En Theo pistos basileus - Kaiserpalast und Kaiserzeremoniell im Großen Palast zu Konstantinopel


Seminararbeit, 2007

34 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Forschungsstand und Quellenlage

3. Princeps clausus

4. Raum und Zeremoniell
a. Der Große Palast – Geschichte und Topographie
b. Die zeremonielle Funktion des Palastes
i. Zeremonielle Routine
ii. „Was bei der Krönung eines Kaisers zu beachten ist“
iii. Prozessionen und Empfänge

5. Das byzantinische Kaiserzeremoniell – Ziele und Methoden

6. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

„Der Bukoleonpalast war so reich und so gut gebaut, wie ich es beschreiben werde. Im Inneren des Palastes [...] sind 500 Zimmer, die ineinander gehen und alle waren mit Mosaik ausgestattet, und es gab gut 30 Kapellen, große und kleine, und eine hieß Heilige Kapelle, und sie war so reich und großartig, dass es keine Schlösser und Riegel oder andere Beschläge gab, die aus Eisen gewesen wären, vielmehr war alles aus Silber. Und es gab keine einzige Säule, die nicht aus Jaspis, Porphyr oder reichen, wertvollen Steinen gewesen wäre. Und der Boden der Kapelle aus weißem Marmor war so rein und klar wie ein Kristall, und sie war so reich und großartig, dass niemand die große Schönheit und die große Vornehmheit dieser Kapelle beschreiben könnte.“[1]

An anderer Stelle beschreibt ein spanischer Besucher im 12. Jahrhundert den zweiten kaiserlichen Palast im Nordwesten Konstantinopels:

„Er [Kaiser Manuel I., 1118-1180] ließ dort einen Thron aus Gold und Edelsteinen errichten und eine goldene Krone, die so an einer goldenen Kette über dem Thron hängt, dass er genau unter ihr sitzt. An ihr sind Juwelen, deren Wert niemand zu schätzen vermag. So benötigt man nachts dort keine Leuchten, denn man kann alles im Licht der Juwelen sehen, das sie abgeben.“[2]

Konstantinopel – das „Auge der Welt“ im byzantinischen Verständnis – findet in der langen Reihe der europäischen Städte des Mittelalters kein Ebenbild. Die Kaiserstadt am Bosporus war über ein Jahrtausend lang Sinnbild für unvorstellbaren Reichtum und grandiose Pracht. Die oben zitierten Berichte sind nur eine Auswahl aus mehr als 80 erhaltenen und edierten Beschreibungen der Paläste und Kirchen Konstantinopels aus westlicher Sicht. Jede davon konzediert Konstantinopel den ersten Rang unter den Städten der christlichen Oikumene und auch im Bereich der mittelalterlichen Fiktion hat die Stadt Einzug gehalten: Das anonyme altfranzösische Epos der „ Pèlerinage de Charlemagne à Jérusalem et Constantinople “ erzählt die Fabel von einem Besuch Karls des Großen in der byzantinischen Hauptstadt, wo selbst der spätere Kaiser von der Pracht und dem Reichtum Konstantinopels geblendet wird.

