Globalisierung als gesellschaftliche Narration

Exposé einer narrativen Analyse des Globalisierungsdiskurses


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2007

16 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

A GLOBALISIERUNG ALS GESELLSCHAFTLICHE NARRATION

B EXPOSÉ EINER NARRATIVEN ANALYSE DES GLOBALISIERUNGS-DISKURSES
I. DIE METHODOLOGIE
II. DIE FRAGESTELLUNG
III. DER DISKURSBEGRIFF
IV. DIE METHODE

C FAZIT

LITERATURVERZEICHNIS

Einstiegsliteratur für den Globalisierungsdiskurs

A GLOBALISIERUNG ALS GESELLSCHAFLICHE NARRATION

Auf den ersten Blick erscheint die Globalisierung als natürliche Entwicklung und historisches Fakt der Menschheitsgeschichte. Doch mit etwas Abstand handelt es sich nur um eine mögliche Geschichte die Welt sinnhaft zu erzählen, d.h. um eine Narration von vielen. Globalisierung, wie wir sie verstehen, ist ein Klischee, aber eines mit ungeheurer Wirkung: Weil wir glauben, dass auf der ganzen Welt alles eins wird und durch diesen Filter Unterschiede nicht mehr wahrnehmen können, verhalten wir uns auch so.[1] Das Klischee der Globalisierung ist mittlerweile so verankert in der Alltagswahrnehmung, dass es nicht mehr ernsthaft hinterfragt wird. Der Globalisierungs-Diskurs ist damit ein Paradebeispiel dafür, wie über den sozialen Diskurs die gesellschaftliche Wirklichkeit konstruiert und legitimiert wird. Der Begriff Globalisierung eignet sich scheinbar besonders gut, um der modernen Geschichte der Menschheit Sinn zu verleihen. Es handelt sich dabei um ein genügend vages Schlagwort, damit es ein nicht fassbares Phänomen bleibt. Der Begriff verbirgt dennoch eine positive Zukunftsvision, indem er eine progressive Fortentwicklung der Menschheit suggeriert. Es ist dies der lang gehegte Traum von der Einheit in der Vielfalt. Die Menschheit erreicht demnach in der Globalisierung ihre Bestimmung, ihren zivilisatorischen Höhepunkt – und krönt sich selbst. All dies erscheint als nur allzu logische Konsequenz der menschlichen Entwicklung und wird ermöglicht durch den wissenschaftlich-technologischen Fortschritt. Die neuen Informationstechnologien und die weltweite Vernetzung ermöglichen das Zusammenwachsen der verschiedenen Kulturen auf dem Prinzip der Chancengleichheit über den freien Zugang zu den Märkten. All das in absehbarer, aber dennoch unbestimmter Zukunft. Dies ist die positive, die gute Seite des Begriffs. Gerade weil er aber auch die negative und dunkle Seite zu bedienen weiß, eignet sich der Begriff Globalisierung so hervorragend als Narration der modernen Menschheitsgeschichte. Überall lauern Gefahren - es entsteht eine neue elementare Unsicherheit in Form einer existentiellen Bedrohung durch die Ungewissheit. Wo Chancen sind, da sind immer auch Risiken. Wo Gewinner, da auch Verlierer und Betrüger. Mit dem Begriff werden also gleichzeitig Hoffnungen geweckt und Ängste geschürt. Es entsteht ein Zwang, nämlich der Zwang zur Handlung – auf dem Spiel steht das eigene Schicksal, die eigene Identität. Und jeder ist davon existenziell betroffen: » Globalisierung: das bedeutet: Die Welt wächst zusammen, und wer nicht mitmacht, verliert – Macht, Aufträge, Arbeitsplätze, Verbündete, ja, sogar Kultur und damit letztlich das Leben, an das wir uns gewöhnt haben. «[2]

Der Erfolg der Narration Globalisierung beginnt mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Ost-West Konflikts. Erst mit der Wende wird der Begriff benutzt und medial ausgefüllt. Er setzt sich durch gegen andere Schlagwörter wie Internationalismus, Transnationalismus oder Imperialismus. Er ersetzt das stabile Bild des Kalten Krieges und schafft damit ein neues Gut und Böse. Der Begriff gibt der Welt wieder Sinn, schafft Orientierung, füllt eine Leere. Er stülpt eine neue Ordnung über das frei gewordene Chaos. Aber er ist nur eine mögliche Interpretation der Welt von vielen und die Geschichte könnte auch anders oder gar nicht erzählt werden. Natürlich soll die Internationalisierung im Handel und auf Finanzmärkten hier nicht in Frage gestellt werden. Aber gibt es deswegen schon eine Entwicklung hin zu einer Vereinheitlichung der Welt? Wächst die Welt wirklich zusammen? Gibt es nicht im Gegenteil ein immer größeres Voneinander-Abgrenzen? Treten Unterschiede nicht immer deutlicher zutage, werden bestehende Klüfte nicht sogar tiefer?

