Oligopole im deutschen Recht - Die Oligopolvermutung


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2003

43 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Entstehung der Oligopolvermutung und relevanter Merkmale
1.2 Oligopole in der Fusionskontrolle / Politikumsetzung

2 Klärung des Gesetzeswortlaut §19 Abs.3 GWB
2.1 Theoretisches
2.2 Vermutungsvoraussetzungen
2.3 Die Beweislastumkehr

3 Wettbewerbstheorie
3.1 Warum Fusionskontrolle bei Oligopolen
3.2 Wettbewerbsverhalten im Oligopolmarkt
3.3 Klassifizierung des Wettbewerbs im Oligopol
3.4 Modell zum Wettbewerb im Oligopol
3.5 Das Gutenberg Oligopol als Reaktionsverbundenheitserklärung
3.6 Wettbewerbsverbesserungen durch Oligopolfusionen

4 Oligopolpraxis und Beispiele
4.1 Allgemeines
4.2 Der Klassikerfall: Blei- und Silberhütte Braubach
4.3 “Der Präzedenzfall”: Untersagung und anschließende Ministererlaubnis
4.4 Fallpraxis 2000: Oligopolvermutung im wachsenden Markt

5 Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die Oligopolvermutung des §19 Abs.3 GWB findet in der Fusionskontrolle über §36 Abs.1 GWB Anwendung. Der Absatz 2 enthält im eigentlichen Sinne keine Vermutung, erfaßt aber auch Oligopole, ohne sich an Marktanteilskriterien zu binden, um flexibel Marktanteile bewerten zu können. In den weiteren Ausführungen werde ich den Grundtatbestand des Oligopols §19 Abs.2 Satz 2 mit ansprechen, da er ebenso auf die Marktbeherrschung(-svermutung) im Oligopol abzielt und er sich im übrigen genauso wie §19 Abs. 3 GWB auf die Kriterien der überragenden Marktstellung stützt. Lediglich die Art der Beweisführung über diese Kriterien sind verfahrenstechnisch unterschiedlich (es gibt keine Beweislastumkehr nach Abs.2 Satz 2, sondern nur die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde nach erfolgter Amtsermittlung), laufen aber auf den gleichen Tatbestand hinaus – Marktbeherr-schung. Es handelt sich bei §19 Abs.3 Satz2 (vgl. §23a Abs.2 i.V.m. §22 Abs.2 und 3 Satz1 Nr.2 a.F.) um die qualifizierte Vermutung und bei Abs.2 Satz 2 (vgl. §23a Abs.1 i.V.m. §22 Abs.1-3 a.F.) um die Definition von Oligopolen.

Bis zur Einführung der qualifizierten Oligopolvermutung §23a a.F. mit der 4. Novelle 1980, die verschärftere(!)[1] Umsatzkriterien für die Geltung i.V.z. Missbrauchs-kontrolle hatte, wurde die Marktbeherrschung über §22 a.F. ermittelt.

1.1 Entstehung der Oligopolvermutung und relevanter Merkmale

Den Grundstein zur Einführung besonderer Vermutungen in der Fusionskontrolle hat die Monopolkommission mit ihrem 1.Hauptgutachten 1973/75 und den darauf folgenden gelegt.[2]

Sie bewertete die Kontrolle horizontaler Zusammenschlüsse positiv, die der vertikalen und konglomeraten sowie der oligopolistischen als verbesserungswürdig.

In der 2.Novelle 1973 wurde der Begriff der überragenden Marktstellung in §22 Abs.1 Nr.2 a.F. GWB eingeführt, der in der Fusionskontrolle über diese gesetzliche Fiktion zusätzlich die Marktbeherrschung bei Fusionsvorhaben erfaßt.[3]

Der neue Begriff betrachtet nun auch die Ressourcensicht der Unternehmen und wird in der Fusionskontrolle seine größte praktische Relevanz erlangen.

