Das Problem vollständigen Wissens - Eine Kritik an Frank Jacksons Argument vollständigen Wissens (Mary-Argument)


Term Paper (Advanced seminar), 2007

30 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Erlebt Fred Tatsachen?
2.1.Prämissen nach Jackson
1)Zur Unterscheidung farbiger Objekte
Erklärung 1: Fred ist ein Betrüger
Erklärung 2: Indirekte/relationale Farbwahrnehmung
Erklärung 3: Direkte/absolute Farbwahrnehmung
2)Zur Anatomie von Freds Sehapparat
3)Erleben und Wissen
2.2.Konklusion nach Jackson

3.Mary und die Farbe blau
3.1.Lernt Mary eine Tatsache?
3.2.Was weiß Mary überhaupt?

4."Alles Physikalische wissen."?
4.1.Externe Einflussfaktoren auf Farbqualia
4.2.Interne Einflussfaktoren auf Farbqualia

5.Zum Epiphänomenalismus
5.1.Ein Widerspruch in sich
1) Mentale Zustände sind nicht-physikalisch
Gedanken gehören in die physikalische Welt
Was wir Gedanken nennen, sind in Wirklichkeit zwei Phänomene. Der Gedanke ist mental, das Korrelat physikalisch
2)Mentale Zustände sind physikalisch
5.2.Drei Varianten eines Arguments
1)Bestimmte Vorgänge im Gehirn verursachen beides
2)Qualia sind Begleiterscheinungen bestimmter Gehirnprozesse
3)Qualia werden von etwas Physikalischem verursacht
4)Die Schneckisten

6. Das Problem dualistischen Denkens

7. Literaturangaben

1. Einleitung

Jackson's Artikel „Epiphänomenale Qualia“ argumentiert für die Existenz von mentalen Zuständen, die sich nicht durch den Physikalismus erklären oder sich auf ihn reduzieren lassen. Als Hauptargument im ersten Teil dient ihm dabei die Intuition, dass, auch wenn wir alles wüssten, was es aus physikalischer Sicht über eine Rose zu wissen gibt, wir doch etwas Neues dazulernen würden, wenn wir das erste Mal an einer Rose riechen (Jackson 1982).

Er räumt aber ein, dass dieses Argument nur diejenigen Menschen von seiner Ansicht überzeugen kann, die sie ohnehin schon teilen. Anhängern des Physikalismus erscheint die Prämisse, dass beim Duft der Rose neue Tatsachen gelernt werden, nämlich gar nicht intuitiv einleuchtend.

Also begibt sich Jackson auf die Suche nach einem polemisch starken Argument, das auch die Physikalisten davon überzeugen können soll, dass der Physikalismus allein nicht alle Dinge dieser Welt erklären kann. Er nennt dieses Argument, das im nächsten Abschnitt erläutert und kritisiert werden soll, das „Argument des unvollständigen Wissens“.

Im letzten Abschnitt seines Artikels geht Jackson stärker auf die Theorie des Epiphänomenalismus ein, die es ihm erlaubt, seine nicht-physikalischen Qualia zu postulieren ohne in die Erklärungsnot der Dualisten bezüglich der Kausalität zu kommen.

In unserer Erwiderung widmen wir uns zunächst dem Argument des unvollständigen Wissens, um daran einige Gedanken zum Epiphänomenalismus anzuschließen. Dabei diskutieren wir zuerst das Gedankenexperiment um Fred als Ausgangspunkt für den Übergang auf das Gedankenexperiment um Mary. Nach einer genaueren Betrachtung der Grundvoraussetzung beider Szenarien – dass es grundsätzlich möglich ist, alles Physikalische zu wissen – diskutieren wir zum Abschluss Jacksons Argumente für den Epiphänomenalismus.

2. Erlebt Fred Tatsachen?

Anders formuliert:? Jackson setzt in seinem Gedankenexperiment den Wunsch nach Erleben mit dem Wunsch nach Wissen gleich. Am Beispiel des Fred versucht Frank Jackson also seinem Leser unter Anderem die Intuition zugänglich zu machen, dass Erleben immer zumindest eine Eigenschaft hat, welche entweder kausal eigenständiges Wissen verursacht oder als eigenständiges Wissen bezeichnet werden kann – dass also jede Quale genau eine Tatsache entstehen lässt und dass jede Tatsache auf genau eine Quale zurückzuführen ist.

Er präsentiert uns Fred. Fred besitzt die Fähigkeit, Rottöne mit ungewöhnlicher Genauigkeit diskriminieren zu können. Infolge dessen besitzt Fred Begriffe wie rot1, und rot2. Da eine Unterscheidung gemeinhin nicht vorgenommen wird, muss er eben auf Zahlen als Diskriminanten zurückgreifen. Jackson geht ferner davon aus, dass sich Freds Wahrnehmungsapparat physisch/physikalisch von dem unseren (dem in Biologiebüchern gelehrten) im Aufbau unterscheidet. Durch eine einfache Betrachtung von Freds Anatomie wird uns Freds Roterleben zwar nicht zu Teil, nach Jacksons Ansicht wohl aber durch eine Transplantation von Freds wahrnehmungsrelevanten physiologischen Charakteristika. Würde uns nun, so Jackson, Freds Wahrnehmungsapparat 'eingebaut', nähmen wir rot auf eine differenziertere Weise wahr. Wir wären nun in der Lage, zwischen roten Gegenständen zu unterscheiden, die uns zuvor als absolut identisch erschienen.

Unsere Kritik an Jacksons Gedankenexperiment soll sich im Folgenden in zwei Hauptteile gliedern. Zum Einen möchten wir uns mit der Aufgebrachtheit der Prämissen auseinandersetzen, die Jackson benutzt, um zu seinem Schluss zu gelangen, man gewönne Wissen durch die 'Sicht aus Freds Augen'. Zum Anderen möchten wir die Aussage „QualeTatsache“, bzw. „QualeTatsache“, die Jackson impliziert, genauer analysieren – zumal ihm diese Annahme dazu dient, im Weiteren sein Mary-Argument zu konstruieren.

2.1. Prämissen nach Jackson

- Fred kann rote Objekte unterscheiden, die für eine beliebige andere Person farblich identisch sind.
- Diese Unterscheidungsfähigkeit beruht auf einer anatomischen Eigenheit Freds, ist also physikalisch vollständig beschreibbar. Diese physiologische (also physikalische) Besonderheit ist infolgedessen theoretisch übertragbar auf eine andere Person.

- Die Absicht nach einer internen Wiederholung der Wirkung von Freds anatomischer Eigenheit in einem selbst – also einem Erleben von Freds Rotempfinden – ist mit dem Wunsch nach Wissen gleichzusetzen.

1)Zur Unterscheidung farbiger Objekte

Was für uns rot erscheint unterteilt sich für Fred in rot1, und rot2[1]. Er besitzt somit eine diskriminatorische Fähigkeit, die uns abgeht. So lässt sich eine Situation vorstellen, in der Fred verschiedene rote Gegenstände vorgelegt werden. Fred ist in der Lage, diese Gegenstände anhand ihrer farblichen Eigenschaft, rot1 oder rot2, zu unterscheiden.

Erklärung 1: Fred ist ein Betrüger

Als roter Gegenstand muss etwas gelten, was Fred als Unterscheidungsmöglichkeit zu den Vergleichsgegenständen lediglich den ihm (dem Gegenstand) eigenen Farbwert bietet. Somit scheiden 'natürliche' Gegenstände wie Äpfel oder Tomaten aus, da Fred seine Unterscheidung bei diesen auch anhand anderer Kriterien anstellen könnte. Einem 'Betrüger' wäre es möglich alle Äpfel (vermeintlich gleicher Farbe) anhand einer bestimmten Größe als rot1 einzustufen. Jemandem, dem die Introspektive in Freds subjektive Wahrnehmung nicht gegeben ist, bliebe als einziges Indiz für Freds Fähigkeit dessen Aussage. Es könnte nicht mit befriedigender Gewissheit festgestellt werden, ob Fred rot1 und rot2 erlebt. Im Endeffekt eben, ob rot1 und rot2 überhaupt Zustände sind, die auf die Art erlebt werden können, wie es den Anschein hat.

Die fälschliche Zuschreibung von Farbqualität, wo keine ist, muss nicht zwangsläufig mit täuschender Absicht geschehen. So könnte hier genauso gut ein Nachbild auf der Iris oder ähnliche, die Farbwahrnehmung beeinträchtigende Faktoren, ursächlich sein. Der Punkt, auf den wir hinaus möchten, ist jedoch folgender: Bei der Zuschreibung erhöhter Diskriminationsfähigkeit müssen in jeder Hinsicht reproduzierbare Laborbedingungen herrschen. Es muss festgestellt werden, dass ein schärferer Sinn wahrscheinlicher ist, als eine wie eine schärfere Wahrnehmung auftretende Nebenerscheinung. Wenn sich keine Erklärung für Freds Fähigkeit finden lässt, die plausibler ist, als das, was er uns sagt, so muss man sich eben auf das verlassen, was er uns sagt.

