Individualisierung und Differenzierung in urbanen Räumen


Dossier / Travail, 2006

19 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Individualisierung und Differenzierung
2.1 Individualisierung
2.1.1 Freisetzungsdimension
2.1.2 Entzauberungsdimension
2.1.3 Soziale Differenzierung

3. Vertikale Differenzierung in urbanen Räumen
3.1 Soziale Ungleichheit

4. Integration und funktionale Differenzierung
4.1 Leitdifferenz gegen Leitbilder
4.2 Die soziale Grammatik
4.2.1 Praxisbezug der sozialen Grammatik
4.3 Schlussfolgerungen

5. Das Individuum im urbanen Raum

6. Bibliographie

1. Einleitung

In modernen Städten kann die ausgeprägteste Form von Individualisierung und Differenzierung beobachtet werden. Als Phänomene für diesen Sachverhalt lassen sich beispielsweise immer spezialisiertere Formen der Arbeitsteilung oder einzigartigere Entwürfe der Lebensplanung und Gestaltung erkennen. Was jedoch motiviert den Menschen zur Individualisierung oder gibt einem Gesellschaftssystem den Impuls zur Ausdifferenzierung? Man wird sicherlich antworten können, dass es in der Natur des Menschen liegt, stetig mehr zu lernen und sich weiter zu entwickeln, um seine Bedürfnisse immer komfortabler und effizienter zu befriedigen. Um dieses Ziel am besten zu erreichen, würde er sich mit anderen Menschen aus Effizienzgründen zu Gemeinschaften zusammenschließen. Um die Effizienz innerhalb der Gemeinschaft noch weiter zu erhöhen, differenziert sich das Gesellschaftssystem immer weiter aus, was ebenso den Bedürfnissen des Einzelnen am meisten förderlich ist.

Mit einer solchen groben Antwort hätte man Individualisierung und Differenzierung kausal und funktional erklärt. Was jedoch nicht daraus hervorgeht, ist die Systematik, mit der diese beiden Begriffe miteinander korrelieren, oder mit der sie sich gegenseitig bedingen. Die Städte stellen dabei die räumliche Dimension dar, durch die Individualisierung und Differenzierung überhaupt erst in dem Ausmaß möglich wurden, wie wir sie heute in unseren Metropolen antreffen. Dementsprechend ist der Individualisierungs- und Differenzierungsgrad in urbanen Räumen am stärksten ausgeprägt.

Im ersten Teil der Arbeit sollen Individualisierung und Differenzierung als allgemeine soziologische Begriffe expliziert werden. Innerhalb dieser Darstellung wird Individualisierung anhand von drei unterschiedlichen Dimensionen erläutert, welche die Wirkung der gesellschaft-lichen Modernisierung auf den Einzelnen beleuchtet. Anschließend wird der Sachverhalt der sozialen Differenzierung erklärt. Es werden drei Typen von Differenzierung vorgestellt, welche sich in unterschiedlichen Gesellschaftsformen verorten lassen. Ebenso wird deutlich gemacht, dass der Sachverhalt der Individualisierung in enger Korrelation zu dem der Differenzierung steht.

Im zweiten Teil der Arbeit soll die vertikale Differenzierung behandelt werden. Nachfolgend werden ihre Folgen problematisiert, die sich aus dem Drang des Einzelnen nach individueller Autonomie und der Beschaffenheit der Stadt als gedrängten Raum ergibt. Es wird deutlich, dass die Stadt integrativer Kräfte bedarf, welche die ungleichartigen Teile als System zusammenhalten.

Im dritten Teil sollen Integration und funktionale Differenzierung des Stadtsystems in Augenschein genommen werden. Zunächst werden zwei Blickwinkel thematisiert, welche die Stabilität der Stadt auf unterschiedliche Weise herleiten. Anschließend wird die integrative Kraft der Stadt anhand einer sozialen Grammatik herausgestellt, welche die Kernprozesse der Stadt ins Auge fasst. Schlussfolgernd wird in diesem Teil der Arbeit darauf eingegangen, inwiefern die funktionale Differenzierung zur Integration des Gesellschaftssystems beiträgt, und welche Maßnahmen getroffen werden, um die gesellschaftlichen Unterschiede insgesamt miteinander zu arrangieren.

