Die Überwindung der Vätergeneration in Rudolf Jugerts 'Der Meineidbauer' vor der Folie des Heimatfilms


Hausarbeit, 2007

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Hauptteil
2.1 Konflikt zwischen Eltern und Kindern vor dem Hintergrund der Suche nach der Heimat
2.2 Heimat – Herkunft oder Neuanfang?
2.3 Überwindung der Elterngeneration, ´Einsicht` der Eltern

3 Schlussteil

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

In den 50er Jahren erlebte das Genre des Heimatfilms in Deutschland seinen Aufschwung. Als Moment der Verdrängung der negativen Kriegs- und Nachkriegserfahrungen des 3. Reichs hilft das Heimatfilmgenre dabei, sich mit anderen, viel trivialeren Dingen wie Liebe, Natur oder Gesängen zu befassen.[1] Die Frage nach der Zugehörigkeit und nach der Bedeutung regionaler Traditionen, die im Zuge der Verstädterung immer weiter zu verschwinden drohen, sind oft Ausgangspunkt komplexer Erzählstrukturen. An die Stelle der Nicht-Thematisierung des Nationalsozialismus treten Thematiken der Heimatvertriebenen, die Suche nach einer neuen Heimat oder die zunehmende Verstädterung und Technisierung von ländlichen Gesellschaftsstrukturen.[2]

Dem Heimatfilmgenre wird oft eine Kombination aus einer rückwärts und vorwärts gerichteten Sichtweise zugeschrieben, die die wirtschaftliche Modernisierung mit der konventionellen Familienstruktur in Einklang zu bringen versucht.[3] Der zu analysierende Film Der Meineidbauer greift diese typischen Strukturen auf, durchbricht sie aber auch wieder bewusst; dennoch lässt sich dieser Film allein schon wegen der zentralen Thematik des Generationenkonflikts in das Genre des Heimatfilms einreihen; allerdings mit starken Charakteren, die entweder Glück oder Bestrafung erfahren, so dass ein Großteil der Charaktere ums Leben kommt.[4]

Und so verbirgt der Heimatfilm der 50er Jahre, der auf den ersten Blick idyllisch und harmonisch erscheinen mag, bei näherem Hinsehen oft tiefere Erzählstrukturen, aus denen die Konflikte und Bindungsprobleme der damaligen Zeit nicht weg zu denken wären. Die Heimat ist keineswegs heil und harmonisch, sondern voller Widersprüche und Konflikte. Das Genre bewältigt auf ganz eigene Weise den Umgang der Bevölkerung mit dem aufkommenden Wirtschaftswunder, der Kapitalisierung, Demokratisierung und Maschinisierung, die die bis dahin vorherrschende Landbevölkerung gehörig in Aufruhr bringt. In der Heimatfilmgattung haben wir es daher nicht mit einer „heilen“ Welt oder einer unpolitischen Filmgattung zu tun.[5]

So wird auch in Der Meineidbauer von Rudolf Jugert die Problematik der neuen Generation herausgestellt, die sich gegen die Konventionen und vorgefertigten Wege der Eltern durchzusetzen versucht. Ebenso wird hier die Suche nach einer neuen Heimat sowie der Kampf um die alte Heimat anhand der Vätergeneration aufgezeigt. Während die neue Generation heranwächst und durch den zunehmenden Einfluss der Stadt auf die Landbevölkerung geprägt wird, entwickeln sich zwei zueinander in Opposition stehende Weltanschauungen, die letztlich anhand eines Bruchs zwischen den Generationen ausgetragen wird.

Vor dem Hintergrund des Genres des Heimatfilms geht diese Arbeit näher auf den Konflikt zwischen den Generationen, insbesondere der Väter- und Kindergeneration ein. Veranschaulicht werden die einzelnen Konflikte anhand diverser Grenzüberschreitungen zwischen den semantischen Räumen, denen die Konzeption der Grenzüberschreitungstheorie von Jurij M. Lotman zugrunde liegt.[6]

