Massenmedien - Guter Geist oder Schreckgespenst der Demokratie? - Massenmediale Auswirkungen auf demokratische politische Systeme


Seminararbeit, 2006

45 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Theoretische Grundlagen: Medienkonzeptionen und Demokratievorstellungen
2.1 Die liberale Theorie der Presse
2.2 Die funktionale Theorie der Presse
2.3 Demokratietheoretische Aspekte

3. Thomas E. Pattersons Kritik an den US-amerikanischen Medien
3.1 Veränderungen im politischen System der USA und deren Folgen
3.2 Medienimmanente Gründe für ihr Versagen: Schemas und der News Cycle
3.3 Konsequenzen der Kommerzialisierung
3.4 Negativisten als Retter der Nation?
3.5 Folgerungen und Einordnung

4. Anmerkungen zu den dysfunktionalen Auswirkungen der Medien in Deutschland
4.1 Veränderungen des politischen Systems
4.1.1 Veränderungen des politischen Handelns
4.1.2 Veränderungen der innerpolitischen Kommunikation
4.2 Medienrealität als virtuelle Realität
4.2.1 Medien als öffentliches Diskussions- und Meinungsbildungsforum?
4.2.2 Gefahren des Geldes

5. Schlussbemerkungen

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Schenkt man dem Berufsverständnis der Journalisten in den westlichen Demokratien Glauben, so wären diese Demokratien ohne ihre Journalisten längst untergegangen. Journalisten sehen sich als „Retter der Nation“ (Patterson 1993a: 19), als Bewacher der Wahrheit, unabhängig von politischen und wirtschaftlichen Interessen, als Gralshüter der vierten Gewalt und weiße Ritter, die die Bosheiten der Mächtigen enttarnen (vgl. Kocks 2004: 90). Kurzum: Journalisten betrachten sich als der gute Geist der Demokratie.

Ohne Zweifel spielen Massenmedien in nahezu allen Belangen eine eminent wichtige Rolle in der Gesellschaft – politisch, ökonomisch, kulturell. Die soziale Realität konstruiert sich für den Einzelnen überhaupt erst durch die Medien, da die meisten politisch und gesellschaftlich relevanten Sachverhalte außerhalb seiner persönlichen Lebenssphäre angesiedelt sind (vgl. Bürklin/Klein 1998: 177). Unter Massenmedien – im Folgenden kurz als Medien bezeichnet – werden mediale Angebote in Form von Printerzeugnissen und Rundfunksendungen verstanden, die sich einseitig an ein disperses und anonymes Publikum richten (vgl. Kaase 2001: 286). Mit einer Reichweite von mehreren Millionen Menschen täglich haben selbst einzelne Verlage oder Fernsehsender immensen Einfluss auf die Bevölkerung, insgesamt erreichen die Medien in Deutschland beispielsweise an einem durchschnittlichen Tag mehr als 80 Prozent der Gesellschaft (vgl. Hasebrink 1998: 346).

Doch Einfluss allein macht Medien noch nicht zum guten Geist der Demokratie – vielmehr werden sie in der Kommunikations- und Politikwissenschaft zunehmend als Schreckgespenst wahrgenommen. In der Literatur häufen sich Veröffentlichungen, die negative Auswirkungen der Medien auf das Funktionieren von Demokratien konstatieren. Zu den bekanntesten dieser Veröffentlichungen zählt Thomas E. Pattersons „Out of Order“ (1993), eine Generalabrechnung mit dem US-amerikanischen Mediensystem.

Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht die Kritik an der Rolle der Medien in Demokratien. Dazu soll zunächst erklärt werden, wie die Medien in Demokratien aus normativer Perspektive funktionieren sollten – betrachtet aus liberaler, funktionaler und demokratietheoretischer Sicht. Anschließend wird die Kritik Pattersons zusammengefasst dargelegt, wobei die Begriffe Medien und Presse wie bei Patterson synonym gebraucht werden und alle Massenmedien umfassen – Printmedien und den Rundfunk, bestehend aus Radio und Fernsehen. Daran anknüpfend werden Pattersons Erkenntnisse in den eingangs beschriebenen medien- und demokratietheoretischen Rahmen eingeordnet.