Erklärung 2: Indirekte/relationale Farbwahrnehmung

Die Möglichkeit der indirekten Farbwahrnehmung überschneidet sich in ihrem Auftreten mit der Möglichkeit, dass Fred uns wissentlich betrügt, sowie mit dem Fall, dass Fred tatsächlich eine Sinneswahrnehmung hat, die uns nicht zugänglich ist. Der Grad der jeweiligen Überschneidung zeigt sich abhängig von dem Verständnis, das man vom Begriff der Sinneswahrnehmung hat, sowie von der eigenen Intuition, wie man zu ebenjener gelangt.

Man betrachte folgenden Fall. Sie werden nach der Quale gefragt, die folgende Farbe bei ihnen auslöst.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Daraufhin werden Sie gefragt, welche Quale folgende Farbe bei ihnen auslöst.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Entsteht die neue Quale also erst durch die Vergleichsmöglichkeit mit anderen Qualia? Werden Qualia letzten Endes durch Bezugnahme auf andere, bereits qualia-fizierte Reize erlernt?[2]

Anhand dieses Beispiels soll klar werden, dass der Farbeindruck, den man als 'blaueres grün' oder 'weniger sattes grün' oder Ähnliches bezeichnet, erst als solcher beschreibbar und somit existent wird, wenn weitere Indizien (wie etwa eine Vergleichsfarbe) auf seine Qualität hinweisen. Zuvor zeigen sich Betrachter geneigt, die Qualität ihrer beider Wahrnehmungen mit der Qualität der Wahrnehmung von grün gleichzusetzen. Somit haben sie erst durch den Vergleich zweier unterschiedlicher Grüntöne eine diskriminatorische Fähigkeit – ähnlich der Freds – erlangt, die ihnen grün1 und grün2 offenbart. Wenn Fred nun einen rot1en Gegenstand sähe, so bestünde die ausgelöste Quale, unter der Annahme indirekter Wahrnehmung, aus der allgemein bekannten Qualität einer ordinären Rotwahrnehmung. Denn wenn man, selbst bei längerer bewusster Betrachtung, die Quale als grün auszeichnet, muss davon ausgegangen werden, dass diese sich einem als ebensolche Quale zeigt; nicht etwa 'fast grün' oder 'unsauberes grün' – oder 'rot1' und 'rot2'. Die diskriminatorische Fähigkeit, die durch die Gegenüberstellung zweier leicht unterschiedlicher Farben erlangt wird, ist zudem nicht längerfristig erlernbar – zumindest kaum bei feinkörnigeren Farbunterschieden.

Ließe sich nicht auch Freds rot1 und rot2 Erleben ohne Transplantation übertragen, nämlich erlernen?

Die Aufteilung des physikalischen Farbspektrums in die uns bekannten Farbgruppen ist ja aus eben dem Grund so wie sie ist, da eine feinere Unterteilung dem Durchschnittsmenschen ohne Hilfsmittel nicht möglich ist. Ähnlich gestalten sich andere, für den menschlichen Sprachgebrauch quantifizierte/diskretisierte Ausdrücke für praktisch kontinuierliche physikalische Dimensionen. Also übersteigt die Genauigkeit unserer Sinnesorgane die Auflösung, in der physikalische Reize mental repräsentiert sind. Ein Bild sagt eben mehr als es tausend Worte jemals können werden[3].

Daher soll als Farbquale im Folgenden die Qualität einer Farbe bezeichnet werden, die in der Genauigkeit ihres Farbwertes mental einzeln repräsentierbar ist, also Wiedererkennungswert besitzt. Unter der Annahme, dass die oben gezeigten farbigen Quadrate bei einer Betrachtung durch eine Testperson wiederholt als gleich (grün) bezeichnet würden, wäre die Quale bei beiden Quadraten unterschiedlicher Grünwerte identisch. Infolgedessen ist für ein Erleben von Freds Rotempfinden eine mentale Repräsentation von rot1 und rot2 von Nöten, die ihrerseits eine differenzierte physikalische Wahrnehmung der unterschiedlichen Wellenlängen von rot1 und rot2 voraussetzt.

Fred könnte seine Unterscheidung einerseits anstellen, indem er ein Vergleichsrot anwendet. Er legt an jeden roten Gegenstand etwa einen Farbstreifen an, der ihm im direkten Vergleich zeigt, ob der Gegenstand eher rot1 oder eher rot2 ist. Dass Fred ohne die Differenzierungsmöglichkeit durch den Streifen eine andere Farbquale erlebt, als der Durchschnittsmensch ist zu verneinen, ohne Streifen könnte er schließlich rot1 und rot2 ja auch nicht unterscheiden. Fraglich bleibt auch, ob nur durch das Anlegen der Vergleichsfarbe und der daraus möglichen Zuordnung zu rot1 oder rot2 die Quale entsteht – lediglich aus der Erkenntnis (der Art) des Unterschiedes.

Fred könnte andererseits zwei rote Gegenstände verwenden, um durch den farblichen Unterschied zueinander eine Zuordnung zu rot1 oder rot2 anzustellen. Doch auch hier gilt: Wenn ihm die rot1/rot2-Zuordnung der einzelnen Gegenstände nicht gelingt, so ist der Unterschied zwischen beiden in Fred nicht mental repräsentiert.

Fred hätte also in keinem Fall der indirekten rot1/rot2-Wahrnehmung Qualia.

Erklärung 3: Direkte/absolute Farbwahrnehmung

Um eine farbliche Unterscheidung der beiden obigen Quadrate anzustellen, müssten sie nicht vergleichbar, direkt nebeneinander stehen. Das ist nicht nötig, da wir mentale Repräsentationen von grün und blau haben. Sie sind unserem Gedächtnis zugänglich, sie sind eigenständige Qualia.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auch wenn es uns vielleicht kontraintuitiv erscheint, so spricht dennoch nichts gegen die Annahme, dass Fred rot1 und rot2 so deutlich differenziert wahrnimmt, wie wir blau und grün. Die Bezeichnungen 'rot1' und 'rot2' lassen zwar auf eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden Farbtönen schließen, könnten aber auch einfach darauf zurückzuführen sein, dass beide Farben allen Menschen außer Fred eben als rot erscheinen; Fred greift also auf 'rot1' und 'rot2' zurück, um nicht auf willkürliche Phantasiebegriffe ausweichen zu müssen.

Freds Fähigkeit zur Unterscheidung von rot1 und rot2 setzt also mentale Repräsentationen beider Farben voraus. Und zwar mentale Repräsentationen, die den unseren gleichen, wenn wir von grün und blau oder hellblau und blau sprechen. Um uns Freds Wahrnehmung besser vorstellen zu können, ohne unser Farbspektrum über seine Maße zu erweitern – was klarerweise unser Vorstellungsvermögen übersteigen würde –, müssen wir einen kleinen Trick anwenden. Wir entfernen unsere Rot- und Grünwahrnehmung (an ihre Stelle könnte zum Beispiel eine undifferenzierte Grauwahrnehmung treten) und benutzen den so frei gewordenen Farbraum um die Gegenstände, die Fred rot1 und rot2 nennt, anhand unserer klassischen rot/grün-Differenzierung zu unterscheiden. Hierbei sei anzumerken, dass wir durch diesen Qualiasubstitutionsprozess nicht nur unsere Fähigkeit verlören, klassisches rot von klassischem grün zu unterscheiden. Auch was wir zuvor als grau bezeichneten, kann nun klassisch rot, klassisch grün oder klassisch grau sein. Dafür wären wir nun in der Lage rot1 und rot2 anhand der ausgelösten Quale zu unterscheiden.

Doch was geschieht genau im Prozess der Qualiasubstitution? Die mentalen Repräsentationen von Farben stehen ohne Frage in Verbindung mit den physikalischen Repräsentationen von Farben. Wie uns die Beschäftigung mit der indirekten Farbwahrnehmung allerdings gezeigt hat, gibt es zwischen der physikalischen und der mentalen Repräsentation einer Farbe wohl noch eine weitere Instanz. Es ist diejenige, die es uns erlaubt, Farben relational zu unterscheiden, die wir unter Rückgriff auf unser Gedächtnis miteinander identifiziert hätten. Wir wollen diese Stufe diejenige der sensorischen Repräsentationen nennen. Sie beinhaltet zum Beispiel die beiden Grüntöne aus dem Abschnitt der indirekten Farbwahrnehmung als getrennte Entitäten, wohingegen beide (zumindest bei den meisten Menschen) mental gleich repräsentiert sind. Somit schwindet die Genauigkeit, oder die Farbauflösung, von der physikalischen über die sensorische bis hin zur mentalen Repräsentationsebene. Also gilt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[4]

I. Es gibt ein physikalisches Reizspektrum, das sensorisch repräsentiert ist.

II. Es gibt die sensorische Repräsentation eines physikalischen Reizspektrums, das auch mental repräsentiert ist.

III. (I. & II.) Es gibt ein physikalisches Reizspektrum, das mental repräsentiert ist.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

IV. Wenn ein physikalisches Reizspektrum mental repräsentiert ist, so ist es immer auch sensorisch repräsentiert.

Diese Unterscheidungsfähigkeit beruht auf einer anatomischen Eigenheit Freds, ist also physikalisch vollständig beschreibbar. Diese physiologische (also physikalische) Besonderheit ist infolgedessen theoretisch übertragbar auf eine andere Person.