Quelle dieser westlichen Bewunderung waren auch – neben dem Erscheinungsbild der Stadt – die Rituale und Zeremonien des byzantinischen Staates. Darauf abzielend, Besucher von der kulturellen und zivilisatorischen Überlegenheit ihres Staates und der besonderen Stellung als ‚Auserwähltes Volk’ zu überzeugen, inszenierten die Kaiser bei Besuchen aus dem Ausland mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ein pompöses Schauspiel, das den Besuchern – bei aller möglicherweise vorhandener Antipathie – ein Höchstmaß an Respekt abnötigte. Die byzantinische Repräsentationswut stand der eines Ludwigs XIV. in nichts nach; alleine an einer Auflistung der Geschenke, die der Kaiser üblicherweise den Gesandtschaften überreichte, lässt sich ein gewaltiges Ausmaß an Kosten ablesen: Im Jahr 935 erhielt König Hugo von Arles von Kaiser Romanos I. Lakapenos ein kentenarion (32 kg) Gold, 10 Untergewänder, ein Gefäß aus Onyx, 17 Glasgefäße, 30 Weihrauchkapseln, 500 Duftöle, sowie wertvolle Seiden- und Purpurkleider für die ihn begleitenden Bischöfe und Grafen.[3] Beinahe ausnahmslos werden Geschenke des byzantinischen Kaiserhofes in den Annalen und Chroniken der deutschen Könige detailliert beschrieben und gewürdigt[4] - ein aussagekräftiger Beweis für den Erfolg der byzantinischen Repräsentation, besonders wenn man die ständigen politischen, zum Teil auch militärischen Auseinandersetzungen zwischen West- und Ostreich bedenkt.

Diese – zunehmend missgünstige – Bewunderung des byzantinischen Reiches ergibt sich aus der spezifisch byzantinischen Repräsentationskultur. Dabei ist besonders das Zusammenspiel von visueller – d.h. architektonischer oder räumlicher – Pracht und zeremoniellem Gepränge von entscheidender Bedeutung. Die Berichte von Reisenden und Gesandten über die Metropole des Reiches verbreiteten im Westen die Kenntnis über die Schätze des Ostens, und die Höfe Europas begannen sich – in Ansätzen – auf das byzantinische Vorbild zu berufen – wenn sie auch in der schieren Pracht und Ausgestaltung weit hinter ihm zurück blieben.

Die vorliegende Arbeit will zumindest einige wenige Bereiche des byzantinischen Hof- und Kaiserzeremoniells näher untersuchen. Anhand von verschiedenen Spezifika des Zeremoniells soll der Ideologie der Kaiseridee, sowie dessen Ausprägung in den öffentlichen Ritualen des Herrschers nachgegangen werden. Als verbindendes Element zwischen den allermeisten Ausformungen der byzantinischen Zeremonien steht die Sakralität des Herrschers. Ihr muss besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Zeremoniell braucht allerdings eine angemessene Bühne, um seine volle Wirkung entfalten zu können. In Konstantinopel stand den Kaisern von Byzanz eine ganze Reihe von prunkvollen Palästen und Palastarealen zur Verfügung. Ihrer Einbindung in das Kaiserzeremoniell, der Ausformung ihrer Baugestalt und der Benutzung ihrer Räumlichkeiten, nicht nur im alltäglichen Protokoll, sondern auch bei Staatsanlässen und hohen Festen, soll im Folgenden nachgegangen werden. Dabei werden zum eigentlichen Palastbezirk auch die öffentlichen Bauten und Plätze in der unmittelbaren Umgebung der Hagia Sophia gerechnet. Die Verbindung zwischen byzantinischer Zeremonie und byzantinischer Architektur ist das eigentliche Thema der Arbeit. Dabei stellt insbesondere das Kaiserzeremoniell den heutigen Betrachter vor einige Schwierigkeiten. Der aufgeklärte Geist mag sich nicht recht den steifen und scheinbar unnatürlichen Gepflogenheiten einer Zeit annähern, die der unseren ferner gar nicht sein könnte, einer Zeit, in der Zeremonie

„[...] dem mittelalterlichen Menschen nie und nimmer Gegensatz zum Wirklichen, Objektiven und Realen, sondern umgekehrt „Spiel“ und Ausdruck der Wirklichkeit, Wirklichkeit auf neuer und höherer Ebene des Seins [ist].“[5]

