Die Familienbeziehungen in Thomas Bernhards Prosa am Beispiel von 'Korrektur' und 'Auslöschung'


Seminararbeit, 2007

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1. Die Familienbeziehungen der Romanfiguren
1.1. Korrektur
1.1.2. Altensam und die Eltern
1.1.2. Die Schwester
1.2. Auslöschung

2. Parallelen zwischen den Familienbeziehungen in Thomas Bernhards Werken und seiner eigenen Biografie

3. Fazit

Literatur

Einleitung

Die Prosawerke Thomas Bernhards sind schonungslose Darstellungen gescheiterter Existenzen. Verbitterung, Verzweiflung und Hass auf die ganze Welt sind die vorherrschenden Emotionen der Protagonisten, und Bernhard macht oftmals unmissverständlich deutlich, wer für die psychische Verfassung seiner Hauptfiguren hauptverantwortlich ist: Es sind ihre Familien, die seit ihrer Kindheit eine furchtbare Macht über sie ausüben und sie auch im Erwachsenenalter niemals endgültig freigeben.

Die vorliegende Arbeit soll die komplizierten Familienbeziehungen in Bernhards Romanen am Beispiel der beiden Werke Korrektur und Auslöschung verdeutlichen und sich mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern die Darstellung der familiären Strukturen Parallelen zu Bernhards eigenem Leben aufweist.

Zu diesem Zweck sollen die beiden Werke zuerst relativ unabhängig voneinander im Hinblick auf die in ihnen dargestellten Familien­beziehungen untersucht werden. Im Anschluss daran soll der Versuch unternommen werden, die gewonnenen Erkenntnisse mit Bernhards Biografie in Verbindung zu setzen, um herauszufinden, in welchem Maße das Familienbild in seinen Romanen durch seine eigene Geschichte beeinflusst wurde.

1. Die Familienbeziehungen der Romanfiguren

1.1. Korrektur

1.1.2. Altensam und die Eltern

Das Familienanwesen Altensam ist für Roithamer hauptsächlich mit negativen Erinnerungen verbunden. Sein Vater hat „eine Fleischers-tochter zu Gebärwerkzeug für seine Nachkommen“[1] gemacht und damit den kulturellen Niedergang Altensams heraufbeschworen. Vier Erben werden in die Welt gesetzt, damit der Fortbestand Altensams gesichert ist, jedoch werden diese in der Tat nur wie Erben und weniger wie Kinder behandelt. Und gerade Roithamer fühlt sich von keinem seiner Elternteile akzeptiert. Zwar stehen sein Vater und er auf der gleichen Seite, wenn es gemäß der familiären Unterteilung in „Altensamer“ und „Eferdinger“ gegen die Mutter geht, aber sobald dieses Zweckbündnis nicht mehr notwendig ist, wendet sich der Vater wieder den ihm mehr entsprechenden anderen Söhnen zu. Von seiner Mutter

zeichnet Roithamer das abstoßende Bild einer verwahrlosten Frau, die im Schlafrock der längst verstorbenen Schwiegermutter (oh, diese Passion der Bernhard-Protagonisten für die Textilien Verstorbener!) durch Altensam schlurft: ewig ältlich, schlampig gekleidet, ohne Strümpfe, in halb zugeknöpften Schuhen, humpelnd, kränkelnd, von Geschwüren geplagt, in einem „unnatürlichen“ (so der Vater) und „abstoßenden“ (so der Sohn) „Verwahrlosungszustand“.[2]

Zudem schmiert sich die Mutter regelmäßig mit teuren Cremes und Duftwässern ein, riecht jedoch trotzdem ausgesprochen schlecht, wie Roithamer immer wieder hervorhebt.

Trotz oder gerade wegen dieses erbärmlichen Zustandes kontrolliert sie alle anderen Familienmitglieder und schränkt willkürlich deren Freiheiten ein. Pfabigan beschreibt dies als die „erpresserische Macht kranker Mütter“[3]. Diese Macht äußert sich unter anderem darin, dass „die Eferdingerin“ ihrer Familie die Beschäftigung mit Büchern und anderen Schriften untersagt. Nach Roithamers Meinung ist sie als Frau „naturgemäß“ ungebildet, da „das weibliche Geschlecht über eine erste Willigkeit zum Geistigen nicht hinauskommt“[4]. Sie hat also absolut kein Verständnis für sein Interesse an literarischen Studien und aus diesem Unverständnis resultiert ihre Angst, die Literatur könne ihren Status in Altensam bedrohen: Wenn sie als Matriarchatin ungebildet ist, hat auch der Rest der Bewohner ungebildet zu bleiben.