Im RefE. von 1968 waren noch keine Vermutungen enthalten, erst im Entwurf vom 20.03.1970 wurden erstmals Vermutungen ausschließlich für Oligopole verfaßt: bei 3 und weniger Unternehmen 60% und bei 6 oder weniger 80% Marktanteil, wobei Marktanteile von weniger als 10% nicht erfaßt werden sollten. Die 10% Klausel sollte die Vermutung auf Gleichgewichtssituationen beschränken. In einem späteren Entwurf (28.10.1970) wurde die Einzelmarktbeherrschungsvermutung mit 40% aufgenommen, jedoch wurden die Oligopolvermutungen mit der 10%-Klausel wieder gestrichen. Im Gesetz fand die Einzelmarktbeherrschung mit einem Marktanteil von 331/3% Aufnahme. Dies zeigt, daß der Gesetzgeber bei der Festlegung der Marktanteile relativ unmotiviert gehandelt und nicht fundiert begründet hat, warum er gerade diese Grenzen festgesetzt bzw. verändert hat, so daß eine ökonomische Interpretation der Marktanteile, auch in der jetzt geltenden Fassung, offen bleibt.[4] Mit der 4. GWB-Novelle, die 1980 durchgeführt wurde, kam die Oligopolvermutung mit den heutigen Marktanteilen als eine Verschärfung der Aufgreiftatbestände für die Fusionskontrolle neu hinzu. Sie sollte die alte Regelung ablösen, die sich als ungeeignet erwiesen hat, horizontale Zusammenschlüsse in engen Oligopolen zu beurteilen, da durch die Beweislastumkehr des §23a Abs.2 a.F. der Rückgriff auf §22 Abs.2 a.F. entbehrlich wurde.[5] Sie war zunächst nur für die Fusionskontrolle vorgesehen und wurde aber dann doch noch auf die Missbrauchsaufsicht im allgemeinen Marktbeherrschungsrecht ausgeweitet. Begründet wurde zunächst die Ablehnung der Einbringung der Oligopolvermutung mit dem Hinweis auf Art 86 EGV, dass das europäische Recht nichts vergleichbares im Gesetz beinhalte (BR-Drucks. 852/97). Geplant war eine Entlastung der Missbrauchsaufsicht durch die Einführung der Vermutungen, die aber im Endeffekt Mehraufwand in der Fusionskontrolle nach sich zog.[6]

In das Gesetz wurde die Beschränkung auf Fusionen mit zusammen 15 % MA (RefE. 10%) und je mehr als 150 Mio. DM Umsatz (RefE./RegE. 500 Mio. DM) eingeführt. Ebenso war im RegE. und RefE. zur 4.Novelle ein besonderer Untersagungstat-bestand für „gewichtige, besonders enge Oligopole“(Begründung zum RegE.) vorgesehen, der den Ausschluß von Binnenwettbewerb trotz aktuell wesentlichen Wettbewerbs unwiderleglich vermuten ließ, wenn der MA bei 3 oder weniger Unternehmen 50% und mehr erreichte. Umgesetzt wurde aber der Vorschlag des WiPolA, der die Widerlegung durch bestehenden Binnenwettbewerb zuließ.[7]

In der 5.Novelle von 1989 wurde dann der Tatbestand der überragenden Marktstellung (§19 Abs.2 Satz1 Nr.2 n.F.), auf die Fusionskontrolle abzielend (speziell Handelsbereich), noch weiter konkretisiert. Durch die überragende Marktstellung und deren Konkretisierung soll(te) die Untersagung bei Marktbeherrschung erleichtert werden, ohne wie im 3. Absatz (n.F.) Strukturmerkmale an Marktanteile zu binden bzw. eine Sektoralisierung vorzunehmen.[8] D.h. durch die Vorfeldwirkung der Kriterien sollte eine weitere Entlastung der Fusionskontrolle bezweckt werden.

In der 6.Novelle schließlich wurde noch das Merkmal - harmonisierend mit dem europäischen Recht - des tatsächlichen und potentiellen Wettbewerbs, sowie dessen Geltungsbereich eingefügt, die bei der Beurteilung von Fusionsvorhaben gerade im Oligopol von essentieller Bedeutung sind.[9]

Desweiteren sind die Umsatzschwellen in den Fusiontatbestandsparagraphen §35 übernommen worden.

Im übrigen ließ sich kein ersichtlicher Grund finden, warum bei der 6. Neunovellierung in §22 Abs.2 a.F. in der noch getrennten Missbrauchsaufsicht über Marktbeherrschung das Wort „gelten“ durch „sind“ ersetzt wurde, was einer m.E. keiner schärferen Formulierung entspricht.

1.2 Oligopole in der Fusionskontrolle / Politikumsetzung

Die Monopolkommission gibt in ihren Hauptgutachten eine Zusammenfassung sowie Empfehlungen hinsichtlich der Entwicklung der Konzentration in der deutschen Wirtschaft. Der aus Bundestag und –rat gebildete wirtschaftspolitische Ausschuß verarbeitet diese Informationen in den Gesetzesvorlagen, die im Bundestag(-rat) abgestimmt (Einspruch) und erlassen werden.

