ist in rund 650 Wahlkreise eingeteilt, die regelmäßig neu gegliedert werden. In jedem Wahlkreis gilt derjenige Kandidat als gewählt, der eine Stimmenmehrheit auf sich vereinigt. Relative Mehrheiten genügen. Jeder Abgeordnete muss sich seinen Wählern stellen. Minister haben auf diese Art bereits ihre Posten verloren, weil sie nicht gewählt wurden. Das britische Mehrheitswahlsystem verzerrt die Parteipräferenzen im Parlament. Kleinere Parteien schaffen höchstens minimale Vertretung im Unterhaus oder ihre Stimmen fallen gleich ganz unter den Tisch. Die beiden großen Parteien beherrschen das parlamentarische Geschehen - insofern ist richtigerweise von einem Zwei-Parteiensystem die Rede. Großbritannien ist unitaristisch und zentral regiert. Die kommunale Selbstverwaltung in Großbritannien gilt als rechtlich und finanziell noch relativ am stärksten unter allen westeuropäischen Ländern.

[...]


[1] Lijphart, Arend, Patterns of Democracy. Government Forms and Performance in Thirty-six Countries, Yale University, 1999

[2] Nohlen, Dieter (Hrsg.) (2001), Kleines Lexikon der Politik. München. Nohlen 2001: 363ff.

[3] John, Peter, Bedingungen und Grenzen politischer Partizipation in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel von Bürgerinitiativen, Eine historisch-deskriptive Analyse, tuduv-Verlagsgesellschaft mbH, München, 1979, 6ff.

[4] Schütz, Hans, FH Benediktbeuren,, Bürgerinitiativen als Korrektiv zur Repräsentativen Demokratie an 2 Beispielen, Internet: http://www.buergerwelle.de/d/doc/bw/benibeuren.htm (20. 02. 2007).

[5] Steffani, Winfried (1978): Bürgerinitiativen und Gemeinwohl, in: Guggenberger, Bernd und Kempf Udo (Hrsg.), Bürgerinitiativen und repräsentatives System, Opladen 1978, 49-74, hier: S. 53

[6] Knirsch, Hanspeter und Nickolmann, Friedhelm, Die Chance der Bürgerinitiativen, Ein Handbuch, Hammer Verlag Wuppertal, 1976, S.19f.

[7] Pelinka, Anton, Bürgerinitiativen - gefährlich oder notwendig?, Plotz - Taschenbücher zum Zeitgeschehen Band 1, Würzburg, 1978, S. 16.

[8] Lehner, Franz, Vergleichende Regierungslehre, Opladen, 1989, 61-75

Fin de l'extrait de 27 pages

Résumé des informations

Titre
Bürgerinitiativen in Großbritannien und Deutschland - Welchen Einfluss haben sie auf die Politik in ihren Staaten?
Université
University of Hagen
Note
1,3
Auteur
Année
2007
Pages
27
N° de catalogue
V76364
ISBN (ebook)
9783638804783
ISBN (Livre)
9783638807531
Taille d'un fichier
490 KB
Langue
allemand
Mots clés
Bürgerinitiativen, Großbritannien, Deutschland, Welchen, Einfluss, Politik, Staaten
Citation du texte
Monika Berger-Lenz (Auteur), 2007, Bürgerinitiativen in Großbritannien und Deutschland - Welchen Einfluss haben sie auf die Politik in ihren Staaten?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76364

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