Kultur und Weiblichkeit schließen sich wie oben angedeutet für Roithamer gegenseitig aus. Pfabigan zieht daraus den Schluss:

Die Entscheidung für die Kultur ist eine gegen das Weibliche. Doch die Fixierung von Bernhards Protagonisten auf die Mutter (und die Schwester) hat noch eine andere wesentlich Funktion in ihrer Selbstdarstellung: nur selten kommen sie zum Trieb. Die frühkindliche Verurteilung der Frau dient den meisten als Alibi einer lebenslänglichen sexuellen Indifferenz zumindest dem Weiblichen gegenüber, die häufig als Merkmal der Geistesmenschen gepriesen wird.[5]

Die Fixierung auf die Mutter ist dabei eine durchgehend negative, während die Schwester für Roithamer zum Objekt seiner schon als krankhaft zu bezeichnenden Liebe wird. Allerdings lässt sich auch erkennen, dass Roithamer lebenslang um die Zuneigung seiner Mutter wirbt und sie immer wieder besucht, die beiden sich jedoch ebenso regelmäßig im Streit wieder trennen. Ihre Beziehung zueinander ist geprägt von einer zerstörerischen Hassliebe, und es ist wohl als Selbstschutz vor gegenseitigen Verletzungen zu werten, dass beide sich schließlich für den Hass entscheiden.

Roithamers Kindheit und Jugend in Altensam ist geprägt von dem Gefühl nicht erwünscht zu sein, und seine Versuche, sich selbst durch die Literatur einen Ausgleich zu schaffen, werden von der Mutter unterbunden. Diese psychische Last trägt er noch in seinem Erwachsenenleben mit sich und selbst der Tod der Eltern wirkt dabei nicht befreiend. Roithamer ist der Meinung, sein Vater habe ihm Altensam nur deshalb vererbt, weil er gewusst habe, dass er mit dieser Handlung sowohl seinen Sohn als auch Altensam der Zerstörung ausliefere. Es wird ihm also eindeutig eine zutiefst bösartige Gesinnung unterstellt. Und Roithamer folgt dann auch der angeblichen Intention seines Vaters: So stellt der Bau des Kegels unter anderem eine bewusste Vernichtung des Familienvermögens dar und eine große Geldsumme soll ehemaligen Strafgefangenen zukommen. All diese Handlungen stehen im Dienste eines großen Ziels: Roithamer will seine Vergangenheit aufarbeiten und damit endlich hinter sich lassen. Das Kernstück dieses Aufarbeitungs­prozesses stellt seine Studie über Altensam dar, mit der er jedoch nie zufrieden ist. Immer und immer wieder kürzt und „korrigiert“ er sie, bis letztlich nur noch eine lose Sammlung von Zetteln und Stichpunkten übrig bleibt. Roithamer ist gescheitert, er hat es nicht geschafft, seinen „Herkunftskomplex“ zu überwinden. Pfabigan sieht den Grund hierfür in der Tatsache, dass Roithamer in seiner Studie etwas zu fixieren versucht, „was noch nicht da ist, nämlich jene Selbsterkenntnis, die erst Murau erreichen wird.“[6] Am Ende bleibt ihm nur die endgültige Korrektur seiner Existenz in Form des Selbstmordes. Ob man jedoch später bei Murau tatsächlich von Selbsterkenntnis und Überwindung des Familien­komplexes sprechen darf, muss im weiteren Verlauf der Arbeit noch geklärt werden.

1.1.2. Die Schwester

Roithamer ist von der Liebe zu seiner Schwester geradezu besessen. Sie „ist die Gegenfigur zur bösen, geistlosen Mutter. Immer bereit, dem Bruder Gehör zu schenken und auf seine geistigen Interessen einzugehen, verkörpert sie für ihn jene liebevolle Anteilnahme, die seine Gebärerin ihm stets verweigert hat.“[7]

Für sie realisiert er das vom Rest der Welt als unmöglich angesehene Bauprojekt eines Wohnkegels mitten in einem dichten Wald. Dieser Kegel soll ihr vollständig entsprechen, die Baupläne basieren nach Aussage Roithamers auf einer eingehenden Betrachtung und Studie seiner Schwester. Dabei bleibt die Figur dieser Schwester vollkommen schemenhaft, der Leser weiß fast nichts über sie. Endres bemerkt zu ihr:

[Bernhards] Frauen haben keine Namen. [...] Am auffälligsten ist ihre Schemenhaftigkeit im Roman Korrektur. Die geliebte Schwestergestalt ist jeder Sinnlichkeit entrückt. Ihre leerformelhafte Fetischisierung ist aber notwendig, um sie in ihrer unumstößlichen Passivität zu erhalten. Der Bruder baut ihr das Mahnmal seiner Liebe, den Kegel. Die Schwester wird in die Rätselhaftigkeit des Kegels hineinanalogisiert. Ihre „innere Architektur“ soll im Kegel bildhaft werden.[8]

