Der tertiäre Bildungssektor in Frankreich


Dossier / Travail, 2005

35 Pages, Note: 1,5


Extrait


Inhalt

1 Historische Entwicklung des französischen Hochschulwesens

2 Das französische Hochschulsystem – L’enseignement superieur
2.1 Die Verwaltung
2.2 Das Baccalauréat

3 Die Universitäten
3.1 Allgemeines
3.2 Bewerbung und Aufnahmeverfahren
3.3 Das Studium Studienjahr

4 Die Grandes écoles
4.1 Allgemeines
4.2 Bewerbung und Aufnahmeverfahren
4.3 Das Studium

5 Alternativen zur Universität: IUT, IUP und STS
5.1 Allgemeines
5.2 Bewerbung und Aufnahmeverfahren
5.3 Das Studium

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis

8 Abbildungsverzeichnis

1 Historische Entwicklung des französischen Hochschulwesens

Bereits seit dem Mittelalter stellt Frankreich und vor allem seine Hauptstadt Paris „eines der bedeutendsten Zentren des abendländischen Geisteslebens“ (Pletsch, 2003, S.335) dar. Im Folgenden werden einige historische Begebenheiten herausgegriffen, die zum Verständnis der in den Kapiteln 2 bis 5 dargestellten Struktur und Merkmale des tertiären Bildungssektors, wie er sich heutzutage darstellt, von essentieller Bedeutung sind.

Von jeher gab es Kontroversen bezüglich der Zuständigkeiten im Bereich des Hochschulwesens. Die Pariser Universität Sorbonne wurde im Jahr 1253 von einer Vereinigung von Kirchenlehrern gegründet (vgl. www.paris4.sorbonne.fr, 2005: Online im Internet). Von Beginn an herrschte Uneinigkeit darüber, ob die Zuständigkeit für diese Bildungseinrichtung beim Staat oder bei der Kirche läge. Diese Diskussion entwickelte sich im Laufe der nachfolgenden Jahrhunderte zum „Leitmotiv des französischen Bildungswesen“ (Pletsch, 2003, S.335). Sowohl in den Primarschulen als auch in den Universitäten behauptete sich bis zur Zeit der Aufklärung im 18. Jahrhundert letztendlich die Kirche, was das Ausbleiben königlicher Unterstützung zur Folge hatte. Der Adel hingegen widmete sich dem Aufbau und der Förderung von kleinen, spezialisierten Akademien, welche später zu den heute noch existenten Eliteschulen weiterentwickelt wurden. Eine dieser Akademien ist das Collège de France, welches im Jahr 1530 von Franz I. ins Leben gerufen wurde (vgl. www.collège-de-france.fr, 2005: Online im Internet).

Seit jeher genießt der tertiäre Bildungssektor aufgrund der großen Zahl renommierter Wissenschaftler, die aus seinen Bildungseinrichtungen hervorgingen, weltweites Ansehen. Während der Renaissance und der Epoche des Barock etwa wurden in Paris eine Reihe namhafter Wissenschaftler ausgebildet, unter ihnen auch Forscher aus der Geographie und deren Nachbargebieten. Zu ihnen zählen die Erfinder der modernen Landvermessung Picard und Cassini, der Wissenschaftler Pascal, welcher am Puy de Dome im Zentralmassiv die erste barometrische Höhenmessung durchführte, sowie die Begründer der ersten modernen Pflanzensystematik, Tournefort und Linné (vgl. Pletsch, 2003, S.335).

Die Dominanz der Kirche machte die unter ihrem Einfluss stehenden Universitäten zu tendenziell eher konservativen Bildungsinstitutionen. Einer der Haupteinflüsse während der Entwicklung des Bildungssystems, gerade an den vom Jesuitischen Orden gegründeten collèges, war und ist das jesuitische Bildungsprinzip. Im Mittelpunkt stehen die Förderung der Selbsttätigkeit und Handlungsorientierung der Schüler, wodurch deren Denk- und Diskussionsfähigkeit gefördert werden soll (vgl. Pletsch, 2003, S.332). Diese jesuitischen Einflüsse haben, trotz der Auflösung des Ordens 1773, immer noch eine signifikante Bedeutung. Bis zum heutigen Tag wird diese Art der Förderung in vielen europäischen Ländern als zentrales Element und Ziel der schulischen und universitären Ausbildung angesehen (vgl. Pletsch, 2003, S.335).

