Seit jeher ist Lernen ein existenzieller Aspekt im Alltagsleben der Menschen. Es soll ihnen helfen, sich die Kenntnisse und Kompetenzen anzueignen, die es ihnen ermöglichen, sich in ihrer Lebens-, Arbeits- und Medienumwelt besser zu orientieren,
selbständiger zu behaupten und verantwortungsbewusster zu positionieren. Im Laufe
der Zeit hat dieser Aspekt mehr und mehr an Priorität gewonnen, da sich die Lernanforderungen zunehmend beschleunigen. Laufende Umstrukturierungen am Arbeitsplatz, immer schneller werdende Veränderungen der Arbeitsrhythmen und -orte sowie fortschreitende Globalisierung und Digitalisierung und ein weltweit
verschärfter Wettbewerb fordern ständig wieder zum Lernen, Umlernen und Weiterlernen auf. Daher wird der Ruf der humanen Bildungspolitik nach einem
Lebenslangem Lernen Aller immer lauter. Zentraler Ansatz dazu ist das Informelle Lernen (IL), welches im Alltagsleben jedes einzelnen individuell stattfindet und alle menschlichen Lernformen einzubeziehen sucht.
Vom Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wird zunehmend Kritik gegenüber dem traditionellen Schulsystem geäußert, welches die Kinder „überfüttert mit Antworten“ (Dohmen 2001) und somit ihrer natürlichen Wissbegierde beraubt ins Alltagsleben entlässt. Das IL soll hier auch dazu dienen, diese junge Neugier in einem natürlichen und privaten Lebens- und Lernumfeld jedes Einzelnen wieder aufleben zu lassen.
Doch so wichtig diese meist unbewusst erworbene Form der Kompetenzentwicklung im Leben der Lernenden auch ist, so schwierig ist auch die Messbarkeit und Bewertbarkeit des IL. Letztendlich stellt sich die Frage, wie man beispielsweise bei beruflichen Bewerbungen oder Qualifikationsanforderungen seine Qualitäten nach außen aufzeigen und vergleichbar machen kann.
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. DER BEGRIFF DES INFORMELLEN LERNENS