V. Wenn ein physikalisches Reizspektrum sensorisch repräsentiert ist, so existiert immer auch ebenjenes physikalische Reizspektrum.

VI. (IV. & V.) Wenn ein physikalisches Reizspektrum mental repräsentiert ist, so existiert immer auch ebenjenes physikalische Reizspektrum.

Daraus folgt, dass gilt:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

VII. Stimmen zwei mentale Repräsentationen von physikalischen Reizspektren nicht überein, so stimmen auch nie die beiden entsprechenden sensorischen Repräsentationen der physikalischen Reizspektren überein.

VIII. Stimmen zwei sensorische Repräsentationen von physikalischen Reizspektren nicht überein, so stimmen auch nie die beiden entsprechenden physikalischen Reizspektren überein.

IX. (VII. & VIII.) Stimmen zwei mentale Repräsentationen von physikalischen Reizspektren nicht überein, so stimmen auch nie die beiden entsprechenden physikalischen Reizspektren überein.

2) Zur Anatomie von Freds Sehapparat

Somit muss zur erfolgreichen Unterscheidung von rot1 und rot2-Quale die physikalische Differenz der Wellenlängen von rot1 und rot2 so groß sein, dass sie die Präzision mindernde Wirkung der sensorischen als auch der mentalen Codierung übersteht. Die Verbesserung der Genauigkeit der sensorischen Repräsentationen lässt sich wohl durch chirurgische Eingriffe in das Innere des Auges zumindest theoretisch vorstellen. So könnte in etwa die Anzahl der Rotzäpfchen bzw. deren Dichte erhöht werden. Wie jedoch die Schärfe der mentalen Repräsentationen verbessert werden sollte, bleibt fraglich. Wobei einiges für die Annahme spricht, dass deren Schärfe oder Unschärfe[5] von den sich unterscheidenden Interaktionsmöglichkeiten mit eben den auf sie Bezug nehmenden physikalischen Repräsentationen (alleine?) abhängig ist. Da dieser Prozess der Schaffung von Repräsentationen durch Interaktionsmöglichkeiten nicht evolutionsbiologisch, sondern entwicklungspsychologisch vonstatten geht, lässt es sich durchaus vorstellen, dass Fred durch ein bestimmtes Umfeld während seiner Entwicklung die Fähigkeit erlangt hat, rot1 und rot2 zu differenzieren.[6]

Somit wären zur praktischen Durchführung eines Qualiasubstitutionsvorganges immense Eingriffe in das Gehirn nötig. Es müssten alle Assoziationen zu dem, was Fred rot1 und rot2 nennt – wodurch er erkennt welches welches ist; was oder wie es also für ihn ist –, künstlich geschaffen werden, da sie ja zuvor aufgrund mangelnder Notwendigkeit nicht vorhanden waren. Da die Assoziationen, die Fred hat, Verbindungen zwischen mentalen Repräsentationen sind, müssten somit alle beteiligten mentalen Repräsentationen im Versuchskaninchen neu geschaffen werden. Die Vermutung liegt nahe, dass es hierbei einem Unterfangen unterläge, dessen Ergebnis die Schaffung eines zweiten Fred wäre. Und spätestens damit wäre der Versuch gescheitert, als persönliches Individuum die Erfahrungen von Fred zu erlangen, da das ehemalige Individuum sich nicht mehr als solches betrachten würde, sondern als Fred.

Somit verschwinden die einzigen uns ersichtlichen Möglichkeiten, Frank Jacksons Gedankenexperiment Praxisbezug zu verleihen, bzw. seine Prämissen realistisch zu interpretieren. Bei genauerer Betrachtung ist es nämlich nicht mehr möglich, sich die Qualität von Freds Wahrnehmung vorzustellen – oder gar den Wunsch nach ihr. Trotz des hinfällig Werdens der Transfermöglichkeit von Freds Qualia soll im Weiteren die Frage beantwortet werden, ob der Wunsch nach bestimmen Qualia dem Wunsch nach bestimmten Tatsachen gleichzusetzen ist.

3) Erleben und Wissen

Fred ist fähig, Aussagen zu treffen wie „Der Apfel ist rot1.“, „Die Kirsche ist nicht rot2.“ und so weiter. Ihm ist somit Wissen zugänglich, dass wir nicht direkt erlangen können. Das Wissen vermittelt sich Fred via Qualia. Die optische Quale ist das Interface zwischen Freds Umwelt und Freds Bewusstsein, das die Tatsache („Der Apfel ist rot1.“) passiert, um sich Fred zugänglich zu machen. Es ist aber nicht der einzige Weg. Wissen – als Menge von Tatsachen – zeichnet sich nämlich gerade dadurch aus, dass es verschiedene Kanäle in das Bewusstsein nehmen kann. So kann man zum Beispiel sehen, dass der Tisch glatt ist, man kann es aber auch fühlen. In beiden Fällen zeigt sich das erlangte Wissen in der Tatsache „Der Tisch ist glatt.“, einmal durch das optische, das andere Mal durch das haptische Interface – immer aber durch Qualia.

Freds Wissen um die Farbe der Gegenstände, welches uns nicht direkt zugänglich ist, kann auch andere Wege in unser Bewusstsein finden, als den über unseren Farbsinn, der hierfür nicht fein genug ist. Das Wissen um die Farbe der rot1en und rot2en Gegenstände kann uns auch über Freds Worte zugänglich gemacht werden. So würde die Tatsache „Der Apfel ist rot1.“ uns nicht via optischer, sondern via akustischer Quale erreichen. Wem Freds Aussage zu vage ist, der sei auf die logische Beweisführung in der Erklärung absoluter Farbwahrnehmung verwiesen (IX), die folgende Aussage impliziert:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

X. Wenn es eine mentale Repräsentation gibt, die mit keiner anderen mentalen Repräsentation übereinstimmt, so ist dies auf ein physikalisches Reizspektrum zurückzuführen, das mit keinem anderen physikalischen Reizspektrum übereinstimmt.

2.2. Konklusion nach Jackson

- Vollständiges physikalisches Wissen um Fred befriedigt nicht den Wunsch, Freds Erleben zu teilen.
- Vollständiges physikalisches Wissen lässt also das Wissen um die Qualität von Freds Wahrnehmung aussen vor.
- Also ist der Physikalismus unvollständig und somit falsch.

Nach X. lässt sich mit hinreichend fein auflösendem Instrumentarium das gleiche Wissen vermitteln, das Fred durch seine Qualia bekommt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Daraus folgt, dass Erleben (oder Qualia) zwar die einzige Möglichkeit ist, zu Wissen zu gelangen, es aber nicht mit Wissen gleichzusetzen ist. Genauer formuliert besteht zwischen 'Erleben' und 'Wissen' eine links- und rechtstotale, sowie eine rechtseindeutige, aber keine linkseindeutige Relation. Also muss die starke These 'ErlebenWissen' zugunsten der schwachen These 'ErlebenWissen' fallengelassen werden.

3.Mary und die Farbe blau

Ähnlich wie das Argument um Fred, das wir im letzten Abschnitt erläutert haben, stellt sich auch das Argument um Mary dar: Mary ist eine Superwissenschaftlerin, die alles weiß, was es in physikalischer Hinsicht über Farben und das Farbensehen zu wissen gibt. Doch lebt Mary seit ihrer Geburt in einem schwarz-weißen Raum und auch die Informationen aus der Außenwelt dringen nur über schwarz-weiß-Monitore zu ihr. Nachdem Mary vollständiges, allumfassendes physikalisches Wissen über Farben und das Farbensehen erlangt hat, wird sie in die bunte Welt entlassen. Das Argument des unvollständigen Wissens lautet nun wie folgt.

