Humor in Gottfried Kellers "Kleider machen Leute"


Exposé Écrit pour un Séminaire / Cours, 2001

19 Pages, Note: 1


Extrait


Inhaltsverzeichnis:

1. Ansichten und Gedanken zum Begriff des Humors

2. Gottfried Kellers Humor vor dem Hintergrund seiner Biographie

3. Merkmale und Intention des Humors bei Keller in „Kleider machen Leute“
3.1 Das „arme Schneiderlein“ als Ausgangspunkt
3.2 Humoristische Gesellschaftskritik – „Kleider machen Leute“ als Satire?
3.3 Form und Technik des Humors
3.2.1 Charakterkomik
3.2.2 Situationskomik
3.2.3 Stilmittel des Humors

4. Kleider machen Leute – Leute machen Kleider: Das „Schein- und Sein-Thema der Novelle

Literaturverzeichnis

1. Ansichten und Gedanken zum Begriff des Humors

Die Wurzeln des Begriffes „Humor“ sind in der Antike zu suchen. Aus dem Lateinischen stammend hat „Humor“ ursprünglich die Bedeutung „Saft“, „Nässe“, „Feuchtigkeit“. Mit „humores“ wurden in der antiken Medizin die vier Körpersäfte bezeichnet, welche ausschlaggebend für Temperament und Charakter eines Menschen waren. Die Bezeichnung wurde auf diesem Wege in die Psychologie übernommen und besagte bis ins 19. Jahrhundert soviel wie „Laune“ oder „Stimmung“.[1]

Mit der Wesenserfassung und ästhetischen Einordnung des Humors befassten sich zahlreiche Denker von Platon und Aristoteles bis heute, ohne eine endgültige Lösung des Problems zu finden.[2]

Eine allgemeine Definition bieten Jan Bremmer und Herman Roodenburg, die Herausgeber der „Kulturgeschichte des Humors“. Diese bezeichnen Humor „als jede durch eine Handlung, durch Sprechen, durch Schreiben, durch Bilder oder durch Musik übertragene Botschaft, die darauf abzielt, ein Lächeln oder ein Lachen hervorzurufen.“[3]

„Der Humorist faßt das Leben in all seinen Gegensätzen und vermag damit in freiem Scherz zu spielen, wenngleich der Scherz sich zutiefst auf dem Ernst begründet.“[4]

Bei Schopenhauer spielt der Ernst eine entscheidende Rolle bei der Unterscheidung zwischen Humor und Ironie: „Ernst, der sich hinter Scherz versteckt, ist (...) Humor. Umgekehrt versteckt sich (...) in der Ironie Scherz hinter dem Ernst.“[5]

Auch für Jean Paul, den ersten „Ästhetiker des Humors“, unter dem der deutsche Humor eine Blütezeit erfährt, ist der Ernst die Bedingung des Scherzes. Lachende sehen oftmals in den Belachten ein Spiegelbild ihrer selbst. „Die Einsicht des Humoristen in die Fragwürdigkeit der menschlichen Ansprüche nimmt seinem Verlachen die verletzende Schärfe des Satirikers, der (...) einzelne Schwächen aufs Korn nimmt, um sie tödlich zu treffen.“[6] Humor zielt somit nicht auf die Verurteilung eines Individuums, sondern auf allgemein Menschliches. Er kritisiert Hintergründe, für ihn existiert keine individuelle Torheit, sondern nur die allgemeine Torheit und eine „tolle Welt“.[7]

Die Einschätzung Kellers als Humorist ist in der Literaturwissenschaft unumstritten. Im Folgenden werden die Eigenarten von Kellers Humor anhand seines Werkes „Kleider machen Leute“ herausgestellt.

2. Gottfried Kellers Humor vor dem Hintergrund seiner Biographie

Eine wichtige Grundlage für Gottfried Kellers Humor stellt seine Weltanschauung dar. Entscheidend geprägt wurde diese bereits während seiner Studienzeit in Heidelberg, wo er Vorträge von Jakob Henle über Anthropologie und von Ludwig Feuerbach über das Wesen der Religion besuchte. Den Glauben an eine jenseitige Welt gab Keller auf, das diesseitige Leben erfasste er allerdings mit umso größerer Kraft und Liebe. Ebenso wie beim Humor deutscher Realisten wie Raabe, Reuter oder Wilhelm Busch, ist der Humor Kellers fest in dieser Welt verwurzelt.[8] Somit zählt Keller zu den Vertretern des Realismus und des realistischen Humors, der nicht mehr – wie im Idealismus – mit metaphysischer Spekulation belastet ist, sondern sich ganz der Erde, dem schönen Leben und der Freude widmet.[9]