2. Individualisierung und Differenzierung

Bevor Individualisierung und Differenzierung im konkreten Zusammenhang mit urbanen Räumen näher betrachtet werden, sollen die beiden Begrifflichkeiten zunächst vom allgemeinen soziologischen Verständnis her erläutert werden. Darüber hinaus sind beide Begriffe natürlich auch in dieser Erläuterung nicht unabhängig von Stadt zu denken, da die räumliche Dimension soziologischer Betrachtung zumeist in urbanen Räumen stattfindet. Zunächst soll der Begriff der Individualisierung erläutert werden.

2.1 Individualisierung

Individualisierung ist ein Prozess: „bei dem die Biographie des Menschen aus traditionalen Vorgaben und Sicherheiten, aus fremden Kontrollen und überregionalen Sittengesetzen herausgelöst, offen, entscheidungsabhängig und als Aufgabe in das Handeln jedes Einzelnen gelegt wird. Die Anteile der prinzipiell entscheidungsverschlossenen Lebensmöglichkeiten nehmen ab, und die Anteile der entscheidungsoffenen, selbst herzustellenden Biographie nehmen zu. Normal-biographie verwandelt sich in Wahlbiographie.[1]

Mit dieser Erklärung trifft Ulrich Beck grundlegend den Kern der Aussagen vieler prominenter Individualisierungstheoretiker wie Marx, Simmel, Weber und Elias.[2] Beck nennt 3 Dimensionen die mit dem Individualisierungsbegriff verbunden sind.

2.1.1. Freisetzungsdimension

Diese erste Dimension der Individualisierung umfasst die Herauslösung des Individuums aus den traditionellen Hörigkeitsverhältnissen.[3] Der Arbeiter wird innerhalb dieses sozialen Wandels aus den traditionalen, feudalen Bindungen und Abhängkeitsverhältnissen herausgelöst und findet sich mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich eigenständig über den Verkauf seiner Arbeitskraft seine Existenzgrundlage zu sichern.[4] Das Individuum definiert seine Einzigartigkeit in der Moderne demnach nicht mehr in von außen festgelegte Strukturen sondern durch die unabhängige Entscheidung in bestimmten Funktionssystemen durch Inklusion teilzunehmen. Inklusion beschreibt die Relevanz der Teilnahme eines sozialen Akteurs an den systemspezifischen Kommunikationszusammenhängen eines Funktionssystems.[5] Indem wir jedoch auf so vielfältige Weise in unterschiedliche Systeme verankert sind, erhöht sich auch die Anzahl der sozialen Kreise, in denen wir teilnehmen. Was in der Außenperspektive die Einzigartigkeit unserer Identität durch das immer komplexere Netz aus Systemen und sozialen Kreisen sicherlich erhöht, führt in der Innenperspektive des Individuums zu Identitätsproblemen.[6] Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die Teilnahme an immer mehr sozialen Systemen dafür sorgt, dass deren Relevanz für das Individuum abnimmt, und die Interaktionen als lediglich funktional und oberflächlich charakterisiert werden können.

2.1.2 Entzauberungsdimension

Die Entzauberungsdimension beschreibt die Auflösung der traditionalen, mythischen Systeme der Welterklärung innerhalb der Gesellschaft. Dies ist vor allem der Aufklärung zu verdanken.[7] Infolge der damit einhergehenden Rationalisierung findet sich das Individuum mit einem höheren Maß an Entscheidungsautonomie vor.[8] Individuelles Handeln wird immer mehr von Zweck- anstatt von Wertrationalität bestimmt. Dies wird dadurch deutlich, dass der Erfolg oder Misserfolg einer Handlung nicht durch das Ausmaß der Befolgung von sozialen Normen und herrschender moralischer, Grundsätze bestimmt wird, sondern durch die erreichte soz. Position, das Einkommen, die geschickte Befolgung von Marktgesetzen und bürokratischen Regeln.[9] Das größere Ausmaß an Autonomie und sich auflösender Determiniertheit von außen machen sich für das Individuum als Sinnentleerung und Anomie der Wahrnehmung seiner Umwelt und seines Seins bemerkbar.[10]