2.1. VERSUCH EINER CHARAKTERISIERUNG - SPEZIELLE MERKMALE DES IL
2.2. ABGRENZUNGEN VERSCHIEDENER BEREICHE DES IL
IL als Erfahrungslernen
IL als implizites Lernen
IL als Alltagslernen
IL als selbstgesteuertes Lernen
IL als kompetenzentwickelndes Lernen
3. DIE VERÄNDERTEN UMWELTANFORDERUNGEN - WARUM WIRD IL IMMER WICHTIGER? .
4. KOMPETENZEN ALS EIN ZUSAMMENSPIEL VON INDIVIDUELLER BIOGRAPHIE UND (SELBST-) GESTEUERTEM LERNEN
5. DIE ROLLE VON KOMPETENZEN IN BETRIEB UND AUS- UND WEITERBILDUNG
6. BETRACHTUNG DER SCHULLEISTUNGSMESSUNG UND IHRER ÜBERTRAGBARKEIT AUF DIE BEWERTUNG VON IL
6.1. STANDARDISIERTE SCHULLEISTUNGSMESSUNGEN
6.2. AUFGABENFORMEN FÜR KOGNITIVE LEHRZIELE
6.3. KANN EINE (VERGLEICHENDE) MESSUNG VON SCHULLEISTUNGEN OBJEKTIV, REPRÄSENTATIV UND FAIR SEIN?
6.4. DAS JAPANISCHE MODELL EINER LERNGESELLSCHAFT
Entwicklungsprinzip 1
Entwickungsprinzip 2
Entwicklungsprinzip 3
Entwicklungsprinzip 4
Entwicklungsprinzip 5
Entwicklungsprinzip 6
6.5. FAZIT
7. PERSPEKTIVEN - ANSÄTZE ZUR FÖRDERUNG DER INTEGRATION IL´S
7.1. DIE ROLLE DER MEDIEN
7.2. UMSTRUKTURIERUNGEN IN BESTEHENDEN INSTITUTIONEN
7.3. BEWERTUNGSANSÄTZE DES IL
7.4. SONSTIGE FÖRDERUNGSMAßNAHMEN
7.5. DIE UMSETZUNG VON IDEEN AM BEISPIEL DER BIBLIOTHEK 21 IN STUTTGART
8. SCHLUSSWORT - AKTUELLE BEKANNTGABEN DES BMBF
9. LITERATURVERZEICHNIS
Ein satirisch zugespitztes Zukunfts- Szenario
Im Jahre 2015 wird das Lebenslange Lernen vorwiegend in sogenannten „EDUCAParks“ stattfinden. Ein Konsortium von Firmen der Freizeit-, Unterhaltungs- und Bildungsindustrie hat die Bundesrepublik Deutschland flächendeckend mit
Bildungsparks überzogen. Sie hatten erkannt, dass die Verbindung von Unterhaltung, Erlebnis und Lernen in Zeiten reduzierter Arbeitszeit und hoher Arbeitslosigkeit ein großer Zukunftsmarkt und ein lukratives Geschäft sein kann. Die Lernparks bieten in allen Städten, größeren Einkaufszentren, Ausflugsgebieten und Betrieben für alle Lerninteressen attraktive Angebote:
- Selbstgesteuerte Bildschirm- Simulationsreisen in alle Länder, mit der Möglichkeit, Reisegutscheine für die Gegend zu gewinnen, über die man besonders viel gelernt hat.
- Sprachenlernen in virtuellen Alltagssituationen im betreffenden Land, mit Sprach-Parcours und einem täglichen Wettbewerb zur Miss oder Mister Language.
- Töpfern wie die alten Römer vor der Kulisse des Forum Romanum
- Einführung in neue Technologien im schönsten Science- Fiction- Ambiente.
- Fertigkeitstraining aller Art in simulierten Anwendungssituationen.
- Bildschirmreisen in vergangene Zeiten und zu interessanten historischen Ereignissen usw.
Das Besondere dabei ist, dass alle Angebote über interaktive Medien gesteuert werden und dass sogenannte Lernhelfer in der Info-Zentrale auf Bildschirm- Abruf in einer Art Telekonferenz zur Verfügung stehen. (...) Aber auch das sogenannte „Virtuelle Weltforum lockt viele Besucher in eine computergenerierte Welt und zu
Besichtigungen aller großen Museen und Sehenswürdigkeiten der Welt mit jeweils kompetenter Führung und Erkundungen zu aktuellen sozialen, ökologischen
Entwicklungen und Problemen.(...)“1
1. Einleitung
„Alle Menschen lernen - bewusst und unbewusst - ihr Leben lang. (...) Lernen beruht auf einer natürlichen Wissbegierde und einem existenziellen Selbstbehauptungs- und Partizipationsstreben in einer komplexen, oft undurchsichtigen, gefährdeten und bedrohlichen Umwelt. (...) Lernen ist eine unumgängliche Lebens- und Überlebensfunktion.“2
Seit jeher ist Lernen ein existenzieller Aspekt im Alltagsleben der Menschen. Es soll ihnen helfen, sich die Kenntnisse und Kompetenzen anzueignen, die es ihnen ermöglichen, sich in ihrer Lebens-, Arbeits- und Medienumwelt besser zu orientieren, selbständiger zu behaupten und verantwortungsbewusster zu positionieren. Im Laufe der Zeit hat dieser Aspekt mehr und mehr an Priorität gewonnen, da sich die Lernanforderungen zunehmend beschleunigen. Laufende Umstrukturierungen am Arbeitsplatz, immer schneller werdende Veränderungen der Arbeitsrhythmen und Arbeitsorte sowie fortschreitende Globalisierung und Digitalisierung und ein weltweit verschärfter Wettbewerb fordern ständig wieder zum Lernen, Umlernen und Weiterlernen auf. Daher wird der Ruf der humanen Bildungspolitik nach einem Lebenslangem Lernen Aller immer lauter. Zentraler Ansatz dazu ist das informelle Lernen3, welches im Alltagsleben jedes einzelnen individuell stattfindet und alle menschlichen Lernformen einzubeziehen sucht.
Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wird zunehmend Kritik gegenüber dem traditionellen Schulsystem geäußert, welches die Kinder „überfüttert mit Antworten“4 und somit ihrer natürlichen Wissbegierde beraubt ins Alltagsleben entlässt. Das IL soll hier auch dazu dienen, diese junge Neugier in einem natürlichen und privaten Lebens- und Lernumfeld jedes Einzelnen wieder aufleben zu lassen.
Doch so wichtig diese meist unbewusst erworbene Form der Kompetenzentwicklung im Leben der Lernenden auch ist, so schwierig ist auch die Messbarkeit und Bewertbarkeit des IL. Letztendlich stellt sich die Frage, wie man beispielsweise bei beruflichen Bewerbungen oder Qualifikationsanforderungen seine Qualitäten nach außen aufzeigen und vergleichbar machen kann.
Meine Hausarbeit soll daher der Beleuchtung verschiedener Ideen, Versuche und Methoden der Bewertbarkeit des IL dienen mit einem besonderen Blick auf internationale Entwicklungen, welche teilweise weiter fortgeschritten sind als die Erkenntnisse im vergleichsweise starren Bildungsverständnis in Deutschland.
2. Der Begriff des Informellen Lernens
Die Bezeichnung „Informelles Lernen“ hat bis heute keine einheitliche Definition bekommen, da deren spezifischen Merkmale von Autoren verschieden gewichtet werden. Informelles Lernen zeichnet sich mit Kompetenzentwicklung durch „nicht von außen organisiertes, nicht formell strukturiertes, weitgehend selbstbestimmtes, aus Lebenserfahrung und situativen Herausforderungen erwachsenes, in der täglichen Lebens- und Arbeitspraxis stattfindendes Lernen“5 aus. Ein Definitionsansatz ist somit zum Beispiel die Form der Organisation, bei der Lernen als informell bezeichnet wird, wenn es außerhalb formaler Institutionen stattfindet. Ein anderer Ansatz ist die Rolle des Lernprozesses als überlebenswichtiger Faktor und der natürlichen Wissbegierde des Menschen. Dabei beginnt IL beim Erfahrungsgewinn durch neue Herausforderungen. So führen beispielsweise nach Donald Schoen vor allem neue, überraschende, unbestimmt- unsystematische, komplexe, unkontrollierbare sowie situative Umweltgeschehnisse zum IL, da sie ein verändertes Verhalten erfordern, bei denen routinemäßige Erfahrungsstrukturen meist versagen6. Man kann also nicht von einer Definition des Begriffs sprechen, sondern lediglich eine Charakterisierung und Abgrenzung von anderen Lernformen vornehmen.
2.1. Versuch einer Charakterisierung - spezielle Merkmale des IL
In der englischsprachigen Literatur gibt es allgemein die Unterscheidung zwischen „formal learning“, „non-formal learning“ und „informal learning“7.
Formal learning wird dabei als das Lernen angesehen, das im Rahmen eines öffentlichen Bildungssystems stattfindet. Die Lehr-Institutionen planen und organisieren den Inhalt und Ablauf des Lernprozesses und vergeben am Ende Zertifikate für nachweislich erbrachte Leistungen. Das Formale Lernen ist somit zwar gesellschaftlich anerkannt, aber vom alltäglichen Lebenszusammenhang abgeschnitten. Im Bereich des Non-formal learning liegen dagegen alle Formen des Lernens, die sich außerhalb der formalisierten Bildungswelt abspielen und somit auch nicht bewertet werden.