Während des 19. Jahrhunderts, als Bildungsreformen ins Zentrum des Interesses rückten, gewannen die Schriften Rousseaus immer mehr an Bedeutung. Sein Werk Emile ou de l’education aus dem Jahr 1762 befasst sich mit den pädagogischen Möglichkeiten der Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Seine fortschrittlichen Ideen beeinflussten Wissenschaftler auf der ganzen Welt, besonders in den USA und Europa. Sein zentrales Interesse bezieht sich im Gegensatz zum jesuitischen Bildungsprinzip auf die Natur des Jugendlichen und darauf, wie die Tugend und das Urteilsvermögen des Jugendlichen am natürlichsten gefördert werden können (vgl. Pletsch, 2003, S.335). Der eigentliche Anstoß für die Bildungsreformen ergab sich aus der vorangegangenen französischen Revolution im Jahr 1789. Man wollte das Bürgertum stärken und den Einfluss der Kirche schwächen. Unter anderem entstanden zu dieser Zeit auch die ersten Eliteschulen in Form der grandes écoles. Laut einem Bericht Concordets aus dem Jahr 1792 war das gesellschaftliche Ziel von Erziehung und Bildung die Entwicklung einer vernunftbasierten Moral. Dieses Vorhaben konnte allerdings nur durch die Ausbildung weltlicher Lehrer erreicht werden, was sich wiederum auf die universitäre Lehrerbildung auswirkte. Diese wird seitdem staatlich organisiert. Auch die Universitäten waren von den reformbedingten Zielvorgaben betroffen. Im Jahr 1793 wurden sämtliche Universitäten unter dem Einfluss des Nationalkonvents geschlossen und durch Lyzeen und Institute ersetzt. Die ehemaligen monarchischen Akademien wurden im gleichen Jahr durch das Institut National ersetzt, welches ausschließlich dem Zweck der Forschung diente und keine Lehrfunktion hatte (vgl. Pletsch, 2003, S.336).

Im Rahmen der zentralistischen Staatsorganisation wurde unter der Herrschaft Napoleons im Jahr 1806 im ganzen Land die ‚kaiserliche’ Universität eingeführt. Obwohl sie 1848 „als imperiale Universität wieder beseitigt wurde“ (Pletsch, 2003, S. 336) haben ihre Strukturen bis heute Bestand. Das vom Staat beschäftigte Lehrpersonal war einheitlich Mitglied dieser Einrichtung und die französische Bildungslandschaft wurde administrativ in die noch heute bestehenden Verwaltungsbezirke unterteilt. Es erfolgte eine umfassende Neugliederung des Bildungssystems. Seit dieser Zeit befinden sich alle Universitäten unter staatlicher Aufsicht und werden von Paris aus zentral verwaltet (vgl. Pletsch, 2003, S.336).

Die endgültige Trennung von Staat und Kirche wurde ab dem Jahr 1879 aufgrund einer Umgestaltung der Gesetze durch den Bildungsminister Jules Ferry vollzogen. Examen unterlagen seitdem der staatlichen Kontrolle, man führte die allgemeine Schulpflicht ein und religiöse Grundfragen mussten auf neutraler Basis behandelt werden. Seit den Loi Combes von 1905 hat die Kirche zudem keinen Anspruch mehr auf finanzielle staatliche Unterstützung. Die daraus resultierende Machtzunahme des Staates bezog sich allerdings hauptsächlich auf die Führungsriegen der Gesellschaft (vgl. Passet, 2003, S.214f).

