Die deutsche Presse in der Kaiserzeit: Die 2. Marokkokrise im Spiegel des Fränkischen Kuriers


Examination Thesis, 2002

106 Pages, Grade: 2 (gut)


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Entwicklung der Zeitungspresse bis in die Kaiserzeit
2.1 Von den Anfängen bis zur Märzrevolution
2.2 Die Neuorganisation der Pres
2.3 Der lange Weg zur Pressefreiheit

3. Die Presse in der Ära des Wilhelminismus
3.1 Massenpresse und Informationsflu
3.2 Die meinungsbildenden Zeitungen
3.3 Die Einflussnahmemöglichkeiten der Regierung am Beispiel der Marokkofrage

4. Die 2. Marokkokrise im Spiegel des „Fränkischen Kurier
4.1 Der „Fränkische Kurier“: Ein liberales Lokalblatt
4.2 Der „Fränkische Kurier“ und die Regierungslinie während der 2. Marokkokri
4.3 Die 2. Marokkokrise in der Darstellung des „Fränkischen Kurier
4.3.1 Die Rechtfertigung des Handelns
4.3.2 Die Frage der Verantwortlichkeit
4.3.3 Die „flankierenden“ Informationen
4.3.4 Die Einbeziehung der gegnerischen Öffentlichkeit

5. Fazit

6. Quellen und Literaturverzeichnis
6.1 Quellen
6.1.1 Veröffentlichte Dokumente
6.1.2 Zeitung
6.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung

Der 15. März 1991 stellt in der jüngsten Geschichte Deutschlands eine Zäsur dar, deren tiefere Bedeutung einem Großteil der deutschen Öffentlichkeit wohl noch nicht in ihrer ganzen Tragweite zum Bewusstsein gekommen ist. Durch das In-Kraft-Treten des „Zwei-plus-Vier“-Vertrags ist Deutschland erstmals nach mehr als siebzig Jahren wieder ein souveräner und völkerrechtlich vollständig handlungsfähiger Staat mit allen Rechten und Pflichten innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft. Diese Tatsache muss zwangsläufig zu einem veränderten Blick auf außenpolitische Bedrohungen führen, da von Deutschland nun (abgesehen vom „worst case“ in den Zeiten des Kalten Krieges) auch in lokal begrenzten, weltweiten Konflikten eine aktive militärische Teilnahme erwartet wird. Nirgendwo spiegelt sich diese neue Sichtweise sowie die Hoffnungen und Befürchtungen der Öffentlichkeit deutlicher wider als in den Medien. Innerhalb dieses öffentlichen Diskurses nimmt die gedruckte Zeitung trotz aller Technisierung auf diesem Gebiet auch im 21. Jahrhundert noch eine Position von herausragender Bedeutung ein. Es bietet sich deshalb an, den Blick zurück zu richten auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und zu untersuchen, wie sich eine außenpolitische Krise im Zeitalter des souveränen Deutschen Kaiserreiches in einem typischen Blatt der wilhelminischen Presse darstellte.

Wie kaum ein anderes Menetekel ist die 2. Marokkokrise dazu geeignet, die national aufgewühlte Stimmung im Kaiserreich angesichts der drohenden Kriegsgefahr in Europa und der Welt einzufangen, so dass der äußere Anlass dieser Untersuchung schnell zu bestimmen war. Schwieriger verhält es sich mit der Auswahl einer „typischen“ Zeitung, denn die deutsche Presse konnte trotz ihrer frühen Anfänge im 17. Jahrhundert zum Zeitpunkt der genannten Krise im Jahr 1911 erst auf eine relativ kurze Geschichte zurückblicken. Weitgehend unbestritten ist es in der Presseforschung nämlich, „den Zeitraum um 1848 als die entscheidende Zäsur für das Entstehen des modernen Zeitungswesens anzuerkennen“.[1] Deshalb sollen im ersten Teil dieser Arbeit, nach einem kurzen Überblick über die Anfänge des Pressewesens, die wichtigsten Stationen der etwas mehr als sechzig Jahre beleuchtet werden, die zwischen der Märzrevolution und dem bekannten „Panthersprung“ nach Agadir liegen.

Dargestellt werden soll dabei zunächst die eng mit der Konstituierung der Parteien zusammenhängende Schaffung der politischen Zeitung und ihr Bemühen um die Emanzipation von der staatlichen Bevormundung. Daran anschließend sollen die Veränderungen zur Sprache kommen, die durch technische und gesellschaftliche Entwicklungen den neuen Typ der Massenpresse ermöglichten, aber auch auf die existierenden meinungsbildenden Blätter nicht ohne Einfluss blieben. Abschließend werden die veränderten staatlichen Einflussnahmemöglichkeiten nach dem grundsätzlichen Wegfall der Zensur durch das Reichspressegesetz von 1874 betrachtet, was, zur Einführung in den zu behandelnden außenpolitischen Konflikt, am Beispiel der Marokkofrage geschehen soll.

Nach der Klärung der pressepolitischen Bedingungen der Kaiserzeit wird mit dem „Fränkischen Kurier“ eine lokale Tageszeitung vorgestellt, welche die vorweg skizzierten Entwicklungen in typischer Weise repräsentiert. Ihre politische Heimat war die gesellschaftliche Basis der wilhelminischen Epoche, das Bürgertum, dessen Anliegen der „Fränkische Kurier“ eine Stimme geben wollte. Gleichzeitig war das Lokalblatt aber auch ein Vertreter der kommerzialisierten Presse, was durch seinen umfangreichen Anzeigenteil, durch seine hohe Auflage von knapp 20.000 Exemplaren und seine exponierte Stellung innerhalb der Öffentlichkeit eines regionalen Ballungszentrums wie Nürnberg zum Ausdruck kam. Im Mittelpunkt der Untersuchung soll die Frage stehen, wie ein solches bürgerlich-liberales Blatt seine eigenen Interessen und die des repräsentierten Bürgertums offen oder auch verdeckt in das Bewusstsein der Leser zu bringen versuchte und ob sich dabei Muster finden, die unabhängig von der politischen Ausrichtung eines Blattes überzeitlich auf jede im Medium Zeitung dargestellte außenpolitische Krise angewendet werden können. Zu diesem Zweck soll zunächst die Berichterstattung des „Fränkischen Kuriers“ hinsichtlich des Konflikts im Verhältnis zur Regierungspresse betrachtet werden. Ferner steht die Rechtfertigung des deutschen Vorgehens aus der Sicht des Lokalblattes und die Zuweisung der Verantwortlichkeit für die krisenhafte Zuspitzung der Marokkofrage im Zentrum des Interesses. Im Anschluss daran soll gezeigt werden, auf welche Weise das Blatt über den räsonierenden Artikel hinaus versuchte, dem Leser seine Einstellung näher zu bringen.

Abschließend soll in diesem Zusammenhang noch auf die Problematik der Zeitung als Quelle hingewiesen werden. Dem Forschenden erschwert sie das Erkennen relevanter Aussagen zunächst durch ihre enorme Stofffülle, die zu sortieren nicht immer leicht fällt. Die Aussagekraft ihrer Beiträge ist zudem nicht durch eine vollkommen einheitliche Linie gekennzeichnet, da diese der Bearbeitung durch verschiedene Redakteure und der sich verändernden äußeren Bedingungen, im sich rasch wandelnden politischen Tagesgeschäft ausgesetzt ist. Die geäußerten und einfließenden Ansichten bewegen sich dabei gerade bei der politischen Presse (und dies in der Kaiserzeit in viel stärkerem Maß als heute) im Spannungsfeld zwischen einer gewünschten, meinungswerbenden Ausrichtung und der Notwendigkeit jeder kommerziellen Unternehmung, Gewinn erwirtschaften zu müssen. Inwieweit in der Presse vertretene Meinungen der inneren Überzeugung entsprechen, der Ausrichtung des Blattes geschuldet sind oder der amtlichen Inspiration unterliegen, lässt sich deshalb in aller Regel kaum nachweisen. Trotz dieser Schwierigkeiten soll im Rahmen dieser Arbeit versucht werden, einen Teil der Grundtendenzen der politisch motivierten Tageszeitung aufzudecken.