2. Forschungsstand und Quellenlage

Im Bereich der Zeremoniellforschung, sowohl der byzantinischen, als auch der spätantiken / protobyzantinischen Zeit sind es vor allem die Arbeiten von Treitinger (1938 und 1940) und Alfred Alföldy (1934) die einen Überblick über Entwicklung und Bedeutung von Zeremoniell am konstantinopolitanischen Hof geben. Dieterich (1912) und Ebersolt (1910) befassen sich vor allem mit dem Hof an sich, sowie dem Großen Palast. Diese Arbeiten sind auch heute noch – trotz ihres älteren Datums – grundlegend für die Beschäftigung mit dieser Thematik. In jüngerer Zeit sind vor allem die Arbeiten von Hunger (1960), Andreas Alföldy (1970) und Prinzing (1990) hervorzuheben. Zum Großen Palast in Konstantinopel ist auch jüngst ein Tagungsband des Deutschen Archäologischen Instituts (Abteilung Istanbul; Hrsg. von Bauer, 2006) erschienen, der wesentliche Fragen zum Palastareal zu beantworten versucht. Besonders hervor zu heben sind die darin enthaltenen Aufsätze von Bardill und Featherstone.

Den größten Teil des Wissens um das byzantinische Hofzeremoniell verdankt man zwei Hauptquellen. Zum einen handelt es sich dabei um eine Kompilation aus dem späten 10. Jahrhundert, zusammengestellt, wenn nicht von, so doch wenigstens für den Kaiser Konstantin VII. Porphyrogennetos. Durch eine übermächtige Regentschaft lange Jahre von der Alleinherrschaft ferngehalten, bemühte sich Konstantin die höfischen Zeremonien „wie Blumen auf dem Felde“ zusammenzupflücken und „zur Verherrlichung des Kaisertums“ zu kompilieren.[6] Seine Bemühungen reihen sich in die zeitgenössische Tendenz ein, auf allen Gebieten der damaligen Geisteswissenschaft das wichtigste in Kompilationen und Zusammenstellungen zu bewahren. Das Werk „ De Ceremoniis Aulae Byzantinae[7] besteht aus zwei Büchern, die zum Teil aus älterem Material zusammengestellt wurden. Weiterhin umfasst es zeitgenössische Berichte über verschiedene religiöse und kaiserliche Zeremonien, die zum Teil auf der persönlichen Erfahrung des Kaisers selbst beruhen. Das Kompendium ist als zeremonieller Leitfaden für den byzantinischen Hof erstellt worden und beschreibt religiöse Zeremonien (I, 1-37), ‚weltliche’ Zeremonien wie Krönungen, Hochzeiten und Amtsvergaben (I, 38-59), sowie offizielle Feierlichkeiten wie Wagenrennen im Hippodrom, Tänze und Empfänge (I, 51-83). Das zweite Buch entbehrt leider einer festen Ordnung, behandelt jedoch die gleichen Themengebiete.[8]

De ceremoniis “ war ein Leitfaden für zeremonielle Anlässe des kaiserlichen Hofes in Konstantinopel, der mindestens ein weiteres Mal – unter Kaiser Nikephoras Phokas – im darauf folgenden Jahrzehnt überarbeitet und aktualisiert worden ist. Die einzige vollständig erhaltene Handschrift gelangte über die Bibliothek des Matthias Corvinus von Ungarn in den Besitz von Johannes Zacharias Uffenbach in Frankfurt und wurde nach dessen Tod von der Leipziger Stadtbibliothek erworben.[9]