Die transnationale Entwicklung der Welt hat jedenfalls schon lange vor der heutigen Zeit begonnen. Mit der Entdeckung Amerikas 1492 dehnte sich die Wirtschaft über den eurasischen Raum hinaus aus, es begann die Internationalisierung des Handels. Auch damals schon ging es um Geschäfte und Märkte. Und betrachtet man das heutige Geschehen in der internationalen Wirtschaftswelt genauer, so lässt sich feststellen, dass es sich im Wesentlichen auch heute noch auf die damaligen drei Regionen beschränkt, nämlich auf Europa, Asien und die USA.[3] Der Löwenanteil der größten multinationalen Konzerne der Welt entstammt immer noch diesem Block. Auf das Konto dieser Konzerne gehen dann wiederum rund 90 % aller Auslandsdirektinvestitionen. Und davon sind schließlich um die 40 Prozent nur scheinbar dem globalen Handel zuzurechnen, da es sich um sog. interfirm trades[4] handelt. All dies widerspricht also den für die Globalisierung so zentralen Hypothesen von einer zunehmenden Ausbreitung des Kapitals über alle Grenzen hinweg sowie von globaler Angleichung. Das Kapital scheint eher exklusiv zu zirkulieren und auch von Chancengleichheit ist nur wenig zu sehen. Alles nur ein Märchen? Es bestehen jedenfalls ausreichend Zweifel, um die Narration Globalisierung kritisch zu hinterfragen. Wie jede Erzählung von Welt ist auch sie mythisch, da sozial konstruiert. Einmal etabliert, färbt sie unsere Wahrnehmung. Nicht in erster Linie Fakten lassen uns demnach an die Globalisierung glauben – sondern Angst vor dem Neuen und Ungewissen, dem Fall ins Nichts. Ihr Erfolg ist dennoch nicht zufällig, sondern beruht auf gewissen Gesetzmäßigkeiten von Macht und Interesse. Die Offenlegung dieser verborgenen Kräfte hinter der Erfolgsstory ist das Ziel einer narrativen Diskursanalyse der Globalisierung.

B EXPOSÉ EINER NARRATIVEN ANALYSE DES GLOBALISIERUNGS-DISKURSES

I. DIE METHODOLOGIE

Diskursanalytische Ansätze sind in der sozialwissenschaftlichen Methodendiskussion bisher eher randständig geblieben - und auch andersrum gilt, dass die methodologische Debatte in der Diskurstheorie noch ziemlich unterentwickelt ist.[5] Die Diskurstheorie selbst trägt starke strukturalistische Züge in sich. Doch neben der Struktur prägt auch die Handlung der Subjekte, denen zumindest ein gewisser Grad an Autonomie zugestanden werden muss, die soziale Wirklichkeit. Die Herausforderung in methodologischer Hinsicht besteht demnach vor allem darin, einen Ansatz zu entwickeln, der die beiden Ebenen sinnvoll miteinander verknüpft.[6]

Eine Diskursanalyse ist im Allgemeinen ein erklärender Ansatz, im Gegensatz zur Hermeneutik als einem verstehenden Ansatz. In der vorliegenden Arbeit soll zwar in erster Linie erklärt werden, welche Machtmechanismen sich hinter der Narration Globalisierung verbergen – es ist also eine vorurteilsfreie Herangehensweise sowie ausreichend Distanz zum Diskurs notwendig. Es besteht jedoch auch ein grundlegendes Erkenntnisinteresse durch die übergreifende Frage dieser Arbeit, ob und inwieweit die Narration Globalisierung überhaupt zutrifft. Es geht also sowohl darum, den Erfolg dieser Narration und damit die gesellschaftliche Wirklichkeit diskursanalytisch zu erklären, als auch darum sie hermeneutisch zu verstehen - wobei das erklärende Moment in Form der Diskursanalyse eindeutig im Vordergrund steht. Auf den ersten Blick mögen vielleicht Bedenken bezüglich einer Kombination dieser beiden Ansätze erscheinen, aber auf der Ebene der konkreten Textbearbeitung ist der Gegensatz zwischen Hermeneutik und Diskurstheorie laut Anne Waldschmidt dann gar nicht so groß.[7] Es kommt dabei nämlich in erster Linie auf die richtige Methodik an.