Eine unmittelbare Übertragung von Erkenntnissen über das Mediensystem der USA auf das der Bundesrepublik Deutschland ist aufgrund der Unterschiede zwischen den Mediensystemen beider Länder und in der Struktur ihrer politischen Systeme nicht möglich (vgl. Donsbach/Patterson 2003: 282). Deshalb sollen am Ende dieser Arbeit einige dysfunktionale Aspekte genannt werden, welche andere Arbeiten für die Bundesrepublik festgestellt haben. Hierbei handelt es sich um eine schlaglichtartige Beleuchtung wichtiger Punkte, nicht um eine umfassende Analyse mit Anspruch auf Vollständigkeit.

2. Theoretische Grundlagen: Medienkonzeptionen und Demokratievorstellungen

Die Rolle, welche den Medien im Staat zugedacht ist, hängt eng zusammen mit der jeweiligen Staatskonzeption. Es gibt einen stark ausgeprägten Zusammenhang zwischen dem politischen System und dem Mediensystem. In den westlichen Demokratien ist die liberale Theorie der Presse die einflussreichste, auch die funktionale Theorie hat – beispielsweise in Deutschland – eine gewisse Relevanz gewonnen. Die beiden für Demokratien bedeutendsten Konzepte sollen im Folgenden genauer dargestellt und anschließend durch einige demokratietheoretische Gesichtspunkte ergänzt werden.

2.1 Die liberale Theorie der Presse

Zum Verständnis der liberalen Theorie der Presse sind einige generelle Aspekte des Liberalismus notwendig. Mit der Etablierung des Liberalismus als soziales und politisches System wurde ein Rahmen gesetzt, in dem die verschiedenen Institutionen wirken. Zu diesen Institutionen zählen selbstverständlich die Medien, die – wie alle anderen Institutionen – unter den Bedingungen arbeiten, die die Prinzipien der Gesellschaftsordnung vorgeben (vgl. Siebert 1956: 39). Maßgeblich sind die liberalen Vorstellungen von der Natur des Menschen, von der Natur der Gesellschaft und dem Verhältnis der Gesellschaft zum Individuum sowie schließlich die Vorstellung von Wissen über die Wahrheit und das Gute.

Liberale sehen den Menschen als rationales Wesen, dessen Wohlergehen Ziel der Gesellschaftskonstruktion sein muss. „The fulfillment of the individual becomes the ultimate goal – the goal of man, of society, and of the state“ (Siebert 1956: 40). Der Mensch als denkender Organismus ist fähig, die Welt um sich herum zu gestalten durch eigene, freie Entscheidungen, welche seinen Interessen dienen (zumindest so lange, wie sie die Freiheit der anderen nicht beeinträchtigen). Die Aggregation der Individualentscheidungen vieler Menschen führt letztlich zum Vorteil aller; den Interessen der Gemeinschaft ist durch freie, eigennützige Entscheidungen des Einzelnen am besten gedient. Aufgabe der Gesellschaft ist es, den Individuen die Möglichkeit zur Entfaltung zu bieten, die Gesellschaft darf nicht im Mittelpunkt der Staatskonzeption stehen und selbst das Ziel werden. Die Führungsrolle gebührt den Individuen, die mit einem Verstand ausgestattet sind, der es ihnen erlaubt, selbst zu erkennen, was wahr und was falsch, was gut und was schlecht ist (vgl. Siebert 1956: 40-41). Die Rolle des Staates ist die eines „Treuhänders“. Das Volk ist der Souverän, der Wille der Menschen ist das Zentrum der Macht. Durch Wahlen delegiert das Volk Macht an staatliche Institutionen, die in seinem Interesse zu handeln haben (vgl. Siebert 1956: 43).

Die Freiheit begriff John Milton als „intellektuelle Freiheit“. Der Mensch, durch die Verwendung seines Verstandes, kann selbst über Richtig und Falsch, über Gut und Böse entscheiden, und dazu braucht er unbegrenzten Zugang zu den Ideen anderer. So entsteht ein „open market place of ideas“, welcher Voraussetzung für einen „self-righting process“ ist – also einen Prozess, in dem jeder seine Meinung kundtut und sich die beste Meinung durchsetzt, indem sie die meisten überzeugt (vgl. Siebert 1956: 44-45).