Neben dieser unschätzbaren Quelle beruht die Kenntnis des byzantinischen Hoflebens vor allem auf einem anonymen Werk des 14. Jahrhunderts, das lange Zeit fälschlicherweise dem Gelehrten Georgios Kodinos zugeschrieben wurde und daher bis heute als „ Pseudo-Kodinos “ geführt wird. Bekannt als „ De officiis[10] enthält es Schilderungen von höfischen Festakten, die bei Konstantin VII. nicht behandelt werden, sowie eine nach Hierarchie genau abgestufte Ämterliste mit den jeweiligen Aufgabenbereichen und eine Kleiderordnung der Hofbeamten. Der Umfang des Werkes liegt deutlich unter dem von „ De ceremoniis “ – seine Bedeutung liegt allerdings vor allem im zeitlichen Abstand von fast vierhundert Jahren, der die beiden Handschriften trennt: Tendenzen und Veränderungen können so vergleichend dargestellt werden. Überraschenderweise fehlt eine solche vergleichende Arbeit bisher jedoch völlig. Zahlreiche Arbeiten behandeln die individuellen Werke oder die Gesamtheit des byzantinischen Zeremoniells von frühbyzantinischer Zeit unter Justinian I. bis hin zu Konstantin XI. Palaiologos, dem letzten byzantinischen Herrscher, doch eine komparative Analyse der beiden Hauptquellen stellt nach wie vor eines der größten Desiderate der mittelalterlichen Zeremoniellforschung dar.

Bei den bisher vorgestellten Quellen handelt es sich um Handschriften aus der Mittel-, beziehungsweise Spätbyzantinischen Zeit. Gerade aber im Bereich der Frühbyzantinistik, in den Jahrhunderten unmittelbar nach dem Untergang des Weströmischen Reiches im Jahr 476, besonders aber zur Zeit Justinians I. im mittleren 6. Jahrhundert wurden viele der Weichen gestellt, welche nicht nur die Entwicklung des byzantinischen Zeremoniells in späterer Zeit entscheidend beeinflussten. Die wichtigste Quelle zur Herrschaft Justinians ist uns im Werk des Historikers Prokopios erhalten. Seine Geschichten der Vandalen- und Gothischen Kriege, die Sammlung ekphrastischer Baubeschreibungen in „ De aedificiis “, insbesondere aber die erst posthum veröffentlichten „ Anekdota “ bieten einen unschätzbaren Einblick in diese Zeit.[11] Justinian führte das bereits in der Spätantike entwickelte, ausgeklügelte Kaiserzeremoniell weiter und passte es den neuen Begebenheiten seiner Herrschaft an. Vieles von dem, was heute allgemein als byzantinisch angesehen wird, geht in Wahrheit von diesem letzten ‚römischen’ Kaiser aus.

Es gibt weiterhin eine Reihe von Reiseberichten, die ausländische Gesandte am byzantinischen Kaiserhof im Laufe der Jahrhunderte zusammengestellt haben.[12] Sie behandeln neben Aussehen und Topographie des Kaiserpalastes auch das an ihnen praktizierte Zeremoniell. Hervorzuheben sind hier in erster Linie die zwei Berichte des Bischofs Liutprands von Cremona, der zwischen 945 und 969 zweimal im Auftrag westlicher Könige und Kaiser als Emissär nach Konstantinopel reiste. Seine Berichte sind stark von den bitteren Erfahrungen durchzogen, die er als Gesandter eines Konkurrenzreiches im Westen erleben musste. Der Liber antopodoseos[13] und die Relatio de legatione Constantinopolitana enthalten neben wüsten Beschimpfungen der Gastgeber auch wertvolle Informationen über den zeremoniellen Empfang seiner Gesandtschaft.[14]

3. Princeps clausus

„Das System der Herrschaft, das sich schließlich aus dem römischen Herrschaftsaufbau entwickelte, war in seinem Zusammenhang und seiner Gliederung ein künstlerisches Abbild der irdischen Welt selbst. In absoluter Erhabenheit thront der Herrscher im Palast und ein Zeremoniell, das, wie schon bemerkt, immer ein ‚halb religiöses’ war, umgibt ihn.“[15]