1. Mary weiß vor dem Verlassen ihrer schwarz-weißen Umgebung alles, was es physikalisch und physiologisch über das Farbensehen von Menschen zu wissen gibt.
2. Mary lernt beim ersten Anblick eines blauen Gegenstands nach dem Verlassen ihrer schwarz-weißen Umgebung etwas Neues; sie erwirbt neues Wissen.
3. Also lernt Mary beim ersten Anblick eines blauen Gegenstands nach dem Verlassen ihrer schwarz-weißen Umgebung eine neue Tatsache.
4. Also kennt Mary vor dem Verlassen ihrer Umgebung nicht alle Tatsachen, die das Farbensehen von Menschen betreffen.
5. Also gibt es im Hinblick auf das Farbensehen der Menschen Tatsachen, die keine physikalischen Tatsachen sind.
6. Also gibt es nicht-physikalische Tatsachen.
7. Also ist der Physikalismus falsch.

Die Diskussion über die Voraussetzungen des Gedankenexperiments sind bereits bis ins Detail geführt worden. Wie kann ein Mensch in einer schwarz-weißen Umgebung aufwachsen? Wie bringt man ihn dazu, sich nie zu verletzen, nie das eigene Spiegelbild zu sehen, immer vollständig bekleidet inklusive weißer Handschuhe zu sein? Wie kann ein Menschenhirn alles physikalische Wissen über Farben in sich aufnehmen? Wir wollen uns hier dieser Diskussion nicht widmen, sondern die Voraussetzungen des Gedankenexperimentes als gegeben voraussetzen. Es ist ja schließlich auch nur ein Gedankenexperiment.

Aber selbst wenn man die Voraussetzungen akzeptiert, ergeben sich mehrere Kritikpunkte:

Den ersten liefert Jackson selbst, wenn er sein Argument des Rosenduftes kritisiert:

In Aufbau und Gedankengang unterscheidet sich das Argument des unvollständigen Wissens nämlich nahezu gar nicht von dem im ersten Abschnitt vorgestellten Argument des Rosenduftes. Jackson räumt, wie bereits erwähnt, ein, dass für Physikalisten die Behauptung, man würde beim Schnuppern an einer Rose eine neue Tatsache erlernen, intuitiv nicht einleuchtend ist. Bei dem entscheidenden Punkt in der Geschichte um Mary beruft sich Jackson aber wieder nur auf die Intuition: „Es scheint einfach offensichtlich zu sein [...]“ schreibt er, und so bringt das Argument des unvollständigen Wissens keinen informativen oder argumentativen Zugewinn gegenüber dem Argument des Rosenduftes. Allenfalls werden die Voraussetzungen verkompliziert und undurchsichtiger gemacht, so dass sie schwerer vorstellbar und daher auch schwerer kritisierbar werden. Wenn das Argument des Rosenduftes nicht stark genug ist, so ist es das Argument um Mary auch nicht.

Aber auch inhaltlich bleiben einige Unklarheiten und Angriffspunkte:

3.1. Lernt Mary eine Tatsache?

Führen wir uns das Argument des unvollständigen Wissens noch einmal vor Augen:

Jackson behauptet, dass Mary nach Verlassen des schwarz-weißen Raumes eine neue Tatsache über das Farbensehen lernt, die ihr, die alle physikalischen Tatsachen zuvor bereits wusste, bisher unbekannt war.

Die missverständliche Verwendung des Begriffs der 'Tatsache' ist bereits von vielen Autoren diskutiert worden (etwa Lewis 1988, Pettit 2004, Frank Jackson 1986 selbst, Churchland 1989, Bigelow und Pargetter 1990, Conee 1994, Stoljar und Nagasawa 2004). So lässt sich beispielsweise einwenden, dass es nicht unbedingt eine Tatsache sein muss, die Mary zu diesem Zeitpunkt dazulernt, sondern lediglich ein neuer Zugang zu bereits bekannten Tatsachen (Pettit 2004). In diesem Fall würde man zum Beispiel argumentieren, dass die Tatsache eines Gegenstandes die gleiche sei, egal ob man ihn ertaste, sehe oder wie Fledermäuse hören könne. Ähnlich funktioniert die Erwiderung, wenn man statt eines neuen Zugangs eine neue Fähigkeit annimmt (z.B. Lewis 1988).

Versteht man Tatsachen nun nach Russel als Proportionen eines Gegenstandes mit einer Eigenschaft, so könnte man einwenden, dass Mary auch vor ihrer Freilassung schon 'gewusst' hätte, dass der Himmel blau ist. Das sähe dann wie folgt aus:

1. Mary weiß alle physikalischen Tatsachen über Farben und das Farbensehen.
2. Mary weiß, dass die Aussage: „Der Himmel ist blau.“ wahr ist.
3. Mary weiß, dass der Himmel blau ist.
4. Mary kommt frei und sieht, dass der Himmel blau ist.
5. Mary hat keine neue Tatsache gelernt.

Jackson jedoch würde das Argument aufgreifen und genauer formulieren:

1. Mary weiß alle physikalischen Tatsachen über Farben und das Farbensehen.
2. Mary weiß, dass der Himmel Licht mit einer Wellenlänge von ca. 420 nm. aussendet.
3. Mary weiß, dass diese Wellenlänge den Namen 'blau' trägt.
4. Nach ihrer Freilassung sieht Mary den blauen Himmel.
5. Mary lernt, was der Begriff 'blau' bedeutet, sie schafft eine neue Verknüpfung zwischen ihrem Sinneseindruck und der Bezeichnung 'blau' oder zwischen dem Himmel und ihrem Sinneseindruck. Damit lernt sie im Frege'schen Sinn eine neue Tatsache.
6. Also gibt es nicht-physikalische Tatsachen.
7. Also ist der Physikalismus falsch.

Damit hätte Jackson gezeigt, dass Mary sehr wohl eine neue Tatsache lernt, die nicht-physikalischer Natur ist. Als Befürworter des Physikalismus könnte man jedoch einwenden, dass diese Tatsache eine feinkörnige Tatsache im Sinne Freges ist. Feinkörnige Tatsachen machen Aussagen über den Sinn der in ihnen beschriebenen Relationen. Grobkörnige Tatsachen dagegen beschreiben nur die Relationen an sich. Der Physikalismus macht aber keine Aussagen über den Sinngehalt von Aussagen. Die Bläue des Blaus kennen zu lernen, bedeutet jedoch nichts anderes als den Begriff blau mit Sinn zu füllen. Die grobkörnige Tatsache: „Der Himmel sendet Licht einer bestimmten Wellenlänge aus.“ war Mary auch vor ihrer Freilassung schon bekannt. Mary würde also nach der Freilassung zwar eine feinkörnige Tatsache erlernen, jedoch keine grobkörnige und damit stellt das Argument keine Herausforderung für den Physikalismus dar.

Das Problem des Argument liegt in einem anderen Punkt:

3.2. Was weiß Mary überhaupt?

Wie so oft in der Philosophie handelt es sich bei dem Argument des unvollständigen Wissens um ein Gedankenexperiment, das dazu dienen soll, logisch (oder nomologisch) mögliche Schlüsse zu ziehen aus Prämissen, die nicht auf die tatsächliche Situation zutreffen, aber vorstellbar sind.

Jackson macht sich mit einem Kunstgriff unangreifbar, indem er seine Prämissen so aufbaut, dass sie vorstellbar und einleuchtend erscheinen, die Vorstellung aber so vage bleibt, dass ihr nicht widersprochen werden kann.

Das Argument des unvollständigen Wissens lautet verkürzt:

I.Mary weiß alles, was es in physikalischer Hinsicht über das Farbensehen zu wissen gibt.
II.Wenn Mary den schwarz-weißen Raum verlässt, lernt sie beim Anblick einer Farbe eine neue Tatsache.
III.Es gibt nicht-physikalische Tatsachen, also ist der Physikalismus falsch.

Jackson gibt selbst zu, dass die heutige (oder damalige) Wissenschaft die Voraussetzungen der ersten Prämisse noch nicht erfüllt. Das aber wirft folgendes Problem auf: Natürlich können wir uns irgendwie vorstellen, wie es ist, wenn wir alles in physikalischer Hinsicht Wissbare über das Farbensehen wissen. Aber diese Vorstellung wird extrem vage bleiben, weil wir nie wissen, was genau wir da eigentlich wissen. Folglich wissen wir auch nicht, ob wir etwas nicht wissen würden. Das Argument geht von einer Weltsicht aus, die zu begründen es geschaffen wurde: dass es neben den physikalischen noch andere Tatsachen gibt.

So ist es beispielsweise möglich, dass Mary durch das genaue Studium des Einflusses der Lichtwellen auf die Netzhaut und ihre Realisierung in den neuronalen Aktivitäten des Gehirn, den Eindruck 'vorempfinden' kann, den die Bläue gegebenenfalls auf sie ausüben würde (Dennett 1991). Nicht dass das die Meinung der Verfasserin wäre, aber da wir nicht wissen, was „alles physikalisch Wissbare“ umfasst, können wir eben auch nicht sagen, was es nicht umfasst.