John Stuart Mill sah die Freiheit als das Recht zu denken und zu handeln wie es einem beliebt, solange niemand dadurch geschädigt wird. Für die Freiheit des Denkens ist wiederum eine freie Meinungsäußerung vonnöten. Mill nennt vier Argumente für die Freiheit der Meinungsäußerung. Wenn eine Meinung unterdrückt wird, wird für Mill auch die Wahrheit unterdrückt, weil jede Meinung – auch eine falsche – ihren Beitrag zur Wahrheitsfindung leistet und hilft, die volle Wahrheit zu erkennen. Zudem tendieren Menschen dazu, wenn sie etwas als gut erkannt haben, die rationalen Gründe dafür zu vergessen, so dass das Gute zu einem Vorurteil verkümmert – es sei denn, seine Vertreter sind immer wieder gezwungen, sich zu verteidigen. Wird es immer wieder getestet, so behält es seine Vitalität, seinen Charakter, seine Überzeugungskraft (vgl. Siebert 1956: 46).

Ein weiterer bedeutender Liberaler war Thomas Jefferson, dessen Interesse in der Bildung und der Erziehung des Menschen zu rationalen Wesen lag. Für Jefferson ist die Presse eine wesentliche Quelle für Information und Orientierung, deshalb soll sie staatsfrei sein. Sie soll dem Individuum seine Partizipationsmöglichkeiten dadurch eröffnen, dass sie zu seiner Bildung beiträgt, ihm alle Wege aufzeigt, die zur Wahrheit führen können und zugleich Grenzüberschreitungen des Staates öffentlich macht, durch die die Freiheit des Individuums gefährdet wird (vgl. Siebert 1956: 47).

Die Medien helfen, das Wahre und Gute zu entdecken, sie assistieren bei der Lösung sozialer und politischer Probleme dadurch, dass sie alle bedeutenden und für die Entscheidung relevanten Aspekte der Öffentlichkeit zugänglich machen, damit die Individuen sie als Basis für ihre Entschlüsse haben. Sie sind frei von staatlicher Dominanz und Kontrolle, was zwei konkrete Propositionen erfordert – die Regierung darf keine Privilegien bei der Darstellung ihrer Politik in den Medien haben und sie darf die Opposition bei der Darstellung ihrer Meinung nicht behindern. Gleichzeitig schaut die Presse selbst auf die Arbeit des Staates und verhindert, dass die Regierung die Grenzen ihrer Macht überschreitet (vgl. Siebert 1956: 51).

Zu den Meinungen und Informationen, die die Presse der Öffentlichkeit bereitstellen soll, zählen auch falsche Meinungen. Siebert (1956: 51-52) beschreibt das Prinzip wie folgt: „Let every man who has something to say on public issues express himself regardless of whether what he has to say is true or false, and let the public ultimately decide”.

Der beste Weg zur Herstellung von Staatsfreiheit aus liberaler Sicht ist ein offener Markt, an dem jedes private Unternehmen oder jeder Privatmann, der über genügend Geld verfügt, mit seinem Produkt und seiner Meinung teilnehmen kann. „The field was open to all“ (Siebert 1956: 52). Einschränkungen dürfen nur aus zwingenden Gründen vorgenommen werden, zum Beispiel zum Ehrenschutz, zum Schutz des Staates vor Kräften, die die freie Ordnung an sich abschaffen wollen, oder zum Schutz der nationalen Sicherheit, etwa während eines Krieges (vgl. Siebert 1956: 54, 58-59). Dadurch, dass jeder am Markt teilnehmen kann, bildet das Marktangebot als Ganzes die Vielfalt der Meinungen ab. Man kann dieses Konzept auch als „Außenpluralität“ bezeichnen, im Gegensatz zur „Binnenpluralität“ des funktionalen Ansatzes, welcher im folgenden Kapitel dargestellt wird.