Konnten Augustus und seine unmittelbaren Nachfolger zumindest noch mit einiger Kaltschnäuzigkeit von einer ‚Herrschaft unter Gleichen’ sprechen, so wurde es bereits gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts immer schwerer, diesen Anspruch aufrecht zu erhalten. In den nächsten Jahrhunderten kam es schließlich – bedingt durch äußere, wie innere Krisen der Herrschaft, ja des gesamten Reiches – zu einer radikalen Umformulierung der gesamten Ideologie der Kaiserherrschaft. Unter Diokletian begann sich die Anrede des „ Dominus Noster “ zu etablieren und selbst die Mitglieder der kaiserlichen Familie waren fortan zur förmlichen ‚Anbetung’ des Kaisers gezwungen. Unter der Konstantinischen Dynastie wurde dieser Trend noch verstärkt: Die Formen der öffentlichen Repräsentation hatten unter Kaiser Constantius II. bereits protobyzantinische Züge angenommen, der Kaiser selbst war nicht mehr nur princeps inter pares, Feldherr und oberster Richter. Er wurde zusehends zu einer entrückten, den Untertanen real nicht mehr greifbaren, halbmystischen Figur. Bereits während des Prinzipats, also vom ersten bis in die erste Hälfte des zweiten Jahrhunderts, hatte sich die Auffassung durchgesetzt, den (halb-)göttlichen Kaisern gebühre ein Tempel, beziehungsweise, im Rückschluss daraus, dass das Haus des Kaisers – eben weil er göttlich sei – einen Tempel darstelle – aus dem schlichten Domus augusti wurde das sacrum palatium.[16] Diese Sakralisierung betrifft auch die Ämterordnung: Der praepositus sacri cubiculi wird zu einem der wichtigsten Hofämter, nicht zuletzt auch deshalb, weil er den Zugang zum Kaiser kontrolliert, der zunehmend zum princeps clausus wird, zu einem Herrscher, der fast ausschließlich und einzig vom Palast aus herrscht.

Das unter Diokletian eingeführte[17] Ritual der Proskynese[18] und der adoratio purpurae – die Anbetung des Purpurs – hatte die seit jeher gebräuchliche Begrüßungsform, die salutatio principis – einen Wangenkuss – ersetzt. Diokletian beschränkte die adoratio jedoch darauf, dass Männer im Patrizierrang sich vor dem Kaiser verbeugten, alle anderen das rechte Knie beugten.[19] Unter Justinian wurde das Prozedere verschärft – anstelle dieser adoratio trat nun die regelrechte Proskynese:

„Wenn bei Justinian oder Theodora aber einer vorgelassen werden wollte, so mussten sie sich alle sogleich, selbst Männer im Patrizierrang, mit dem Antlitz zu Boden werfen, und erst nachdem sie Hände und Füße weit ausgestreckt und mit den Lippen beider Majestäten Fuß berührt hatten, durften sie sich wieder erheben.“[20]

Ein solch förmliches Zeremoniell scheint auf den ersten Blick starr und unflexibel. Es ist jedoch so, dass selbst innerhalb der Proskynese eine strikte Rangordnung eingehalten wurde. Je nach sozialen Stand war es Patriziern oder Senatoren gestattet, bestimmte Teile des kaiserlichen Gewandes zu küssen – etwa das purpurne tablion, einen rautenförmigen Einsatz in der Brustpartie. Und auch wenn die Nivellierung der Zeremonie unter Justinian nun den Fußkuss von jedem verlangte, so gab es doch genug Raum für Flexibilität in anderen Bereichen.[21] Dennoch setzt besonders unter Justinian eine sehr starke Abgrenzung der jeweiligen gesellschaftlichen Sphären von Kaiser und Untertanen ein. War der Kaiser ‚Herr’ (kyrios, despotês), so waren auch die ranghöchsten Beamten und Würdenträger, selbst die kaiserliche Familie, ‚Diener’.[22]