2. Die Entwicklung der Zeitungspresse bis in die Kaiserzeit

2.1 Von den Anfängen bis zur Märzrevolution

Der Übergang in der Periodisierung vom Mittelalter zur Neuzeit ist bekanntlich fließend und neben gängigen Zäsuren wie der Erstürmung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 oder der von Luther ausgelösten Reformation ab 1517 war sicherlich auch die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gensfleisch zur Laden, genannt Gutenberg, um 1440 ein weiteres Indiz für den Anfang einer neuen Epoche. Es sollte jedoch noch über 150 Jahre dauern, bis die neue Technik auch zur regelmäßigen Übermittlung und Verbreitung von allgemeinen, vornehmlich politischen und militärischen, Nachrichten Verwendung fand. Nach derzeitigem Stand der Forschung erschien 1605 mit der Straßburger „Relation“ „die älteste gedruckte periodische politische Zeitung der Welt. Exemplare des Blattes sind allerdings erst aus dem Jahr 1609 überliefert.“[2] Diese Wochenzeitung[3] wie der im gleichen Jahr in Wolfenbüttel erschienene „Aviso“ leiteten aus Gründen der Arbeitsökonomie die Ablösung der im 16. Jahrhundert entstandenen „Brief-Zeitungen“ oder „Nachrichtenbriefe“ ein.[4] Jene wurden von gewerbsmäßigen Schreibern in einer durch den Arbeitsaufwand begrenzten wöchentlichen Auflage von rund 20 Stück handschriftlich verfasst und an einen finanzstarken Abonnentenkreis verkauft. Die neuen im Druckverfahren hergestellten Zeitungen ermöglichten nun eine höhere Auflage von zunächst 250 bis 400 Exemplaren, wodurch sich bei sinkenden Stückkosten auch der Abnehmerkreis (wiederum Abonnenten, eine Finanzierung über Anzeigen war noch unbekannt) deutlich erweiterte.[5] Auf die Straßburger „Relation“ und die Wolfenbüttler „Avisen“ trifft deshalb erstmals die von Johannes Weber als „Definitionsversuch“ charakterisierte Bestimmung der Zeitung zu.

„Die Zeitung ist ein ungebundenes Druckwerk von mäßigem Seitenumfang, das in kurzen periodischen Zeitspannen, mindestens einmal wöchentlich, öffentlich erscheint, von jedermann gegen relativ geringes Entgelt erworben werden kann und brandneue Nachrichten aus aller Welt und allen Gegenstandsbereichen vermittelt“[6]

Wenngleich zu Beginn dieser Entwicklung in der Realität nur eine kleine, elitäre Gruppe im Südwesten des Heiligen Römischen Reiches tatsächlich in den Genuss des neuen Mediums kam, so war doch die grundsätzliche Zugänglichkeit, auch durch die zunehmenden Neugründungen von Wochenzeitungen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts[7], gewährleistet, womit das Kriterium der Publizität erfüllt ist. Inhaltlich waren die frühen Zeitungen nicht auf bestimmte Themenfelder festgelegt, sondern berichteten vor allem über die Begebenheiten der internationalen Politik, aber auch über Naturkatastrophen und merkwürdige Geschehnisse[8], so dass sie auch dem Anspruch der Universalität mehr oder weniger gerecht wurden. Allerdings blieben Regionales und Lokales in der Regel den Predigten in der Kirche vorbehalten. Das Fehlen von Nachrichten aus dem eigenen Herrschaftsbereich verminderte aus Sicht der Obrigkeit offenbar die Gefahr, dass sich breitere Schichten zu sehr mit dem Verhältnis zur eigenen Herrschaft auseinandersetzen konnten, so dass auf Zensurmaßnahmen weitgehend verzichtet wurde.[9] Überhaupt richteten sich die Meldungen zunächst nur an ein gebildetes Publikum, da auf jede journalistische Bearbeitung der für den Laien nur schwer verständlichen Berichte von Diplomaten, Staatsbeamten und Offizieren verzichtet wurde.[10] Zusammen mit den Kennzeichen der Periodizität und der Aktualität, die bei einer wöchentlich erscheinenden Zeitung als gesichert gelten können, stellen die genannten Merkmale der Publizität und der Universalität vier Kriterien dar, die nach einhelliger Meinung der Presseforschung die Zeitung konstituieren und ihr Wesen ausmachen.[11] Sie können erstmals auf die Frühformen der Tagespresse angewendet werden, „die diesen vier Kriterien unter Berücksichtigung der damaligen Möglichkeiten gerecht zu werden versuchten“.[12]

Bereits in den 1630er Jahren erschienen einige Blätter zwei- bis dreimal pro Woche, so dass es nur ein kleiner Schritt zur ersten echten Tageszeitung war, die 1650 unter dem Namen „Einkommende Nachrichten“ von Timotheus Ritzsch in Leipzig herausgegeben wurde. Dadurch, dass breitere Kreise wöchentlich oder sogar täglich an den politischen Aktivitäten der herrschenden Schichten teilnehmen konnten, verlor deren Aura zunehmend an Exklusivität. Ereignisse von internationaler Bedeutung waren vor deren regelmäßiger Verbreitung über die Zeitung nur sporadisch durch das gesprochene Wort oder relativ seltene Flugblätter verbreitet worden. „Schleichend, doch unaufhaltsam dürfte durch diese medial veränderte Wahrnehmung des Politischen beim Leser ein Mentalitätswandel eingetreten sein, der mit dem Begriff „Säkularisierung des Politischen“ zu kennzeichnen ist.“[13] Politik erschien nun erstmals diskussionsfähig, aber die reine Nachrichtenwiedergabe, wie sie in der großen Mehrheit der am Ende des 17. Jahrhunderts parallel erscheinenden 60 Zeitungen üblich war, erlaubte der Mehrzahl der Leser kaum eine echte Meinungsbildung. Es fehlte eine richtungsweisende Kommentierung der reinen Faktizität, die eine Einordnung der Meldungen ermöglicht hätte. Die Drucker und Herausgeber verstanden sich in der Regel nur als Dienstleister und Handwerker, welche die eingehenden Informationen lediglich zusammenstellten; zu einer intellektuellen Durchdringung dürften sie auch kaum in der Lage gewesen sein. Dass dies von der Obrigkeit durchaus beabsichtigt war, zeigt sich auch in der Vergabe der Zeitungs-Privilegien, die eben bevorzugt an „handwerkliche Dienstleister“ des städtischen Bürgertums gingen, auf deren Loyalität sich die Herrschenden verlassen konnten. Eine Öffentlichkeit, die sich aktiv mit den Geschehnissen der Zeit auseinander setzte, eine „räsonierende Öffentlichkeit“, entstand jedoch erst unter dem Einfluss des historisch-politischen Journals, das ab den 1670er Jahren aufkam. Monatlich erläuterte es seinen Rezipienten auf bis zu 200 Seiten und hohem Niveau die Hintergründe der Sachverhalte, welche die politisch informierenden Blätter nur zu nennen wagten. Da die Adressaten, auch aufgrund der relativ hohen Kosten, fast nur im Kreis der regierungstreuen Hochgebildeten zu finden waren, war auch dieses Medium kaum von der Zensur betroffen, wenngleich die Obrigkeit, wo es ihr nötig schien, sich nicht scheute, unliebsame Nachrichten zu unterdrücken.[14] Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts bildete sich nach Jürgen Habermas eine „publizistisch bestimmte Öffentlichkeit“ heraus, was Habermas darauf zurückführt, dass erst zu diesem Zeitpunkt die Presse dem Kriterium der Publizität gerecht wurde.[15] Johannes Weber geht mit dieser Erklärung nicht konform. Eine publizistisch bestimmte Öffentlichkeit, die Habermas, Weber zufolge, ganz richtig erst um das Jahr 1700 konstatiert, bedurfte nach Webers Ansicht eben vor allem einer neuen, räsonierenden Pressegattung, die auf der rein informierenden Zeitung aufbaute. Eine reine Faktenzeitung konnte demnach keine breite öffentliche Meinung hervorbringen, denn sie „ist zwar eine notwendige, doch keine zureichende Voraussetzung für das historische Erscheinen einer publizistisch bestimmten räsonierenden Öffentlichkeit.“[16]