Der Konzeption nach folgt das Wettbewerbsrecht ja keinem politischen Ziel (wie wohl mit der Abstimmung schon Möglichkeiten gegeben sind) oder ausschließlich einem wettbewerbstheoretischen Einzelkonzept (Harvard oder Chicago school). Jedoch wurde per Gesetz (vgl. §§32,34,40,41, später zu Gunsten des BKartA modifiziert: §39) dem Bundeskartellamt ein großes Betätigungsfeld mit nicht unerheblichen Ermessensspielräumen (die meist nur durch eine Berufung begrenzt werden) eröffnet, die auch regelmäßig genutzt werden. Ein Beispiel für einen Ermessensspielraum ist die Bestimmung der überragenden Marktstellung anhand der undefinierten (i.S.v. zahlenmäßig nicht festgelegten – außer Marktanteil, aber selbst dieser auch fließend-vgl.Valium/Librium-Fall) Kriterien und des relevanten Marktes. Gleichfalls heißt es, theoretisch sollen Erlaubnisse, die durch den Bundeswirtschaftsminister ausgesprochen werden, politisch unabhängig sein, wie wohl jedem klar ist, daß der politische Alltag (Lobbyarbeit) sehr viel anders aussieht (z.B. vgl. Gründe der Erlaubnis bei der Fusion Daimler/MBB oder Veba/Gelsenberg).

Eine besondere Rolle bei Fusionsentscheidungen spielen sog. Aufholfusionen, die u.a. der WiPolA favorisierte. Da der angedachte Zweck, die Wettbewerbsverbes-serung (siehe auch Abschnitt 3.6), nicht immer eintritt, ist von einer Pauschalbeurteilung abzuraten.[10] So wendete BKartA z.B. den §24 Abs.1 a.F. i.d.R. nicht an, wenn durch den Zusammenschluß der Abstand zum Marktführer geringer wurde, was allerdings auf eine Gleichverteilung der Marktanteile hinauslief, in der wiederum hohe Reaktionsverbundenheit und ein geringer Preiswettbewerb herrschen können.

Das für den Gesetzgeber größte Problem in Oligopolen ist das Fehlen des Wettbewerbsparameter Preis: “Es wird vermutet, daß..., wenn die Unternehmen sich beim Fordern oder Anbieten von Preisen über einen längeren Zeitraum hinweg gleichförmig verhalten“[11]. Allerdings beurteilt m.E. das BKartA z.B. die Wettbewerbsgefahren beim Zusammenschluß gem. §36 Abs.2 Satz2 hinsichtlich der Mütter eines GU zu rigide („...so ist doch regelmäßig der Ausschluß von Binnenwettbewerb die Folge...“), da auch im europ. Recht dort Fallunterscheidungen (konzentrativ/kooperativ) gemacht werden (plakativ für gegensätzliche Entscheidungen von EGK und BKartA: MSG-Media-Service-Fall, WuW/E EV2231).[12]

Offensichtlich sollte auch in der 6.Novelle die Trennung der Missbrauchsaufsicht und der Fusionskontrolle durch die schärfere Formulierung des Abs.2 Satz2 a.F. aufrechterhalten werden („gelten“ bzw. „sind“ i.V.z. „vermuten“). Dies kommt auch durch den Aufbau §19 zum Ausdruck. In Abs.2 werden Ressourcenmerkmale aufgelistet bei deren Bestehen und gleichzeitigem Missbrauch ein sofortiges Verbot greift. Einem Ressourcenmerkmal mißt die MopoK und das BKartA besondere Bedeutung bei- der Finanzkraft (Merkmale siehe Anhang 2 und 3) wegen Abschreckungs- und Entmutigungseffekten aktuellen sowie potentiellen Wettbewerbs.[13] In Abs. 3 jedoch werden Strukturmerkmale (Hauptaugenmerk der Fusionskontrolle) widerlegbar definiert, bei denen Fusionen nicht erlaubt werden, die dann über die in der überragenden Marktstellung definierten Ressourcenmerkmale widerlegt werden können.

