In der Praxis blicken Spiel und Erzählung auf eine lange gemeinsame Geschichte zurück. Vor allem von seinen Nutzern wird das Computerspiel häufig in eine genealogische Reihe mit narrativen Medien – insbesondere dem Film – gestellt. Tatsächlich jedoch ist sich die Wissenschaft noch nicht darüber einig, ob Computerspiele den Erzählungen zuzurechnen sind. Einer medientheoretischen Auffassung zufolge sind Spiel und Erzählung zwei sich gegenseitig ausschließende Kategorien, die im Medium Computerspiel aufeinandertreffen und bestenfalls parallel zueinander prozessieren, die aber nicht in der Lage sind, einen gemeinsamen Modus zu erzeugen: Denn wenn erzählt wird, kann nicht gespielt werden, und wenn gespielt wird, kann nicht erzählt werden.
Trotz dieser Divergenz greifen Computerspiele seit ihren Anfängen in vielerlei Arten auf narrative Phänomene zurück und integrieren sie in ihre formalen Strukturen: Zwischensequenzen, Charaktere, Settings, Scripted Events, Dialoge – um nur einige zu nennen. Handelt es sich bei diesen Verfahren lediglich um Zugeständnisse an die Rezeptionsgewohnheiten der Kunden, um inhaltliche Redundanzen oder Immersionsverstärker? Oder ziehen Spiele einen konkreten funktionalen Nutzen aus ihren erzählerischen Bemühungen?
Diese Untersuchung geht der Frage nach, welche Methoden und Strategien Spiele bei der Integration narrativer Verfahren in ihre Prozesse anwenden und vor allem: warum sie dies tun. Denn prinzipiell sind Spiele nicht darauf angewiesen, sich als Geschichten zu gebaren. Doch greifen sie darauf zurück, um ihre abstrakten Regeln, die auszuführenden Handlungen und den dadurch in Gang gesetzten Ablauf verständlich zu machen und auf einer konventionalisierten Struktur abzubilden.
Die Arbeit bietet einen umfassenden Einblick in verschiedene Stationen der Erzähl- und Spieltheorie von Aristoteles über Genette, Caillois bis hin zu Bordwell und Aarseth und betrachtet anhand zahlreicher Beispiele aus der Computerspiel-Historie das Verhältnis von Games und Geschichten und der „strukturellen Kopplung“, die beide miteinander eingehen. Auf diese Weise bildet sie einen wichtigen Beitrag zum medienwissenschaftlichen Verständnis digitaler Spiele und gibt darüber hinaus zahlreiche Anregungen für die Praxis, um das narrative Potential von Spielen weiter auszuschöpfen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Erzählung, Spiel, Computerspiel
- Erzählung
- Aristoteles: Primat der Handlungsführung
- Gérard Genette: Die Ebenen der Erzählung
- Spiel und Computerspiel
- Roger Caillois: Die Regeln des Spiels
- Espen Aarseth: Der „ergodische“ Text
- Die Ludologen: Kritik am Dogma des Narrativismus
- Die Narratologen: Spielen als Prozess zwischen Interaktivität und Narrativität
- Entwicklung eines Beschreibungsmodells für Analysezwecke
- Der Prozess des Spielens
- Der Diskurs des Spielens
- Vorstellung einer Analysemethode
- Analyse struktureller Kopplungen
- Kopplungen 0. und 1. Ordnung: Repräsentation, Setting, Figur
- Strukturelle Kopplungen 1. und 2. Ordnung: Konflikt, Ziel, Retardation
- Der Weg ist das Ziel: Labyrinth, Mäander, Rhizom
- Fallstudie Adventure-Game: Gabriel Knight II: The Beast within
- Die Detektivformel: Erzählanalyse von Gabriel Knight II
- Sequenzanalyse: Das detective tale als Rätsel-Spiel
- Zeitkonstruktionen in Gabriel Knight II: investigation und crime story
- Schlussbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht das Verhältnis zwischen Computerspiel und Erzählung und analysiert die narrativen Strategien, die Computerspiele nutzen, um diese beiden Bereiche miteinander zu verknüpfen. Der Fokus liegt dabei auf der Frage, wie Spiel und Erzählung im Computerspiel trotz ihrer grundlegenden Unterschiede in einen symbiotisch-hybriden Zustand integriert werden können.
- Analyse der narrativen Strategien im Computerspiel
- Entwicklung eines Beschreibungsmodells für strukturelle Kopplungen zwischen Spiel und Erzählung
- Untersuchung des Einflusses der Interaktivität auf die Erzählstruktur
- Analyse der Funktionen narrativer Elemente im Kontext des Spielprozesses
- Anwendung der entwickelten Methoden auf ein konkretes Fallbeispiel
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die Problemstellung dar und beleuchtet den historischen Diskurs über das Verhältnis zwischen Computerspiel und Erzählung. Dabei wird deutlich, dass die Frage nach einer eindeutigen Zuordnung des Computerspiels zu einer dieser Kategorien umstritten ist.
- Erzählung, Spiel, Computerspiel: Dieses Kapitel beleuchtet unterschiedliche Theorien aus der Narratologie und Ludologie und untersucht die spezifischen Merkmale der Erzählung und des Spiels. Dabei werden relevante Ansätze von Aristoteles bis hin zu aktuellen Modellen des interaktiven Erzählens vorgestellt.
- Entwicklung eines Beschreibungsmodells für Analysezwecke: Dieses Kapitel widmet sich der Entwicklung eines analytischen Modells, das in der Lage ist, die Phänomene des Spiels und der Erzählung im Computerspiel zu beschreiben und den gemeinsamen Prozess zu visualisieren, an dem beide beteiligt sind.
- Analyse struktureller Kopplungen: Dieses Kapitel untersucht konkrete Phänomene, die Verbindungen zwischen Spiel- und Erzählstruktur herstellen. Im Vordergrund steht die Frage, ob es sich bei diesen Verbindungen tatsächlich um strukturelle Kopplungen, um allgemeine Analogien oder um bloße Redundanz handelt.
- Fallstudie Adventure-Game: Gabriel Knight II: The Beast within: Dieses Kapitel analysiert die narrativen Strategien des Adventure-Games „Gabriel Knight II: The Beast within“ und untersucht die Verbindung zwischen der narrativen Struktur und den spielmechanischen Elementen des Spiels.
Schlüsselwörter
Computerspiel, Erzählung, Interaktivität, Narrativität, Ludologie, Narratologie, strukturelle Kopplung, Analysemodell, Adventure-Game, Gabriel Knight II: The Beast within, Spieltheorie, Genette, Aarseth, Bordwell.
- Arbeit zitieren
- Matthias Grimm (Autor:in), 2006, Computerspiel-Geschichten? Analyse narrativer Strategien zur strukturellen Kopplung von Spiel und Erzählung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77178