Früh schon erkannte der absolutistische Staat die Einflussmöglichkeiten des neuen Mediums und strebte deshalb die Kontrolle über die Zeitungen an. Vor allem aus drei Gründen neigten die Fürsten dabei zu zensorischen Maßnahmen: Zum einen, um mit ausländischen Mächten nicht in Konflikt zu geraten, zum zweiten, weil man sich Sorgen um Sitte und Moral im eigenen Land machte und weil jede Obrigkeit, zu jeder Zeit, um Ruhe und Ordnung fürchtet, die durch aufrührerische Schriften gestört werden könnten. Die Zeitungen der deutschen Fürstentümer waren dabei unterschiedlich strengen Maßnahmen unterworfen, die von fixierten Zensurgesetzen über eher locker gehandhabte Edikte bis zur völligen Aufhebung der Zensur reichten, wie 1776 in Schleswig und Holstein durch den dänischen König. Allerdings ist die Abwesenheit von explizit formulierten Gesetzen durchaus nicht mit Pressefreiheit im modernen Sinn zu verwechseln. Unter dem Eindruck der französischen Revolution wurden die Zensurmaßnahmen sowohl per Reichsgesetz von 1791 als auch durch entsprechende Maßnahmen der Länder noch einmal erheblich verschärft.[17] Ein anderes wirksames Mittel der Einflussnahme war die Einführung des so genannten „Intelligenzzwangs“ (von „intellegere“ = Einsicht nehmen). Hierbei handelte es sich um die Pflicht, dass alle Annoncen und Anzeigen zuerst in einem städtischen oder staatlichen Blatt erscheinen mussten, bevor sie in den Zeitungen gedruckt werden durften. Ausgehend von entsprechenden Regelungen in England und Frankreich führte Preußen, als Vorreiter der deutschen Länder, 1727 den Intelligenzzwang ein, der bis 1849 bestand haben sollte.[18] Die verordneten Intelligenzblätter, die neben wirtschaftlichen Anzeigen und Marktberichten, amtlichen Bekanntmachungen und Verordnungen auch Artikel mit belehrendem und unterhaltendem Inhalt enthielten,[19] behinderten vor allem im 18. Jahrhundert das Wachstum einer politischen Presse. Erschwert wurden die Neugründungen von Zeitungen im 18. Jahrhundert zusätzlich durch die Tatsache, dass sie der Zustimmung durch die Landesherrschaft bedurften, wobei die Erlangung einer solchen Konzession oftmals mit erheblichen Kosten verbunden war. Doch konnte weder diese finanzielle Hürde, noch der Intelligenzzwang oder die Zensur die Ausbreitung der rein privaten Zeitungsunternehmungen aufhalten, die sich in Deutschland vornehmlich in Familienunternehmen konstituierten,[20] auch weil die erlassenen Bestimmungen in der Realität vielerorts nicht so streng gehandhabt wurden. Um 1750 erschienen rund 90 deutschsprachige Zeitungen, die mit einer durchschnittlichen Auflage von mehr als 2000 Stück rund eine halbe Million Leser erreichten. Diese große Zahl von Lesern ergab sich, weil diese sich vielfach in Lektüregruppen zusammenfanden.[21]

Als in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der so genannte „gelehrte Artikel“ auch in der Tagespresse Verwendung fand, sah sich Friedrich Wilhelm I. veranlasst, Veröffentlichungen dieser Art ebenfalls unter seine Aufsicht zu stellen. „Noch das Räsonnement als solches wird dem Reglement unterworfen.“[22] In deutschen Zeitungen blieb die Kommentierung politischer Ereignisse bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches unerwünscht. „Die Zeitungen waren im 17. und 18. Jahrhundert im wesentlichen vom Staat kontrollierte und beeinflußte Nachrichtenblätter mit zielgerichteter Informationsfunktion.“[23] Diese Tatsache erleichterte es der Mehrheit der Herausgeber, sich mit den Restriktionen während der französischen Besatzungszeit zu arrangieren. Sowohl in den besetzten oder Frankreich angeschlossenen Gebieten wie auch in den Rheinbundstaaten herrschte unter dem Einfluss Napoleons eine strenge Zensur, gleichwohl ein entsprechendes Gesetz vom Kaiser erst 1810, für Zeitungen im Besonderen 1811, erlassen wurde.[24] Auch in den „freien“ Ländern wie Preußen und Österreich war man darum bemüht alles zu unterdrücken, was den Zorn der französischen Hegemonialmacht hätte erregen können. Während die Fürsten zuvor jedoch politisch räsonierende Artikel als eine unzulässige Einmischung in ihr Metier ansahen, waren sie nun von der prinzipiellen Nützlichkeit, oder besser gesagt Nutzbarmachung der Presse überzeugt, da sie sich mit ihr in der Gegnerschaft zu einem gemeinsamen Feind vereint sahen. Dementsprechend planten Metternich und sein Berater Friedrich von Gentz die Verabschiedung der französischen Zensurgesetze für ihre Zwecke zu nutzen, indem sie durch neue liberale Pressegesetze die Frankophilen in ihrem Einflussbereich dem Land der Revolution zu entfremden suchten.[25] Aus demselben taktischen Kalkül heraus entstand im Januar 1814 in den kurz zuvor von Blücher befreiten Rheinlanden der „Rheinische Merkur“. Dieses Blatt pflegte unter seinem von den Folgen der französischen Revolution enttäuschten Herausgeber Joseph Görres eine offene Sprache, zumeist gegen Frankreich gerichtet und die deutschnationale Überzeugung nicht verhehlend. Diese Ausrichtung war der preußischen Führung natürlich nicht unangenehm, wiewohl der Zeitung ein offiziöser Charakter nicht nachzuweisen ist. Neu war, dass Görres Nachrichten nicht nur aufzählte, sondern sie zu meinungsbildenden Berichten verdichtete. Dabei schoss er aus preußischer Sicht zunehmend über das Ziel hinaus, indem er die Verbündeten Preußens der lasche Haltung gegenüber Frankreich zieh. Mit dem Niedergang des Korsen und der Macht Frankreichs wurde klar, dass die Obrigkeit die „strategische Partnerschaft“ zwischen sich und der Presse als beendet ansah. Der Status quo ante war aus ihrer Sicht wieder herzustellen. Der „Rheinische Merkur“ wurde per Kabinettsorder vom 3. Januar 1816 verboten und auch zahlreiche Blätter, die im Windschatten des durch den einigenden Frankreichantagonismus aufgekommenen Liberalismus gesegelt waren, fielen der erneuten Zensur zum Opfer. „Das Schicksal des Rheinischen Merkurs beweist [...], daß von Pressefreiheit noch nicht die Rede sein konnte. Unbequeme Gazetten wurden von den deutschen Fürsten nur so lange geduldet, wie sie der Staatsraison nützlich waren.“[26]

Mit den Karlsbader Beschlüssen begann dann bekanntlich für fast 30 Jahre eine bleierne Zeit, die verhindern sollte, „daß sich die bürgerliche Gesellschaft politisch formiert.“[27] Auf Betreiben des österreichischen Staatskanzlers Metternich unterlagen während dieser Zeit alle Schriften mit mehr als 20 Bögen sowie alle Periodika der Vorzensur, Schriftstücke oberhalb dieses Grenzwertes immerhin noch der Nachzensur. Verstieß eine Zeitung gegen die Zensurbestimmungen, stand nicht nur die betreffende Nummer, sondern das weitere Erscheinen überhaupt auf dem Spiel. Der verantwortliche Redakteur musste in einem solchen Fall mit einem bis zu fünfjährigen Berufsverbot rechnen. Die in Karlsbad ausgehandelten und am 20. September 1819 von der Bundesversammlung in Frankfurt verabschiedeten Maßnahmen sollten zur Legitimation „einer fast dreißigjährigen Polizeiaktion gegen die Presse werden, des ausgedehntesten und wirksamsten Unterdrückungssystems in der deutschen Pressegeschichte überhaupt – von den Maßnahmen des modernen Totalitarismus freilich abgesehen [...].“[28]

Jedoch konnten die während der Befreiungskriege geweckten publizistischen Geister nicht wieder eingeschläfert werden und so entbrannte unter der labilen Oberfläche des deutschen Biedermeier[29] ein zäher Kampf um die freie Meinungsäußerung. Dieser wurde allerdings kaum von den großen Nachrichtenblättern, als vielmehr von vielen kleinen, kurzlebigen Periodika unter der Leitung von mutigen Herausgebern geführt. Immer wieder zeigten sich während der drei Dekaden aus der Sicht der Zensurgegner hoffnungsvolle Silberstreifen am Pressehorizont: Etwa nach dem Tod Friedrich von Gentz´ 1832, der vorübergehenden Aufhebung jeglicher Zensur in Baden im gleichen Jahr oder der mit der Thronbesteigung Wilhelms IV. einhergehenden Liberalisierung der Pressegesetze. Letztendlich behielt die Restauration jedoch immer die Oberhand, obwohl sich während dieser Jahre im Bewusstsein der Führungen der einzelnen Länder allmählich ein Wandel vollzog.[30] Zunehmend weniger waren sie von Sinn und Zweck einer strengen Zensur überzeugt, wie Metternich sie nach wie vor mit aller Strenge einforderte und so war bereits 1847 das Ende der Restriktionen absehbar. Dabei waren es noch nicht einmal die Forderungen der Märzrevolution, sondern vielmehr der Unwille der deutschen Staaten sich in der Frage der Pressefreiheit von Österreich länger gängeln zu lassen. Schon vor den Märzaufständen hatten sich führende Mitglieder des Deutschen Bundes (Bayern, Preußen, Württemberg, Mecklenburg, Baden sowie das Großherzogtum Hessen) positiv zu einem Vorschlag Preußens geäußert, die Zensurpflicht zu beenden.[31]

2.2 Die Neuorganisation der Presse

Im Folgenden soll in die Entwicklung der deutschen Presse nach der Märzrevolution eingeführt werden. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem der presserechtliche Rahmen und die Konstituierung der Parteienpresse, die bis in die unmittelbare Vorkriegszeit, die hier von Interesse ist, hineingewirkt hat.