Das ist auch sinnvoll, da es bei der Missbrauchsaufsicht um eine kurzfristige bzw. zeitlich begrenzte Verhaltenskontrolle und bei der Fusionskontrolle um eine in die längerfristige bzw. mittelfristige Zukunft gerichtete Prognoseentscheidung der Wettbewerbsentwicklung (mit/ohne Fusion) geht. So beurteilt das BKartA selbst die strukturorientierte Fusionskontrolle als „das primäre Instrument, um Gefährdungslagen durch Oligopole zu verhindern“, da die Missbrauchsaufsicht nur punktuell und häufig zu spät eingreift.[14]

Weitere Ausführungen insbesondere zur Umsetzung sowie den wettbewerbs-politischen Funktionen werden in den Abschnitten 3.3 und 4 erläutert.

Für weitergehende Einblicke in die Oligopolpolitik des BKartA sei auf die Auslegungsgrundsätze bei Oligopolfusionen sowie auf die Einzelfallpraxis verwiesen.

2 Klärung des Gesetzeswortlaut §19 Abs.3 GWB

2.1 Theoretisches

Die Rechtsnatur der Vermutungstatbestände des §19 Abs.3 ist wegen seiner Entstehungsgeschichte streitig. Der Rechtsausschuß sah sie als bloßen Aufgreiftatbestand, übertrug ihm aber auch materielle Bedeutung: “Der Ausschuß hat bei der Erörterung der Vermutungen festgestellt, daß es sich dabei nicht um Vermutungen im zivilrechtlichen Sinne handelt. Die Vermutungen sind vielmehr ihrer Art nach eher “Aufgreiftatbestände“ durch die die Kartellbehörde in diesen Fällen zur Einleitung des (Anm. d. Autors: Haupt-) Verfahrens veranlaßt werden soll, denn es kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß schon bei in den Vermutungen genannten Marktanteilen eine marktbeherrschende Stellung besteht. Liegen die Vermutungsvoraussetzungen vor, so hat die Behörde aufgrund der in diesem Verfahren geltenden Offizialmaxime von Amts wegen allen von den Unternehmen begründet vorgetragenen Einwendungen nachzugehen, daß sie trotz des die Vermutung begründenden Marktanteils wesentlichem Wettbewerb ausgesetzt sind und nicht über eine im Verhältnis zu ihren Mitbewerbern überragende Marktstellung verfügen. Lassen sich diese Gegengründe nicht feststellen, so ist davon auszugehen, daß eine Marktbeherrschung im Sinne des Gesetzes vorliegt.“[15]

2.2 Vermutungsvoraussetzungen

Es sei auch hier noch einmal erwähnt, daß der §19 Abs.3 Satz 1 GWB trotz seines Monopolnamens auch weite Oligopole mit einem Marktführer mit 1/3 Marktanteil und mehr, jedenfalls von seinem Wortlaut her, nicht ausschließt. Ebenso gibt es keine Begründung vom Gesetzgeber zur Entstehung der Marktanteile (vgl. Einleitung), so daß ein weiteres Argument dagegen spricht. Nicht ganz unumstritten ist diese Theorie auch in der Rechtsprechung, wonach sich die Vermutungen nicht gegenseitig aufheben, so daß keine mehr anwendbar ist. Gleichfalls ist der Vorrang der Vermutungen noch streitig.[16]

Bei Oligopolen gemäß §19 Abs.3 Satz2 GWB wird über Marktanteilstrukturen auf die Marktbeherrschungsentstehung geschlossen. Hierbei werden 2 Kriterien angewandt :

(1) Bis zu 3 Unternehmen in einem Markt dürfen nicht zusammen 50% und mehr Marktanteil haben, damit eine Marktbeherrschung durch die fusionierenden Unternehmen begründet oder verstärkt wird.
(2) Bis zu 5 Unternehmen dürfen auch nicht zusammen einen gemeinsamen Marktanteil von 662/3 % überschreiten, damit Marktbeherrschung vermutet wird.

Die Vermutungen können nach h.M. nur gegen die Unternehmen in der Reihenfolge ihrer Marktanteile angewandt werden.[17] Das heißt genauer, daß über den Marktanteil der größten Unternehmen die Summe gebildet wird, was der früheren Gesetzesformulierung entsprach.

Erreichen die ersten 2 oder 3 Unternehmen die Vermutung aus (1) und gleichzeitig die bis zu 5 größten Unternehmen die Vermutung aus (2), dann gelten die Vermutungen nur für die Unternehmen, die beide Tatbestände erfüllen.