Besonders nach dem 2. Weltkrieg kam es zu bedeutenden Veränderungen im tertiären Bildungssektor. Bis in die 1960er Jahre galten die Universitäten als minderwertige Alternativen zu den selektiven französischen Eliteschulen, den grandes écoles. Im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg kam es zum Wirtschaftsaufschwung. Es herrschten gleichzeitig Vollbeschäftigung und ein Mangel an hochqualifizierten Arbeitskräften. Aufgrund des rasch steigenden Bedarfs an hochqualifizierten Akademikern in den 1950er und 60er Jahren wurde die Universität immer breiteren Schichten zugänglich gemacht. 1968 versuchte man diese wenig zufrieden stellenden Strukturen aufzubrechen (vgl. Passet, 2003, S.214f). Französische Studenten setzten sich im Mai 1968 mit Demonstrationen und Revolten gegen die Überfüllung der Universitäten und die schlechten Studienbedingungen zur Wehr. Obwohl sich an der Überfüllung und dem zentralistischen System seither nichts geändert hat, gab es in anderen Bereichen tiefgreifende Veränderungen (vgl. Pletsch, 2003, S.336). Man kann also aus sagen, dass die Ereignisse des Mai 1968 in Paris der Ausgangspunkt für die heutige Universitätslandschaft waren. Unter anderem wurden Universitätsgründungen in größeren Provinzstädten vorangetrieben und damit die Ausbildung für den peripheren Raum außerhalb von Paris ermöglicht (vgl. Passet, 2003, S.215). Die zahlenmäßige Zunahme der Universitäten lag allerdings auch daran, dass an manchen Universitäten, wie etwa Lille, Toulouse, Bordeaux oder Montpellier die Universitäten in mehrere Zweige aufgeteilt wurden.

Durch die ökonomische Krise in den 1970er Jahren verloren die Universitäten wieder zunehmend an Ansehen. Diese Entwicklung spitzte sich aufgrund zahlreicher technischer Neuerungen in den kommenden beiden Jahrzehnten noch zu. Die Diskrepanz zwischen den Anforderungen der Berufswelt und der humanistischen Prägung der Universitäten kristallisierte sich immer mehr heraus. Einerseits sollte ein berufsorientiertes, hochspezialisiertes Wissen vermittelt werden. Andererseits wollte man das ‚nationale Erbe’ nicht in Vergessenheit geraten lassen. Hierbei geht es um Wissen, das „als objektiv notwendig für den Fortbestand der französischen Nation angesehen wird“ (Passet, 2003, S.215).

Auf Anordnung des Staatspräsidenten wurden 1985 durch das Collège de France neue pädagogische und strukturelle Reformvorschläge ausgearbeitet. Ziel war es, Schüler und Studierende zu mehr Selbsttätigkeit und praktischer Erfahrung anzuregen, welche schon durch Wissenschaftler wie Rousseau oder Pestalozzi angepriesen worden waren. Diese, wie auch vorhergehende und nachfolgende Reformversuche, scheiterten an der Traditionsorientiertheit des französischen Bildungssystems und führen auch weiterhin zur Unmündigkeit vieler junger Erwachsener (vgl. Grosse et al., 1997, S.219f), was sich unmittelbar auf die Gestaltung der Lehre an den Universitäten auswirkt.

Seither ist man um eine verstärkte Förderung der Bildung und der Praxisorientierung bemüht. Eine Erhöhung des Bildungs- und Leistungsniveaus in der Gesellschaft wird als Antriebsmotor für die Weiterentwicklung des Staates gesehen.