2.1.3. Kontroll- und Reintegrationsdimension

Die Kontroll- und Reintegrationsdimension erklärt, dass sich das, in der ersten Dimension, freigesetzte Individuum nicht in einem regel- und strukturlosen Raum wiederfindet, sondern lediglich eine neue Form der Institutionalisierung und Standardisierung des Lebens stattfindet.[11] Die Logik sozialer Integration wandelt sich weg von den traditionalen Strukturen sozialer Kontrolle und Immobilität hin zu den modernen, rationalen, marktvermittelten Austauschbeziehungen, einer einfacheren Mobilität zwischen sozialen Schichten, und bürokratischen Organisationen.[12] Im Zuge der Institutionalisierung wurden unter rationalen Maßstäben für alle Bevölkerungsschichten gültige Regelungsinstanzen angelegt, welche in der Institution des modernen Staates (Bildung, Sozialpolitik), der kapitalistischen Marktwirtschaft (Güter- und Arbeitsmarkt), der bürgerlichen Familie und der Einheiten der korporativen Struktur (Vereine, Verbände), welche nun die Regulierung sozialer Prozesse und menschlicher Lebensläufe übernehmen, vorkommen.[13] Um sich in der individualisierten Gesellschaft zu behaupten, muss das Individuum, sich an den Institutionen orientierend, selbstverantwortlich Entscheidungen treffen.[14] Hiermit wird deutlich, dass der Einzelne nicht länger in traditionalen Gemeinschaften aufgehoben und abgesichert ist.[15]

Die neuen Institutionen und Normen welche für das Individuum den Handlungsrahmen darstellen, um sich nach seinen Wünschen relativ frei zu entfalten, erzeugen auf der anderen Seite das Gefühl, abstrakten und anonymen Verbänden oder Organisationen ausgeliefert zu sein.[16]

Abschließend kann festgestellt werden, dass sich das Individuum, nach dem Prozess der Modernisierung mit anderen Normen und einem starken Wegfall von universellen Werten konfrontiert sieht. Das Resultat dieser Entwicklung stellt eine grundsätzliche Zunahme von Freiheiten dar, die jedoch auch mit Nebenwirkungen behaftet sind, mit denen sich der Einzelne arrangieren muss.

Der Prozess der Individualisierung korreliert eng mit der Ausdifferenzierung des Gesellschaftssystems, was im folgenden Abschnitt beschrieben wird.

2.2 Soziale Differenzierung

Während die Individualisierung die zunehmende Vielfältigkeit der Identitäten sozialer Akteure auf der Mikroebene der Gesellschaft bezeichnet, beschreibt die soziale Differenzierung die Unterscheidung der Gesellschaft in Systeme auf der Makroebene. Beide Ebenen stehen jedoch in Wechselwirkung zueinander, wodurch zum einen der Zusammenhang zwischen Sozialstruktur und individuellem Handeln verdeutlicht wird, zum anderen implizit aber auch der Zusammenhang zwischen Individualisierung und Differenzierung. Eine Korrelation dieser beiden Sachverhalte wird bereits dadurch deutlich, dass eine Implikation der Individualisierung die Annahme des sinkenden Einflusses sozialstruktureller Merkmale auf Handeln und Einstellungen der Menschen darstellt.[17] Somit kann Individualisierung aus strukturtheoretischer Sicht auch als Differenzierungsprozess verstanden werden.[18] Im weiteren Verlauf der Arbeit soll diese Korrelation zwischen Individualisierung und Differenzierung natürlich noch eingehender betrachtet werden.

[...]


[1] Huinink 2004: 22 (vgl. Beck/Beck-Gernsheim 1990: 12f).

[2] Ebd.

[3] Huinink 2004: 22.

[4] Ebd.

[5] Nassehi 2002: 223.

[6] Huinink 2005: 23.

[7] Huinink 2005: 25.

[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] Huinink 2005: 25.

[11] Ebd.

[12] Ebd.

[13] Huinink 2005: 26.

[14] Ebd.

[15] Ebd.

[16] Ebd.

[17] Simonson 2004: 2.

[18] Simonson 2004: 2.

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Individualisierung und Differenzierung in urbanen Räumen
Université
University of Bremen
Cours
Stadt- und Regionalsoziologie
Note
1,0
Auteur
Année
2006
Pages
19
N° de catalogue
V77293
ISBN (ebook)
9783638825306
ISBN (Livre)
9783638825733
Taille d'un fichier
455 KB
Langue
allemand
Mots clés
Individualisierung, Differenzierung, Räumen, Stadt-, Regionalsoziologie
Citation du texte
Andreas Tesch (Auteur), 2006, Individualisierung und Differenzierung in urbanen Räumen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77293

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