Auch andere Autoren (z.B. Stoljar 2001) argumentieren, dass Mary, da sie ja alles Physikalische über das Farbensehen weiß, auch wissen müsste, wie sich ein Licht, das Wellen aussendet, die von uns als blau wahrgenommen werden, auf unser Gehirn auswirkt. Sie folgern daraus, dass Mary keine neue Tatsache lernen würde, da sie auch vor ihrer Freilassung eine blaue Tafel schon als blau erkennen würde. Es ist in diesem Zusammenhang aus unserer Sicht jedoch wenig sinnvoll darüber zu sprechen, ob Mary diese blaue Farbtafel, die ihr mit den Worten „Das ist rot.“ entgegengehalten würde, dennoch als blau erkennen würde oder nicht.

Denn gehen wir doch einmal davon aus, dass Mary, wenn sie alle physikalisch wissbaren Eigenschaften über Farben weiß, auch weiß, mit welcher Wellenlänge eine Farbtafel, die blau genannt wird, Licht reflektiert. Vielleicht wäre sie zunächst verwundert, mit dem geeigneten Instrument würde sie den Schwindel jedoch schnell aufdecken können. Auch ein mit entsprechenden Kameras ausgestatteter Roboter wäre zu dieser Unterscheidung in der Lage, auch wenn es nicht irgendwie für ihn ist, das zu sehen.

Doch spricht das gegen die Existenz von Qualia? Aus unserer Sicht nicht, denn es geht darum, ob das Erleben der Farbe – zusätzlich zum Wissen um die Eigenschaften der Farbe – eine neue Tatsache vermittelt.

Anders formuliert: Schließt die Tatsache, dass Mary auch auf andere Weise zu dem Eindruck der Bläue kommen kann als durch die direkte Konfrontation mit einem blauen Objekt, die Existenz von Qualia aus? Denn diese Art der Argumentation definiert Qualia über ihre Entstehung, nicht über ihre Art und Weise. Der dahinter stehende Gedankengang ist ja, dass die Existenz von Qualia verneint werden muss, sobald es gelingt, sie künstlich zu erzeugen. Mit derselben Logik müsste man die Existenz von natürlich vorkommendem Penicillin verleugnen, nur weil es auch synthetisch erzeugt werden kann. Schließlich ist nirgendwo in der Definition von Qualia festgelegt, dass diese nur durch äußere Objekte hervorgerufen werden dürfen. Würde es Mary (oder Robomary nach Dennett 1991) gelingen, sich den Eindruck der Bläue schon in ihrer schwarz-weißen Umwelt zu verschaffen, so wäre es genauso möglich zu sagen, dass es Mary in diesem Fall gelungen ist, Qualia künstlich zu erzeugen. Schließlich ist es in diesem Fall bestimmt auch irgendwie für Mary, diese Gehirnstimulation wahrzunehmen. Insofern verschiebt diese Art der Argumentation das „Erlernen der neuen Tatsache“ nur um einen Schritt nach vorne. Die Tatsache wird eben schon in der schwarz-weißen Umwelt gelernt. Na und?

Auch nach dem von Jackson vertretenen Epiphänomenalismus hängt die Existenz von Qualia nicht davon ab, wie sie entstehen. Vielmehr ist es so, dass die gleichen Prozesse, die das neurophysiologische Korrelat der Farbwahrnehmung erzeugen, gleichzeitig auch die Qualia erzeugen. Wie genau diese Prozesse aber aussehen müssen, damit sie Qualia erzeugen können, wird nicht beschrieben. Fakt ist, dass es nicht sein kann, dass die Erzeugung von Qualia an externen Reizen hängt, denn mit welcher Erklärung sollte begründet werden, dass etwas Materielles etwas Geistiges erzeugen kann (obwohl Jackson davon ausgeht). Nachdem aber nicht klar ist, wie diese Prozesse dann aussehen, ist es durchaus möglich, dass sie auch ablaufen, wenn Mary ihr eigenes Gehirn dergestalt programmiert, dass sie den Eindruck von Bläue hat.

Somit halten wir das Argument im Kern für untauglich, die Existenz von Qualia zu beweisen – was aber nicht bedeutet, dass es keine Qualia geben kann. Aber wenn es sie gibt, gibt es keine qualiafreie Umgebung, dann sind Qualia unabhängig von ihrer Erzeugung und stehen somit nicht im Widerspruch zu einer physikalisch erklärbaren Erzeugung[7].

4."Alles Physikalische wissen."?

In seiner Vorstellung der Mary in Frank Jacksons Gedankenexperiment „weiß Mary alles, was es physikalisch über das Sehen von Farbe zu wissen gibt“. Was genau meint Jackson damit, wieso wendet er diese Formulierung an und wie viel Sinnhaftigkeit darf man ihr außerhalb seines Gedankenexperiments zukommen lassen?

Um Jackson in seiner Formulierung richtig zu verstehen, muss davon ausgegangen werden, dass zumindest zwei Faktoren, die für die Beschreibung einer Farbwahrnehmung ausschlaggebend sind, von Mary hinreichend genau erklärt werden können. Der Prozess der außerkörperlichen Reizentstehung bzw. -vermittlung, sowie der Prozess der innerkörperlichen Reizaufnahme bzw. -verarbeitung.

4.1.Externe Einflussfaktoren auf Farbqualia

Einerseits muss sie um den Ursprung des physikalischen Reizes, den wir als Farbe interpretieren, Bescheid wissen. Sie weiß also alles über Photonen, deren Schwingungsfrequenzen und Energielevels, die sich in unserer Wahrnehmung in einer Änderung von Farbe oder Helligkeit äußern. Sie weiß also auch um alle Gesetze, die die Bewegungen und Interaktionen der Photonen untereinender sowie mit anderen Elementarteilchen ausführen. Sie muss schließlich wissen, ob die Photonen, die von einer Kerze vor uns emittiert werden, auch unsere Netzhaut erreichen – und falls ja, wie sie auf dem Weg verändert werden. Wenn sie auch nicht 'live' und im Kopf mitberechnen kann, welche Farbe von einer Person wahrgenommen wird, die gerade in ein Kaleidoskop schaut, so müsste sie es doch bei genügend langer Bedenkzeit fehlerfrei bestimmen können. Sie muss wissen, welche Objekte Photonen welcher Wellenlänge aussenden. Sie muss wissen, was auf dem Weg vom Emitter zum Rezipienten die Farbwahrnehmung betreffenden Eigenschaften der Farbwahrnehmung verursachenden Teilchen beeinflusst.

Da jedes Teilchen des physikalischen Standardmodells über eine beliebig lange Kette von Interaktionen auf jedes andere Teilchen des physikalischen Standardmodells einwirken kann, muss sie ein komplettes, konsistentes physikalisches Weltbild besitzen – also die Weltformel[8]. Aber das ist ja nicht Neues, sondern die Vorraussetzung, von der Jackson ausgeht.

4.2.Interne Einflussfaktoren auf Farbqualia

Nachdem Mary also fähig ist – zumindest für einen begrenzten Raumbereich – alle physikalischen Vorgänge zu beschreiben, sollte es für sie auch kein Problem darstellen, die physikalischen Vorgänge innerhalb des Körpers (vornehmlich im Kopf) zu beschreiben. Sie ist also in der Lage (Neuropsychologen würden ihr wohl für ein Gespräch die Tür einrennen) den Verlauf eines optischen Reizes innerhalb des Gehirns entlang all seiner synaptischen Bahnen zu beschreiben. Somit wüsste sie um alle Assoziationen, die ein bestimmter Farb-, also Lichtreiz, in einer Person hervorruft. Sie weiß – rein physikalisch – um das, was es für eine beliebige, also jede, Person ausmacht, eine beliebige, also jede, Farbe zu sehen. Daher weiß sie, was diese Farbe für jemanden ausmacht; was die Farbe de facto für die Person ist [9].

Da sie um alle Verbindungen weiß, die die Person mit der Wahrnehmung dieser Farbe anstellt, muss sie auch um die Elemente wissen, zwischen denen diese Verbindungen bestehen. Hier stehen auf der einen Seite die, also alle, Farben und auf der anderen Seite Gefühle (rot - warm), Erinnerungen (türkis - Urlaub am Meer), Aussagen („grün ist die Hoffnung“) und so weiter. Mary nimmt zwar nur die neurologischen Korrelate der Elemente dieser Assoziationen wahr, deren Sinnhaftigkeit bleibt ihr verschlossen. Da sie aber in der Lage ist, jeden neuronalen/physiologischen/physikalischen Zustand der betreffenden Person beliebig genau (also quasi-identisch) und beliebig weit in die Zukunft zu modellieren, kann sie also auch den physikalischen Zustand einer jeden Person mit dem Verhalten der Person korrelieren.