2.2 Die funktionale Theorie der Presse

Auch die funktionale Theorie der Presse ist in ihrem Fundament eine liberale Theorie, allerdings sieht das darauf gebaute gedankliche Gebilde erheblich anders aus. Wie die liberale Theorie sieht der funktionale Ansatz die Pressefreiheit als ein Abwehrrecht gegen den Staat, das die Eigenständigkeit der Presse sichern soll und nur zum Schutz höherer Rechtsgüter (beispielsweise der persönlichen Ehre) beschränkt werden darf (vgl. Roellecke 1984: 419). Die Informationsaufgabe der Presse sowie die Aufgabe der Kontrolle und Kritik der Regierung durch die Medien als eine vierte Gewalt (vgl. Löffler 1984: 345, 347-349) entsprechen gleichermaßen liberalen wie funktionalen Vorstellungen. Ebenfalls einig sind sich beide Ansätze in der Auffassung, dass die Pressefreiheit ein politisches Mitwirkungsrecht einschließt und die Medien ein wichtiges Instrument zur Bildung der öffentlichen Meinung sind. Sie sind die Institution, in der das Individualrecht auf freie Meinungsäußerung verwirklicht wird und somit „für eine freiheitlich-demokratische Rechtsordnung schlechthin konstituierend“, weil dadurch eine ständige geistige Auseinandersetzung, ein Kampf der Meinungen entsteht, welcher „Lebenselement“ dieser Rechtsordnung ist (vgl. BVerfG 1958).

Wie dieser Kampf der Meinungen aber funktionieren soll, beantworten liberale und funktionale Theorie auf unterschiedliche Weise. Nach dem funktionalen Ansatz darf und muss der Staat für die Offenheit des Meinungsmarktes sorgen und sich um die Ordnung des Meinungsmarktes kümmern. Er ist verpflichtet, Behinderungen durch privatwirtschaftliche Macht entgegenzutreten (vgl. Roellecke 1984: 420-421). Die Presse hat in dieser Konzeption eine öffentliche, das heißt: dem Gemeinwohl dienende Aufgabe, und diese lautet, einen allgemeinen Meinungsmarkt zu schaffen, um die Meinungsäußerungsfreiheit als eines der höchstrangigen Rechtsgüter zu verwirklichen (vgl. Roellecke 1984: 427). Pressefreiheit in diesem Sinne ist nicht als Meinungsäußerungsfreiheit des einzelnen Verlegers oder Redakteurs zu verstehen, sondern man muss unterscheiden zwischen der individuellen Meinungsäußerungsfreiheit von Verlegern und Redakteuren sowie der Aufgabe der Presse als Organisation (vgl. Roellecke 1984: 428, 431). Maßnahmen gegen einen marktbeherrschenden Medienkonzern sind deshalb legitim, der wirtschaftliche Erfolg einer Zeitung darf auch nicht als Plebiszit gesehen werden (vgl. Roellecke 1984: 432).

Diese Auffassung steht der liberalen diametral gegenüber. Die liberale sieht einen offenen Meinungsmarkt als emergentes Ereignis, welches dadurch zustande kommt, dass jeder Private Zugang zum Markt hat und dort nach wirtschaftlichem Erfolg strebt, während der Staat sich heraushält. „Anyone with sufficient capital could start a communication enterprise, and his success or failure would depend upon his ability to produce a profit. Profit, in fact, depended upon his ability to satisfy his customers” (Siebert 1956: 52).

Am deutlichsten werden die Unterschiede zwischen liberaler und funktionaler Theorie bei der Betrachtung der Rundfunkfreiheit in Deutschland. Diese in Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes verbürgte Freiheit wurde als „dienende Freiheit“ ausgelegt. Das bedeutet, dass innerhalb eines Programms alle bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Meinungen repräsentiert sein müssen (vgl. Roellecke 1984: 420). Anders als in der liberalen Konzeption, wo der Markt als Ganzes durch die Summe der Einzelmeinungen jede Meinung öffentlich macht, muss hier ein einzelnes Programm Meinungsvielfalt gewährleisten. Es gibt also eine Binnenpluralität.