Kellers Humor ist oftmals geprägt durch die direkte Rede. Seine Figuren werden als lebensbejahende, ausgeglichene Menschen charakterisiert, die es verstehen, die Dinge des Lebens zu beurteilen. Dies trifft bei Keller insbesondere auf Personen aus dem Volk, aus dem kleinbürgerlichen Milieu zu.[10] Dadurch wird eine Sympathie Kellers zu diesen Leuten deutlich. Diese kann mit der Tatsache in Verbindung gebracht werden, dass Keller selbst in einfachen Handwerker- und Bürgerkreisen aufwuchs und dass gerade die einfachen Menschen mit ihren Eigentümlichkeiten auf Kellers Gemüt eingewirkt und auf diese Weise seine ausgeprägte Beobachtungsgabe geweckt haben.

Keller hatte einen Großteil seines Lebens mit Armut zu kämpfen. Glück in der Liebe konnte er zeit seines Lebens nicht erfahren. Zu einer Heirat kam es aufgrund des Freitodes seiner Verlobten nie. Trotzdem war sein Glaube an den guten Sinn des Lebens unerschütterlich. Er betrachtete alle Misere des Lebens als unbedeutend und vorübergehend und glaubte fest an die Zukunft.[11] Während Kellers Humor in der Lage ist, Kraft zu schenken, um im eigenen Leben Schwerstes zu überwinden, so kommt ihm auch in seinem Werk eine befreiende Wirkung zu und wird zu einem Grundsatz für schwere Augenblicke im Leben, zu einem vor Leid bewahrenden Heilmittel.[12]

Nicht unerheblich wurde der Stil und somit auch der Humor des in der Schweiz geborenen Gottfried Keller wohl durch seinen fast sechsjährigen Aufenthalt in Berlin beeinflusst, wo er unter anderem seinen Roman „Der grüne Heinrich“ und unter dem Titel „Die Leute von Seldwyla“ veröffentlichte Novellen verfasste. Dass die Macht des Humors im Deutschland des 19. Jahrhunderts zunahm, wurde vor allem in Berlin deutlich, wo der volkstümliche Humor, der sogenannte Berliner Witz, in die literarische und künstlerische Szene vordrang.[13]

Wie für die deutschen Liberalen die erfolglose Revolution, so war für Kellers Entwicklung der Vorgang der Freischarenzüge prägend. Ihre Beteiligung am revolutionären Geschehen sahen die Altliberalen Deutschlands als „notwendigen Irrtum“ oder als „Jugendsünde“. Diese Einstellung hatte Keller gegenüber den Freischarenzügen in der Schweiz, die als Auftakt der europäischen Bewegungen verstanden werden können. Nach dem Scheitern des zweiten Freischarenzuges verfasste Keller sein erstes humorvolles Gedicht, in dem er seine Teilnahme als „Sonntagsjägerei“ bezeichnet. Laut Winter leitete dieses Gedicht die Geburtsstunde des Humors bei Keller ein.[14]

3 Merkmale und Intention des Humors bei Keller in seinem Werk „Kleider machen Leute“

3.1 Das „arme Schneiderlein“ als Ausgangspunkt

Typisch für Keller ist der Kontrast zwischen Schein und Sein, Wesen und Maske, zwischen Gesellschaftlichem und Innermenschlichem. Einen ersten Kontrast zwischen Schein und Sein findet der Leser der Novelle „Kleider machen Leute“ bei der Beschreibung Strapinskis. Bereits der erste versteckte Erzählerkommentar „armes Schneiderlein“ (S. 3, Z. 2) weist auf die ökonomische Ausgangslage des Helden hin, welche im Folgenden weiter erläutert wird.[15] Im Kontrast zu seiner Armut stehen sein Radmantel und seine polnische Pelzmütze, seine gepflegten langen, schwarzen Haare und Schnurrbärtchen. Auf diese Weise hat der Schneider ein edles und romantisches Aussehen (S. 3, Z. 21f.); und „lieber wäre er verhungert als dass er sich von seinem Radmantel und von seiner polnischen Pelzmütze getrennt hätte, die er (...) mit großem Anstand zu tragen wusste“ (S. 3, Z. 31f.). Keller bezichtigt die Hauptperson keineswegs schlechter, betrügerischer Absichten, sondern bezeichnet Strapinski sogar als „Märtyrer seines Mantels“ (S. 4, Z. 9). Strapinski ist somit gewissermaßen festgelegt als ein tragikomisches Opfer. Aufgrund der humoristischen Betrachtung der Fehler kann er als Sympathieträger Kellers betrachtet werden. Kritikpunkte setzt Keller kaum. Der Schneider „verwickelte (...) sich (...) in die erste selbsttätige Lüge, weil er in dem verschlossenen Raume ein wenig verweilte, und er betrat hiemit den abschüssigen Weg des Bösen“ (S. 8, Z. 10-13). Hier handelt es sich um einen Vorwurf an Strapinski, der allerdings nicht allzu ernst genommen werden sollte. In Anbetracht seines Hungers kann es dem von Sorgen gequälten (S. 9, Z. 5) Schneider kaum übelgenommen werden, wenn ihn „der Duft der kräftigen Suppe (...) seines Willens beraubte“ (S. 8, Z. 26ff.).