2 Hauptteil

2.1 Der Konflikt zwischen der Eltern- und Kindergeneration vor der Folie des Heimatfilms

Wie in den meisten Heimatfilmen der 50 Jahre haben wir es auch in Der Meineidbauer aus dem Jahr 1956 von Rudolf Jugert mit einer dargestellten Welt zu tun, die sich in die unterschiedlichen Teilräume ´Stadt` und ´Land` untergliedern lässt. Innerhalb dieser topographischen Teilräume spielen sich mehrere Generationenkonflikte ab, die neben dem Verhältnis zwischen der Großeltern- und Vätergeneration insbesondere die Beziehung der Väter- und Kindergeneration betrifft.[7] Auf der Basis der Grenzüberschreitungstheorie von Jurij Michailowitsch Lotman (1972) lassen sich anhand der dargestellten Generationenkonflikte verschiedene Grenzüberschreitungen analysieren, die wiederum unterschiedliche Konflikte zwischen den Generationen nach sich ziehen.[8]

Im Gegensatz zu den meisten anderen Heimatfilmen, in denen eine heile und idyllische Welt impliziert wird, die meist erst auf den zweiten Blick tiefere Probleme nach sich zieht, lässt Der Meineidbauer dem Zuschauer keine Zeit, sich in der Idylle der Natur wohl zu fühlen. Denn bereits in der ersten Szene zeigt sich die Problematik, die mit der ersten Grenzüberschreitung der Familie Roth einhergeht. Die Familie Roth lässt sich aufgrund ihrer Merkmalsmengen, die ihnen im Film zugewiesen werden, dem semantisierten topographischen Teilraum ´Grenzschänke` zuordnen.[9] Maria und Jakob, die aus einem unehelichen Verhältnis zwischen der Protagonistin Paula Roth und dessen Geliebten Jakob Ferner stammen, werden von den anderen Kindern aus dem Dorf als „Bankaten“[10] beschimpft. Ihnen wird vorgeworfen, keinen richtigen Vater zu haben, der zu alledem noch auf dem Heimweg aus der Stadt gerade ums Leben gekommen ist.

Anhand dieser Szene lässt sich bereits die paradigmatische Ebene der dargestellten Welt aufzeigen. Diese teilt sich in drei topographische Räume, in denen sich die weiteren Konflikte zwischen jung und alt vollziehen: der topographische Raum ´Stadt` steht anfangs in klarem Gegensatz zu dem topographischen Raum ´Land`.[11] Dieser ist wiederum in den Raum der Grenzschänke oben in den Bergen und das Dorf Ottenschlag mit dem „Ferner-Hof“[12] unterteilt, der den zentralen Handlungsort der Diegese darstellt.[13] Die Raumkonzeptionen Stadt und Land geben die Ordnung des textuellen Weltentwurfs wider. Jeder Raum wird anhand verschiedener Merkmalsmengen semantisiert, wodurch ein Übergang der Figuren von Stadt und Land bzw. zwischen den beiden ländlichen Räumen als eine Grenzüberschreitung zu bezeichnen ist.[14] Es ließe sich diskutieren, ob die beiden ländlichen Räume, das Dorf Ottenschlag und die Grenzschänke, Authentizitätssignale aufweisen, die die in der Diegese dargestellten Räume als in der Außenrealität vorfindbar definieren. Es würde (wenn man von solchen Authentizitätssignalen ausgeht) der Anschein erweckt, dass die medial dargestellten Räume ´authentisch` seien.[15]

[...]


[1] Vgl. hierzu Greis, Tina Andrea: Der Bundesdeutsche Heimatfilm der fünfziger Jahre. Frankfurt
am Main 1992. S. 9 ff.

[2] Kritiker des deutschen Heimatfilms stützen sich gerne auf eine Analyse Erik Homburger Eriksons, nach der sich im Heimatfilmgenre der 50er Jahre Spuren eines nationalsozialistischen politischen Programms wieder finden, anhand derer die dargestellte Heimat funktionalisiert wird. In der Mutter-Verehrung werde eine Volksgemeinschaft propagiert, die ihre Wurzeln in einer typisch deutschen Familiensozialisation habe. Auch der autoritäre Vater verkörpere oftmals die Stärke des deutschen Vaterlandes und werde dementsprechend funktional aufgeladen. In Der Meineidbauer lässt sich dieser `Vorwurf´ jedoch nicht wieder finden. Vgl. Strobel, Ricarda: Heimat, Liebe und Glück. Schwarzwaldmädel, in: Werner Faulspoh (ed.): Deutsche Filmgeschichten, Frankfurt am Main 1990, S. 164f. Vgl. dazu auch Bliersbach, Gerhard: So grün war die Heide. Die gar nicht so heile Welt im Nachkriegsfilm. Weinbach und Basel 1989. Biersbach sieht in der Idealisierung der Mutter eine typisch deutsche Ideal-Konstruktion, die wiederum an Sigmund Freuds ödipalen Komplex anknüpft.

