Die Bhagavadgita bei B.G. Tilak

Extremistische Interpretation?


Hausarbeit, 2006

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Bal Gangadhar Tilak und die Bhagavadgïtå

Fazit

Einige interessante Verse der Bhagavadgïtå mit kurzen Bemerkungen

Verwendete Literatur

Einleitung

Die Bhagavadgïtå (im folgenden auch nur Gïtå1 ) ist ihrem Inhalt nach ein philosophischreligiöses Lehrgedicht, das im großen indischen Epos Mahåbhårata die Kapitel 25 bis 42 des sechsten Buches einnimmt. In ihr wird die Essenz des alten vedischen Wissens und der Upani¹aden anschaulich zusammengefasst.2

Die Gïtå zählt zu den wichtigsten Werken der indischen Literatur und ihr Einfluß auf das kulturelle und politische Leben Indiens reicht über die jüngere Vergangenheit bis in die Gegenwart hinein. Die Liste ihrer Übersetzer und Kommentatoren, einheimischer wie ausländischer, erscheint schier endlos3, und es dürfte heute wohl kaum eine hinduistische Sekte in Indien geben, die ihre Lehre(n) nicht auch aus der Gïtå herleitet.

Im Kielwasser der indischen National- bzw. Unabhängigkeitsbewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts schwamm eine interessante Nebenerscheinung mit: Durch den Kommunalismus zwischen Hindus und Moslems und nicht zuletzt durch das vermehrte Auftreten christlicher Missionare entstanden hinduistsche Reformbewegungen wie der Brahmo Samaj und der Arya Samaj, die die christlichen Organisationsformen mit der altindischen Religion und Philosophie zu kombinieren versuchten.4 Die radikalen Kräfte der Reformbewegung „glaubten [...] an das Erwachen der [indischen; M.L.] Nation aus dem Alptraum der Fremdherrschaft.“5 - Das Wecken der Bevölkerung aus eben diesem Alptraum sollte gewissermaßen durch die Vermittlung des Prinzips des karmayoga vollbracht werden, welches die „Selbstverwirklichung in der opfermutigen Tat“6 sieht, anstatt weltabgewandt in Meditation zu verharren, nach außen hin also untätig zu sein. Als der wohl berühmteste „Prediger“ des karmayoga galt seinerzeit Swami Vivekananda7, und die Bhagavadgïtå behandelt zudem in ihrem dritten und fünften Kapitel ausführlich und anschaulich die Lehre des karmayoga.

Anhand einiger Ansatzpunkte möchte die vorliegende Arbeit nun herausfinden, in welcher Form die Gïtå in der Zeit der indischen Nationalbewegung interpretiert wurde.

Welche Kapitel spielen für den Interpretatoren eine besondere Rolle? Welche Verse (¸lokas) dienten womöglich direkt den nationalistischen Ideen und Ideologien?

Ob des einzuhaltenden Umfangs der Arbeit beschränke ich mich auf eine namenhafte indische Persönlichkeit aus der Zeit des Unanhängigkeitskampfes; es handelt sich dabei um Bal Gangadhar Tilak, seinerzeit Führer der sogn. „Extremisten“ des Indischen Nationalkongresses (INK/INC).

Blättert man durch die Gïtå, so findet man im zweiten und dritten Kapitel (in denen es um die Prinzipien sankhya yoga und karma yoga geht) viele Verse, die sich nach Meinung des Autors hervorragend für extremistische oder gar terroristische Zwecke eignen würden; ich fand es schade, wenn diese unerwähnt geblieben wären und habe sie mit kurzen eigenen Gedanken an das Ende der Arbeit gestellt.

Die deutschen Übersetzungen der in dieser Arbeit eingefügten Sanskrit-Verse der Bhagavadgïtå habe ich zwar selbstständig, jedoch unter Zuhilfenahme einer Übersetzung8 angefertigt, da das reine Wort-für-Wort-Übersetzen von Sanskrit-Versen nicht Gegenstand der Arbeit ist.

Zum besseren Verständnis dieser Arbeit sei die Handlung der Gïtå an dieser Stelle in einigen Sätzen erklärt.