Über den Begriff des informal learning ist man sich dagegen nicht wirklich einig. Die Charakterisierung reicht von „ungeplantem, beiläufigem, impliziten und oft unbewussten Lernen“8 bis zur Gleichsetzung mit dem non-formal learning. Das Problem liegt in der Nicht-Abgrenzbarkeit des Begriffes von anderen Lernvorgängen und deren fließenden Übergängen. Wo fängt IL an und wo hört es auf? Das IL beinhaltet eine spezifische Kombination an Ansprüchen aus beiden Bereichen des Lernens (formal und nicht-formal), deren einzelne Komponenten jedoch bei jedem Lerner verschieden gewichtet auftreten, je nach seiner eigenen Biographie und Lebensumwelt. Ein wichtiger Wesenszug des IL ist das „incidental learning“ - beiläufiges Lernen, das sich meist unbewusst und unbeabsichtigt als Nebenprodukt anderer Aktivitäten ergibt.9 In diesem Zusammenhang sind das Machen von Erfahrungen und Veränderungen von Verhaltensweisen wichtige Äußerungen des IL. Das heißt: IL ist ein Mittel zum Zweck, um sich in den immer schneller wandelnden Strukturen und Anforderungen der Umwelt zurechtzufinden. Im Zuge der Bewusstmachung des IL als Lernprozess wurde der Begriff jedoch offener und facettenreicher und zu einer nie endgültigen, sich ständig entwickelnden Theorie erweitert. So versteht die postmoderne Theorie IL als alles Selbstlernen, das sich in unmittelbaren Lebens- und Erfahrungszusammenhängen außerhalb des institutionellen Bildungswesens bildet.
2.2. Abgrenzungen verschiedener Bereiche des IL
IL als Erfahrungslernen
Im Angelsächsischen werden die Begriffe des IL und Erfahrungslernen oftmals gleichermaßen verwendet.10 Das informelle Erfahrungslernen verarbeitet Primärerfahrungen zu handlungs- und problemlösungsrelevantem Wissen. Der Mensch macht Erfahrungen, das heißt, er nimmt Reizstrukturen, Sinneseindrücke, Begegnungen, Erlebnisse etc. wahr und verarbeitet sie. Dabei werden die Eindrücke selektiv und individuell erlebt, denn Erfahrungslernen ist eine persönliche, biographisch- und sozial-kulturelle Erfassung seiner eigenen Umwelt.11 Alles, was er erlebt, bezieht er aktiv in einen Zusammenhang dessen ein, was er bereits schon wahrgenommen hat. Erfahrungslernen führt zu Erfahrungswissen, das dem Lerner ein besseres Zurechtkommen in seinen Umweltbereichen ermöglicht, indem er neu erworbene Kenntnisse mit schon vorhandenen verknüpft und somit sein Wissen, seine Fertigkeiten und Kompetenzen ständig vervollständigt und verbessert. Persönliche Erfahrungen sind jedoch begrenzt und können sogar das Lebenslange Lernen blockieren, wenn die Voreinstellungen des Lernenden unreflektiert und fehlinformiert verfestigt sind12. Erfahrungslernen ist nur dann sinnvoll, wenn es kritisch widergespiegelt und mit Perspektiven anderer relativiert wird. Dies gelingt wohl am besten, wenn man es in ein fruchtbares Ergänzungsverhältnis zum theoretisch-systematischen Lernen bringt.
IL als implizites Lernen
Implizites Wissen wird nicht-intentional erworben und führt zu Handlungserfolgen, die man kaum verbal erklären kann13. Es findet auf einer Ebene der gefühlsmäßig- ganzheitlichen Reizaufnahme statt, dessen Resultat meist eher im Bereich von Intuition und Gespür, Einfühlung und Improvisation bleibt. Wie auch das IL entwickelt sich implizites Wissen in den verschiedensten Tätigkeitsbereichen des alltäglichen Lebens und wird am Besten durch vielseitiges Tätigsein, Üben, Nachahmen und Spielen gefestigt. Daraus kann später explizites Wissen in Form von Handlungskompetenzen wachsen, wenn das Wissen vorher durch implizite Verarbeitung „in Fleisch und Blut“ übergegangen ist.