Die Hauptannahme der Vermutung des §19 Abs.3 Satz 2 ebenso wie des Abs.2 Satz 2 ist, wenn eine Gesamtheit von Unternehmen marktbeherrschend ist, dann ist auch jedes einzelne Unternehmen dieser Oligopolgruppe marktbeherrschend.[18]

Gemäß §36 Abs.1GWB wird nur die Begründung und das Bestehen einer Marktbeherrschung über die Marktanteilskriterien geprüft, wobei die Folge die Begründung oder Verstärkung gem. den Kriterien des Abs.2 nachzuweisen ist. Für die Ermittlung der Marktanteile ist §38 GWB subsidiär anzuwenden.

2.3 Die Beweislastumkehr

In einem Zusammenschlußverfahren werden die durch die Unternehmen gem. §39 Abs.3 Satz 2 Nr.3 und 4 angegebenen Umsätze, Marktanteile und Berechnungsgrundlagen durch das BKartA für den relevanten sachlichen/räumlichen geprüft und ggf. nachberechnet. Sollte dabei das Unternehmen über die in Abs.3 genannten Marktanteile verfügen, muß es den widerlegenden Nachweis über eine Anhörung antreten.

Kommt nun das Bundeskartellamt zum Schluß der Marktbeherrschung haben die zusammenschließenden Unternehmen die Möglichkeit (keine Pflicht) den Gegenbeweis zu erbringen. Der Gegenbeweis der fusionsbeteiligten Unternehmen erstreckt sich aber nur auf die Bereiche der Ermittlungen, die sie kennen müssen und die diesen zugänglich ist. Insoweit relativiert sich die formelle Beweislastumkehr. Der Nachweis der nachteilsüberwiegenden Verbesserungen des §36 Abs.1GWB (§24 Abs.1a.F.) bleibt für den Fall der Beantragung einer Ministererlaubnis von den Vermutungen und vom Verfahren unbeschadet.

Beim Gegenbeweis gibt es 2 grundsätzliche alternative Nachweisrichtungen und eine (häufig nicht angesprochene) formale Variante:

(1) Den Nachweis des strukturell gesicherten Fortbestandes wesentlichen Wettbewerbs im Innenverhältnis (Binnenwettbewerb)
oder
(2) des Fehlens einer überragenden Marktstellung im Außenverhältnis
oder
(3) das nicht erreichen der Marktanteilsgrenzen[19]

In §19 Abs.3 Satz2 GWB sind beide Möglichkeiten alternativ durch die Unternehmen wählbar: “...Unternehmen weisen nach, ... zwischen ihnen wesentlichen Wettbewerb erwarten lassen oder...keine überragende Marktstellung hat.“

Zu1)

Beim Nachweis des wesentlichen Wettbewerbs muß sowohl der aktuelle, als auch der potentielle Wettbewerb im Sinne des wirksamen Wettbewerbs berücksichtigt sein, welches den sich „verteidigenden“ Unternehmen gegenüber dem BKartA schon von vornherein einen schweren Stand beschert. Das Vorliegen aktuellen Wettbewerbs reicht hierbei nicht aus, sondern es ist auch hier die Prognose über die Marktstruktur und das Wettbewerbsverhalten auch in der längerfristigen Zukunft erforderlich, aber unter o.g. Zumutbarkeit.[20] Je enger das Oligopol ist, desto höhere Anforderungen sind an die Prüfungen der Kriterien zu stellen, d.h. daß auch der aktuelle Wettbewerb als Indiz (i.S.v. Eintrittswahrscheinlichkeit) für zukünftige Handlungen gewertet werden und wenn dieser im Rahmen der Prognose eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit ermöglicht und sofern eine Aussage für eine bessere Prognostizierung möglich ist.[21] Falls sich hierbei die Bedingungen des aktuellen Wettbewerbsverhaltens nicht ändern sollten, kann die Prognose darauf gestützt werden, daß weiterer Wettbewerb (nicht) besteht.[22] Da wesentlicher Wettbewerb nicht erläutert wird und auch keine Universaldefinition existieren kann, hat das BKartA sich eine Formel dafür einfallen lassen: „Je enger das Oligopol ist, und je weniger Außenseiter es hat, desto wahrscheinlicher ist der Ausschluß von wesentlichem Wettbewerb.“[23]

Durch den Ausdruck „erwarten lassen“ soll deutlich gemacht werden, daß man sich auf zukünftige Wettbewerbsbedingungen bezieht, die man beim Nachweis prognostizieren muß, wobei alle relevanten Wettbewerbsbedingungen, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben, erfaßt werden sollen.