[3] Auch in dem Aufsatz der (Un)Happy Families wird Der Meineidbauer als eher ´dunkler` Heimatfilm beschrieben, der kein vorhersehbares Happy End prognostiziert. Vgl. (Un-)Happy Families. Heimat und Antiheimat in West German Film and Theatre. (o.Verf.), in: Rachel Palfreyman (ed.): Heimat. A German Dream, Oxford 2000, S. 88.

[4] Die Verfilmungen der Romane von Ludwig Anzengruber und Ludwig Ganghofer in den Jahren 1914 bis 1918 prägten den Begriff des Volksfilms, aus dem sich in den 50er Jahren der Heimatfilm entwickelte. Einer der fünf verfilmten Romane von Ludwig Anzengruber war Der Meineidbauer (Österreich, 1915), der als Remake 1941 (Regie: Leopold Hainisch) und dann wieder 1956 (Regie: Rudolf Jugert) in die deutschen Kinos kam. Vgl.: Strobel, Ricarda: Heimat, Liebe und Glück. Schwarzwaldmädel, in: Werner Faulspoh (ed.): Deutsche Filmgeschichten, Frankfurt am Main 1990, S. 162.

[5] Auch Klaus Kreimeier vertritt in seinem Aufsatz Der westdeutsche Film in den fünfziger Jahren diese Auffassung. Vgl.: Kreimeier, Klaus: Der westdeutsche Film in den fünfziger Jahre, in: Dieter Bäusch (ed.): Die fünfziger Jahre, o.O. 1985. Zudem sieht er in den Heimatfilmen der 50er Jahre oftmals unverhüllte politische Propaganda, wobei der unpolitische Unterhaltungsfilm in den 50er Jahren überwog. Vgl. ebenda, S. 286 f. Der Meineidbauer steht hier zwischen den Extremen, da er einerseits den kapitalistischen Fortschritt der Westmächte als erstrebenswert darstellt, gleichzeitig aber auch die Gefahren und Missstände der Verstädterung in den Vordergrund stellt. Die Figuren befinden sich daher zwischen dem Wohl und dem Leid der Wirtschaftsmacht, die in der überhand nehmenden Verstädterung gesehen werden kann.

[6] Der Schwerpunkt der Betrachtung des Generationenkonflikts liegt hier daher auf der Analyse der narrativen Erzählstruktur anhand der Theorie von Jurij M. Lotman und wird nicht, wie dies bei einer objektiven Betrachtung des Generationenkonfliktes sinnvoll gewesen wäre, anhand der Psychoanalyse von Sigmund Freud durchgeführt; diese wird bei vielen Analysen des Generationenkonflikts herangezogen (insbesondere zwischen Mutter und Sohn bzw. Vater und Tochter), erscheint mir hier aber unpassend bzw. zu weitgehend.

[7] Der Begriff des Generationenkonflikts wird hier im Folgenden wie in der Definition von Hans Dubs als Konflikt, der aus Besonderheiten der zu einer Generation zusammengefassten menschlichen Gruppen resultierenden Konflikte verstanden, die sich aufgrund unterschiedlicher Gefühls- und Lebenswelten ergeben. Vgl.: Dubs, Hans: Der Konflikt der Generationen in kriminologischer Sicht, in: o.Verf.: Der Konflikt der Generationen, Basel 1966, S. 27. Auf die Gründe und Auswirkungen solcher Konflikte wird hier vor dem Hintergrund der Raumsemantik weiter eingegangen.

[8] Zugrunde liegt hier die Grenzüberschreitungstheorie von Jurij M. Lotman, demzufolge eine Grenzüberschreitung als „Versetzung einer Figur über die Grenze eines semantischen Feldes“ definiert werden kann. Lit.: Krah, Hans: Räume, Grenzen, Grenzüberschreitungen. Einführende Überlegungen. Tübingen 1999, S. 7. Karl N. Renner beschreibt darüber hinaus anhand des von ihm entwickelten ´Konsistenzprinzip`, welche Möglichkeiten der Ereignistilgung aus einem Ereignis resultieren können. Vgl. Renner, Karl N.: Zu den Brennpunkten des Geschehens. Erweiterung der Grenzüberschreitungstheorie: die Extrempunktregel, in: L. Bauer/ E. Ledig/ M. Schaudig (eds.): Strategien der Filmanalyse, München 1987.

