Das Wort Sozialisation kommt aus dem lateinischen, und darunter wird die Entwicklung verstanden, durch die der Mensch zur gesellschaftlich handlungsfähigen Persönlichkeit wird. Wichtig dabei ist es, nicht aus dem Blick zu verlieren, dass die jeweilige Kultur, in der Menschen aufwachsen und leben, immer nur eine mögliche Form der Konkretisierung menschlicher Lebensformen ist und viele verschiedene Arten, viele verschiedene Kulturen existieren. Die lange für "natürlich" gehaltenen Verhaltensweisen von Menschen sind, so lautet eine Theorie, zum großen Teil kulturell bedingt und werden durch Sozialisation vermittelt bzw. gelernt. Und genau damit beschäftigt sich die kulturvergleichende Sozialisationsforschung, die Gegenstand meiner Hausarbeit sein soll.
Im Folgenden werde ich zwei Ansätze vorstellen und vergleichen: die Ausführungen Ludwig Liegle‘s in seinem Aufsatz "Kulturvergleichende Ansätze der Sozialisationsforschung" (aus dem "Handbuch der Sozialisationsforschung", 1982) und die Aussagen von Gisela Trommsdorff in ihrer Schrift "Kulturvergleichende Sozialisationsforschung" (erschienen im Buch "Sozialisationsforschung im Kulturvergleich", 1989).
Gliederung
1. Einleitung
1.1. Begriffsklärung
2. Kulturvergleichende Sozialisationsforschung
2.1. Historische Grundlagen
2.2. Themen und Modelle
3. Kultur und Persönlichkeit
3.1. Berücksichtigung individueller Unterschiede
3.2. Berücksichtigung longitudinaler Entwicklungsverläufe
3.3. Berücksichtigung von "natürlichen" Situationen und Umweltbedingungen
3.4. Reflexion allgemeiner, transkultureller Ziele der menschlichen Entwicklung und Erziehung
3.5. Kulturelle Einflüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung
3.6. Kulturelle Variation in Struktur und Prozeß der Persönlichkeitsentwicklung
4. Möglichkeiten und Probleme der kulturvergleichenden Sozialisationsforschung
4.1. Möglichkeiten
4.2. Praxisrelevanz
4.3. methodologische Probleme
5. Zusammenfassung
6. Literatur
1. Einleitung:
Das Wort Sozialisation kommt aus dem lateinischen, und darunter wird die Entwicklung verstanden, durch die der Mensch zur gesellschaftlich handlungsfähigen Persönlichkeit wird. Wichtig dabei ist es, nicht aus dem Blick zu verlieren, dass die jeweilige Kultur, in der Menschen aufwachsen und leben, immer nur eine mögliche Form der Konkretisierung menschlicher Lebensformen ist und viele verschiedene Arten, viele verschiedene Kulturen existieren. Die lange für "natürlich" gehaltenen Verhaltensweisen von Menschen sind, so lautet eine Theorie, zum großen Teil kulturell bedingt und werden durch Sozialisation vermittelt bzw. gelernt. Und genau damit beschäftigt sich die kulturvergleichende Sozialisationsforschung, die Gegenstand meiner Hausarbeit sein soll.
Im Folgenden werde ich zwei Ansätze vorstellen und vergleichen: die Ausführungen Ludwig Liegle‘s in seinem Aufsatz "Kulturvergleichende Ansätze der Sozialisationsforschung" (aus dem "Handbuch der Sozialisationsforschung", 1982) und die Aussagen von Gisela Trommsdorff in ihrer Schrift "Kulturvergleichende Sozialisationsforschung" (erschienen im Buch "Sozialisationsforschung im Kulturvergleich", 1989).
1.1. Begriffsklärungen:
Im folgenden Kapitel möchte ich (in Anlehnung an die oben genannten Autoren) die in meiner Arbeit verwendeten Begriffe kurz erläutern:
Kultur versteht Ludwig Liegle als das "Insgesamt sozialer Bedingungen des Verhaltens" (Ludwig Liegle 1982: 198 in Thomae 1972: 717); als das Insgesamt aller Bedingungen, die in Form von Überzeugungen und Werten, Sprache, Institutionen und Regeln von Generation zu Generation weitergegeben werden. An dieser Stelle weist Liegle auf die Überschneidungen mit dem Begriff Gesellschaft hin. "Kultur kann nicht von einer sie tragenden Gesellschaft (als dem umfassendsten System des menschlichen Zusammenlebens) abgelöst werden, und Gesellschaft kann nicht ohne die Übernahme und Weitergabe von Kultur (...) überleben" (Ludwig Liegle 1882: 199).