Eine sinnvolle Kombination dieser beiden Ansätze auch auf methodologischer Ebene erlaubt das Verfahren der narrativen Diskursanalyse nach Willy Viehöver[8], indem es an den hermeneutischen Strukturalismus Paul Ricouers[9] anknüpft. Viehöver ergänzt in seinem Ansatz das Diskursmodell Ricoeurs um das Konzept der Narration, um es für soziologische Analysen fruchtbar zu machen. Eine Narration ist gewissermaßen eine Interpretation der Wirklichkeit in Form einer Erzählung. Das Erzählen von Narrationen ist dabei zu verstehen als » Prozess der Narrativiserung […], in dem Ereignisse, Personen, Objekte oder Handlungen von individuellen oder kollektiven Akteuren zu einer bedeutungsvollen Narration konfiguriert werden. «[10] Eine Narration ist also letztlich zu verstehen als das Ergebnis einer sinnstiftenden Narrativisierung von Ereignissen. Um den Text als zentrales Dokument der Analyse nicht von der sozialen Praxis abzukoppeln, verweist Viehöver auf die Bedeutung der sozialen Akteure für die Praxis der Narrativisierung.[11] Damit ist gleichzeitig dem für diese Arbeit gefordertem Kriterium einer sinnvollen Verknüpfung von Handlung und Struktur genügend Folge geleistet. Der Ansatz einer narrativen Diskursanalyse wird beiden Ebenen gerecht, indem er den gesellschaftlichen Diskurs als einen virtuell konflikthaften Prozess versteht, » in dem unterschiedliche Akteure als Diskurskoalitionen auftreten können – die Rollen als Sprecher und Rezipienten (Interpreten) dabei ständig wechselnd – und um die Dominanz und Anerkennung ihrer spezifischen, in der Narration konfigurierten Deutungsordnung ringen. «[12] Dieser Kampf der Akteure (Diskurskoalitionen) um Deutungsmacht findet natürlich innerhalb der herrschenden Ordnung bzw. Struktur statt – Struktur und Handlung prägen sich wechselseitig. Die narrative Diskursanalyse eignet sich durch diese Verknüpfung von Handlung und Struktur sowohl zur Erklärung von gesellschaftlicher Stabilität als auch von sozialem Wandel. Dies ist insofern für die vorliegende Arbeit von zentraler Bedeutung, als geklärt werden soll, inwieweit die Narration Globalisierung an die bestehende Ordnung anknüpft und diese stabilisiert, aber auch inwiefern sie die soziale Ordnung transformiert hat. Nur die Akteure können durch ihr Handeln die Narrationen im Diskurs für Innovationen und Transformationen öffnen – oder eben auch nicht. Eine Narration kann nach Viehöver nämlich unterschiedliche Funktionen einnehmen, die von der sozialen Integration, der Distinktion sozialer Kollektive oder deren Mobilisierung, bis hin zur Transformation bestehender (Wissens-) Ordnungen reichen. Welche Funktion die jeweiligen Narrationen in einem Diskurs dann auch immer einnehmen, im Widerstreit dieser Narrationen kristallisiert sich letztlich die gesellschaftliche Ordnung heraus. Die Narrationen prägen dabei unser Bewusstsein, unsere Wahrnehmung und somit auch die soziale Praxis. So schreibt Viehöver: » Das Prinzip der Narrativisierung schafft – in pragmatischer Perspektive – Modelle für die Welt, greift in die Praxis hinein und macht die Dinge im performativen Akt des Erzählens überhaupt erst kommunikabel. «[13] Entscheidend für den Erfolg einer Narration ist dann insbesondere die narrative Form. Eine Narration muss in der richtigen Weise erzählt werden, um Gegensätze in unserer von Dualität geprägten Welt vermitteln zu können. Die erfolgreiche Vermittlung dieser Gegensätze ist von entscheidender Bedeutung, da sie letztlich immer auch auf reale Konflikte in der Gesellschaft verweisen.

[...]


[1] Vgl. Lotter W./Sommer C. : Einmal große Welt und zurück, 2001

[2] Lotter W./Sommer C. : Einmal große Welt und zurück, 2001, S.74

[3] Vgl. Lotter W./Sommer C.: Einmal große Welt und zurück, 2001, S.79

[4] D.h. Transaktionen, die innerhalb eines globalen Konzerns über die Grenzen hinweg abgewickelt werden. Meist zwischen Tochtergesellschaften.

[5] Vgl. Keller, R./Hirseland, A./Schneider, W./Viehöver, W.: Diskursanalyse, 2001

[6] Vgl. Waldschmidt, A.: Werkzeugkasten der Diskursanalyse, 2003, S.148-152

[7] Waldschmidt, A.: Werkzeugkasten der Diskursanalyse, 2003, S.150

[8] Vgl. Viehöver, W.: Diskurse als Narrationen, 2001

[9] Vgl. Ricoeur, P.: Text als Modell, 1972

[10] Viehöver W.: Narrative Diskursanalyse, 2003, S.236

[11] Viehöver, W.: Diskurse als Narrationen, 2001, S.178 ff

[12] Viehöver W.: Narrative Diskursanalyse, 2003, S.237

[13] Viehöver W.: Narrative Diskursanalyse, 2003, S.237

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Globalisierung als gesellschaftliche Narration
Sous-titre
Exposé einer narrativen Analyse des Globalisierungsdiskurses
Université
LMU Munich  (Institut für Soziologie)
Cours
Hauptseminar: Diskurs und sozialer Wandel
Note
1,0
Auteur
Année
2007
Pages
16
N° de catalogue
V77450
ISBN (ebook)
9783638828307
ISBN (Livre)
9783638862172
Taille d'un fichier
553 KB
Langue
allemand
Mots clés
Globalisierung, Narration, Hauptseminar, Diskurs, Wandel
Citation du texte
Helmut Wagner (Auteur), 2007, Globalisierung als gesellschaftliche Narration, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77450

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