Die Nachrichten von der erfolgreichen Februarrevolution in Frankreich erreichten das Gebiet des Deutschen Bundes Ende Februar bis Anfang März 1848 in Wellen, gemäß der zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch weithin üblichen Nachrichtenübermittlung per Postkutsche: Mannheim erfuhr davon am 27. Februar, Köln am 1. März und Berlin am 7. März.[32] Diese Meldungen waren der zündende Funke, der auch den östlichen Nachbarn des revolutionserprobten Frankreichs in Brand setzte. Eine der drängendsten Forderungen der aufbegehrenden Massen, nämlich die nach freier Meinungsäußerung, wurde vom Bundestag als eine der ersten behandelt. Auf Beschluss vom 3. März 1848 war es jedem deutschen Bundesstaat freigestellt „die Zensur aufzuheben und Pressefreiheit einzuführen.“[33] Diesen Handlungsspielraum nutzten denn auch bis auf Österreich, Hannover und Kurhessen alle Landesregierungen und so kam es in der Folge zu einer immensen Flut von Zeitungsneugründungen, die allerdings nach Kurt Koszyk „weniger von einem gesunden politischen Leben als vielmehr von einem ungesunden publizistischen Eifer“[34] zeugten. Vielen dieser mehr als hundert überhastet ins Werk gesetzten Produkte war deshalb nur eine kurze Existenz beschieden. Das Besondere der 48er Gemengelage aus politischer Aufbruchstimmung und dem mehr oder weniger schlagartigen Wegfall der Zensur war jedoch, dass sie den Boden bereitete für einen neuen Typ von Presse: der Parteipresse[35]. „Das Jahr 1848, als der Parlamentarismus in Deutschland auf die nationale Bühne emporstieg, ist der Wendepunkt in der deutschen Publizistik.“[36]

Bereits die 1798 gegründete Augsburger „Allgemeine Zeitung“ von Cotta äußerte sich als eine der ersten Periodika zu politischen Themen, aber erst die im Umfeld der Nationalversammlung entstehenden politischen Gruppierungen machten die Presse als publizistisches Sprachrohr möglich und nötig. Koszyk zählt in der Frankfurter Nationalversammlung mindestens neun politische Richtungen, die jedoch noch eine hohe Fluktuation aufwiesen und aus heutiger Sicht beinahe ausnahmslos als liberal zu gelten haben. Was sie einte waren keine festen Programme, sondern ihre gemeinsame politische Gesinnung und Weltanschauung. Erst in dem Maße, in dem sich die unterschiedlichen Richtungen zu politischen Organisationen verdichteten, kann von einer Parteipresse gesprochen werden, die einen unterschiedlichen Grad von Nähe und Abhängigkeit zu diesen neu entstandenen politischen Parteien aufwies.[37] Rudolf Stöber unterscheidet in diesem Zusammenhang drei Formen der Parteipresse. Zum ersten Zeitungen, die Partei nahmen, was schon in der Frühphase der Pressegeschichte neben der reinen Faktenwiedergabe gelegentlich vorkam. Beispielsweise während des Dreißigjährigen Krieges oder verstärkt seit der Französischen Revolution, wenngleich die Obrigkeit dagegen immer wieder vorging. Für die Zeit nach der Märzrevolution findet sich dieser Pressetypus vor allem bei den „liberalen“ bis „demokratischen“ Blättern, allerdings waren diese in ihrer Präferenz nicht eindeutig festgelegt, so dass sie innerhalb eines gewissen Rahmens durchaus schwanken konnten. Exemplarisch sind hier die „Frankfurter Zeitung“ oder das „Berliner Tageblatt“ zu nennen. Einen zweiten Typ stellten Zeitungen dar, die Partei bildeten, das heißt sie fungierten in der Frühphase der Parteipresse als Zentrum um das sich entstehende politische Bewegungen gruppierten.[38] Beispielhaft für diesen Typ ist die „Neue Preußische Zeitung“, genannt Kreuzzeitung, anzusehen, die am 30. Juni 1848 auf Betreiben Bismarcks entstanden war, der unter den Konservativen einer der wenigen war, „die den Wert einer aktiven Pressepolitik erkannten.“[39] Einen dritten Pressetyp verkörperten die Zeitungen die „Partei waren“. Bei ihnen war die Bindung zwischen Partei und Organ am ausgeprägtesten, denn sie befanden sich häufig im Besitz der Parteiorganisation und wurden nicht müde zur Unterstützung der gemeinsamen Sache aufzurufen. Die am 1. Juli 1847 erstmals in Heidelberg erschienene liberale „Deutsche Zeitung“ kann in dieser Hinsicht als erstes echtes Parteiorgan Deutschlands bezeichnet werden. Als erstes Blatt bediente sie sich systematisch der täglichen Leitartikel, um in ihrem Sinne auf die öffentliche Meinung einzuwirken. Symptomatisch für den engen Konnex des durch sie verkörperten Pressetypus zur dahinter stehenden politischen Organisation ist die Tatsache, dass die „Deutsche Zeitung“ am 31.12. 1850 letztmalig erschien, kurz nachdem das liberale Anliegen einer bundesstaatlichen Einigung in der Olmützer Punktation endgültig gescheitert war.

Im Umfeld der neuen politischen Gruppierungen entstanden zahlreiche Zeitungen neu oder bestehende Zeitungen richteten ihre Inhalte im Sinne der vorgenannten Typologie mehr oder minder eng auf eine politische Richtung aus. Koszyk hat versucht, den dominanten Einfluss der verschiedenen Strömungen chronologisch aufzuschlüsseln.

„Will man die Entwicklung der Parteipresse seit 1850 schematisieren, so kann man sagen, das Jahrzehnt von 1850 bis 1860 stand im Zeichen der konservativen Presse, das Jahrzehnt von 1860 bis 1870 im Zeichen der liberalen Presse und das Jahrzehnt von 1870 bis 1880 im Zeichen der Zentrumspresse. Die folgenden Jahre brachten den Aufschwung der sozialistischen Presse, der aber schon durch die Konkurrenz der Generalanzeiger ungünstig beeinflußt wurde.“[40]

Analog zu den Parteien präsentierte sich die liberale und demokratische Presse als reichlich uneinheitlich. Frühformen einer liberalen Richtungspresse gingen einer später einsetzenden Parteiorganisation bereits voraus und einige Blätter können nach dem Stöberschen Schema als parteibildend angesehen werden. Die im Vorfeld der Märzrevolution gegründete „Deutsche Zeitung“ wurde bereits erwähnt. Langlebiger und in diesem Zusammenhang wichtiger war jedoch die am 1. April 1848 erstmals in Berlin erschienene „National-Zeitung“. Sie gilt als Blatt, deren Initiatoren die konstitutionelle Monarchie auf der Grundlage weitgehender Demokratie anstrebten und sich zur Absprache der inhaltlichen Ausrichtung ihres Blattes wöchentlich im so genannten „National-Zeitungs-Club“ trafen, aus dem am 9. Juni 1861 die Fortschrittspartei hervorging.[41] Diese Partei war es auch, die eine gewisse Ordnung in die liberale Parteipresse brachte, die sich in der Zukunft dennoch ähnlich zersplittert zeigte wie die liberale Parteiorganisation selbst. Die Nähe der Parteipresse zu den einzelnen liberalen Richtungen war fast ausnahmslos akzidentieller Natur und somit immer wieder Schwankungen unterworfen. „Die meisten waren und blieben Parteirichtungszeitungen, dementsprechend nicht dem Programm einer Gruppierung verpflichtet, sondern nur deren Nähe und die konnte sich ändern.“[42] Dieser Umstand bedeutet jedoch nicht, dass die liberalen Blätter in ihrem Einfluss geschwächt gewesen wären, ganz im Gegenteil. 1867 bestanden 207 bürgerliche (liberale) Zeitungen, deren Schwerpunkt in den großen Städten lag. Herausragende Vertreter ihrer Zunft waren die „Vossische Zeitung“ (bis 1904 eigentlich „Königlich-privilegierte Berlinische Zeitung“) mit einer Auflage von 24.000 im Jahr 1848, die „Kölnische Zeitung“ mit etwa 60.000 im Jahr 1866 und die „Frankfurter Zeitung“, die 1890 34.800 Exemplare pro Ausgabe absetzen konnte.[43]