Für Trommsdorff hingegen ist es problematisch, den Kulturbegriff zu definieren, deshalb existieren ihrer Meinung nach so viele Definitionsversuche. Grund dafür sei der hohe Abstraktionsgehalt dieser Definitionen, "mit dem viele Phänomene gleichzeitig umschrieben werden sollen" (Trommsdorff 1989: 12). Für Trommsdorff beinhaltet Kultur (ebenso wie für Liegle) die von einer sozialen Gruppe verwendeten Deutungs- und Handlungsmuster, Wissen, Sprache und Techniken zur Bewältigung der Anpassung mit der Natur. "Kultur ist einerseits Teil der Umwelt des Menschen und wird andererseits vom Menschen gemacht" (Trommsdorff 1989: 12).
Der Vergleich ist nach Liegle eine Methode der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung und läßt sich durch folgende Merkmale beschreiben: Im Vergleich werden zwei oder mehrere Gegebenheiten gezielt miteinander verglichen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten sichtbar zu machen, gegebenenfalls zu deuten und zu erklären. Im Falle des interkulturellen Vergleichs handelt es sich um Kulturen bzw. gesellschaftliche Systeme. Dabei gibt es zwei verschiedene Arten: implizite und explizite Vergleiche. Erstere beziehen sich auf Untersuchungen einer Kultur, die dem Forscher fremd ist - explizite Vergleiche untersuchen zwei oder mehrere Kulturen.
Nach Trommsdorff allerdings geht es beim Kulturvergleich nicht um das Anliegen, ganze kulturelle Systeme und deren Besonderheiten beschreibend zu vergleichen - sondern darum, "verschiedene Kulturen aufzusuchen, um die Varianz der dort repräsentierten Phänomene unter theoretischen Fragestellungen zu erweitern" (Trommsdorff 1989:12). Der Vergleich dient ihrer Meinung nach als Methode, um theoretisch angenommene Zusammenhänge zu überprüfen. Dies steht im Gegensatz zu den Ausführungen Liegle‘s, der das Überprüfen bestimmter Zusammenhänge nur als Möglichkeit des Kulturvergleichs in Betracht zieht, nicht aber als Muss.
Sozialisation beschreibt Ludwig Liegle (in Anlehnung an zahlreiche Definitionsversuche) als den Prozeß, "durch welchen das Individuum vermittels der aktiven Auseinandersetzung mit seiner menschlichen und dinglichen Umwelt eine persönliche und soziale Identitätsausbildung und Handlungsfähigkeit erwirbt" (Ludwig Liegle 1982: 198). Er betont, dass Sozialisation ein lebenslanger, offener Lernprozeß ist, ausgehend von Familie, Bildungsinstitutionen (vor allem in der Kindheit und Jugend) bis hin zu Arbeit und Beruf (überwiegend im Erwachsenenalter). Im Gegensatz zur Erziehung werden hierzu nicht nur die bewußten und zielgerichteten Einflußnahme gezählt, sondern alle Formen der Interaktion zwischen Organismus und Umwelt.
Trommsdorff betont, dass Individuen nicht passiv den Umwelteinflüssen ausgesetzt sind, sondern aktiv handelnde Personen mit eigenen Wünschen und Zielen. Darauf werde ich später noch näher eingehen.
2. Kulturvergleichende Sozialisationsforschung:
Nach Ludwig Liegle spielt der Vergleich als eine Methode der Erkenntnisgewinnung in der Sozialisationsforschung eine große Rolle. So können verschiedene (kulturelle) Umweltbedingungen in ihrer unterschiedlichen Wirkung auf den Erziehungs-, Sozialisations- und Entwicklungsprozeß der unter diesen Bedingungen lebenden Individuen untersucht werden. Der Soziologe verweist auf Durkheim, der Anfang des letzten Jahrhunderts durch Kulturvergleiche festgestellt hat, dass nicht die Vererbung organischer Anlagen, sondern die Erziehung das Mittel ist, "mit dem die Gesellschaft immer wieder die Bedingungen ihrer eigenen Existenz erneuert" (Liegle 1982: 199 ff. in Durkheim 1902/03: 44).
Bei der kulturvergleichenden Sozialisationsforschung geht es (im Gegensatz zur historischen Sozialisationsforschung) um den Vergleich verschiedener kultureller Systeme im Ganzen bzw. auf einzelne Merkmale dieser.
