Kankaken und Identitäten - ein kurzer Überblick über Feridun Zaimoglus "Kanak Sprak - 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft"


Term Paper, 2001

21 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Migration als Erzählung

Genese und Gestalt der deutschen Migrationserzählung

Kollektive Kultur - nationale Kultur

Globalisierung und Nation

Nationale Identität wird zu kultureller Identität

Volkssouveränität und Volkskultur

Nationalliteratur

>Kanake< - eine Strategie des Begriffs

Authentizität

Die Stimme als Garant für Authentizität

Unheimliche Wahrheit

Homogenität - Heterogenität

Identitäten in Bewegung

Schluss

Bibliographie

„Es geht darum, dem Subjekt [...] seine Rolle als ursprüngliche Bedeutung zu nehmen und es als variable und komplexe Funktion des Diskurses zu analysieren.“

„Wir müssen die Alternative des Außen und Innen umgehen; wir müssen an den Grenzen sein. Kritik besteht gerade in der Analyse der Grenze und ihrer Reflexion.“

Michel Foucault

Vorwort

Das Buch „Kanak Sprak- 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“ von Feridun Zaimoglu[1] scheint ein „klassisches“ Beispiel neuester deutscher Migrationsliteratur zu sein, das sich Interpretationsverfahren, denen Texte dieses Genres unterzogen werden, problemlos anbietet. Bei näherer Betrachtung wird klar, dass dieser Eindruck mit Absicht erweckt wird, und so eine Reflexion der Kategorie „Migrationsliteratur“, sowie der Konsequenzen, die sich aus der Kategorisierung ergeben können, fordert. Die vorliegende Arbeit hat es sich zum Anliegen gemacht, diesem Hinweis nachzugehen.

Migration als Erzählung

Um eine angemessene Definition für die Literatur ausländischer oder fremdstämmiger Autoren in der Bundesrepublik wird seit ihrer Thematisierung und Problematisierung gerungen. Ich möchte mich hier nicht an den Diskussionen über den Vorteil des Begriffes GastarbeiterInnenliteratur gegenüber MigrantInnenliteratur beteiligen. Ich wähle die Bezeichnung Migrationsliteratur, wobei der Begriff Migration, mehr als einen Akt der Einwanderung, eine moderne diskursive Formation bezeichnen soll, die in ihrer Form und Ausprägung eng mit der Konstruktion des modernen Nationalstaates verknüpft ist. Dabei ist es irrelevant, ob die Migration "am eigenen Leib" erfahren wurde oder ob sie von den Eltern, Großeltern oder dem sozialen Umfeld vermittelt wird. Mit Migration wird also explizit eine Ursprungserzählung gemeint, die im Hintergrund der heute hier lebenden Asylbewerber, MigrantInnen und deren Kindern und Kindeskindern schwebt und das Selbstverständnis der einzelnen Menschen prägt.

Genese und Gestalt der deutschen Migrationserzählung

Obwohl das Phänomen der Wanderung, der Migration, so alt ist wie die Menschheit, wird ihr heute ein Anfang, ein Ursprung attestiert, der mit dem Beginn der Einwanderungswelle in die Bundesrepublik in den 50er Jahren benannt wird. Es handelt sich dabei um eine BRD-spezifische historische Fixierung, die in diesem Zusammenhang auch Sinn macht. Dieser Anfang wird analog auf eine Literatur ausländischer oder fremdstämmiger Autoren in der Bundesrepublik Deutschland übertragen, die so eine Klassifizierung als >Migrationsliteratur< oder auch >Gastarbeiterliteratur< erfährt.

„Seit der Entstehung dieser Literaturen sind fast vier Jahrzehnte vergangen [...]“[2]

„Eine Literatur ausländischer Autoren in der Bundesrepublik Deutschland existiert seit etwa dreißig Jahren. [...] Immer war die Rede von den berühmten oder berüchtigten 4,5 Millionen Ausländern in der Bundesrepublik.“[3]

Mir ist es wichtig, deutlich zu machen, dass es sich hier um den Anfang einer Migrations- Erzählung handelt, die das Phänomen und die Problematik, die heute unter dem Begriff Migration, bzw. Migrationsliteratur zusammengefasst werden, erst konstruiert.

Die Zuweisungen und Kategorisierungen, denen sich Menschen, die Objekte dieser Erzählung sind, ausgesetzt sehen, sind Resultate dieser Erzählung. Bevor man diese Effekte als gegebene Probleme auffasst, und untersucht, was den Verweis auf die Existenz einer solchen Literatur seit einer bestimmten Zeitspanne impliziert, erscheint es mir wichtig, die Genese der Erzählung zu umreißen, um ihre Strategien und Intentionen besser zu verstehen.