Wenn nun die Proskynese die Erhabenheit der kaiserlichen Majestät steigern sollte, so muss das gleiche für andere Rituale gelten, deren sakraler Charakter noch stärker hervortritt.[23] Dazu gehört vor allem auch das zeremonielle Schweigen, das in Gegenwart des Kaisers beachtet wurde.[24] Eigene Beamte, die 30 silentiarii, die dem praepositus sacri cubiculi unterstellt waren, hatten die Ruhe im Palast und vor allem in der Gegenwart des Kaisers zu sichern. Selbst der – in der Nachfolge des antiken consistoriums entstandene – Thronrat des Kaisers, in dem die wichtigsten Körperschaften des Reiches vertreten waren, wurde allgemein als siléntion bezeichnet. Dabei muss allerdings zwischen zwei Aspekten unterschieden werden: Einmal waren es die Würdenträger des Reiches, die das Privileg hatten, im siléntion schweigend den Kundgebungen des Kaisers zu lauschen und sie an den entsprechenden Stellen mit rituellen Akklamationen zu feiern.[25] An anderer Stelle allerdings, bei Empfängen oder Audienzen etwa, war es am Kaiser selbst zu schweigen. War die Unterbrechung des herrschaftlichen Schweigens schon fast Sakrileg, so wäre es nicht minder frevelhaft gewesen, hätte der Kaiser seine Stimme direkt an ‚mindere’ Leute gewandt. Die Kommunikation erfolgte über Winke und Zeichen – eine hochgezogene Augenbraue, eine leichte Anhebung der chlamys konnte Gruß oder Befehl sein. Dabei oblag es dem parakoimómenos die Wünsche des Kaisers zu deuten.[26] Der Kaiser zeigte sich dabei meist auch nicht in seiner ganzen Gestalt: Vielmehr wurde der Raum unmittelbar um den Thron von Vorhängen abgedeckt, der Kaiser selbst war mithin nur als Silhouette sichtbar, bekrönt von einem kibôrion.[27]

Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Ritual des „leeren Thrones“: An gewöhnlichen (Werk-)Tagen saß der Kaiser stets in der östlichen Hälfte des Thronbereiches, auf einem goldenen Sessel. An Sonn- und Feiertagen hingegen, saß er auf einem mit Purpur bedeckten Sessel, ebenso bei Gesandtenempfängen.[28] Der rechte, östliche Thron war Christus geweiht, blieb also an Sonn- und Feiertagen als Zeichen der Reverenz für den ‚ewigen König’ frei. An Werktagen hingegen regierte sein irdischer Stellvertreter – der Kaiser – von ihm aus.[29] Ebenfalls aus dieser religiösen Sphäre stammt der Ritus der verhüllten Hände. Dabei gibt es zwei unterschiedliche Motivationen: Einmal durfte sich eine rangniedere der geheiligten Person des Kaisers aufgrund seines Status nicht mit bloßen Händen nähern – andererseits wird der Kaiser – wie eine Reliquie – nur mit verhüllten Händen angefasst, um ihn, bez. seine Heiligkeit, nicht zu ‚entweihen’.[30]

[...]


* Im Interesse der Lesbarkeit sind im Folgenden alle byzantinisch-mittelgriechischen Begriffe und Zitate in der vom Oxford Dictionary of Byzantium vorgegebenen Form wiedergegeben. Die Übersetzungen wurden den gängigen Editionen entnommen und – wo nötig – vom Autor ergänzt.

[1] Robert de Clari, La Conquête de Constantinople, ed. und übs. von Philipp Lauer, 1924, hier 81-82, besonders c.82. Vgl. Schreiner, Zu Gast, S. 125.

[2] Benjamin von Tudela: Buch der Reisen, ed. und übs. von Rolf Schmitz, Frankfurt am Main / Bern / New York, 1988, hier Kap. 11.

[3] De Ceremoniis, I, 44. Vgl. auch, Bauer, Potentieller Besitz, S. 141 und Anm. 28.

[4] Vgl. Bauer, Potentieller Besitz, S. 140ff, insb. Anm. 21.

[5] Treitinger, Oströmische Kaiser- und Reichsidee, S.1

[6] Vorwort zum Ersten Buch von de ceremoniis, 4, 19 ff.