Also kann Mary auch mentalen Abstrakta ihre physikalische Form zuordnen. Da die Eigenschaften der mentalen Abstrakta, deren physikalische Form Mary bestimmen können soll, jedoch ihrerseits von anderen 'mentalen Objekten' abhängig sind, steht Mary vor einem ähnlichen Problem, vor dem jemand steht, der versucht sich Freds Wahrnehmungsapparat anzueignen. Wo der Fred-Neider nur zu Fred wird, muss Mary im Besitz einer kompletten physikalischen Beschreibung aller zur Farbempfindung fähigen Wesen sein – zumindest von deren kognitiven Funktionen. Die Frage wie dies zu verwirklichen wäre, lässt sich im Falle des Fred-Neiders zumindest theoretisch durch eine exakte Kopie von Fred 'beantworten'[10]. Mary selbst ist allerdings auch zur Farbwahrnehmung fähig, wenn sie auch in einer schwarz-weißen Umwelt aufgewachsen ist. Mary müsste also alle eigenen Assoziationen, die sie mit Farbwahrnehmung anstellen würde (Farbqualia), ebenfalls beschreiben können. Dies kann sie aber – per definitionem durch Jackson – nicht, sie hat keine Vorstellung von qualitativer Farbwahrnehmung, was uns in einen logischen Widerspruch führt.

Abgesehen von den Problemen, die sich ergäben, wenn wir Marys physikalisches Allwissen akzeptierten, stellen sich generelle Schwierigkeiten, wenn angenommen werden soll, dass jemand das beschreibende Konstrukt, das wir Physik nennen, perfekt und ohne Lücken auf die Welt um uns anwenden können soll. Schließlich entwickelt sich die Naturwissenschaft, wie wir sie betreiben, gerade durch die Möglichkeit ihrer Falsifikation. So kann nicht mit hinreichender Gewissheit davon ausgegangen werden, dass die Teilchen, welche nach heutiger Ansicht das Licht 'zusammensetzen', elementar sind. Seit den ersten Versuchen, Abläufe physikalisch zu beschreiben, trat mit zunehmender Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten der Natur die Notwendigkeit ans Tageslicht, die bis dato gültigen Gesetze weiter anzupassen, de facto ihre Elemente zunehmend zu miniaturisieren. Somit wissen wir gar nicht, wie Marys physikalisches Weltbild aufgebaut sein soll. Ob überhaupt Photonen in ihrer physikalischen Beschreibung die 'Lichtträger' sind. Ob sie unser Konzept von Photonen überhaupt benutzt. In unserer Beschreibung von Vorgängen, die das Licht betreffen, hat sich die Annahme der Photonen zwar bewährt, aber die mangelnde Exaktheit unserer Prognosen deutet darauf hin, dass wir eben nicht das richtige Modell anwenden.

Wie muss Marys 'Physik' aussehen, damit sie in der Lage ist – auch nur räumlich oder sensorisch begrenzte – Vorgänge zu beschreiben? Arbeitet sie überhaupt mit Elementen und Kräften? Lässt sich unsere Physik in ihrem Modell beschreiben? Lässt sich ihre Beschreibung überhaupt noch als Modell bezeichnen, wenn es doch die exakt gleiche Informationsdichte, bzw. die Vorgänge betreffende Feinkörnigkeit, aufweist wie die Realität?

5.Zum Epiphänomenalismus

5.1.Ein Widerspruch in sich

Jackson ist der Ansicht, viele Physikalisten würden vor allem auch aus dem Grund der Existenz von Qualia widersprechen, weil sie dann erklären müssten, wie es sein kann, dass immaterielle Zustände eine Wirkung auf physikalische entfalten (Jackson 1982 S. 84). Dieses Problem versucht er zu lösen, indem er den Epiphänomenalismus als Lösung anbietet, der zwar von der Existenz von Qualia ausgeht, ihnen aber jede kausale Funktion abspricht. Dafür wählt er drei Argumente, die dem Leser zeigen sollen, dass es keinen Grund gibt, aus dem heraus Qualia in der physikalischen Welt irgend etwas verändern sollten. Er bestreitet allerdings ausdrücklich nicht, dass Qualia vielleicht in Bezug auf mentale Zustände eine Kausalfunktion haben, zum Beispiel darauf, dass man sich der Qualia überhaupt bewusst wird (Jackson 1982 S. 91).

In diesem Abschnitt werden wir uns zuerst damit auseinandersetzten, welche Widersprüche allein in dieser Aussage stecken, um uns dann im nächsten Unterkapitel den drei Argumenten im einzelnen zu widmen.

Qualia haben keinen Einfluss auf physikalische aber durchaus auf mentale Zustände

Jackson definiert Qualia als „bestimmte Eigenschaften von mentalen Zuständen“, die „so beschaffen sind, dass es keinen Unterschied im Hinblick auf die physikalische Welt macht, ob diese Zustände über diese Eigenschaften verfügen oder nicht.“ (Jackson 1982 S. 91) Sehr wohl könne die Existenz von Qualia aber auf andere mentale Zustände wirken.

Diese Definition lässt zwei Möglichkeiten über die Beschaffenheit der mentalen Zustände als solche offen:

1) Mentale Zustände sind nicht-physikalisch

Zum Einen könnte man annehmen, dass alle mentalen Zustände nicht-physikalisch sind. Das wäre eine Theorie des reinen Dualismus, in der die beiden Welten des Physikalischen und des Mentalen strikt voneinander getrennt sind. Jede wirkt in sich kausal, aber es kommt nicht zu einem Ereignisaustausch zwischen den Welten. Die Frage, warum die physikalische und die mentale Welt im Erleben der Menschen so gut übereinstimmen, wäre dann zu beantworten durch die Determiniertheit zweier Uhrwerke, die, einmal auf Übereinstimmung programmiert, neben einander laufen. Diese Vorstellung gilt seit längerer Zeit als überholt, erfordert sie doch die Existenz eines unbewegten Bewegers, oder zumindest eines Uhrmachers. Außerdem kommt hinzu, dass es unter dieser Annahme schwer fällt zu definieren, was denn dann eigentlich unter dem Begriff 'mental' verstanden werden soll. Kaum ein Philosoph ignoriert noch die neuropsychologischen Korrelate, die Gedanken und Gefühle unter Anderem in unserem Gehirn haben. Da das gleiche Phänomen nicht gleichzeitig mental und physikalisch sein kann, bleiben (neben der Leugnung dieser Korrelate) nur zwei Möglichkeiten:

Gedanken gehören in die physikalische Welt

Wenn Gedanken physikalisch sind, dann ist es unmöglich, dass eine Quale das Bewusstsein über seine Existenz in dem betreffenden Menschen verursacht, denn dann wäre ja genau die Interaktion zwischen mentaler und physikalischer Welt gegeben, die per definitionem (oder mangels plausibler Erklärungen) unmöglich sein soll.

Was wir Gedanken nennen, sind in Wirklichkeit zwei Phänomene. Der Gedanke ist mental, das Korrelat physikalisch

Diese Annahme entspricht der reinen dualistischen These und hat nur den Nachteil, dass durch sie der 'Gedanke' praktisch nicht mehr existiert. Wie bei dem Argument um Mary führt diese Denkweise in einen Zirkelschluss: Ich gehe davon aus, dass es einen immateriellen Gedanken gibt und deshalb kann ich 'beweisen' dass andere immaterielle Gedanken einen Einfluss auf diesen Gedanken haben können. Alles, was dieser Gedanke in der physikalischen Welt 'bewirkt', definiere ich als Wirkung des physikalischen Korrelats dieses 'Gedankens', das er per kryptischer Omnideterminiertheit haben muss, das aber nicht durch ihn verursacht wird. Die Nicht-Existenz dieser mentalen Parallelwelt lässt sich natürlich genauso wenig beweisen wie die Nicht-Existenz des Yeti oder Gottes. Ihre Existenz aber auch nicht. Nicht-beweisbare Parallelwelten haben durchaus ihren Reiz, ihre Ausgestaltung sollte aber besser Fantasyautoren überlassen werden als Philosophen.