Kollektive Kultur - nationale Kultur

Die Gründung eines Nationalstaates geht einher mit der Erfindung einer kollektiven, nationalen Kultur. Im Deutschland des 19. Jahrhunderts wird das Wertesystem der bürgerlichen Elite hegemonisiert, das Kulturen ethnisch definiert und ihre Homogenität als das nationale Gemeinsame propagiert. Die Geltung des ius

sanguinis[4] in Deutschland ist bezeichnend für sein Kulturverständnis. Kultur ist nicht nur homogen deutsch, sondern auch prinzipiell nicht übertragbar, da die Teilhabe an ihr deutsche Wurzeln voraussetzt. Diese nationale Verfasstheit ist in bezug darauf, wer und wie staatsbürgerliche Rechte in Anspruch nehmen kann, für den Umgang mit Fremden entscheidend. Das ius sanguinis ist Ausdruck einer völkischen Konzeption von Nation, die sich als eine ethnisch-monokulturelle Identität in Form einer Abstammungsgesellschaft begreift, dieses Verständnis bestimmt entscheidend, wie das „Wir“ im Verhältnis zu den anderen definiert wird.

Die Verknüpfung von Boden und Wurzeln, Deutschtum und Kultur ermöglicht das Denken und Leben von Kultur in abgeschlossenen Kulturkreisen, die deckungsgleich mit den Grenzlinien des Staatsgebietes sind. Die Idee einer organischen Entwicklung von den Wurzeln her macht Kultur unvergleichlich, diese Sicht überträgt sich auf fremde Kulturen, Kulturen werden somit untastbar und unvermischbar. Die Leistung des Nationalstaates ist es, das Eigene geographisch in den Grenzen des Staatsgebietes zu verorten und kulturell in den Köpfen seiner Bürger, die ihre nationale Identität leben und im Ernstfall zu ihrer Verteidigung in den Krieg ziehen, zu verankern.

Globalisierung und Nation

Wenn die nationalen Grenzen gleichzeitig kulturelle Grenzen sind, können Grenzüberschreitungen als Bedrohung empfunden werden. Eine solche Bewertung von Migration basiert auf dem nationalstaatlichen Bild des Kollektivs als homogenem Volkskörper, das sich durch das gemeinsame Territorium und eine gemeinsame Kultur definiert; eine Gemeinsamkeit, die durch die Abgrenzung vom Anderen, Fremden ermöglicht, affirmiert und positiviert wird. Im Zuge der Globalisierung wird Migration immer mehr zur Norm. Einhergehend mit „der Krise des Wohlfahrtsstaates Ende der 90er Jahre wird auf die nationale Zusammengehörigkeit und auf die notwendigen Opfer aller gepocht, damit es irgendwann wieder aufwärts gehen kann, und Nation kann [...] wieder zu einer Konsensformel und zu einem opferbereiten, einsichtigen Wir werden.“[5] Der Nationalstaat reagiert auf die Entwicklung mit der Wiederstarkmachung des kulturellen Moments und durch seine Politisierung. >Kultur< kann alles sein und dient in der Moderne der “Selbstdefinition und damit auch der Abgrenzung gegenüber anderen, gerade dort , wo von der Entgrenzung unserer Welt gesprochen wird.“[6] Diese Tendenzen zeichnen sich besonders deutlich in der Diskussion um Zuwanderung, Asylbewerber, Integration und Staatszugehörigkeit ab. Auf der einen Seite werden die Staatsgrenzen Europas nicht nur durchlässiger, sondern auch undurchdringlicher, wie beispielsweise die Ergebnisse des EU-Gipfels in Sevilla am 21./22. Juni dieses Jahres zeigen. Dieser Prozess geht einher mit einem „Argumentieren in einer Bildsprache, die von >Masse< und >Flut< der Zuwanderer und Asylanten oder von einer >Schwemme< redet, wie wenn es um Naturkatastrophen ginge, gegen die >Dämme< zu errichten seien.“[7] Der Migrant, bzw. die Migrantin wird zur Schlüsselfigur, der die Vorstellung von einer homogenen Kultur und Nation, wie sie in Deutschland vorherrscht, aufbricht und subvertiert und deshalb zum Problem gemacht wird. Die Idee des Gastarbeiters wurzelt hier, auch die Ikonographie, die Bilder von abgemagerten Flüchtlingen, die auf überfüllten Booten ihr Leben riskieren, um eventuell in Deutschland aufgenommen zu werden, weinende Kleinkinder, überfüllte Lager: Migration wird in Deutschland negativ belegt, als problematisch verstanden und tatsächlich problematisiert und erschwert.