Hier wird eine allgemeine Aufgabe des Humors bei Keller deutlich. Er erfasst Menschen in ihrer Widersprüchlichkeit, bewahrt Zuneigung, ohne jedoch gänzlich auf ein moralisches Urteil zu verzichten. Dargestellte Menschen werden bei Keller nicht verurteilt, sondern das Bewusstsein ihrer guten Seiten wird stets im Hintergrund wachgehalten.[16] Die für Keller typische humoristische Betrachtungsweise der menschlichen Fehler lässt Sympathie entstehen. Diese empfindet der Leser durchaus für den Schneider, der, als „der Hunger (...) den Schrecken zu überwinden“ begann, einen klaren Gedanken fasst: „Es ist jetzt einmal wie es ist. (...) [K]omme, was da wolle! Was ich einmal im Leibe habe, kann mir kein König wieder rauben!“ (S. 10, Z. 13-23). An dieser Stelle teilt der Autor seiner Hauptperson ein gewisses Maß an Humor zu, welcher dem Schneider hilft, in schwierigen Situationen bestehen zu können.

3.2 Humoristische Gesellschaftskritik – „Kleider machen Leute“ als Satire?

Es liegt auf der Hand, dass Keller in seinem Werk auf die im 19. Jahrhundert aufkommende Geldgier hinweist und sich somit gegen eine allgemeine Krankheit der Zeit wendet.[17] In Verbindung mit der Geldgier spielen bei der Goldacher Bevölkerung Eigennutz und die Sehnsucht nach Prestige eine Rolle. Wenn es um die Ehre geht, ist dem Wirt des Gasthofes „Zur Waage“ nichts zu teuer: Ein großer Herr soll, „wenn er durch unsere Stadt reist, sagen können, er habe ein ordentliches Essen gefunden, obgleich er ganz unerwartet und im Winter gekommen sei! Es soll nicht heißen wie von den Wirten zu Seldwyl, die alles Gute selber fressen und den Fremden die Knochen vorsetzen!“ (S. 7, Z. 13-18). Falls das eigene Ansehen dadurch gefördert werden kann, so wird es in Goldach mit der Ehrlichkeit nicht sehr genau genommen. Dies ist den Überlegungen der Köchin zu entnehmen, die sagt, eine mit Schnepfen gefälschte Rebhuhnpastete würden die Leckermäuler nicht beanstanden (S. 6, Z. 21 f.).

Dass bei den Seldwylern das Geld eine zentrale Rolle spielt, wird deutlich, als die Stimmung der Bevölkerung abrupt zugunsten des Schneiders und seiner Verlobten umschlägt, sobald von einem großen Vermögen die Rede ist, das nach Seldwyla kommen könnte (S. 55, Z. 25-32).

[...]


[1] vgl. Demeter, S. 13

[2] vgl. Demeter, S. 11

[3] Bremmer/Roodenburg, S. 9

[4] Demeter, S. 13

[5] Walzel, S. 190

[6] Demeter, S. 18

[7] ebd.

[8] vgl. Demeter, S. 16

[9] ebd. S. 20

[10] vgl. Graichen, S. 346

[11] vgl. Demeter, S. 24

[12] vgl. Walzel, S. 191 ff.

[13] vgl. Townsend in „Kulturgeschichte des Humors“, S. 149

[14] vgl. Winter, S. 416

[15] vgl. Selbmann, S. 4

[16] vgl. Graichen, S. 341

[17] vgl. RUB 7470, S. 59

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
Humor in Gottfried Kellers "Kleider machen Leute"
Université
Catholic University Eichstätt-Ingolstadt
Cours
Erzählungen des Realismus
Note
1
Auteur
Année
2001
Pages
19
N° de catalogue
V78633
ISBN (ebook)
9783638836050
ISBN (Livre)
9783638836005
Taille d'un fichier
469 KB
Langue
allemand
Mots clés
Humor, Gottfried, Kleider, Leute, Erzählungen, Realismus, Keller, Thema Kleider machen Leute
Citation du texte
Wolfgang Kulzer (Auteur), 2001, Humor in Gottfried Kellers "Kleider machen Leute", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78633

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