Jackson selbst ist nun aber kein Dualist und das führt uns zur zweiten Interpretation der Beschaffenheit mentaler Zustände:

2)Mentale Zustände sind physikalisch

Mentale Zustände sind zwar physikalisch, gewisse ihrer Eigenschaften (Qualia) sind jedoch nicht-pysikalisch. Dies ist auch die Interpretation, die uns Jackson selbst nahe legt, wenn er wie erwähnt, physikalische Zustände als all das definiert was über unser Nervensystem gesagt werden kann (Jackson 1982 S. 83) . Auf den Widerspruch, der in dieser Annahme steckt, haben wir zuvor schon aufmerksam gemacht. Wenn ich mir über irgend etwas bewusst werde, so ist das ein mentaler Zustand und keinesfalls nur eine Quale. Wenn ich mir über eine Quale bewusst werde, so scheint es logisch, dass diese Quale sein Bewusst-Werden ausgelöst hat. Das kann es aber nicht können, da Jackson bestreitet, dass Qualia einen Einfluss auf die physikalische Welt haben. Der Einfluss wäre sogar noch offensichtlicher, wenn durch das Bewusst-werden einer unangenehmen Quale, wie z.B. „Es ist für mich unangenehm, diesen muffigen Geruch zu riechen.“, Prozesse in meinem Nervensystem ausgelöst werden, die letztendlich zu einem Verlassen des Raumes führen. Ohne Bewusstwerdung hätte ich den Raum vielleicht auch verlassen, das ist aber nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass Jackson davon auszugehen scheint, dass Qualia Bewusstsein über sich selbst schaffen können, das sich notwendigerweise in einem Gedanken und damit einem Feuern der Neuronen ausdrückt.

5.2. Drei Varianten eines Arguments

Trotzdem könnte es ja möglich sein, dass zumindest die von Jackson vertretene These stimmt, dass Qualia keinen Einfluss auf die physikalische Welt haben (und damit auch nicht auf physikalische Vorgänge im Gehirn). Wir werden im Folgenden die drei Argumente, die Jackson dafür anführt diskutieren und feststellen, dass sie im Grunde aus einem Argument mit unterschiedlichen Aufhängern bestehen, das jedoch im Kern widerlegt werden kann.

1) Bestimmte Vorgänge im Gehirn verursachen beides

Jackson geht hier von der Intuition der meisten Menschen aus, dass ihr Aufschrei nach einer Verletzung auf die 'Schmerzhaftigkeit des Schmerzes' zurückzuführen ist und damit auf eine Quale. Jackson dagegen geht von einer gemeinsamen Verursachung der beiden Phänomene durch etwas Drittes aus (Jackson 1982 S. 92).

Das Problem ist, dass Jackson dieses 'Dritte' als „Vorgänge im Gehirn“ bezeichnet, die „beides verursachen“. Vorgänge im Gehirn sind nun aber per definitionem physikalische Vorgänge. Warum aber soll ein physikalischer Zustand einen mentalen verursachen können, wenn es umgekehrt ausgeschlossen sein soll. Egal in welche Richtung die Beeinflussung passiert, muss es irgendeine vermittelnde Instanz à la Zirbeldrüse oder eine andere Erklärung dafür geben, wie es sein kann, dass die eine Entität von einer qualitativ völlig verschiedenen verursacht werden kann.[11]

Bleibt nur die Interpretation, dass dieser Vorgang im Gehirn kein physikalischer ist, sondern einer dritten, noch nicht bekannten Entität angehört, die wundersamer Weise die Fähigkeit hat, zwischen Physikalischem und Mentalem zu vermitteln (und das – folgt man dem Epiphänomenalismus – seltsamerweise nur in eine Richtung). Abgesehen davon, dass dann nicht nur eine genaue Erklärung dieser Wirkungsweise nötig wäre, wäre damit die zweite Parallelwelt erschaffen und es wäre sinnvoller, die Vorstellung von der physikalischen Welt aufzugeben und durch diese Entität zu ersetzen (natürlich nur inklusive passender Erklärungen zur kausalen Wirksamkeit).

2)Qualia sind Begleiterscheinungen bestimmter Gehirnprozesse

Diesmal geht Jackson von der Evolutionstheorie Darwins aus. Davon, dass nur diejenigen Eigenschaften 'überlebt' haben, die sinnvoll für das (physikalische) Überleben des jeweiligen Individuums waren. Auch hier kommt er wieder zum Schluss, dass es nicht sein muss, dass Qualia an sich für das Überleben von Vorteil sind, sondern eben von Gehirnprozessen verursacht werden, die ihrerseits sinnvoll für das Überleben sind. Der Einwand gegen dieses Argument ist der gleiche wie zuvor. Nicht-physikalische Zustände können nicht durch physikalische verursacht werden, sonst können auch physikalische Zustände von nicht-physikalischen Zuständen erzeugt werden und die Grundlage des hier diskutierten Problems wäre gar nicht vorhanden.

3)Qualia werden von etwas Physikalischem verursacht

Die Grundlage dieses Argumentes ist dieselbe wie die der beiden anderen Argumente. Nur wird sie hier zum ersten Mal explizit ausgesprochen: „Qualia verursachen nichts Physikalisches, aber sie werden von etwas Physikalischem verursacht.“ Diese Annahme ist – wie wir schon mehrfach diskutiert haben – unplausibel.

4)Die Schneckisten

Jackson selbst merkt gegen Ende seines Artikels, dass er mit seiner Vorstellung von Qualia einen philosophischen Yeti erschaffen hat. Zwar übersieht er, dass sich durchaus etwas gegen die Existenz epiphänomenaler Qualia sagen lässt (s.o.), aber er erkennt, dass er auch nichts für sie sagen kann. Und diesem Einwand begegnet er mit einem Verweis auf die beschränkten Fähigkeiten des Menschen. Ähnlich wie Seeschnecken nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit sehen und deshalb anerkennen müssen, dass sie eigentlich keine Aussagen über sie machen können.

Die Autoren halten den Menschen nun auch nicht für ein potentiell allwissendes Superwesen und stimmen vor allem der Sicht von Wissenschaft als ein Streben nach Erkenntnis zu, die letztendlich wohl nie vollends erreicht wird. Eine in vielen Punkten sogar nach dem aktuellen Kenntnisstand unbefriedigende Theorie vorzustellen und möglichen Einwänden mit der Unzulänglichkeit des Menschen zu begegnen, bedeutet aber nun gerade, mit diesem Streben aufzuhören und auch das nicht zu entdecken, was potentiell entdeckt werden könnte. In manchen Bereichen des menschlichen Forschens könnte eine solche Position durchaus begrüßenswert und hilfreich sein. In der Philosophie, die sich ja als Liebe zur Weisheit versteht, ist sie jedoch fehl am Platz.

6.Das Problem dualistischen Denkens

Im letzten Abschnitt haben wir bereits kurz das Problem der Unterscheidung von 'mental' als physikalischem oder nicht-physikalischem Zustand angesprochen. Unserer Meinung ist die Diskussion über die Existenz von Mentalem vor allem ein Definitionsproblem, das aus einem Verharren in überkommenen Vorstellungen entsteht. So ist die Vorstellung eines von der Materie getrennten Geistes nicht mit aktuellem Wissen zu vereinbaren und führt darüber hinaus zu weiteren Widersprüchen. Eine Reduktion des Menschen allein auf seine Materie ruft dagegen bei vielen unangenehmen Gefühle hervor, widerspricht sie doch der von vielen Menschen geteilten Intuition eines 'Ich'. Wir möchten in diesem Abschnitt kurz diskutieren, wie es zu diesem Patt kommen konnte und wie er möglicherweise aufzulösen ist.

Es gibt Philosophen, die Gedanken und Gefühle ebenfalls als physikalische Tatsachen ansehen, da sie ja mit der Aktivität von Neuronen und Neurotransmittern korrelieren[12]. Gedanken und Gefühle sind nun aber genau die Bereiche die noch vor ein paar Jahrzehnten eindeutig als nicht-physikalisch eingestuft worden wären. Der Begriff des Physikalismus subsummiert derartig viele Faktoren und 'immaterielle' Vorgänge, dass damit weit mehr gemeint ist, als man auf den ersten Blick darunter verstehen würde. Noch weiter fasst der Begriff des Materialismus.

Uns scheint das Problem der Körper-Geist-Diskussion darin zu liegen, dass sie vielfach mit Begriffen geführt wird, die dem aktuellen Forschungsstand nicht mehr entsprechen. Eine derartig strikte Trennung von 'Geist' und 'Materie', wie sie lange angenommen wurde, kann von wissenschaftlichem Standpunkt aus nicht mehr vertreten werden. Als historische Analogie sei das Licht genannt, dass weder Materie (etwas Be-greifbares) im herkömmlichen Sinn noch etwas Geistiges (Immateriell im Sinn von losgelöst von den Naturgesetzen) ist. Der Begriff Physikalismus löst das Problem bis zu einem gewissen Grad, da die Physik und auch die Neurobiologie viele Phänomene, die zuvor immateriell erschienen, erklärt und 'materialisiert' haben. Mit der Quantenphysik hat sich der Spieß jedoch umgedreht. Plötzlich erscheint fest geglaubte Materie als Verdichtung von Energie, eine Anhäufung von Leerräumen, etwas, das zwar mit gewissen Gesetzmäßigkeiten beschrieben werden kann, in dieser Beschreibung aber keinesfalls mehr materiell wirkt.