Nationale Identität wird zu kultureller Identität

Die neue Potenz der Kultur wirkt heute aber nicht nur in der öffentlichen Rede. Durch die Erweiterung des Kulturbegriffs, der sich vom Begriff der Hochkultur gelöst hat, werden alle menschlichen Arbeits- und Lebensformen zu Kultur. „Jedes Objekt und jede Attitüde des Eigenen und des Fremden läßt sich als >kulturell< bezeichnen, seit man mit dem weiten Kulturbegriff operiert, der alles umfaßt, was sich als der von Menschen gemachte Teil der Umwelt verstehen läßt.“[8] Alltagspraxen werden zu Kultur stilisiert und lassen sich so leicht nationalisieren. Im Kontext der Migration heißt das, dass Kultur in dem Maße zum Kampfmittel wird, wie die Wahrnehmung kulturalisiert wird, in Begriffen wie >Multikulturalität< und >Ethnizität< wird die Auseinandersetzung mit dem Fremden markiert und kulturell akzentuiert. Für die Identitätsfindung bedeutet das, dass der nationale Diskurs als Teil einer Objektivierungsstrategie,[9] die Menschen zu Subjekten macht, über die Kulturalisierung Einzug hält in die alltägliche Lebenswelt. Und das um so mehr, als wir in der Moderne in einer Zeit leben, in der bisherige identitätsstiftende Momente, wie die Zugehörigkeit zu einer Klasse oder zu einer Religion, aufgebrochen werden. „Die identitätsstiftende Kraft der Religion, wie sie das Christentum so lange für das Abendland hatte, ist in der Moderne gebrochen worden, und seither hat ‚ähnliches wie die Religion nur noch die Nation vermocht’“.[10]

Es sind also zwei Bewegungen in der Bildung von identitätsstiftenden Momenten für unseren Zusammenhang von Bedeutung: der nationalen Identität kommt in der Moderne das Primat zu, indem sie sich an die Stelle bisheriger Zugehörigkeitsschemata und Identifikationsrahmen setzt. Ihre Wirkungsmächtigkeit sichert sie, indem sie sich im Kulturellen verortet, Kultur nationalisiert und ethnisiert und alles als >kulturell< fasst, was nicht >Natur< ist.

[...]


[1] Zaimoglu, Feridun: Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft. Hamburg: Rotbuch-Verlag 1995 Im Text: (KS)

[2] Chiellino, Carmine: Interkulturalität und Literaturwissenschaft. In: Dies. (Hrsg.): Interkulturelle Literatur in Deutschland. Ein Handbuch. Stuttgart, Weimar: Metzler 2000, S. 387

[3] Amodeo, Immacolata: „Die Heimat heißt Babylon“: zur Literatur ausländischer Autoren in der Bundesrepublik Deutschland. Opladen: Westdeutscher Verlag 1996, S. 9

[4] In der BRD ist das 1913 Gesetz gewordene ethnische Abstammungsprinzip –ius sanguinis- als Grundlage für die Staatsbürgerschaft bis heute gültig. Dadurch werden Deutschstämmige wie aus dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion relativ problemlos aufgenommen, während AsylberwerberInnen und MigrantInnen ganz andere Bedingungen haben. Die deutsche Nation ist so gesehen zuallererst eine Volksgemeinschaft und erst in zweiter Linie eine Rechtsgemeinschaft und eine Republik.

[5] Singer, Mona: Fremd. Bestimmung. Zur kulturellen Verortung von Identität Tübingen: Edition diskord 1997, S. 102

[6] Köstlin, Konrad: Kulturen im Prozeß der Migration und die Kultur der Migrationen. In: Chiellino, Carmine, a.a.O. 2000, S. 373

[7] Ebd., S. 373

[8] Ebd., S. 368

[9] Vgl. Foucault, Michel: Warum ich Macht untersuche: Die Frage des Subjekts. In: Dreyfus, H. L. / Rabinow, P.: Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Frankfurt a. Main 1987, S. 243. Foucault unterscheidet hier „drei Weisen der Objektivierung, die Menschen in Subjekte verwandeln“: Untersuchungsverfahren, bzw. Wissenschaften, Teilungspraktiken und Selbstobjektivierung.

[10] Türcke, Christoph: Identitätsverlust und Identitätskult. In: Jahrbuch für gesellschaftliche Umtriebe. Eingriffe 1, hrsg. v. Klaus Bittermann, Berlin 1988, S. 77, zit. nach Singer, a.a.O., S. 94

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Details

Title
Kankaken und Identitäten - ein kurzer Überblick über Feridun Zaimoglus "Kanak Sprak - 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft"
College
Free University of Berlin
Grade
1,0
Author
Year
2001
Pages
21
Catalog Number
V78688
ISBN (eBook)
9783638850971
File size
386 KB
Language
German
Keywords
Kankaken, Identitäten, Feridun, Zaimoglus, Kanak, Sprak, Mißtöne, Rande, Gesellschaft
Quote paper
Kerstin Weich (Author), 2001, Kankaken und Identitäten - ein kurzer Überblick über Feridun Zaimoglus "Kanak Sprak - 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78688

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