Die konservative Parteipresse hatte ihre Vorläufer in den öffiziösen Blättern, die sich an den Belangen des Staates in der reaktionären Epoche der Karlsbader Beschlüsse orientierten. Eine wirkliche Parteipresse entstand jedoch erst, als konservative Kreise durch den wachsenden Einfluss der liberalen Zeitungen aufgeschreckt wurden und nun ihrerseits versuchten in den öffentlichen Diskurs über die richtige Gesinnung einzusteigen. Auf die Gründung der „Kreuzzeitung“ als parteibildendes Blatt wurde bereits eingegangen, wobei man an dieser Neugründung auch sehen kann, wie schwer es die konservativen Blätter hatten, bei der Masse Gehör zu finden. In Berlin fanden sich viele der ersten Nummern zerfetzt auf der Straße wieder, nachdem sie den Zeitungsboten zuvor vom Mob gewaltsam entrissen worden waren. Die konservativen Blätter waren also von Anfang an vornehmlich die Lektüre der herrschenden Klasse, die sich weniger auf eine breite Massenbasis, sondern vielmehr auf das am 30. Mai 1849 eingeführte Dreiklassenwahlrecht stützen konnte.[44] Nach neueren Forschungen hatten die konservativen Blätter jedoch vor allem auf dem Land einen weit größeren Einfluss als bisher angenommen. Sie wirkten hier meist in der Form der preußisch-konservativen Kreisblätter, die vor 1870 selten über eine Auflage von 2000 hinauskamen und auch später in der Regel unter 5000 blieben. Mit über 600 Zeitungen hatten die konservativen Blätter in den 1880er Jahren eine Auflage zwischen 600.000 und 1 Million. Neben der Kreuzzeitung, die als Verlautbarungsblatt des Königs selbst galt, war die am 1. Oktober 1861 erstmals erschienene „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ eines der herausragenden Blätter, das sich vom redaktionellen Arbeitsplatz Wilhelm Liebknechts zum absolut bismarck- und regierungstreuen Organ entwickelte. Zu nennen sind auch noch die 1866 gegründete „Post“ als Blatt der Freikonservativen Partei und das „Preußische Wochenblatt“, das im Anschluss an das Debakel der Olmützer Punktation entstanden war und heftig gegen die Regierung und die konservative Fraktion samt deren Sprachrohr, der Kreuzzeitung, polemisierte. An diesem Umstand zeigt sich, dass die konservative Presse durchaus keinen homogenen Stil pflegte, sondern vielmehr in vielen Bereichen unterschiedlicher Ansicht war und gegenseitige Kritik nicht scheute. Uneinigkeit herrschte beispielsweise über die Notwendigkeit einer neuerlichen Repressivgesetzgebung gegen die Presse, wie sie in der Ära Manteuffel in Preußen verfolgt wurde.[45]

Bereits vor 1848 gab es mehr als 30 katholische Blätter, von denen die 1838 von Görres gegründeten „Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland“ als erstes politisch-katholisches Periodikum herausragten. Bis zur Revolution sollten sie innerhalb der katholischen Publizistik eine Sonderstellung einnehmen und erst das Revolutionsjahr 1848 verhalf auch der katholischen Presse zum Durchbruch. Zwar goutierte der mehrheitlich konservative Klerus das revolutionäre Aufbegehren der Massen nicht, aber dennoch ließ man sich die Gelegenheit nicht entgehen, an der parlamentarischen Arbeit und der publizistischen Meinungsbildung teilzunehmen. Unter einer Vielzahl von Neugründungen nahm die „Deutsche Volkszeitung“ bald eine führende Stellung ein. „Gewissermaßen als Zentralorgan der katholisch-politischen Bestrebungen galt die `Deutsche Volkshalle`, die sich aus der 1848 gegründeten `Rheinischen Volkshalle` entwickelt hatte.“[46] Sie stand im politischen Spektrum zwischen den „Historischen-Blättern“ auf der äußersten Rechten und dem liberalen Mainzer „Katholik“. Einig wussten sich die durchaus heterogene katholische Partei und ihre unterschiedlichen Periodika in ihrer Ablehnung des Protestantismus und des preußischen Staates, womit sie trotz aller Differenzen einen beständigeren Verband bildeten als etwa die Liberalen. Bis zum Juli 1855 hatte sich die „Deutsche Volkshalle“ bei Preußen derart unbeliebt gemacht, dass es Bismarck als preußischem Bundesgesandten gelang, ihre Einstellung durch die Kölner Polizeibehörde zu erwirken. Im Verlagshaus der „Deutschen Volkshalle“ entstanden am 1. April 1860 auch die „Kölnischen Blätter“, die sich schon bald als würdige Nachfolger der „Deutschen Volkshalle“ zeigten und deren Einfluss sogar noch zu steigern verstanden. Nachdem sich das Blatt ab 1869 in „Kölnische Volkszeitung“ umbenannt hatte (unter diesem Namen sollte es noch bis 1941 erscheinen) erreichte es 1872 eine Auflage von 7200, die bis 1892 auf 12.000 gesteigert werden konnte. Insgesamt bestanden 1871 126 katholische Zeitungen mit einer Gesamtauflage von 326.000 Exemplaren. Verglichen mit den Millionen von Katholiken war die Zahl der Abonnenten katholischer Blätter, die 1865 bei rund 60.000 lag, eher gering. Die Gründe hierfür suchten die Redakteure des Mainzer „Katholik“ bereits 1845 in den Lesegewohnheiten des Publikums, dem Unterhaltung wichtiger sei als religiöse Erbauung. Nachdem sich im März 1871 die „Fraktion des Zentrums (Verfassungspartei)“ im Reichstag konstituiert hatte, sah sich die katholische Bewegung sogleich dem Vorwurf der ultramontanen Verschwörung ausgesetzt, wie ihn beispielsweise die „Kreuzzeitung“ im Juni 1871 äußerte. Die Erwiderung solcher Anfeindungen fiel ab dem 1. Januar 1871 hauptsächlich der ersten eigentlichen Parteizeitung des Zentrums zu, der „Germania“, die bereits in ihrem Gründungsjahr eine Auflage von 5600 zustande brachte.[47] „Die Schaffung der `Germania` lief mit der Errichtung der Zentrumsfraktion und späteren Zentrumspartei nahezu parallel, und es ist bezeichnend, daß die erste Probenummer (17. Dezember 1870) wenige Tage nach dem Entstehen der Zentrumsfraktion des Preußischen Abgeordnetenhauses (13. Dezember 1870) erschien.“[48]

Der erste Versuch von Marx als Chefredakteur einer Tageszeitung Einfluss auf die öffentlich Meinung auszuüben, war mit dem Verbot der von ihm redigierten „Rheinischen Zeitung“ im März 1843 rasch beendet worden, nachdem König Wilhelm IV. persönlich sein Missfallen über das Blatt geäußert hatte.[49] Mit der „Neuen Rheinischen Zeitung“ nutzte Marx ab 1. Juni 1848 die vorübergehenden Lockerungen der Zensur, um neuerlich in der Tagespublizistik aktiv zu werden. Inhaltlich zeichnete sich das Blatt durch seinen radikalen sozialrevolutionären und republikanischen Standpunkt aus, der ihm innerhalb weniger Wochen eine Auflage von 6000 Exemplaren verschaffte. Eine lange publizistische Existenz war allerdings auch Marx´ zweitem Periodikum nicht beschieden und so erschien die „Neue Rheinische Zeitung“ letztmalig am 19. Mai 1849 in einer rot gedruckten Protestausgabe, die noch mehrere Auflagen erlebte und zum Sammlerstück avancierte. Eine Reihe von Nachfolgeblättern, wie die „Westdeutsche Zeitung“ oder die „Neue Deutsche Zeitung“, teilte kurz darauf das gleiche Schicksal und so dauerte es bis Anfang der 1860er Jahre bis sich eine sozialistisch geprägte Presse zu konsolidieren vermochte.[50] Im 1863 von Lassalle gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) hatte die Publizistik von Anfang an ihren festen Stellenwert als notwendiges Agitationsmittel. „Anders als bei den bürgerlichen Parteien war die Presse der Sozialdemokratie von vornherein in die Organisation integriert, wenn auch nicht jeder privaten Initiative entzogen.“[51] Kurz nach dem Tod Lassalles erschien am 15. Dezember 1864 das Zentralorgans des Vereins, der „Social-Demokrat“, herausgegeben von Jean Baptist Schweitzer. Auf der zweiten Generalversammlung des ADAV wurde das Blatt zum offiziellen Parteiorgan erklärt. Dieser enge Zusammenhang zwischen Partei und Parteiorgan spiegelte sich auch in der Tatsache wider, dass sich die Anzahl der Leser des „Social-Demokraten“ mit der der organisierten Parteimitglieder annährend deckte. Die genauen Ziele des im Blatt propagierten Programms waren relativ ungenau. „Es trat für eine ´Solidarität der Völkerinteressen und der Volkssache durch die ganze zivilisierte Welt´ auf sowie für das ´ganze, gewaltige Deutschland, einen freien Volksstaat´. Nicht Kapital, sondern Arbeit sollte den Staat regieren.“[52]