2 Das französische Hochschulsystem – L’enseignement superieur

2.1 Die Verwaltung

Die historische Entwicklung des französischen Bildungssystems hat gezeigt, dass die Struktur des Hochschulsektors entscheidend durch politische Einflüsse geprägt wird. Aufgrund der zentralistischen Ausrichtung Frankreichs liegt die Hauptverantwortung für die Umsetzung der Bildungspolitik in der Hand der Regierung. Der französische Bildungssektor ist in 28 Verwaltungsbezirke, die sogenannten académies, aufgeteilt (vgl. Abb. 1). Die académies stimmen dabei weitgehend mit den administrativen Grenzen der régions überein. Nur in besonders bevölkerungsreichen Regionen gibt es mehrere Verwaltungsbezirke! Im Großraum Paris sind drei académies mit insgesamt 17 staatlichen Universitäten angesiedelt (vgl. Abb. 2), woraus die noch immer bestehende Dominanz der Hauptstadt mit ihrem statistisch hohen Anteil an Studentenzahlen resultiert. Die Überwachung und Leitung der Verwaltungsbezirke obliegt dem Nationalen Kultusministerium, dem Ministère de l’Education nationale, de l’Enseignement supérieur et de la Recherche, welches seinen Sitz in Paris hat (vgl. Kollmann, 1998, S.27). Jeder Verwaltungsbezirk wird durch einen Rektor, den recteur, geleitet, der vom Staat bestimmt wird und über die öffentlichen Lehrbetriebe seiner académie entscheidet. Bis 1968 war der Rektor zugleich Leiter der in seinem Bezirk ansässigen Universitäten. Seither hat jede Universität einen eigens gewählten Präsidenten. Im Zuge der zentralistischen Überwachung hat man jedoch die Position des inspecteur d’académie eingeführt, welcher dem recteur unterstellt ist. Er bewertet das Lehrpersonal und hat sowohl die Bildungsplanung als auch die Bildungskontrolle inne (vgl. Grosse et al., 1997, S.229). Alle Verwaltungsbezirke eingerechnet hat das nationale Kultusministerium, dessen Leiter der französische Erziehungsminister ist, 1,3 Millionen Beschäftigte und ist damit „die größte Behörde Frankreichs“ (Pletsch, 2003, S. 336).

Abb. 1: Hochschulstandorte in Frankreich aufgeteilt nach Verwaltungsbezirken

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Kollmann, 1998, S. 30.

Abb. 2: Verwaltungsbezirke und Hochschulen im Großraum Paris

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Kollmann, 1998, S. 31.

2.2 Das Baccalauréat

In Frankreich gibt bis einschließlich der achten Klasse ein Gesamtschulsystem. Im Anschluss daran haben die Schüler die Wahl zwischen dem lycée professionelle, welches ähnlich den deutschen Berufsschulen auf eine Berufsausbildung vorbereitet, bzw. dem lycée, welches der Oberstufe des deutschen Gymnasium entspricht. Genauso wie in Deutschland erlangen die Schüler des lycée nach den Abschlussprüfungen das Abitur, welches in Frankreich als baccalauréat oder kurz bac bezeichnet wird. Das baccalauréat gilt als Zulassungsvoraussetzung für den Eintritt in die Hochschulausbildung. Insgesamt unterscheidet man acht verschiedenen Typen des französischen Abiturs (vgl. Abb. 3) (vgl. Kollmann, 1998, S.32).

Abb. 3: Abiturtypen in Frankreich

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Kollmann, 1998, S.32, eigene Darstellung.

Je nachdem, für welchen Typ des baccalauréat, welcher als la série bezeichnet wird, sich die Schüler entscheiden, beeinflusst dies die spätere Studienwahl. Im Jahr 1990 wechselten 12,9% der Abiturienten mit allgemeinem Abitur, dem bac général, in Vorbereitungskurse für die Elitehochschulen, 12,3% in eine STS, 8,5% in ein IUT und mehr als die Hälfte auf eine staatliche Universität. Auf diese Bildungseinrichtungen wird im Folgenden noch genauer eingegangen werden. Absolventen mit bac technologique hingegen tendieren eher zu einer technischen bzw. praxisorientierten Ausbildung. 1,1% nahmen an einem Vorbereitungskurs für die Elitehochschulen teil, mehr als die Hälfte gingen auf die STS und lediglich 20,8% entschieden sich für ein Studium an einer Universität (vgl. Grosse et al., 1997, S.261).

[...]

Fin de l'extrait de 35 pages

Résumé des informations

Titre
Der tertiäre Bildungssektor in Frankreich
Université
University of Regensburg  (Wirtschaftsgeographie)
Cours
Hauptseminar Frankreich
Note
1,5
Auteur
Année
2005
Pages
35
N° de catalogue
V76712
ISBN (ebook)
9783638821971
ISBN (Livre)
9783640862870
Taille d'un fichier
953 KB
Langue
allemand
Mots clés
Bildungssektor, Frankreich, Hauptseminar, Frankreich
Citation du texte
Juliane Sikora (Auteur), 2005, Der tertiäre Bildungssektor in Frankreich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76712

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