Arjuna (der Mensch) befindet sich auf dem Schlachtfeld (des irdischen Lebens) zwischen zwei verfeindeten, jedoch miteinander verwandten Familien-Heeren, den Pandavas und den Kauravas. Unmittelbar vor dem Beginn der entscheidenen Schlacht wird Arjuna von Zweifeln an der Richtigkeit seines bevorstehenden Handelns befallen: Er erkennt in den gegnerischen Reihen der Pandavas seine nächsten Verwandten, seine ehemaligen Lehrer und diverse Freunde, deren Ermordung ihm den Verlust auch seines eigenen Selbsts bedeuten würde.

Den im Mahåbhårata als Held verehrten Krieger verlässt daraufhin der Mut und der Wille zum Kampf. Just in dieser Situation erscheint Gott K¡¹½a in der Person von Arjunas Wagenlenker und belehrt ihn über die wahre Natur des Menschen und dessen Möglichkeiten zum Aufgang im Brahman (d.h. dem Entrinnen aus dem Kreislauf der Wiedergeburten). Ein wichtiger und vom Menschen zu erkennender Aspekt auf diesem Weg zur endgültigen Erlösung ist die Einsicht, daß alle menschlichen Gemütsregungen (wie z.B. Begierde, Leidenschaft, Mißgunst etc.) nur vorrübergehende Erscheinungen sind, die es zu erkennen, kontrollieren und, - vorallem - zu überwinden gilt. Am Ende dieses „Gesangs des Erhabenen“ ist Arjuna überzeugt und willens, die bevorstehende Schlacht zu bestreiten.

Bal Gangadhar Tilak und die Bhagavadgïtå

Bal Gangadhar Tilak wurde 1856 in Maharashtra geboren. Im Alter von 24 Jahren schloss er sein Jurastudium an der Universität von Pune ab, arbeitete danach jedoch nicht im indischen Staatsdienst. Im Jahre 1889 trat er dem Indischen Nationalkongress (INK) bei und avancierte schnell zum Anführer des „extremistischen“ Flügels innherhalb der Partei. Als Kontrahent stand ihm der Vertreter der „Gemäßigten“, Gopal Krishna Gokhale (1866-1915) gegenüber. Während die „Gemäßigten“ einen mehr oder minder kooperativen Ansatz gegenüber der britischen Besatzung vertraten, um die Unhabhängigkeit Indiens zu erreichen, waren die „Extremisten“ offen nationalistisch und forderten den aktiven Kampf. Diese gegensätzliche Lagerpolitik führte zu Spannungen und 1907 letzenendes zur Teilung des INK.

Wie viele Extremisten gegen Ende des 19. Jahrhunderts lehnte Tilak ausländische Ideale zum nationbuilding ab; was Indien bräuchte sei ein eigenes politisches System, das sich aus den indischen Traditionen herleiten lässt.9 Demzufolge stand für ihn svaråj (dt.: die Selbstregierung) an erster Stelle. Aus dieser Selbstregierung oder -vewaltung, die völlig frei von britischem Einfluß sein mußte, würde dann die Bevorzugung einheimischer Waren (svade¸i) gegenüber den britischen enstehen. Tilak setzte diese beiden (eigentlich politschen) Begriffe svaråj und svade¸i in einen religiösen Kontext, indem er svaråj mit dem •g-Veda gleichsetzte: Wie all die anderen Veden sich aus dem •g-Veda entwickelten, so würde sich, wie zuvor erwähnt, auch svade¸i aus dem svaråj heraus entwickeln.

1908 wurde Tilak wegen Aufruf zum Aufstand gegen die britische Besatzung von dieser inhaftiert. In seiner Haft verfasste er sein Hauptwerk (?) mit dem Titel ˜rïmad Bhagavadgïtå Rahasya10, einem ausführlichen Kommentar über die Lehren der Gïtå.

An dieser Stelle muß erwähnt werden, daß Tilak als energischer Poliker einerseits seine Kollegen im Kongress, andererseits auch die indische Bevölkerung motivieren wollte, unbedingt gegen die britische Besatzung und für ein Indien - basierend auf indischen Werten - aktiv zu werden, d.h. zu handeln (s.u.)11.