In Konkurrenz zum „Social-Demokrat“ stand das aus dem „Demokratischen Wochenblatt“ hervorgegangene Zentralorgan der 1869 gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP): „Der Volksstaat“. Dessen Bindung an die Partei war mindestens ebenso eng wie zwischen „Social-Demokrat“ und ADAV, konnte man doch bereits durch das Abonnement der Zeitung Mitglied der SDAP werden, da die Beitragspflicht für Abonnenten entfiel. Anders als der ADAV, dessen Präsident und Herausgeber des „Social-Demokrat“ Schweitzer nach Koszyk eine „präsidiale Pressediktatur“ ausübte, stellte die SDAP ausdrücklich fest, dass „Der Volksstaat“ kein Pressemonopol besitze und animierte dazu, zusätzlich Provinzblätter zu gründen. Dies geschah bis 1873 an 10 Orten, unter anderem in Fürth mit dem „Fürther Demokratischen Wochenblatt“, das von 1878 bis 1933 unter dem Titel „Fränkische Tagespost“ in Nürnberg erschien. Eine direkte Aufsicht über die Blätter der Provinz übte die Partei jedoch nicht aus (mit Ausnahme des „Fürther Demokratischen Wochenblattes“), sicherte jedoch, sofern nötig, deren Überleben finanziell ab. Nach der Reichsgründung erschien der „Social-Demokrat“ des ADAV am 30. April 1871 zum letzten Mal und die Parteiführung beschloss ihn auch nicht weiterzuführen. Stattdessen entstand mit dem „Neuen Social-Demokrat“ ein Blatt, das sich völlig in Parteibesitz befand, während man sich vom Herausgeber und Parteichef Jean Baptist Schweitzer gänzlich trennte und auf ein Zusammenwachsen mit der SDAP zusteuerte. „Es war dies gewiß nicht die, aber eine Voraussetzung für die allmähliche Vereinigung der beiden Parteien.“[53] Nachdem sich die zentralen Presseorgane der beiden sozialdemokratischen Parteien jahrelang teilweise heftig befehdet hatten, folgte auf dem Gothaer Kongress von 1876 die publizistische Vereinigung der beiden Richtungen auf den ein Jahr zuvor durchgeführten organisatorischen Zusammenschluss zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP). Unter dem Namen „Vorwärts“ erschien das neue Zentralorgan ab 1. Oktober 1876 in Leipzig und verfügte bereits ein Jahr später über 12.000 Abonnenten[54]. Damit hatte es einen Anteil von fast 10% an der Gesamtauflage von 150.000 Exemplaren, die kurz vor dem Erlass des Sozialistengesetzes 1878 von insgesamt 42 sozialdemokratischen Organen abgesetzt wurden. Deren Anspruch wurde in einem Artikel des „Neuen Social-Demokrat“ im März 1876 kurz vor der Verschmelzung zum „Vorwärts“ klar umrissen. „Ihre Aufgabe sei einerseits, den geistigen Kampf zu führen und über das sozialistische Prinzip Aufklärung in die Massen zu bringen, andererseits ein unlösbares geistiges Band zwischen den Anhängern des Sozialismus herzustellen.“[55]

2.3 Der lange Weg zur Pressefreiheit

Seit 24. Mai 1848 war ein von der Frankfurter Nationalversammlung gewählter ständiger Verfassungsausschuss mit der Ausarbeitung der Grundrechte beschäftigt. Nach monatelangen zähen Verhandlungen, die vor allem über die mögliche Suspendierung der politischen Freiheit im Notfall (Notstandsgesetzgebung) geführt worden waren, verkündete schließlich das „Reichs-Gesetz-Blatt“ am 28. Dezember 1848 im Rahmen des Grundrechtskatalogs zum ersten Mal die Pressefreiheit für alle Deutschen.[56] Im Artikel 4 §13 heißt es:

„Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch vorbeugende Maßregeln, namentlich Zensur, Concessionen, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote oder andere Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden.“[57]

Da die am 28. März 1849 verkündete Reichsverfassung jedoch von den führenden Staaten des Deutschen Bundes abgelehnt wurde, trat weder sie noch der Katalog der Grundrechte in Kraft und die Handhabung des Rechts auf Meinungsfreiheit geriet zunächst unter die Kontrolle der einzelnen Staaten. Die erwachende Reaktion wurde in Preußen bereits im Mai 1849 sichtbar, als die von Marx herausgegebene „Neue Rheinische Zeitung“ als erstes Blatt nach 1848 verboten wurde. Das Gros der unliebsamen Redakteure wurde gerichtlich verfolgt, während Marx selbst erneut emigrieren musste. Preußen war es auch, dem neben Österreich, Bayern und Sachsen die Verhandlungen über ein Pressegesetz auf Bundesebene zu lange dauerten und das deshalb in dieser Angelegenheit selbst aktiv wurde. Schon in der preußischen, oktroyierten Verfassung von 1849/50 war jedem Preußen das Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit eingeräumt worden, allerdings mit dem Zusatz, dass die Pressefreiheit auf dem Wege der Gesetzgebung beschränkt werden konnte.[58] Die Kontrolle der Meinungsfreiheit war somit der unmittelbaren Willkür der Polizei entzogen und der Justiz übertragen, was von den Zeitgenossen jedoch wegen der strengen Pressegesetze der Reaktionszeit zunächst nicht unbedingt als Erleichterung angesehen wurde. Das preußische Pressegesetz vom 12. Mai 1851 betrachtete den Berufsstand der Journalisten im Tenor als staatsgefährdend und sah eine Reihe von Schikanen vor, sich der vermeintlichen Bedrohung zu erwehren. Im Rahmen des neuerlich bestätigten Konzessionszwangs oblag es der Willkür der Behörden, zu entscheiden, ob einem potentiellen Herausgeber die zur Leitung einer Zeitung geforderte Unbescholtenheit attestiert werden konnte. Auch gab das Gesetz den Behörden die Möglichkeit, eine Kaution zu erheben, um so die Bezahlung möglicher Geldstrafen bereits im Voraus zu garantieren. Darüber hinaus waren weitere Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten vorgesehen: Vom täglichen Pflichtexemplar mit Impressumszwang bis hin zur Aufnahme amtlicher Meldungen und eventueller Berichtigungen. Mit hohen Freiheits- und Geldstrafen wurden zudem die Verantwortlichen von beanstandungswürdigen Artikeln bedroht, wobei es jedoch ungeklärt blieb, ob als Verantwortliche nur die Chefredakteure galten oder auch der jeweiligen Autoren bzw. jeder, der an der Verbreitung eines solchen Beitrags Anteil hatte.

War dieses Gesetz schon geeignet der Presse in drastischer Weise erneut Fesseln anzulegen, so ging Österreich, dessen Märzverfassung inklusive der Grundrechte vom Ministerpräsidenten Fürst Schwarzenberg im „Sylvesterpatent“ von 1851 aufgehoben worden war, in einer eigenen Fassung vom 27. Mai 1852 über einzelne Bestimmungen des preußischen Pressegesetzes sogar noch hinaus.[59] Die Verordnungen Bayerns und Sachsens vom 17. März 1850 sowie 14. März 1851 fielen im Vergleich zu denen der beiden Führungsmächte des Deutschen Bundes milder aus; das bayerische Gesetz zum Schutz gegen den Missbrauch der Presse sah nicht einmal eine Kautionspflicht vor.[60] Scheinbar um eine weitergehende Liberalisierung der Pressegesetze in den kleineren Bundesstaaten zu verhindern, beschloss der Frankfurter Bundestag am 6. Juli 1854 „Allgemeine Bundesbestimmungen, die Verhältnisse des Missbrauchs der Presse betreffend“. Inhaltlich lehnte sich diese Verordnung an die rigiden Bestimmungen des preußischen Pressegesetzes an, im Unterschied zu den Karlsbader Beschlüssen von 1819 erlangte es jedoch nicht aus sich selbst heraus Gültigkeit, sondern musste von den Bundesstaaten erst in Landesgesetz überführt werden. „Es war die Absicht dieser ´Rahmenverordnung´ für die einzelnen Bundesmitglieder, die Regierungen zu schärferer Kontrolle der Tageszeitungen zu veranlassen.“[61] Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten des Bundes kam dieser Aufforderung nach und so verfestigte die Bestimmung von 1854 die Tendenzen der Reaktion, wenngleich einige Regierungen wie in Baden, Bayern oder Sachsen in der Handhabung der gewährten Pressefreiheit einen gewissen Ermessensspielraum beanspruchten.