IL als Alltagslernen
Ebenso ein Bestandteil des IL ist das praktische Lernen in der alltäglichen Lebens- und Arbeitsumwelt. Dieses so genannte Alltagslernen versteht sich als ein unmittelbar durch praktische Lebenssituationen ausgelöstes und auf sich selbst bezogenes natürliches Selbstlernen14. Das so gewonnene Wissen stützt sich auf eigene, vorher erworbene Erfahrungen und persönliche individuelle Sichtweisen. Dies führt zwar zu alltagsverlässlichen, aber auch alltagsbeschränkten Verhaltensmustern und zu routinisierten Handlungsrezepten. Alltagslernen reicht nicht aus, um Kompetenzen zu entwickeln, mit deren Hilfe der Lerner in dieser unübersichlichen Welt komplexe Probleme lösen kann15. Die eigene Umwelt ist ein relativ begrenztes Erfahrungsfeld, kann jedoch eine wichtige Ergänzung zum Lebenslangen Lernen Aller darstellen, wenn beispielsweise ein Ausbruch aus den alltäglichen Gewohnheiten stattfindet und der Betroffene plötzlich gezwungen ist, sich mit neuen Herausforderungen auseinanderzusetzen.
IL als selbstgesteuertes Lernen
Self-directed learning wird in der 16 amerikanischen Literatur als aktives, selbstbestimmt-nachfragendes Lernen im Austausch mit anderen (Freunde, Familie, Berater, Helfer, Informationsquellen)17 verstanden. Eine Eigenschaft des IL, das lehrer- und schulunabhängige Lernen, lässt einen spezifischen Zusammenhang zwischen beiden erkennen. Das außerschulische, lehrunabhängige Selbstlernen führt dazu, „dass die Lernenden über die Zielausrichtung und die Hauptwege ihrer Lernprozesse und auch über die Nutzung der organisierten Lernangebote und institutionellen Lernunterstützungen selbst entscheiden“18. IL und SGL sind nicht identisch, nähern sich aber zunehmend an. Es gibt jedoch mindestens so viele Auffassungen über das SGL wie über das IL, je nachdem, welche Grenzen und Schwerpunkte gesetzt werden. Einige Wissenschaftler setzen das SGL schon dort an, wo der Schüler innerhalb des Unterrichtsangebotes die Freiheit zugesprochen bekommt, über Lernziele, -zeiten, -methoden und -kontrollen selbst zu entscheiden19. Fest steht jedoch, dass SGL bewusst, planmäßig und absichtlich stattfindet, indem sich der Lernende mit seiner Lernumwelt aktiv auseinandersetzt. Das heute oftmals noch unbewusste, zufällige IL wird sich mit der Zeit zu einem zunehmend bewussteren, von den Lernenden selbst gesteuerten Lernen weiterentwickeln.
IL als kompetenzentwickelndes Lernen
Kompetenzen werden im Allgemeinen verstanden als verhaltensregulierende persönliche Potentiale, die sich vorwiegend aus der reflektierenden Verarbeitung praktischer Erfahrungen entwickeln und jederzeit aktualisiert werden können20. Kompetenzentwicklung ist nicht allein durch Wissensvermittlung möglich, sondern erfordert auch Motive und Wertungen sowie Erfahrungen und Erinnerungen. So kommt es meist erst im informellen, tätigkeitsintegrierten Lernen zu einer Bildung von Kompetenzen. Die bereits skizzierten Facetten des IL als Erfahrungslernen, implizierten Lernen, Alltagslernen und SGL fügen sich hier zu einem umfassenden Konstrukt zusammen. Somit ist Kompetenz ein Resultat zusammengeführter Lernprozesse durch Handeln. Theorie allein reicht hier nicht aus, sondern es erfordert recherchierendes Erkundungs- und Erschließungslernen sowie ganzheitliche Verstehens-, einfühlende Deutungs- und vorstellungsmäßige Integrationsprozesse in einer offenen Auseinandersetzung mit der jeweils gegebenen Umwelt.