Sowohl Endres als auch Tabah sehen in Roithamers Verhältnis zu seiner Schwester inzestuöse Tendenzen, die sich m. E. am Text nicht direkt belegen lassen, auch wenn sie schließlich nicht eindeutig von der Hand zu weisen sind. Pfabigan meint im Vokabular der Beschreibung des Kegels als Phallussymbol jedoch klare Belege für diese Theorie zu finden.[9] Ausgehend von dieser Annahme sehen alle drei in dem Wohnkegel eine Substitution des verbotenen sexuellen Kontaktes, und Endres erkennt in der Inzestthematik auch einen Zusammenhang mit dem plötzlichen Tod der Schwester beim Anblick des Kegels:

Das Inzesttabu hat die Sexualität nicht zugelassen, der Kegel, konstruiert als mathematischer Phallus, läßt die Schwester bei seinem Anblick sofort sterben. [...]

Die innere Ordnung der Schwester (in Analogie gesetzt ist die innere Ruhe des Kegels) soll die unordentliche Beziehung endgültig zum Stillstand kommen lassen. [...] Der Kegel ist ein Gefängnis (fensterlos). In ihm ist kein Leben. Er ist ein Todesprodukt. [...] Es ist das paradoxe Territorium des Liebestodes.[10]

Bezeichnend ist die Verwendung des Begriffes Gefängnis. In der Tat ist der von Roithamer gebaute Kegel alles andere als wohnlich, er ist klinisch, kalt und leer, wie Roithamers eigene Beschreibung eindrucksvoll verdeutlicht: Ein dreigeschossiges (einschließlich des Erdgeschosses vierstöckiges) Gebäude mit weiß gekalkten Wänden, dessen „Ausblicke“ sich nicht öffnen lassen und dessen Räume ohne feste Bezeichnung und ohne Möblierung bleiben sollen.[11] Auch Pfabigan ist der Ansicht, dass der Kegel die der Schwester zugeschriebenen positiven Merkmale vollkommen negiert und demnach Roithamers Intention, ein ihr entsprechendes Gebäude zu konstruieren, nicht im Geringsten gerecht wird.[12] So drängt sich der Verdacht auf, dass Roithamer sich zwar einredet, seine Schwester mit dem Kegel glücklich machen zu wollen, sein eigentliches Ziel aber darin besteht, seine Schwester einzusperren um sie endgültig zu besitzen. Zudem beschreibt er selbst sein Vorhaben, seine Schwester ein- bis zweimal pro Jahr zu besuchen und „sie und den Kegel und diese beide zusammen in ihrem Verhältnis [zu] beobachten und [zu] studieren“. Letzten Endes ist der Bau des Kegels also als ein vollkommen eigennütziges Unternehmen zu werten. Dies hat auch Endres bemerkt:

Der Kegel ist als Kultstätte konzipiert. Die Konstruktion soll die Schwester idealisieren. Sie wird zur Heiligen. Ihre passive Repräsentanz ist fern und ungefährlich. Die Schwester lebt nicht. Um aber ganz sicher zu sein, dass sie nicht lebt, wird sie vom Bruder in einem symbolischen Sexualakt (der Kegel hüllt in seinem phallischen Charakter das Weibliche ein) getötet. Die archetypischen Eigentumsvorstellungen werden unerschrocken in die Texte eingeschrieben. Der Tod der Schwester ist paradoxerweise die einzige Möglichkeit, sich gegen den Bruder zu wehren, und sei es nur für einen Augenblick[13]

[...]


[1] Endres, 1980, S 64

[2] Pfabigan, 1999, S 184

[3] Pfabigan, 1999, S 184

[4] Korrektur, S 317

[5] Pfabigan, 1999, S 186

[6] Pfabigan, 1999, S 182

[7] Tabah, 1995, S 154

[8] Endres, 1980, S 98f

[9] Pfabigan, 1999, S 194

[10] Endres, 1980, S 68f

[11] Korrektur, 1988, S 220ff

[12] Pfabigan, 1999, S195

[13] Endres, 1980, S 99

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Familienbeziehungen in Thomas Bernhards Prosa am Beispiel von 'Korrektur' und 'Auslöschung'
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Thomas Bernhard - Romane
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V77448
ISBN (eBook)
9783638828277
ISBN (Buch)
9783638853927
Dateigröße
441 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Familienbeziehungen, Thomas, Bernhards, Prosa, Beispiel, Korrektur, Auslöschung, Thomas, Bernhard, Romane
Arbeit zitieren
Kathrin Fehrholz (Autor:in), 2007, Die Familienbeziehungen in Thomas Bernhards Prosa am Beispiel von 'Korrektur' und 'Auslöschung', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77448

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