Nach Gisela Trommsdorff ist es die Aufgabe der Sozialisationsforschung, die Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung und die auf sie einwirkenden und von ihr beeinflußten Faktoren zu untersuchen. Sie hat sich auf die kulturvergleichende Perspektive spezialisiert, weil sie kulturelle Faktoren als wesentliche Bedingungen der Sozialisation versteht. Die einwirkenden Faktoren sind eingebettet in eine bestimmte Kultur. "Kulturelle Besonderheiten sind dabei nicht nur Bedingungsfaktoren in der Sozialisation, sondern auch ein Ergebnis von Sozialisationsprozessen" (G. Trommsdorff 1989: 7). Für die Wissenschaftlerin bietet gerade der kulturvergleichende Ansatz gute Möglichkeiten, die Aufgaben der Sozialisationsforschung zu erfüllen. Dieser Ansatz sei sinnvoll und sogar notwendig, wenn man davon ausgeht, dass Menschen keine passiven Empfänger von Umwelteinflüssen sind, sondern aktiv handelnde Individuen mit eigenen Zielen. Dabei handelt es sich um komplexe wechselseitige Beeinflussungen von Individuen und Umwelt, im Sozialisationsverlauf wirkt das Individuum selbst aktiv auf seine Umwelt ein. Um die Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung zu erforschen, ergibt sich nach Trommsdorff die Notwendigkeit einer kulturvergleichenden Sozialisationsforschung, um über den individuellen Lebenslauf sowie im historischen Vergleich einwirkende kulturelle, soziale, ökonomische und ökologische Faktoren zu erforschen.
2.1. Historische Grundlagen:
Der kulturvergleichende Ansatz ist seit Beginn der wissenschaftlichen Entwicklung von Psychologie und Soziologie als Methode der Sozialisationsforschung verwendet worden.
Trommsdorff nennt als einen der ersten Vertreter, der eine vergleichende Sozialisationsforschung gefordert hat, Emile Durkheim (1865). "Für ihn lag die Bedeutung des vergleichenden Ansatzes in der Beschreibung und Erklärung kulturinvarianter und kulturspezifischer Phänomene in verschiedenen Kulturen" (Trommsdorff 1989: 10). Am Beispiel der (in vielen Kulturen üblichen) Initiationsriten beschreibt Durkheim einen universellen Phasenablauf. Für diesen bestehen allerdings kulturspezifische unterschiedliche Normen, welche Beginn, Art und Verlauf dieser Phasen bestimmen. Riten werden dabei als Übergangsformen von einer Lebensphase in die nächste verstanden, und kennzeichnen neue soziale Rollen bzw. "regulieren den Sozialisationsprozeß so, dass sich bestimmte Fähigkeiten und Verhaltensweisen entwickeln" (Trommsdorff 1989: 10), die kulturell für ein bestimmtes Lebensalter bzw. für bestimmte Situationen erwünscht und notwendig sind.
Als Begründer der Anthropologie gilt (nach Trommsdorff) Franz Boas, kurzzeitig Mitarbeiter in Wundt‘s 1875 in Leipzig gegründetem Labor. Er war ebenfalls (wie Wundt) unzufrieden mit der ausschließlich experimentellen Methode im Labor - und richtete sein Interesse auf die Beschreibung kultureller Bedingungen und deren Einfluß auf menschliches Verhalten. Damit war er Vorreiter der (berühmt gewordenen) Arbeiten zur Persönlichkeit und Kultur von Mead (1928) und Benedict (1959).
Liegle hingegen nennt nicht Boas oder Durkheim als Begründer der kulturvergleichenden Sozialisationsforschung, sondern erst Mead und Benedict, auch wenn diese seiner Meinung nach noch nicht "eigentlich der Sozialisationsforschung zuzurechnen sind" (Liegle 1982: 205). Die zweite Phase des Kulturvergleichs, so Liegle weiter, wurde eingeleitet durch Kardiner (1939) mit der "Systematisierung von Hauptsituationen", welche das Verhalten des Individuums im Lebenslauf beeinflussen. Weiterhin mit der Systematisierung von verhaltensrelevanten Kategorien der familiären, verwandtschaftlichen und politischen Organisation in einem kulturvergleichende Register bei Murdock (1949). Im Gegensatz zu Trommsdorff, die die Entwicklungen in der Psychologie gesondert beschreibt, schließt Liegle an dieser Stelle die Überprüfung einzelner Hypothesen an, insbesondere der psychoanalytischen Entwicklungslehre (z.B. Erikson 1950). Diese zweite Phase knüpft nach Liegle an die allgemeine Sozialisationstheorie (nach G.H. Mead und Parsons) an und hat umgekehrt die allgemeine Sozialisationsforschung angeregt.
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- Arbeit zitieren
- Kathrin Schultz (Autor:in), 2001, Kulturvergleichende Sozialisationsforschung: Themen, Modelle, Möglichkeiten und Probleme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7813
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