3. Die veränderten Umweltanforderungen - Warum wird IL immer wichtiger?
Die Tatsache des Lebenslangen Lernens Aller ist schon länger bekannt, doch durch ständig stärker wachsende Umweltansprüche wird es immer notwendiger, sich dieses Themas bewusster zu werden und genauer zu betrachten, um ein besseres Verständnis und einfachere Handhabung zu gewährleisten. Die Menschen sollen durch Lebenslanges Lernen besser leben lernen, und das nicht nur auf materieller Ebene, sondern auch in ihrer geistig - seelischen Lebenssituation. Die Umwelt und die daraus resultierenden Lernanforderungen in der heutigen Zeit verändern sich qualitativ und quantitativ mit zunehmender Beschleunigung, so dass grundlegendes, gesammeltes fachsystematisches Wissen nicht mehr ausreicht, um sich dauerhaft zu orientieren, selbst zu behaupten und zu positionieren. Die Funktion und Leistung des formalisierten Bildungswesens soll damit nicht abgewertet werden, sondern durch IL sinnvoll ergänzt und neu bestimmt werden. Formalisiertes Lernen hat zu einem „entfremdenden“ Lernen geführt, das die eigenen Wissensbedürfnisse des Lernenden, Neugier und Wissenwollen überlagern und unterdrücken kann. Die Erfahrung mit erzwungenem Lernen, Lernkontrolle, Noten- und Versetzungsdruck führt bei vielen zu abschreckenden Vorstellungen und dem Gefühl einer unangenehmen Zumutung21. Darüber hinaus reicht das vielfach veraltete, unflexibel gestaltete formale Lernen nicht mehr aus, der fortschreitenden Globalisierung, den laufenden Veränderungen des Arbeitsmarktes und der zunehmenden Flexibilisierung von Arbeitsrhythmen und -orten standzuhalten. „Manche vertraute Ordnung, Sicherheit, Gewohnheit zerbricht in einem unsteten Wechsel der Verhältnisse. Personale, soziale und Arbeitsverankerungen sind bedroht durch die geforderte, ständige Offenheit und Flexibilität. Viele Menschen sehen kein verlässliches `Zuhause` und keine klare stetige Ordnung mehr, in der sie eindeutig wissen, was sie zu tun und zu lernen und was sie zu erwarten haben“22. Man ist stärker als früher darauf angewiesen, sich immer wieder durch Lernen um Klarheit, Verständnis, Orientierung und eine vernünftige Urteilsbildung zu bemühen. So entsteht der Bedarf einer „neuen“ Kompetenz - der Entwicklung eines Gespürs für Abläufe, Zusammenhänge und Störungen in der jeweils eigenen persönlichen Erfahrungsumwelt. Das erfordert die Bereitschaft zu einem lebenslangen, offenen, jeweils situations- und problembezogenen kreativen Lernen.
