Die Anforderungen an die deutsche Politik und ihre Akteure werden immer größer: sie sehen sich in einem Spannungsfeld zwischen der politischen Reaktivierung der Nichtwähler einerseits und andererseits der Aufgabe, dem Volk Entscheidungen plausibel machen zu müssen. Darunter fallen konfliktgeladene Entscheidungen, weshalb beispielsweise die Mehrwertsteuer wider aller Wahlkampfversprechen erhöht werden muss, warum und wie der deutsche Bürger in Zeiten des internationalen Terrorismus und der Rasterfahndung mehr von sich und seinen persönlichen Daten zugänglich machen muss, wieso der Sozialstaat abgespeckt werden muss und was das für jeden einzelnen an Einschnitten bedeutet. Diese Aufzählung würde sich noch weiter fortsetzen lassen. Doch wie auch immer geartete politische Probleme sind nicht neu und existieren nicht erst seit dem 11. September 2001 oder seit der Großen Koalition. Bereits Adenauer musste seine Politik der Westintegration und Willy Brandt seine neue Ostpolitik für die deutschen Bürger nachvollziehbar machen. Doch was sich in den letzten Jahrzehnten besonders gewandelt hat, und was zu dem eigentlichen heutigen Dilemma geführt hat, ist die ansteigende Vernetzung der Handlungsabläufe und der komplexen Interessen. Gleichzeitig kam es zu einer Verringerung der Verständigungstendenzen, obwohl das mediale Angebot und dessen Zugänge dazu für jedermann nutzbar und fast erschlagend sind. Zahllose Fernsehsender senden Bundestagsdebatten, Entscheidungsabläufe, Interviews, Talkrunden, Expertengespräche, Brennpunkte und viele andere Informationssendungen rund um die Uhr in deutsche Wohnzimmer. Aber auch andere Medien, wie das Internet und die Zeitungslandschaft, liefern eine bisher nicht da gewesene Fülle an Informationen. Dennoch gestaltet sich eine politische Konsensfindung immer schwieriger und lähmt das System. Es werden Reden gehalten, doch zu langfristigen und fruchtbaren Entscheidungen kommt es immer seltener. Die Tatsache, dass sich Politik nicht mehr wie in der Antike über richtig oder falsch bewerten lässt, sondern über das Kriterium der öffentlichen Zustimmung definiert wird, verlangt eine Auseinandersetzung mit der Redekunst und ihrer möglichen mangelnden Überzeugungsleistung, ihrem Wandel seit der traditionellen Rhetorik in der Antike und den heutigen Anforderungen, die an sie gestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
- A. Die Anforderungen an die politische Rhetorik heute
- I. Ebene der traditionellen Rhetorik und ihre theoretischen Grundlagen
- 1. Einordnung, Bewertung und Abgrenzung der Rhetorik zu anderen Künsten
- 2. Die drei aristotelischen genera
- II. Ebene der modernen politischen Kommunikation heute
- 1. Gemeinsamkeiten von Politik und Rhetorik
- 2. Zur Lage der politischen Rhetorik in Deutschland heute
- 3. Traditionelle Rhetorik-Paradigmen im Wandel mit Reden von Helmut Kohl und Roman Herzog
- 4. Große Reden in Deutschland in Entstehung und Wirkung mit Reden von Richard von Weizsäcker und Philipp Jenninger
- C. Zusammenfassung der Ergebnisse
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der politischen Rhetorik in Deutschland und analysiert die Anforderungen an die Redekunst im Wandel von der antiken Rhetorik zur modernen politischen Kommunikation. Die Arbeit beleuchtet, wie sich die traditionellen Paradigmen der Rhetorik im Laufe der Zeit verändert haben und welche Bedeutung sie für die politische Kommunikation heute haben.
- Die Herausforderungen der politischen Rhetorik in der heutigen Zeit
- Die traditionellen Paradigmen der Rhetorik und ihre theoretischen Grundlagen
- Der Wandel der Rhetorik im Kontext der modernen politischen Kommunikation
- Die Rolle von großen Reden in der deutschen Geschichte
- Die Bedeutung der Adressatenorientierung in der politischen Rede
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beschreibt die Herausforderungen der politischen Rhetorik in der heutigen Zeit, indem es die zunehmende Komplexität politischer Entscheidungen und die Notwendigkeit, diese der Bevölkerung verständlich zu machen, beleuchtet. Das zweite Kapitel geht auf die traditionellen Paradigmen der Rhetorik ein und präsentiert die drei aristotelischen genera.
Das dritte Kapitel analysiert, wie sich die traditionellen Rhetorik-Paradigmen im Wandel zur modernen politischen Kommunikation verändert haben. Anhand von Reden von Helmut Kohl und Roman Herzog wird gezeigt, wie sich die Dimensionen der Zeit, des Kontextes, des Redners, des Adressaten, des Mediums, des Redetyps und des Ziels entwickelt haben.
Das vierte Kapitel befasst sich mit der Entstehung und Wirkung von „großen Reden“ in Deutschland. Die Reden von Richard von Weizsäcker und Philipp Jenninger werden als Beispiele herangezogen, um zu zeigen, wie das Aufbrechen von Regeln und Paradigmen zur Entstehung einer großen Rede beitragen kann.
Schlüsselwörter
Die Arbeit untersucht die politische Rhetorik in Deutschland im Kontext der modernen Kommunikation und beleuchtet die Herausforderungen, die sich durch die zunehmende Komplexität politischer Themen und die Heterogenität der Adressaten ergeben. Wichtige Themen sind die traditionellen Paradigmen der Rhetorik, die drei aristotelischen genera, die Analyse von Reden von Helmut Kohl, Roman Herzog, Richard von Weizsäcker und Philipp Jenninger sowie die Rolle von großen Reden in der deutschen Geschichte.
- Citation du texte
- Denise Tennie (Auteur), 2006, Politische Rhetorik in Deutschland - Die Paradigmen der antiken Rhetorik im Wandel zur modernen politischen Kommunikation , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76651