[7] Der hier wiedergegebene und im Folgenden verwendete Titel ist eine neuzeitliche Latinisierung. Der eigentliche Titel lautet: „Abhandlung und der kaiserlichen Aufmerksamkeit sehr würdiges Werk des Konstantin, des von Christus geliebten und selbst in Christi, dem Ewigen Herrscher, Kaiser, Sohn des Leon, des sehr weisen Kaisers.“

[8] Wie etwa in II, 1 die Kaiserkrönung. Anhand von Hinweisen im Text kann das Entstehungsdatum mit den Jahren 956-959 relativ eng eingegrenzt werden. Für einen genaueren Abriss des Inhaltes und der Quellengeschichte vgl. Treitinger, Oströmische Kaiser- und Reichsidee, S. 3ff und Vogt, Livre des cérémonies.

[9] Leipzig, Univ.Bib. 23. Eine weitere Abschrift aus dem gleichen Zeitraum wurde im 11. Jahrhundert gelöscht und überschrieben, in den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts jedoch als Palimpsest in Teilen in Istanbul und dem Vatopedi-Kloster auf dem Berg Athos wiederentdeckt und ediert. Neben einer Edition und lateinischen Übersetzung des 16. Jahrhunderts (Reiske), wurde „ De ceremoniis “ bisher nur 1935 teilweise von Albert Vogt ediert und ins Französische übersetzt.

[10] Der eigentliche Titel lautet: „Über die Ämter des Palastes von Konstantinopel und über die Ämter der Großen Kirche.“ Es liegt seit 1966 in einer französischen Edition und Übersetzung von Jean Verpeaux vor.

[11] Im „ Bellum Gothicum “ finden wir etwa Beschreibungen von Triumphzügen und kaiserlichen adventi, während die „ Anekdota “ vor allem die von Justinian verschärften Bedingungen und Hierarchien des Zeremoniells behandeln. Beide liegen in rezenten Editionen und Übersetzungen von Otto Veh vor.

[12] Vgl. Schreiner, Zu Gast, S. 119-131 für eine Auswahl von Quellentexten.

[13] Wörtlich „Buch der Vergeltung“, nach Lintzel (Studien, S. 54f) ein „wahrhaft homerisches Schimpfen Liudprands gegen die Griechen“.

[14] Die Werke Liutprands wurden 1998 von Chiesa unter dem Namen „ Liudprandi Cremonensis Antapodosis, Homelia Paschalis, Historia Ottonis, Relatione de legatione Constantinopolitana “ neu ediert. Die Übersetzung von Bauer und Rau (Darmstadt, 1971) bleibt weiterhin maßgebend.

[15] Treitinger, Reichs- und Kaiseridee, S. 49.

[16] Vgl. z.B. Alföldy, Zeremoniell, S. 31ff. Im griechischen „ theion palátion“, so z.B. im Cod. Just. I, 15, 2, 1 u.a. Noch im 10. Jahrhundert ist der Palast an sich „geweiht“ (hierós), wenn auch in späterer Zeit eine Abschwächung erfolgt und das gemäßigtere theophylaktos (gottgeliebt) an die Stelle von „geweiht“ oder „heilig“ tritt.

[17] Zur umstrittenen Rolle Diokletians bei der Einführung eines verschärften Zeremoniells, vgl. u.a. Herrmann-Otto, Kaiser und Gesellschaft, S. 353ff; Kolb, Herrscherideologie, S. 38-54.

[18] Wörtlich: „ pros “ – auf, zu; „ kynesis “ – Bewegung.

[19] Vgl. Prokop, Anek., 30, 21.

[20] Prokop, Anek., 30, 23-24.

[21] Prokop (bell. Goth., 4, 21, 1-3) berichtet, dass der Feldherr Belisar über so hohes Ansehen verfügte, dass selbst sozial ranghöhere Patrizier nicht auf die Einhaltung des strikten Zeremoniells beharrten. Diese Differenzierung konnte allerdings nur unterhalb des höchsten Amtes stattfinden – gegenüber dem Kaiser waren sie allerdings alle an die gleichen Vorschriften gebunden.