Diese Auslegung ist die Grundlage für die Existenz öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten in Deutschland, in deren Fernsehräten die gesellschaftlich relevanten Gruppen vertreten sind und über die Binnenpluralität des Programms wachen. Das Bundesverfassungsgericht hat die ausschließliche Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit der hohen Suggestivität, knappen Frequenzen und dem hohen Finanzaufwand für den Rundfunkbetrieb gerechtfertigt und deswegen privaten Zugang ausgeschlossen (vgl. BVerfG 1961). Später erlaubte es grundsätzlich einen privaten Rundfunk, sofern der Gesetzgeber diesen durch Gesetz legitimiert (vgl. BVerfG 1981). Auch nach der Einführung des dualen Rundfunksystems hielt es aber an der funktionalen Betrachtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fest. Es stellte einen „Grundversorgungsauftrag“ fest (vgl. BVerfG 1986), wenig später konkretisierte es, dass ein Grundversorgungsauftrag nicht als Mindestversorgungsauftrag, sondern als Vollversorgungsauftrag zu verstehen ist und die Zuschauer mit allen relevanten Informationen zu versorgen sind (vgl. BVerfG 1987).

Obwohl das US-amerikanische Mediensystem in seiner rechtlichen Strukturierung ein liberales Modell ist, lassen sich dort aufgrund der journalistischen Ethik binnenplurale Ausprägungen feststellen, die dem funktionalen Modell entsprechen. Das betrifft die Vorstellung von „objective reporting“, wobei die meisten Journalisten Objektivität so verstehen, dass in jedem Artikel fair wiedergegeben wird, was jede relevante Partei oder gesellschaftliche Gruppe in einem Konflikt sagt (vgl. Donsbach 1993: 300). „Der Kern des amerikanischen Journalismus ist das binnenplurale Modell, bei dem sich jedes einzelne Nachrichtenmedium verpflichtet, die politische Realität so neutral wie möglich zu beschreiben“ (Donsbach 1993: 312).

2.3 Demokratietheoretische Aspekte

In modernen, funktional differenzierten demokratischen Gesellschaften, wird das politisch-administrative System – die Politik – als Netz von Entscheidungsagenturen und -prozessen aufgefasst, das als Problemadressat und Problemlösungssystem dient. Seine Aufgabe ist es, jene Probleme, welche von den anderen Teilsystemen nicht gelöst werden können und die an das politische System als Problemadressat attribuiert werden, durch Herstellung allgemeinverbindlicher Entscheidungen zu lösen (vgl. Jarren et al 1993: 16). Wichtig ist hierbei das liberale Prinzip der Trennung von Staat und Gesellschaft als zwei unterschiedliche Sphären (vgl. Kepplinger 1998: 80). Das heißt auch, dass sich die Politik ausschließlich um Probleme kümmern soll, derer die anderen Teilsysteme nicht Herr werden.

Auch David Easton sieht das politische System in diesem Sinne als Subsystem zur Problemlösung, wenngleich er es als Black Box und den internen Ablauf der Verarbeitungsprozesse unbetrachtet lässt. Das interessante an seinem Modell ist die Anbindung des politischen Systems an andere Teilsysteme. Der Output besteht in allgemein verbindlichen Regelungen, der Allokation und Zuweisung von Werten und Ressourcen. Den Input gliedert Easton in Demands und Support. Demands sind Anforderungen und Ansprüche aus den anderen Teilsystemen an das politische System, an die Regierung gerichtete Aussagen mit dem Ziel der Verteilung von Werten und Ressourcen. Support besteht zum einen aus einem aktiven, durch Handeln erfolgenden Support – der Teilnahme an Wahlen, dem Zahlen von Steuern, der Befolgung von Gesetzen. Darüber hinaus gibt es einen diffusen Support – zu verstehen als kognitive Zustimmung zum Regierungssystem, als Akzeptanz der Herrschaft. In demokratischen Systemen ist dies ein grundsätzliches Bekenntnis zu den demokratischen Spielregeln, unabhängig von einzelnen Entscheidungen des politischen Systems und dem Tagesgeschäft. Zwischen Output und Inputs besteht ein Reziprozitätseffekt (Rückkopplung); das heißt, dass der Output zu Veränderungen von Demands und Support führt (vgl. Easton 1957: 384-391 und Fuhse 2005: 35-42).