Eingebettet in den Gedanken des Lebenslangen Lernens Aller spielt IL wohl die wichtigste Rolle innerhalb der Diskussion über die zukünftige Entwicklung des Bildungswesens, da IL bei allen Menschen mehr oder weniger ihr Leben lang stattfindet - „in ihrem Alltag, am Arbeitsplatz, im Verkehr, in der Auseinandersetzung mit anderen, im Gemeinwesen, in der Medienwelt, in Lebenskrisen etc.“23. Es gilt nun, dieses beiläufige, meist mit anderen Tätigkeiten verbundene und oftmals unbewusste Lernen zu unterstützen und institutionell zu ergänzen und es so zu einer bewussten, wirkungsvollen und vor allem erkennbaren Wissenserlangung weiter zu entwickeln. Da IL nicht in planmäßig geregelten Bildungsveranstaltungen, sondern ungeregelt im unmittelbaren Lebenszusammenhang stattfindet, ist es bisher kaum möglich, anerkannte Abschlüsse und Zertifikate dafür zu erlangen24. Es gilt, die „Fixierung auf das planmäßige institutionalisierte `formelle` Lernen aufzubrechen und das weite Feld des offenen, praxisnahen, nicht curricular festgelegten `informellen` Lernens in eine umfassendere Kompetenzentwicklungsstrategie einzubeziehen“25. Das IL soll durch die Entwicklung lernfördernder Umwelten besonders am Arbeitsplatz gefördert werden. Nach dem Prinzip von „lernenden Unternehmen“ und einer „Lerngesellschaft“ sollen alle Beteiligten zu Lernpartnern und wechselseitigen Lernhelfern werden. Die offiziellen Bildungsinstitutionen sollen nur noch ein, wenn auch wichtiger, Lernort neben anderen sein. Kompetenzentwicklung im Sinne von Aneignung und Verstärkung von Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten und der daraus resultierenden Handlungsfähigkeit sollen daher vor allem in der beruflichen Weiterbildung und am Arbeitplatz selbst gefördert werden26.
[...]
1 Günther Dohmen: Lebenslanges Lernen - aber wie? Eine Einführung; Aus: Lebenslanges Lernen. Erfahrungen und Anregungen aus Wissenschaft und Praxis. Ergebnisse aus der Fachtagung vom 13. bis 15. Dezember 1995 in Bensberg; Hg: Bernhard Nacke, Günther Dohmen; Bonn 1996; Seite 21.
2 Günther Dohmen: Das informelle Lernen. Die internationale Erschließung einer bisher vernachlässigten
Grundform menschlichen Lernens für das lebenslange Lernen aller; Bonn 2001; Hg: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) Seite 7.
3 im Folgenden mit „IL“ abgekürzt.
4 Günther Dohmen; Bonn 2001; Seite 7.
5 Günther Dohmen: Das Lebenslange Lernen. Leitlinien einer modernen Bildungspolitik; Bonn 1996; Hg: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF); Seite 32.
6 Aus: Günther Dohmen; Bonn 2001; Seite 20.
7 vgl. ebd.; Seite 18.
8 ebd.; Seite 18.
9 vgl. ebd.; Seite 19.
10 vgl. ebd.; Seite 27.
11 vgl. ebd.; Seite 28.
12 vgl. Günther Dohmen; Bonn 1996; Seite 39.
13 vgl. Günther Dohmen; Bonn 2001; Seite 34.
14 vgl. ebd.; Seite 37.
15 vgl. Günther Dohmen; Bonn 1996; Seite 40.
16 im Folgenden mit „SGL“ abgekürzt.
17 vgl. Günther Dohmen; Bonn 2001; Seite 39.
18 ebd.; Seite 40.
19 vgl. Franz E. Weinert: Selbstgesteuertes Lernen als Voraussetzung, Methode und Ziel des Unterrichts. In: Unterrichtswissenschaft. Zeitschrift für Lernforschung in Schule und Weiterbildung 2/1982; Seite 101.
20 vgl. Günther Dohmen; Bonn 2001; Seite 42.
21 vgl. ebd.; Seite 9.
22 ebd.; Seite 15.
23 Günther Dohmen: Zur Zukunft der Weiterbildung in Europa. Lebenslanges Lernen für Alle in veränderten Lernumwelten; Bonn 1998; Hg: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF); Seite 19.
24 vgl. Günther Dohmen; Bonn 1996; Seite 29.
25 ebd.; Seite 30.
26 vgl. Ingeborg Bootz, Thomas Hartmann: Lernen im sozialen Umfeld; Aus: Selbstgesteuertes Lernen. Dokumentation zum KAW-Kongreß vom 4. bis 6. November 1998 in Königswinter; Hg: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF); Bonn 1999; Seite 238.
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