[22] Das verwendete griechische „ doulos “ hat kein genaues deutsches Pendant. Es kann – ähnlich wie das lateinische „ servus “ – als „Diener“ oder „Sklave“ übersetzt werden. Einzige Ausnahme von dieser Regel waren gekrönte Mitglieder der kaiserlichen Familie, etwa die Kaiserin (basilissa, auch despoina - Herrin), designierte Nachfolger (kaisar) oder Mitkaiser (basileus). Unter der Komnenen-Dynastie (1081-1185) trat dazu noch der Bruder des Kaisers, der den eigens geschaffenen Titel eines sebastokrator führte.

[23] Dass die Proskynese letztlich auch religiöse Anklänge hat zeigt sich schon alleine daran, dass sie an einem Sonntag nicht vollzogen wurde. Der Sonntag gehörte im byzantinischen Verständnis Gott und nur ihm allein stand an diesem Tag die Proskynese zu. Der Sonntagsgottesdienst war im übrigen auch der einzige Anlass, an dem der Kaiser selbst die Proskynese vollzog – vor dem Altar der Hagia Sophia.

[24] Alföldy (Zeremoniell, S. 38) geht davon aus, dass dieses Schweigen, das seinen Ursprung auch in der Spätantike hatte, auf den Einfluss der östlichen Mysterien-Religionen zurückgeht. Vgl. auch Casel, Die Liturgie als Mysterienfeier, Freiburg i. Br., 1922, besonders das Kapitel „Das mystische Schweigen“.

[25] Treitinger, Kaiser- und Reichsidee, S. 53.

[26] Der parakoimomenos (wörtlich: „der, der daneben schläft“) ersetzte in byzantinischer Zeit den praepositus sacri cubiculi. Beides waren Eunuchen vorbehaltene Ämter, die großen Einfluss mit sich brachten. Zur ‚stillen’ Kommunikation vgl. Treitinger, Kaiser- und Reichsidee, S. 54f, mit den Anm. 30-33.

[27] Zu dem gesamten Abschnitt vgl. Treitinger, Reichs- und Kaiseridee, S. 56ff.

[28] De ceremoniis, II, 1: 521, 8ff und 530.

[29] Treitinger, Reichs- und Kaiseridee, S. 32ff: „Es ist jedoch nicht nur die Ehrerbietung, die hier den Thron freilässt, sondern der Glaube an die Anwesenheit Gottes, der selbst unsichtbar, dessen Thron aber sichtbar ist.“ Ein ähnliches Ritual findet sich bei Konzilien, auf denen stets ein leerer Thron mit Evangelium als Symbol der Anwesenheit Christi aufgestellt ist.

[30] Vgl. Dieterich, Hände, S.440ff und Treitinger, Reichs- und Kaiseridee, S. 63-67. Bei der traditionellen Geschenkvergabe des neu gekrönten Kaisers empfingen etwa die Demen ihre Geschenke nicht mit der bloßen Hand, sondern in ihrem Übergewand, der chlamys (de ceremoniis, I, 66: 300, 17ff).

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
En Theo pistos basileus - Kaiserpalast und Kaiserzeremoniell im Großen Palast zu Konstantinopel
Hochschule
Universität Trier  (Fachbereich III - Kunstgeschichte)
Veranstaltung
Zeremoniell und Raum
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
34
Katalognummer
V78123
ISBN (eBook)
9783638829816
Dateigröße
6348 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Theo, Kaiserpalast, Kaiserzeremoniell, Großen, Palast, Konstantinopel, Zeremoniell, Raum
Arbeit zitieren
Christian Rollinger (Autor:in), 2007, En Theo pistos basileus - Kaiserpalast und Kaiserzeremoniell im Großen Palast zu Konstantinopel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78123

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