„Die Qualität einer Demokratie“, schreibt der Politikwissenschaftler Wolfgang Rudzio (2003: 489) unter Berufung auf Friedrich-Wilhelm von Sell, „hängt wesentlich ab von der Art und Weise, in der ihre Gesellschaft kommuniziert.“ Drei Funktionen nennt Rudzio, die die Medien im Prozess der politischen Meinungsbildung für die Gesellschaft erfüllen sollen – erstens die Information über Geschehnisse, Zustände und Meinungen, zweitens die Artikulation von Meinungen und Ansprüchen, wie sie in der Bevölkerung bestehen sowie drittens Kritik und Kontrolle gegenüber den politischen Institutionen (vgl. Rudzio 2003: 505). Informations- und Artikulationsfunktion sowie Kritik- und Kontrollfunktion sind in der liberalen wie der funktionalen Theorie der Presse enthalten, sie sollen im Folgenden aus demokratietheoretischer Sicht genauer spezifiziert werden.

Demokratietheoretisch gehen diese Funktionen auf die Volkssouveränität zurück. Aus der Vorstellung des Volkes als Souverän kann unmittelbar abgeleitet werden, dass das Handeln der Politik grundsätzlich zustimmungs- und begründungspflichtig ist. Demokratische Politik erreicht ihre Legitimation zum Einen durch Wahlen, in denen die Bürger ihre Zustimmung für Programme, Konzepte und Personen ausdrücken; sie bedarf darüber hinaus auch außerhalb von Wahlen der Legitimation als Geltungsgrundlage demokratischer politischer Herrschaft (vgl. Maarek 2004: 219). Legitimation umfasst im Wesentlichen die Anforderungen der Transparenz und Zustimmung sowie der Responsivität der Regierung auf Bedürfnisse der Bevölkerung (vgl. Pfetsch 1998: 238-240).

Voraussetzung für Transparenz ist die Öffentlichkeit des politischen Prozesses – das Volk als Souverän kann durch Öffentlichkeit den politischen Prozess verfolgen und bewerten (vgl. Marcinkowski 2000: 49). Nicht umsonst genießt das Öffentlichkeitsprinzip in Deutschland Verfassungsrang – in Artikel 42 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes heißt es: „Der Bundestag verhandelt öffentlich.“ Bei der Realisierung der Öffentlichkeit des politischen Prozesses kommt den Massenmedien entscheidende Bedeutung zu. Alleine aus Platzgründen kann nicht das ganze Volk beispielsweise eine Bundestagsdebatte als Zuschauer verfolgen. Es sind die Massenmedien, die den politischen Prozess beobachten, ihre Beobachtungen dann verbreiten und somit die Transparenz des politischen Prozesses herstellen. In diesem Sinne nehmen sie für die Bevölkerung eine Informationsfunktion wahr.

Die Zustimmungsanforderung bedeutet, dass Politik und politische Entscheidungsträger ihr Handeln permanent vor der Öffentlichkeit begründen, über Planungen und Entscheidungen informieren und sie rechtfertigen müssen (vgl. Tenscher 1998: 185). Auch hier kommt den Massenmedien entscheidende Bedeutung zu, weil die Kommunikation der Regierung mit den Bürgern überwiegend mittelbar stattfindet – über Massenmedien, die sie benötigt, um ihre Entscheidungen darzustellen und um Zustimmung zu werben. Die Informationsfunktion ist auch in diesem Sinne zu verstehen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
Massenmedien - Guter Geist oder Schreckgespenst der Demokratie? - Massenmediale Auswirkungen auf demokratische politische Systeme
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Institut für Publizistik)
Veranstaltung
Oberseminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
45
Katalognummer
V76882
ISBN (eBook)
9783638826471
ISBN (Buch)
9783640616268
Dateigröße
541 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Massenmedien, Demokratie, Politische Systemforschung, Politische Kommunikation
Arbeit zitieren
Florian Zerfaß (Autor:in), 2006, Massenmedien - Guter Geist oder Schreckgespenst der Demokratie? - Massenmediale Auswirkungen auf demokratische politische Systeme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/76882

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