In der Folge störten sich die Redakteure dann allerdings weniger am Rahmengesetz des Bundes oder an den Umsetzungen der einzelnen Staaten, sondern vielmehr an der äußerst engen Auslegung der Pressegesetze durch die Behörden. Besonders Preußen tat sich bei der administrativen Bekämpfung der Presse unter seinem hochkonservativen Ministerpräsidenten von Manteuffel und dem Innenminister von Westphalen hervor. So wurden die Redakteure bei Veröffentlichung unerwünschter Artikel zwecks Verwarnung auf das zuständige Polizeipräsidium bestellt und für den Wiederholungsfall wurde mit Konzessionsentzug gedroht. Auch die Konfiskation ganzer Ausgaben wurde wieder üblich, wobei das Justizministerium die Staatsanwaltschaften instruierte, von ihrem Recht polizeiliche Beschlagnahmungen wieder aufzuheben, keinen Gebrauch zu machen. In solchen Fällen musste die Entscheidung des Gerichts abgewartet werden, was mindestens Tage, meist sogar Wochen dauerte und die beschlagnahmten Ausgaben, ob nun zu Recht konfisziert oder nicht, wertlos machte.[62] Darüber hinaus wurde in Preußen Anfang 1852 eine Zeitungssteuer eingeführt, die bei den größeren, täglich erscheinenden Blättern bis zu zwei Drittel des Bruttoertrages ausmachen konnte und die Presse in ihrer Gesamtheit am härtesten traf. Doch gerade in den übermäßigen Schikanen und Nachstellungen zeigte sich, dass diese Repressivmaßnahmen einen Anachronismus darstellten. „Die Gesetzgebung der Reaktionszeit beweist bei aller böswilligen Handhabung durch die Behörden, daß der Zustand der Zeit vor 1848 nicht wieder hergestellt werden konnte. Das politische Leben war zu mächtig geworden. Es hätte durch die Unterdrückung der Presse allein nicht mehr vernichtet werden können.“[63]

Ein Ende der schikanösen Behandlung der Presse versprach die Regentschaft Wilhelms I., der als sichtbares Zeichen der „Neuen Ära“ den preußischen Minister des Inneren von Westphalen und den Ministerpräsidenten Manteuffel 1858, im Jahr seines Herrschaftsantritts, entließ. Kurzzeitig kam es tatsächlich zu einer deutlich liberaleren Haltung der Obrigkeit gegenüber der öffentlichen Meinungsäußerung, doch mit dem 1861 aufbrechenden Verfassungskonflikt und dem kurz darauf folgenden Amtsantritt Otto von Bismarcks als neuem preußischen Ministerpräsidenten, trübte sich dieses Verhältnis schnell wieder ein. Von Anfang an setzte Bismarck die großen liberalen Blätter unter Druck, die mit Beginn der „Neuen Ära“ rasch zulegen konnten und die konservativen Zeitungen ins Abseits zu stellen drohten. Zum Eklat kam es, als ohne Zustimmung des Landtages am 1. Juni 1863 die königliche „Preßordonanz“ verkündet wurde, die ohne Rücksicht auf das preußische Pressegesetz von 1852 allein den Behörden die Verantwortung übertrug, über das Verbot einzelner Zeitungen zu entscheiden. Dabei sollte die „Gesamthaltung“ eines Blattes gegenüber Krone und Regierung ausschlaggebend für die zu ergreifendenden Repressivmaßnahmen sein. Das gewandelte (Selbst-)Bewusstsein der Öffentlichkeit zeigte sich in dem einhelligen Protest, der auf die erlassene Ordonanz folgte. Der öffentliche Sturm der Entrüstung, dem sich auch Kronprinz Friedrich III. anschloss, führte schließlich dazu, dass die Regierung den vorübergehenden Charakter der Maßnahme unterstrich und die Ordonanz noch im Jahr ihrer Einführung wieder zurücknehmen musste.[64] Da der preußische Landtag in der Folge auch jede weitere Initiative der Regierung zur Verschärfung der Pressegesetze ablehnte, suchte Bismarck durch vermehrte strafrechtliche Verfolgung einzelner Blätter und Redakteure die Meinungshoheit während des Verfassungskonflikts zu gewinnen. Meist wurde dazu der § 101 des Strafgesetzbuchs bemüht, nach dem es untersagt war, obrigkeitliche Anordnungen und Staatseinrichtungen zu schmähen oder zu entstellen. Die Justiz war der Regierung bei solchen Prozessen ein willfähriger Gehilfe, so dass in oppositionellen Kreisen ganz offen von „Tendenzjustiz“ und „Justizmord“ gesprochen wurde; „niemand frage im Verfassungskonflikt den freisinnigen Publizisten: ´Hast du schon gesessen?´ sondern: ´Wie oft hast du gesessen?´.“[65]

Erst als Bismarck durch das Indemnitätsgesetz den Verfassungskonflikt entschärft und sich nach dem Deutschen Krieg im Sommer 1866 der kleindeutschen Lösung zugewandt hatte, entspannte sich die Lage. Die Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes erleichterte die Herausgabe von Zeitungen, unter anderem dadurch, dass die bisherige besondere Genehmigungspflicht für das „Preßgewerbe“ abgeschafft wurde. Auch kleinere Staaten

überarbeiteten ihre Pressegesetze, darunter Sachsen und Baden, die im Mai und Dezember 1870 zu den bis dahin gültigen, strengen Bestimmungen des Rahmengesetzes von 1854 deutlich auf Distanz gingen. Neben den geschilderten Repressivmaßnahmen ging auf den großen preußischen Ministerpräsidenten auch die Dienstbarmachung einzelner Blätter durch besondere Zuwendungen zurück, die sich vor allem aus dem beschlagnahmten Vermögen des abgesetzten welfischen Königs Georg V. von Hannover (dem so genannten „Reptilienfonds“) speisten. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ beispielsweise soll jährlich 12.000 Taler erhalten haben, wofür dem späteren Reichskanzler bis in die 70er Jahre zugestanden wurde, persönlich in die redaktionelle Arbeit einzugreifen. Wie eng sich die Verbindung zwischen der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ und der (jeweiligen) Regierung gestaltete, ist an der harschen Kritik zu sehen, mit der das offiziöse Blatt Bismarck nach seinem Ausscheiden aus dem politischen Leben begegnen sollte.[66]

[...]


[1] Fischer, Heinz-Dietrich (Hrsg.): Deutsche Zeitungen des 17. bis 20. Jahrhunderts, Pullach b. München 1972, S. 15.

[2] Weber, Johannes: Zum 350. Geburtstag der Tageszeitung am 1. Juli 2000, in: 350 Jahre Tageszeitung. Forschungen und Dokumente, hrsg. von Arnulf Kutsch und Johannes Weber, Bremen 2002, S. 14.

[3] Das Wort Zeitung geht auf die kurz vor 1300 in Köln übliche Form „ zīdung “ zurück. „Gemeint sind zunächst mündliche, dann schriftliche Nachrichten und schließlich auch Drucke, die seit dem 15. Jahrhundert auftauchen, seit 1502 in Augsburg auch unter dem Titel Newe zeytung.“ Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearb. von Elmar Seibold, Berlin 231999, S. 906.

[4] Stein, Theodor: Südwestdeutsche Zeitungsgeschichte – ein Überblick über die Anfänge bis zum Jahre 1933, in: Von der Preßfreiheit zur Pressefreiheit. Südwestdeutsche Zeitungsgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, hrsg. von der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Verband Südwestdeutscher Zeitungsverleger und dem Verband der Druckindustrie in Baden-Württemberg, Stuttgart 1983, S. 23.

[5] Weber, Johannes: a.a.O., S. 15f.

[6] Weber, Johannes: Avisen, Relationen, Gazetten. Der Beginn des europäischen Zeitungswesens, Oldenburg 1997, S. 7.

[7] Weitere Wochenzeitungen erschienen 1610 in Basel, 1615 in Frankfurt a.M., 1617 in Berlin und 1618 in Hamburg. Mit Beginn des 30-jährigen Krieges kam es dann zu einer ganzen Reihe von Neugründungen, unter anderem in Danzig 1619, Köln 1620 und Wien 1623. Mit dem Kriegseintritt Schwedens 1630/31 entstanden dann nochmals mindestens zwölf neue Wochenzeitungen, so dass für die Jahrhundertmitte über zwanzig Zeitungen nachgewiesen werden können, die den deutschen Sprachraum flächendeckend mit politischen Nachrichten versorgten. Vgl. Weber, Johannes: Zum 350. Geburtstag der Tageszeitung am 1. Juli 2000, a.a.O., S. 16f.

