Der spanische Autor Benito Pérez Galdós stellt – verglichen mit anderen Autoren seiner
Generation – eine literarische Ausnahme dar. Seine Aufgeschlossenheit gegenüber neuem Gedankengut machte ihn im Spanien des 19. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten Vorreiter der Übernahme des literarischen Naturalismus.
Seinem kritischen und analytischen Geist entsprechend, erfolgte diese Übernahme allerdings nicht unreflektiert und in imitativer Weise, sondern vor dem Hintergrund der reichen literarischen Stiltradition der spanischen „Siglos de Oro“.
Der Roman „La Desheredada“ erschien im Jahre 1881 als erstes Werk der „Novelas
contemporáneas de segunda manera“ und stand damit für Galdós am Anfang einer neuen Schaffensphase, in der er versuchte, eine Synthese aus der traditionellen Stiltradition und den „neuen“ stilistischen und ideologischen Einflüssen zu schaffen.
Ein Ziel dieser Arbeit ist es, die Einflüsse des (französischen) Naturalismus im Roman „La Desheredada“ zu untersuchen. Dazu ist es zunächst notwendig, den französischen Naturalismus mit all seinen ideologischen und literarischen Hintergründen kurz darzustellen.
Außerdem werde ich versuchen, die wichtigsten Unterschiede zwischen dem französischen und dem spanischen Naturalismus herauszuarbeiten. Dabei soll ein besonderes Augenmerk auf der Einflechtung der cervantinischen Stiltradition in das Romanwerk von Pérez Galdós liegen. Dieser „neue“ Stil Galdós´ weist ein ganz besonderes Merkmal auf, das ihn deutlich vom Stil der französischen Naturalisten unterscheidet. Dieses Merkmal ist die Dialogizität, die sich spürbar durch den ganzen Roman „La Desheredada“ zieht.
Das Konzept der Theorie der Dialogizität wurde im 20. Jahrhundert von dem russischen
Literaturwissenschaftler Michail Bachtin entwickelt. Die Theorie steht im Gegensatz zur herkömmlichen stilistischen Analyse des Romans, die niemals in der Lage war, befriedigende Ergebnisse zur Beschreibung seines Stils zu liefern. Die Untersuchung dieser Theorie der Dialogizität, ihrer Mechanismen und vor allem ihrer Auswirkungen, stellt das zweite Ziel dieser Arbeit dar. Zum Vergleich wird Zolas Roman „L´Assommoir“ und Miguel de Cervantes´ „Don Quijote“ herangezogen; allerdings wird dieser Vergleich nicht systematisch betrieben, sondern nur dort angestellt, wo er thematisch und didaktisch notwendig und richtig erschien; daher wird in der Besprechung dieser zwei Werke kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der französische Naturalismus – ein kurzer Überblick
- Gesellschaftliches und ideologisches Umfeld
- Literarische Voraussetzungen
- Der spanische Naturalismus
- Literarische Voraussetzungen
- Politisches und ideologisches Umfeld
- Bachtins Theorie der narrativen Dialogizität
- Redevielfalt und Dialogizität
- Redevielfalt und Dialogizität im Roman
- Benito Pérez Galdós
- Leben
- Werk
- Untersuchung der Geschichtsebene von „La Desheredada“
- Die Figuren
- Tomás Rufete
- Isidora Rufete
- Mariano Rufete
- Doktor Augusto Miquis
- Das Milieu
- Die Fabrik
- Der Palast der Aransis
- Madrid
- Emilias Haus
- Der Naturraum
- Das historische Moment
- Untersuchung der Erzählebene von „La Desheredada“
- Erzählsituation
- Redewiedergabe
- Verschiedene Arten der Redewiedergabe
- Der intertextuelle Dialog
- Die Bibel
- Lyrik
- Der Französische Feuilletonroman
- Don Quijote
- L' Assommoir
- Der intratextuelle Dialog
- Der Erzähler und Isidora
- Der Erzähler und andere Figuren
- Der Erzähler und der Leser
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Das Hauptziel dieser Arbeit ist die Untersuchung des Einflusses des französischen Naturalismus auf Benito Pérez Galdós' Roman „La Desheredada". Dabei steht die Analyse der Dialogizität im Mittelpunkt, die als ein entscheidendes Merkmal des Romans und als Abgrenzung zum französischen Naturalismus herausgestellt wird. Die Arbeit beleuchtet die besonderen ideologischen und literarischen Umstände im Spanien des 19. Jahrhunderts, die die Rezeption des Naturalismus prägten. Des Weiteren wird das Werk von Pérez Galdós im Kontext der spanischen „Siglos de Oro" betrachtet, um die Integration traditioneller Stilelemente in den neuen Naturalismus aufzuzeigen.
- Einfluss des französischen Naturalismus auf „La Desheredada“
- Dialogizität als Merkmal des Romans und Abgrenzung zum französischen Naturalismus
- Ideologische und literarische Umstände der Rezeption des Naturalismus in Spanien
- Integration traditioneller Stilelemente der spanischen „Siglos de Oro“
- Verbindung von Geschichtsebene und Erzählebene durch das Prinzip der Dialogizität
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Arbeit ein und stellt den Roman „La Desheredada“ im Kontext von Pérez Galdós' Werk und der Rezeption des Naturalismus in Spanien vor. Kapitel 2 bietet einen Überblick über den französischen Naturalismus und beleuchtet dessen ideologische und literarische Hintergründe. Kapitel 3 widmet sich dem spanischen Naturalismus und untersucht dessen literarische und politische Voraussetzungen sowie die Besonderheiten im Vergleich zum französischen Naturalismus. Kapitel 4 stellt Bachtins Theorie der Dialogizität vor und erklärt deren Mechanismen und Auswirkungen. Kapitel 5 bietet einen kurzen Überblick über das Leben und Werk des spanischen Autors Benito Pérez Galdós. Kapitel 6 untersucht die Geschichtsebene des Romans „La Desheredada“ und analysiert Figuren, Milieu und das historische Moment. Kapitel 7 beschäftigt sich mit der Erzählebene und untersucht Erzählsituation, Redewiedergabe und den intertextuellen sowie intratextuellen Dialog.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen des Naturalismus, der Dialogizität, der spanischen Literatur des 19. Jahrhunderts, Benito Pérez Galdós, „La Desheredada“, der „Siglos de Oro“, dem französischen Naturalismus, Michail Bachtin, Erzähltheorie, Milieutheorie, und intertextueller Dialog.
- Quote paper
- Ines Müller (Author), 2005, Naturalismus und Dialogizität im Roman von Benito Pérez Galdós, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/77807