Der Roman Extenion du domaine de la lutte und seine Verfilmung


Seminararbeit, 2002

18 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. E

II. Ausgesuchte Aspekte in Buch und Film
1. Die Exposition
2. Die Hauptfigur
3. Tisserand
4. Der kalte Blick
5. Das E

III. S

IV. Literatur- und Filmliste

I. Einleitung

Michel Houellebecq und seine G

Die Rezeption des Romans Extension du domaine de la lutte [1] aus dem Jahre 1994 scheint mir entscheidend durch die öffentliche Rolle seines Autors Michel Houellebecq geprägt zu sein, welcher gerne den Eindruck vermittelt, bei seinen Büchern handele es sich nicht um Romane, sondern, im Sinne Gerhard Rupps um dokumentarische Autobiografien „von Repräsentanten sozialer Bewegungen“[2]. Der ehemalige Informatiker Houellebecq schreibt in der Ich-Form einen Roman über einen schreibenden Informatiker, der an der Welt zerbricht[3], nennt die Helden seiner beiden nächsten Romane Michel (Les particules elementaires [4] und Plateforme [5] ) und verkörpert auf Fotos und in Interviews das Dilemma seiner Figuren häufig ein Stück weit auch selbst: Auf Presse- und Verlagsfotos ist er stets bleich und mit resigniertem Blick zu sehen, nicht selten im existentialistisch-schwarzen Rollkragenpullover und fast immer rauchend[6] – getreu dem Motto seines Helden aus Extension:

„Fumer des cigarettes, c’est devenu la seule part de véritable liberté dans mon existence. La seule action à laquelle j’adhère pleinement, de tout mon être“[7]

Diese Aspekte führen zu dem Schluss, bei seinen Romanen handele es sich, wie bei seinem Auftreten, am ehesten um Gesten, Ausdrücke eines Erregungszustandes, die der Autor angesichts seiner Umwelt empfindet, und die sich zusammen mit seinen Essays, Gedichten, Liedern, Interviews und Leserbriefen ein einen gemeinsamen Kontext einfügen lassen. Es geht ihm um die Vermittlung einer soziologischen Theorie, die sich in letztlich jedem seiner Romane wiederfindet

Es ist die Idee eines zweidimensionalen Systems, in dem zur Beschreibung der sozialen Stellung eines Individuums nur zwei Komponenten wichtig sind: Die seines materiellen Besitzes, und die seiner erotischen Attraktivität:

„Alles andere, das Glück und das Unglück der Leute, leitet sich daraus ab. Für mich handelt es sich in keiner Weise um eine Theorie. Wir leben tatsächlich in einer simplen Gesellschaft, für deren komplette Beschreibung diese wenigen Sätze ausreichen“[8]

Diese Weltsicht, im Roman Extension ähnlich konkret formuliert[9], ist es, die Houellebecqs Romanen ihre spezifische Stimmung verleiht. Sie macht die Welt alltäglichen Erlebens tatsächlich zur „Kampfzone“, in der der Kauf eines Bettes für einen alleinstehenden Menschen eine Tortur ist und in manchen Fällen zum Selbstmord[10] führen kann:

„Acheter un lit à une place c’est avouer publiquement qu’on n’a pas de vie sexuelle, et qu’on n’envisage d’en avoir dans un avenir rapproché ni même lointain.“[11]

Die Art der Umsetzung dieser speziellen, kalten Weltsicht in das Medium des Films ist es, die meiner Meinung nach besondere Beachtung verdient

Philippe Harel, der Regisseur der Verfilmung von 1999, spielte gleichzeitig die Hauptrolle, „notre Héros“, und schrieb, gemeinsam mit Houellebecq, das Drehbuch. Man kann also von einem klassischen Autorenfilm sprechen, bei dem der Regisseur einen großen Einfluss auf das Ergebnis seiner Arbeit hatte

Durch die Mitwirkung des Romanautors am Drehbuch kann man davon ausgehen, dass das Ergebnis auch Houellebecqs Vorstellungen ungefähr entspricht. Dieser hatte sich schon früher einmal zu einer möglichen Verfilmung seines Romandebüts geäußert:

„Im Grunde handelt es sich um ein Drehbuch, das dem von Taxi Driver [auch dieses ist die Geschichte des langsamen Zusammenbuchs eines Individuums in einer entmenschlichten Gesellschaft; Anm. d. Verf.] recht nahe kommt. Die visuelle Seite muss jedoch verändert werden. [...] Die Filmkulisse würde sich hauptsächlich aus Glas, Stahl, reflektierenden Oberflächen zusammensetzen. [...] Das Universum einer neuen Stadt, die ein in dieser Form einmaliger, erfolgreich geregelter Verkehr durchquert. Gleichzeitig ist die Sexualität in diesem Buch eine Folge von Misserfolgen. Man sollte vor allem jede Verherrlichung des Erotischen vermeiden; die Ermüdung filmen [...]. Aber all das in einer durchsichtigen, kunterbunten, fröhlichen Welt. Wenn man schon mal dabei ist, könnte man auch Diagramme und grafische Darstellungen einführen: sexuelle Hormonwerte im Blut, Gehalt in Kilofrancs. [...] Man muss auf allen Fronten angreifen.“[12]

Dass eine solch experimentelle Form der Verfilmung „mit einer Überdosis Theorie“ [13], wie er selber sagt, unter kommerziellen Gesichtspunkten bei der Canal-Plus- Produktion nicht in Frage kam, liegt wohl auf der Hand. Dennoch lässt sich an dem Zitat sehen, in welche Richtung Houellebecq sich eine Verfilmung vorgestellt hatte – den „ermüdeten“ Protagonisten im Gegensatz zu der „fröhlichen“ Außenwelt zu zeigen, daher tragisch erscheinen zu lassen, und diese Frustration durch den Hinweis auf den Zusammenhang von Geld, sexuellem Erfolg und Macht zu erklären. Mit diesen beiden Aspekten hätte er tatsächlich der Intention seines Romans weitestgehend gerecht werden können

Wie jedoch die Umsetzung mit einem potentiellen Arthouse -Publikum im Hinterkopf angegangen wurde, das will ich anhand verschiedener Motive und Aspekte hinterfragen

Dabei will ich bewusst weniger auf die provokativen, „skandalösen“ Elemente eingehen, die in den Film in abgeschwächter Form aufgenommen wurden, und, wie ich finde, für die Geschichte eher wenig von Belang sind – sie ergeben sich eben zumindest für Houellebecq zwangsläufig aus der Gesellschaft, wie er sie beschreibt:

„[...] in einer Gesellschaft, die sich entschlossen hat, die Individualität des Einzelnen als das Höchste zu preisen, ist es zwangsläufig, dass man irgendwann damit beginnen wird, einander umzubringen.“[14]

Ganz nebenbei kann der Skandalfaktor eines Buches, vor dem die Lehrer ihre Schüler warnen[15], auch den Marktwert desselben erheblich steigern

II. Ausgesuchte Aspekte in Buch und Film

1. Die Exposition

Die ersten Bilder des Films zeigen, unterlegt von den Vorspanntiteln, Außenaufnahmen von Hochhäusern bei Nacht. Beginnend mit einigen Bildern, die beinahe eine Skyline zeigen, werden die Einstellungen immer enger, bis nur noch ein einziges Hochhaus in einer Totale zu sehen ist. Dann folgt der Umschnitt auf eine Nahaufnahme von dem Gesicht des Hauptdarstellers, der aus einem Fenster blickt.[16]

Dem Zuschauer ist nun klar, dass sich der Protagonist in jenem Hochhaus befindet

Durch die ersten Bilder ist also bereits eine Ortsangabe gemacht und eine Stimmung etabliert worden: Es ist Nacht, und man befindet sich in der Stadt. Durch die größerwerdenden, also näherkommenden Einstellungen hat man beim Betrachten des Geschehens in dem Zimmer den Eindruck, man beobachte einen Mikrokosmos, der in einem größeren Zusammenhang (der Stadt als Ganzem) als Teil eines Systems besteht. Damit ist ein sehr „analytischer“ Blickwinkel auf das Geschehen vorgegeben. Dieser ist im Buch durch die Sprache des hochreflektierten Ich-Erzählers gewährleistet, im Film wird er zusätzlich über die Ebene der Bilder transportiert

Anders als im Buch, wird hier eine zusätzliche Instanz zwischen Protagonisten und Rezipienten geschaltet: Es existiert ein allwissender Erzähler, der aus dem off Zusatzinformationen gibt:

„Vendredi soir, notre héros était invité à une fête d’ un collègue de travail. Comme d`habitude, il ne se passait absolument rien“[17]