[8] Stein, Theodor: a.a.O., S. 23.

[9] Die Furcht vor einer zu großen Teilhabe an der Macht durch Informationen spiegelt sich auch in dem Verbot der englischen Regierung wider, Nachrichten aus dem englischen Königreich selbst in den ab 1621/22 aufkommenden „news-books“ abzudrucken. In diesen Nachrichtenblättern durften demnach nur ausländische Meldungen erscheinen. Vgl. Weber, Johannes: Avisen, Relationen, Gazetten, a.a.O., S. 28.

[10] Vgl. ebd., S. 19f.

[11] Schulze, Volker: Medienkundliches Handbuch. Die Zeitung, hrsg. von Peter Brand und Volker Schulze, Aachen-Hahn 1993, S. 7.

[12] Stöber, Rudolf: Deutsche Pressegeschichte. Einführung, Systematik, Glossar, Konstanz 2000, S. 58.

[13] Weber, Johannes: Zum 350. Geburtstag der Tageszeitung am 1. Juli 2000, a.a.O., S. 22.

[14] Vgl. Weber, Johannes: Avisen, Relationen, Gazetten, a.a.O., S. 45f.

[15] Vgl. Habermas, Jürgen: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchung zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1990, S. 72. Habermas stellt auch die Straßburger „Relation“ als älteste Zeitung in Frage.

[16] Vgl. Weber, Johannes: Götter-Both Mercurius. Die Urgeschichte der politischen Zeitschrift in Deutschland, Bremen 1994, S. 152f.

[17] Eine genauere Übersicht über die Maßnahmen der einzelnen Länder im Absolutismus findet sich in: Lindemann, Margot: Deutsche Presse bis 1815. Geschichte der deutschen Presse. Teil I, Berlin 1969, 111ff.

[18] Vgl. Habermas, Jürgen, a.a.O., S. 80f.

[19] Darüber hinaus erlangten die Intelligenzblätter nach Theodor Stein kaum Bedeutung: „Wenn auch Nachrichten gebracht werden, erfüllt hierbei das Intelligenzblatt die Aufgabe eines bescheidenen „Verkündigungsblatts“, ein Wort, das hier und da auch im Titel der Intelligenzblätter auftaucht.“ Stein, Theodor: a.a.O., S. 54.

[20] Vgl. Lindemann, Margot: a.a.O., S. 143.

[21] Vgl. Heuer, Gerd F.: II. Die Zeitung. Anzeigenwesen, in: Handbuch der Publizistik, hrsg. von Emil Dovifat, Band III, Berlin 1969, S. 262f. ; Schulze, Volker: a.a.O., S. 15f.

[22] Habermas, Jürgen: a.a.O., S. 83.

[23] Koszyk, Kurt: Die Zeitung. 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart, in: Handbuch der Publizistik. Band III, hrsg. von Emil Dovifat, Berlin 1969, S. 78.

[24] In den Rheinbundstaaten und den besetzten Gebieten hatten sich die deutschen Zeitungen in ihrer Berichterstattung absolut an das offizielle Organ der französischen Regierung den „Moniteur officiel“ zu halten. Vgl. Lindemann, Margot: a.a.O., 259 ; Habermas, Jürgen: a.a.O., S. 138.

[25] Vgl. Schneider, Franz: Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit. Studien zur politischen Geschichte Deutschlands bis 1848, Neuwied [u.a.] 1966, S. 181ff.

[26] Koszyk, Kurt: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert. Geschichte der deutschen Presse Teil II, Berlin 1966, S. 35.

[27] Schneider, Franz: a.a.O., S. 244.

[28] Ebd., S. 247.

[29] Ein Epochenname, welcher der Zeit freilich erst aus der Rückschau gegeben wurde. Er geht zurück auf die fiktive Gestalt des schwäbischen Schullehrers Gottlieb Biedermann in der von Eichrodt und Kußmaul 1855–57 herausgegebenen satirischen Zeitschrift „Fliegende Blätter“.

[30] Vgl. Koszyk, Kurt: a.a.O., S. 66ff.

[31] Vgl. Schneider, Franz: a.a.O., S. 302ff.

[32] Vgl. Stöber, Rudolf: a.a.O., S. 122f.

[33] Fischer, Heinz-Dietrich: Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480–1980. Synopse rechtlicher, struktureller und wirtschaftlicher Grundlagen der Tendenzpublizistik im Kommunikationsfeld, Düsseldorf 1981, S. 61.

[34] Koszyk, Kurt: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 110.

[35] Von Emil Dovifat wird sie auch Gesinnungspresse genannt.

[36] Koszyk, Kurt: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 106.

[37] Vgl. ebd., S. 106ff, 129f.

[38] Vgl. Stöber, Rudolf: a.a.O., S. 202f.

[39] Koszyk, Kurt: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 117.

[40] Ebd., S. 130.

[41] Vgl. Fischer, Heinz-Dietrich: Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480-1980, a.a.O., S. 189f.

[42] Stöber, Rudolf: a.a.O., S. 212.

[43] Vgl. Stöber, Rudolf: a.a.O., S. 211ff.

[44] Vgl. Koszyk, Kurt: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 132.

[45] Vgl. Stöber, Rudolf: a.a.O., S. 214ff.

[46] Vgl. Fischer, Heinz-Dietrich: Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480-1980, a.a.O., S. 203.

[47] Vgl. Koszyk, Kurt: Deutsche Pressegeschichte im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 162ff.

[48] Fischer, Heinz-Dietrich: Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480-1980, a.a.O., S. 207.

[49] Vgl. Koszyk, Kurt: Deutsche Pressegeschichte im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 99.

[50] Vgl. Fischer, Heinz-Dietrich: Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480-1980, a.a.O., S. 193ff.

[51] Koszyk, Kurt: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, S. 184.

[52] Ebd., S. 189.

[53] Ebd., S. 195.

[54] Vgl. Stöber, Rudolf: a.a.O., S. 222.

[55] Koszyk, Kurt: Deutsch Presse im 19. Jahrhundert, S. 196.

[56] Vgl. Schneider, Franz: a.a.O., S. 309.

[57] Zitiert nach: Fischer, Heinz-Dietrich: Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480-1980, a.a.O., S. 63.

[58] Vgl. ebd., S. 64f.

[59] Vgl. Naujoks, Eberhard: Von der Reaktionszeit bis zum Reichspressegesetz (1849-1874), in: Deutsche Kommunikationskontrolle des 15. bis 20. Jahrhunderts, hrsg. von Heinz-Dietrich Fischer, München 1981, S. 116f.

[60] Vgl. Koszyk, Kurt: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 122f.

[61] Naujoks, Eberhard: a.a.O., S. 123.

[62] Vgl. ebd., S. 118ff.

[63] Koszyk, Kurt: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 123.

[64] Vgl. Fischer, Heinz-Dietrich: Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480-1980, a.a.O., S. 65f.

[65] Naujoks, Eberhard: a.a.O., S.127.

[66] Vgl. Koszyk, Kurt: Deutsche Presse im 19. Jahrhundert, a.a.O., S. 233ff.

Excerpt out of 106 pages

Details

Title
Die deutsche Presse in der Kaiserzeit: Die 2. Marokkokrise im Spiegel des Fränkischen Kuriers
College
Friedrich-Alexander University Erlangen-Nuremberg  (Institut für Geschichte (Philosophische Fakultät I))
Grade
2 (gut)
Author
Year
2002
Pages
106
Catalog Number
V7816
ISBN (eBook)
9783638149464
File size
739 KB
Language
German
Notes
Interessant für ein breiteres Publikum ist möglicherweise der 1. Teil der Arbeit, der einen relativ breiten Überblick über die Geschichte der Zeitungspresse mit Schwerpunkt auf der Zeit des deutschen Kaiserreichs bietet. Der 2. Teil befasst sich mit der Darstellung einer typischen Krise des Imperialismus, der 2. Marokkokrise und ihrer Darstellung in einem typischen (links)liberalen Provinzblatt, dem Nürnberger Fränksichen Kurier.
Keywords
Imperialismus, Pressegeschichte, Zeitungspresse
Quote paper
Eckhard Gärtner (Author), 2002, Die deutsche Presse in der Kaiserzeit: Die 2. Marokkokrise im Spiegel des Fränkischen Kuriers, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7816

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Title: Die deutsche Presse in der Kaiserzeit: Die 2. Marokkokrise im Spiegel des  Fränkischen Kuriers



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