Was „Wettbewerbsbedingungen“ inhaltlich sind bleibt offen (laut WiPolA: alle Wettbewerbsparameter), sie müssen lediglich marktrelevant sein. Liegt innerhalb der Vermutungen von §19 Abs.3 kein wesentlicher Preiswettbewerb vor, so müssen sonstige strukturelle Bedingungen bestehen, die den Einsatz anderer Wettbewerbsparameter zulassen.[24]

Wettbewerbsbedingungen können z.B. sein:

- Größen- und Marktanteilsverteilung der auf dem Markt tätigen Unternehmen
- Marktphase[25]
- Marktzutrittsschranken
- Finanzkraft und marktstrategische Möglichkeiten
- Zugang zu vor- und nachgelagerten Märkten
- Die Fähigkeit, einzelne Produkte in Komplettsystemen zusammenzufassen[26]

Der Nachweis eines strukturell gesicherten Fortbestandes kann nach den Gesetzesmotiven der 4.GWB-Novelle daran nachgewiesen werden, “daß das Kräfteverhältnis innerhalb des Oligopols durch die Fusion ausgeglichener wird, ohne daß sich das Oligopol selbst wesentlich verengt“.[27]

[...]


[1] In der Gesetzesbegründung heißt es Übernahme der Regelung aus der Missbrauchsaufsicht

[2] vgl. 1.HG Tz. 912ff ;2.HG Tz. 345;3.HG Tz. 406)

[3] vgl. Schwintowski, H.-P.; Wettbewerbsrecht S.147 Nr.277

[4] vgl. Burrichter,Jochen in WuW/E 9/1982 S.663 Nr.3

[5] vgl. Möschel in Immenga/Mestmäcker;GWB-Kommentar zum Kartellgesetz;1.Afl.; S.43 Nr.16;auch

S.715 Nr.77 und vgl. Tätigkeitsbericht Mopok,1978, S.25

[6] vgl. Bechtold,Rainer;GWB-Kartellgesetz-Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen; S.232

[7] vgl. Immenga/Mestmäcker;GWB-Kommentar zum Kartellgesetz; 1.Afl.; S. 783 Nr.39

[8] vgl. Möschel in Immenga/Mestmäcker; 3.Afl. S.569

[9] vgl. Möschel in Immenga/Mestmäcker; 3.Afl. S.569

[10] vgl. Burrichter,Jochen in WuW/E 9/1982 S.670

[11] BT-Drucks. 256/71 vom 18.08.1971

[12] vgl. Auslegungsgrundsätze des BKartA S.15 und Schwintowski,H.-P.:Wettbewerbsrecht; S.226/227

[13] vgl. Auslegungsgrundsätze des BKartA S.17/18

[14] vgl. Auslegungsgrundsätze des BKartA S.43

[15] Möschel in Mestmäcker/Immenga 3.Afl. S.651

[16] siehe Kleinmann/Bechtold;Kommentar zur Fusionskontrolle,2.Afl. S.455 Nr. 16/17

[17] vgl. Bechtold,Rainer;GWB-Kartellgesetz-Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen; S.235

[18] vgl. Bechtold,Rainer;GWB-Kartellgesetz-Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen; S.235

[19] vgl. Kaiser in WuW/E 6/1978 : Fusionskontrolle oder Verbot; S.716 Nr.3

[20] vgl. Klöckner/Becorit WuW /E BGH 1749 und Kampffmeyer/Plange WuW/E BKartA 2223; BGH 2575

[21] Kamecke,U.: Vorlesungskript zum Kartellrecht für Wiwi‘s

[22] Burrichter, J. :Oligopol und Marktbeherrschungsvermutungen, in WuW/E 09/1982, S. 669

[23] vgl. Auslegungsgrundsätze des BKartA S.46

[24] Burrichter, J. :Oligopol und Marktbeherrschungsvermutungen, in WuW/E 09/1982, S. 669

[25] siehe Anhang1

[26] vgl. Auslegungsgrundsätze des BKartA S.38

[27] Bechtold,Rainer:GWB-Kartellgesetz-Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen; S.236

Fin de l'extrait de 43 pages

Résumé des informations

Titre
Oligopole im deutschen Recht - Die Oligopolvermutung
Université
Humboldt-University of Berlin
Note
2,0
Auteur
Année
2003
Pages
43
N° de catalogue
V77504
ISBN (ebook)
9783638828604
ISBN (Livre)
9783638831345
Taille d'un fichier
561 KB
Langue
allemand
Mots clés
Oligopole, Recht, Oligopolvermutung
Citation du texte
Dipl. Kfm. Jörg Krause (Auteur), 2003, Oligopole im deutschen Recht - Die Oligopolvermutung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77504

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