Durch diese „zwischengeschaltete“ Stimme wird, wie mir scheint, eine größere Distanz zu dem Protagonisten aufgebaut. Gleichzeitig jedoch kommt er uns auch näher, da wir über den Erzähler ab und an auch wichtige Details aus seinem Seelenleben erfahren

Der Protagonist wendet sich nun vom Fenster ab und geht in den Raum hinein. Eine halbnackte Frau tanzt in der Mitte des Zimmers und ist dabei, sich noch weiter zu entkleiden. In den Gesichtern der anderen Anwesenden spiegelt sich Scham und Unverständnis. Als die Frau dies bemerkt, beendet sie peinlich berührt ihren Striptease. Im Buch hingegen heißt es lapidar:

„[...] et puis elle a commencé à se resaper, ne voyant plus quoi faire d’autre“[18]

Hier zeigen sich Unterschiede in den beiden verschiedenen Blickwinkeln: Während die Erzählperspektive des Romans identisch ist mit dem Blick (und der Interpretation) des Protagonisten, so offenbart der Kamerablick, wenngleich natürlich stets nahe an der Hauptfigur, doch ein Stück mehr Objektivität

Wenn wirklich nur der Blick des Protagonisten inszeniert sein soll, weiß sich auch hier der Regisseur zu helfen: Von den im Buch sogenannten „deux boudins du service“[19] sind nur die Stöckelschuhe und bizarr verzerrte Wandschatten zu sehen. Das erste Mal im Film spricht die Hauptfigur selbst: „Les derniers résidus de la chute du féminisme“[20]

Eine erste These könnte also sein, dass der Film in seinem Erzählen expliziter als das Buch ist, dass er nach zusätzlichen Erklärungen für das sucht, was er zeigt. Ein Grund dafür scheint mir zu sein, dass der Blick auf das Geschehen im Film nicht durch die Haltung und Weltsicht des Erzählers beschränkt ist, sondern, obwohl die Kamera sich natürlich auf den Protagonisten konzentriert, dieser wenigstens von außen gesehen, und so in Beziehung zu seiner Umgebung gesetzt wird

[...]


[1]. Michel Houellebecq: Extension du domaine de la lutte. Stuttgart: Reclam 2002

[2]. Vgl. Gerhard Rupp: Körper-Konzept und sinnliche Erfahrung in frühen Autobiografien der (Post-) Moderne. In: Hans Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer (Hrsg.): Materialität der Kommunikation. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1988. S. 265

[3]. Vgl. Houellebecq: Extension

[4]. Vgl. Ders.: Les particules élémentaires. Paris: Éditions J’ai lu 2000

[5]. Vgl. Ders.: Plateforme. Paris: Flammarion 2001

[6]. Vgl. weiter zu Houellebecqs Selbstinszenierung: Romain Leick: Ich genieße es, mich zu langweilen. In: Thomas Steinfelder (Hrsg.): Das Phänomen Houellebecq. Köln: DuMont 2001. S. 167-68

[7]. Houellebecq: Extension. S. 80

[8]. Michel Houellebecq: Die Welt als Supermarkt. Hamburg: Rowolt 2001. S. 39-40

[9]. Vgl. Ders.: Extension. S. 124; S. 134

[10]. Ebd., S. 136

[11]. Ebd., S. 137

[12]. Ders.: Welt als Supermarkt. S. 44-45

[13]. Ebd., S. 45

[14]. Zitiert nach: Peter Henning: Ist dieser Mann ein Erlöser?. URL: http://www.zeit.de/1999/35/199935_kl_gesch__houell.html (12.09.02)

[15]. Vgl. Ebd

[16]. Film Extension du domaine de la lutte. 00:00:00 – 00:00:50

[17]. Ebd. 00:00:40

[18]. Houellebecq: Extension. S. 4

[19]. Ebd

[20]. Film Extension. 00:02:53

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Der Roman Extenion du domaine de la lutte und seine Verfilmung
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
PrS Literatur und Film: Filmische Transformationen literarischer Texte
Note
1,3
Jahr
2002
Seiten
18
Katalognummer
V7654
ISBN (eBook)
9783638148337
Dateigröße
491 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Erste deutschsprachige Analyse der Verfilmung von Houellebecqs Novelle. 154 KB
Schlagworte
Houellebecq, Literaturverfilmung, Philippe Harel
Arbeit zitieren
Anonym, 2002, Der Roman Extenion du domaine de la lutte und seine Verfilmung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7654

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