Vielleicht ist diese strikte Trennung zwischen Materie und Geist genauso überkommen und Zeichen veralteter Denkweise wie die zwischen Gut und Böse, zwischen absolut richtig und absolut falsch und wie die zwischen Welle und Teilchen. Und das macht die Definition von Immateriell zu einem Problem: Um immateriell zu sein, darf ein Phänomen nicht nur nicht sichtbar, nicht hörbar, nicht fühlbar sein, nein es darf sich auch nicht in der 'materiellen Welt' bemerkbar machen, in dem Sinn, wie sich Gedanken in Neuronenaktivität bemerkbar machen. Diese Definition schließt die Existenz des Immateriellen also aus dem Bereich des Wahrnehmbaren und damit auch aus dem Bereich des Beweisbaren aus. Da der Bereich der Materie, die all das umschließt, was sich in Naturgesetzen beschreiben und in Teilchen sehen lässt, immer größer wird, fallen immer mehr Domänen des Immateriellen (des Un-begreifbaren) weg und Qualia-Freaks müssen sich in Sprachlosigkeit winden, Intuitionen und haarsträubende Gedankenexperimente bemühen und beschneiden dann doch das hart umkämpfte Geistige um jegliche Wirkung.[13]

Möchte man also die Diskussion um Körper und Geist sinnvoll führen, so muss das Geistige auf eine Weise definiert werden, die seine Existenz nicht von vornherein ausschließt. Außerdem sollte man sich der Tatsache bewusst sein, dass das Problem der gegenseitigen Beeinflussung in beide Richtungen stattfindet. In einem dualistischen oder auch epiphänomenalen Denken ist nicht nur zu klären, wie das Geistige auf das Materielle Einfluss nehmen kann, sondern auch umgekehrt. Wie soll etwas Materielles etwas Geistiges beeinflussen? Die im Epiphänomenalismus angenommenen Hintergrundprozesse müssen ja zumindest die Eigenschaft besitzen – gewissermaßen als dritte Entität – sowohl den 'Geist' als auch die 'Materie' zu beeinflussen. Mit der Beschneidung der Qualia um jegliche kausale Wirkung ist nur die eine Hälfte des Problems gelöst.

7.Literaturangaben

Bigelow und Pargetter, John und Robert. 1990: „Acquaintance with Qualia“ in Ludlow, Peter/Nagasawa, Yujin/Stoljar, Daniel (Hrsg.): „There's something about Mary – Essays on Phenomenal Consciousness and Frank Jackson's Knowledge Argument“, The MIT Press, Cambridge/London 2004

Churchland, Paul M.. 1989: „Knowing Qualia: A Reply to Jackson (with Postscript: 1997)“, ebd.

Conee, Earl. 1994: „Phenomenal Knowledge“, ebd.

Dennett, Daniel C.. 1991: „“Epiphenomenal“ Qualia?“, ebd.

Frank Jackson. 1986: „What Mary didn't know“, ebd.

Lewis, David. 1988: „What Experience Teaches“, ebd.

Pettit, Philip. 2004: „Motion Blindness and the Knowledge Argument“, ebd.

Stoljar, Daniel. 2001: „Two Conceptions of the Physical“, ebd.

Stoljar und Nagasawa, Daniel und Yujin. 2004: „Introduction“, ebd.

Jackson, Frank. 1982: „Epiphänomenale Qualia“ in Metzinger, Thomas (Hrsg.): „Grundkurs Philosopie des Geistes – Band 1: Phänomenales Bewusstsein“, mentis Verlag GmbH, Paderborn 2006

[...]


[1] Zumindest unterteilt es sich in 'eher rot1' und 'eher rot2'.

[2] Es soll davon ausgegangen werden, dass der Unterschied zwischen beiden Grüntönen erst bei ihrer direkten Gegenüberstellung bemerkt wird. Unter der Annahme indirekter/relationaler Farbwahrnehmung, soll der Unterschied obiger Grüntöne mit Freds rot1 und rot2 in Analogie gesetzt werden.

[3] Und zwar aus dem einfachen Grund, dass sich Aussagen, also Worte, auf Erinnerungen, also mentale Repräsentationen, stützen.

[4] Unter Bezugnahme auf IV. und V.

[5] Also die Summe der Beträge aller auf sie Bezug nehmenden Reizspektren oder die Anzahl der auf sie Bezug nehmenden sensorischen Repräsentationen.

[6] In Art und Anzahl unserer Repräsentationen hat der evolutionsgeschichtliche Hintergrund des Menschen sicherlich auch seine Spuren hinterlassen. Aber wohl eher in der Veranlagung manche Repräsentationsschemata besser oder schlechter auszubilden als andere, nicht direkt in den Repräsentationen selbst.

[7] Zudem behauptet keine Form des Physikalismus, dass alle Tatsachen physikalische Tatsachen sind. Der Physikalismus behauptet nur, dass alles sich aus physikalischen Tatsachen herleiten lässt. Natürlich ist es eine andere Erfahrung, ein Essen zu essen, als nur das Rezept zu studieren. Aber unter der Voraussetzung, dass das Rezept genau befolgt wurde, kann man den Geschmack des Essens dennoch auf die einzelnen Bestandteile und die Art der Zubereitung zurückführen. Die Quale Geschmack entsteht also aus eindeutig physikalischen Voraussetzungen.

[8] Zumindest für den Raumbereich um das Teilchen, innerhalb dessen – unter Berücksichtigung der Grenzen, die die Lichtgeschwindigkeit setzt – auf das Teilchen Einfluss genommen werden kann. Für den Zeitpunkt der Reizaufnahme also den kugelförmigen Bereich mit dem Rezipienten als Mittelpunkt und der Distanz zum Emitter als Radius. r = t * c; t = r / c.
Natürlich nur insofern Mary nicht um Möglichkeiten weiß, wie Photonen mit überlichtschnellen Teilchen interagieren können – was die ganze Angelegenheit für sie allerdings nur noch weiter verkomplizieren würde.

[9] Dies impliziert noch nicht, dass sie weiß, wie es ist, die Farbquale zu empfinden.

[10] Hier stehen Anführungszeichen, da der Fred-Neider dadurch eben zu Fred selbst wird – insofern wir zur Identifikation einer Person die gleichen Kriteria anwendeten, wie wir es auch im Alltag täten.

[11] Das ist genau, was Jackson in seinem Mary-Beispiel bestreitet. Es soll eben keine noch so große Menge an physikalischer Information dazu ausreichen, eine Quale hervorzurufen.

[12] Die Autorin ist sich der vorsichtigen Ausdrucksweise bewusst, da beispielsweise Forschungen zur Depression gezeigt haben, dass bei einer medikamentösen Therapie des Serotoninspiegels bei den Patienten die Depression behandelt werden kann, andererseits verändert sich jedoch auch der Serotoninspiegel bei einer psychotherapeutischen Behandlung der Depression. Die Aussage Depression erzeugt einen niedrigen Serotoninspiegel ist also genauso richtig (oder falsch) wie die Aussage, ein niedriger Serotoninspiegel erzeugt eine Depression.

[13] Wie Michael Pauen in seinem Buch „Illusion oder Freiheit“ zeigt, ist es zudem absurd anzunehmen, dass, wenn es die zwei Substanzen Materie und Geist nicht gibt (unser 'Geist' also aus Neuronenaktivität besteht), wir 'ferngesteuert', 'unfrei' etc. sind. Denn wenn es keinen Geist gibt, dann gibt es auch kein 'wir' das fremdbestimmt sein könnte, sondern wir sind in diesem Fall unsere Materie – unser Körper mit allem was dazugehört. Die Schlussfolgerung, dass wir von unserem Gehirn gesteuert werden, ist der beste Beweis für einen tief verankerten Glauben an den Dualismus.

Excerpt out of 30 pages

Details

Title
Das Problem vollständigen Wissens - Eine Kritik an Frank Jacksons Argument vollständigen Wissens (Mary-Argument)
College
University of Bamberg  (Lehrstuhl für Philosophie II)
Course
Bewusstsein
Grade
1,3
Authors
Year
2007
Pages
30
Catalog Number
V78714
ISBN (eBook)
9783638851077
File size
591 KB
Language
German
Keywords
Problem, Wissens, Kritik, Frank, Jacksons, Argument, Wissens, Bewusstsein
Quote paper
Mark Wernsdorfer (Author)Katarina Luttenberger (Author), 2007, Das Problem vollständigen Wissens - Eine Kritik an Frank Jacksons Argument vollständigen Wissens (Mary-Argument), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78714

Comments

  • No comments yet.
Look inside the ebook
Title: Das Problem vollständigen Wissens - Eine Kritik an Frank Jacksons Argument vollständigen Wissens (Mary-Argument)



Upload papers

Your term paper / thesis:

- Publication as eBook and book
- High royalties for the sales
- Completely free - with ISBN
- It only takes five minutes
- Every paper finds readers

Publish now - it's free