[9] Paula Roth wird in der Grenzschänke geboren und wächst dort auf. Ihre unehelichen Kinder werden in den Raum ´Ottenschlag` hineingeboren, dennoch wie Aussätzige behandelt. Kulturelle Vorstellungen von ´Heimat` stimmen hier nicht mit den Grenzen überein, die im Film impliziert sind. Die Kinder Maria und Jakob Roth sind hier demnach ebenfalls dem disjunkten Teilraum ´Grenzschänke` zuzuordnen (siehe S. 8).

[10] Zitat aus Jugert, Rudolf: Der Meineidbauer (1956). Fernsehausstrahlung in Sat1 o.J.: 00:10:02.

[11] Wie in den meisten deutschen Heimatfilmen der 50er Jahre wird die Stadt hier aber nicht a priori als verdorbener, negativer Ort dargestellt. Die Heimatwelt kann nicht mehr als positive Gegenwelt zur negativen Stadt verstanden werden, denn auch in ihr vollziehen sich negative Vorgänge wie Matthias Ferners Meineid. Es kann dennoch festgehalten werden, dass der städtische Raum an negativen Eigenschaften überwiegt (Jakob Ferner kommt durch den Einfluss des Alkohols aus der Stadt am Steuer um, Jakob Roth wird von den städtischen Grenzbeamten erschossen). Die Aussagen in Der Meineidbauer widersprechen damit den typologisierenden Aussagen von Tina Andrea Greis. Vgl. Greis, Tina Andrea: Der bundesdeutsche Heimatfilm der fünfziger Jahre. Frankfur a. M., i.A. der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität 1992.

[12] Zitat aus Jugert, Rudolf: Der Meineidbauer (1956). Fernsehausstrahlung in Sat1 o.J.: 01:33:59.

[13] Nach Karl N. Renner ließe sich der Hof der Familie Ferner auch als Extrempunkt beschreiben. Der Raum ´Ottenschlag` weist in sich eine interne Strukturierung auf, nach der sich das Zentrum dieses Raumes im Ferner-Hof läge. Vgl. Krah, Hans: Räume, Grenzen, Grenzüberschreitungen. Einführende Überlegungen. Tübingen 1999, S. 7. Aus der Perspektive der Figuren Paula Roth und Matthias Ferner ließe sich dieser Ort alternativ auch als ideologisierter Raum bezeichnen; für die beiden wird der Hof zu einem Wert an sich – der Heimat. Vgl. ebenda, S. 9.

[14] Vgl. Lotman, Jurij M.: Die Struktur literarischer Texte. München 1972. Lotmans Grenzüberschreitungstheorie fußt auf das Konzept der semantischen Räume. Dieses soll für den zu analysierenden Film Der Meineidbauer als Grundlage für die räumlich-topologische Beschreibung dienen.

[15] Hans Krah und Claus-Michael Ort benennen die Signale, die einen Text authentisch und in der Außenrealität vorfindbar erscheinen lassen als ´Authentizitätssignale`. Sie sind per se dennoch nicht real und können daher nicht als ´wahr` oder ´falsch` klassifiziert werden. Vgl. Krah, Hans, Claus-Michael Ort: Weltentwürfe in Literatur und Medien. Kiel 2002, S. 5 f. Räume, die mit außertextuellen, in der Wirklichkeit bestehenden Räumen übereinstimmen und für den Text funktionalisiert werden können, benennt Hans Krah ´kulturell-referentialisierter Aspekt topographischer Räume`. Vgl. Krah, Hans: Räume, Grenzen, Grenzüberschreitungen. Einführende Überlegungen. Tübingen 1999, S 4.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Die Überwindung der Vätergeneration in Rudolf Jugerts 'Der Meineidbauer' vor der Folie des Heimatfilms
Hochschule
Universität Passau
Veranstaltung
Authentizität und Fiktion im Heimatfilm
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
26
Katalognummer
V78859
ISBN (eBook)
9783638827607
ISBN (Buch)
9783638832595
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vätergeneration, Rudolf, Jugerts, Meineidbauer, Folie, Heimatfilms, Authentizität, Fiktion, Heimatfilm
Arbeit zitieren
Elisabeth Felice Nehls (Autor:in), 2007, Die Überwindung der Vätergeneration in Rudolf Jugerts 'Der Meineidbauer' vor der Folie des Heimatfilms, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/78859

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