Eine passende Aussage dazu macht die Bhagavadgïtå in Kapitel III, Vers 8:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Vollziehe du die vorgeschriebene Tat. Handeln ist besser als Untätigkeit.

Selbst die Erhaltung des Körpers gelingt nicht durch Untätigkeit.“

Typisch für Tilak ist, wie bereits angedeutet, sein religiös begründeter Nationalismus:

„Gott und unsere Nation sind nicht getrennt, im Gegenteil, unsere Nation ist eine Form Gottes.“12

Laut der Lehre des Advaita-Vedanta-Systems von Shankara, - dem sich Tilak besonders zugewandt hatte13 -, kann man in allen Dingen, abstrakten wie greifbaren, eine Erscheinungsform des Höchsten Brahman sehen. Somit zeigt sich das Brahman auch im eigenen Land bzw. in der eigenen, indischen Nation. Daher kann der Dienst an der Nation, in unserem Falle beispielsweise ein politischen Engagement in der indischen Unabhängigkeitsbewegung, auch ein Dienst am Brahman sein.

Wie sollte nun auf abstrakter Ebene dieser Dienst am Brahman aussehen?

Der wichtigste Aspekt in Tilaks Auswertung der Gïtå ist, - durchaus verbunden mit seinen politischen Ambitionen (s.o.) -, das permanente Tätigsein. R.W. Stevenson nennt es die philosophy of energism14 - die Rede ist vom Prinzip des karmayoga. Es verwundert daher nicht, daß Tilaks längste Kommentare im dritten Kapitel seiner Gïtå-Besprechung zu finden sind; dieses Kapitel trägt an sich den Titel karmayoga.

Der Grundgedanke hinter karmayoga ist, daß der Mensch immerzu handelt bzw. tätig ist - in BhG III, 4-5 heißt es: „Wer nichts beginnt, kann nicht in den Zustand der ewigen Ruhe gelangen. Er kann nicht durch Nichtstun Vollkommenheit erreichen.“

[...]


1 Die Sonderzeichen stammen aus der Schriftart ISB Times New Roman, die von D.Lönne an der FU Berlin entwickelt wurde. Näheres dazu unter: http://userpage.fu-berlin.de/~dloenne .

2 MYLIUS, K.: Die Bhagavadgïtå - Des Erhabenen Gesang. München 2002. Einleitung.

3 Zwei Beispiele dafür können sein: MINOR, R.: Modern Indian Interpreters of the Bhagavadgita. New York 1986 und: CALLEWART, W.M./HEMRAJ, S.: Bhagavadgïtånuvåda - A Study in Transcultural Translation. Ranchi 1983.

4 vgl. KULKE, H./ ROTHERMUND, D.: Geschichte Indiens. Von der Induskultur bis heute. München 1998. S.347.

5 ibd., S. 350.

6 ibd.

7 ibd., S.351.

8 MYLIUS, K.: Die Bhagavadgïtå ... München 2002.

9 vgl. STEVENSON, R.W.: Tilak and the Bhagavadgita’s Doctrine of Karmayoga. In: MINOR, R.: Modern Indian Interpreters of the Bhagavadgita. New York 1986. S.48.

10 TILAK, B.G.: ˜rïmad Bhagavadgïtå-Rahasya or Karma-Yoga-˜åstra. English Translation, 1. Ed., 2 vols. Pune 1935.

11 STEVENSON, R.W.: Tilak and the Bhagavadgita’s Doctrine... New York 1986. S.49-50.

12 ibd., S.47.

13 ibd.

14 ibd., S.49

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Bhagavadgita bei B.G. Tilak
Untertitel
Extremistische Interpretation?
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Geschichte und Gesellschaft Südasiens)
Veranstaltung
Die Indische Nationalbewegung und die Hindu-Moslem-Frage
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
17
Katalognummer
V77672
ISBN (eBook)
9783638826235
ISBN (Buch)
9783638827317
Dateigröße
521 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bhagavadgita, Tilak, Indische, Nationalbewegung, Hindu-Moslem-Frage
Arbeit zitieren
Mario Laatsch (Autor:in), 2006, Die Bhagavadgita bei B.G. Tilak, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77672

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