Cato maior als Politiker, Pädagoge und „Lehrbuchautor“


Dossier / Travail, 2000

30 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einige Bemerkungen zur historischen Pädagogik und Einleitung ins Thema

2. Zu Catos Person und Politik

3. Antihellenismus als Ausgangspunkt für Catos Verständnis von Erziehung?

4. „De agricultura“. Aufbau, Gliederung und Inhalt

5. „De agricultura“ als Lehrbuch

6. Zusammenfassung

Quellen- und Literaturverzeichnis

1.) Einige Bemerkungen zur historischen Pädagogik und Einleitung ins Thema

Die Pädagogik begreift sich als eine Wissenschaft, die erzieherisches Denken und Handeln unter der Berücksichtigung gegenwärtiger gesellschaftlicher und institutioneller Gegeben- heiten analysiert und daraus Empfehlungen für ihre Verbesserung ableitet. Aber auch für eine gegenwartsorientierte Wissenschaft ist der Blick in die Vergangenheit wichtig, denn gegenwärtige pädagogische Vorstellungen und Institutionen haben sehr oft Wurzeln und Traditionen in vergangenem Denken und Handeln, bzw. haben sich an gesellschaftlichen Bedingungen der Vergangenheit orientiert. Wenn man ihre historische Genese nicht kennt, kann man auch ihre Logik und ihre Funktion nicht hinreichend verstehen. Aber nicht nur die Kontinuität historischer Phänomene bis in die Gegenwart kann Thema historischer Pädagogik sein, sondern es muss auch die Dimension historischen Wandels, die Möglich- keit der Diskontinuität, berücksichtigt werden. Es ist ein Fehler, pädagogische Kon- zeptionen der Vergangenheit unreflektiert als „Ideenspeicher“ für die Entwicklung oder Legitimierung gegenwärtiger Konzeptionen zu gebrauchen. Vergangenes Denken und Handeln müssen primär in ihrer Historizität gesehen werden, d.h. auf dem Hintergrund gesellschaftlicher, politischer und ökonomischer Strukturen der betreffenden Epoche, ansonsten besteht die Gefahr, unstimmige Analogien zur Gegenwart zu ziehen.

„Jede Zeit hat kulturell und also auch pädagogisch ihr eigenes Gesicht, ihre eigenen Auf- gaben und Impulse.“[1] Erst wenn man diese Historizität voll anerkennt, kann man, ohne unhistorisch zu argumentieren, vergangenes pädagogisches Denken und Handeln sowohl in ihren Kontinuitäten als auch in ihren Diskontinuitäten zur Gegenwart erfassen.

Wie bereits angedeutet sollte historische Pädagogik auch nicht auf reine Ideengeschichte reduziert werden. Ideen (hier pädagogische Ideen) sind kein Selbstzweck und sie entstehen nicht im „luftleeren Raum“ als Auswuchs der Genialität ihrer Schöpfer (so genial diese im Einzelfall auch gewesen sein mögen), sondern müssen als Reaktion auf bestehende Strukturen, seien sie materieller (Sozialstruktur, ökonomische Verhältnisse etc.) oder immaterieller Natur (politische oder kulturelle Werthaltungen), verstanden werden. Nicht erst im Prozess ihrer Umsetzung treffen die Ideen auf diese Strukturen und versuchen sie zu verändern oder zu bewahren.[2]

Diese Hausarbeit wendet sich den Bildungs- und Erziehungsvorstellungen der klassischen römischen Antike zu, in der Zeit, in der sich Rom vom Stadtstaat zur Weltmacht aus- breitete und seit der Eroberung Griechenlands verstärkt hellenistische Bildung und Kultur nach Rom Eingang fanden. Die Hellenisierung römischer Bildung und Kultur ging aber nicht ohne Widerstände vonstatten. Als ein Exponent des römischen Antihellenismus und der Pflege altrömischer Traditionen in den Bereichen Politik und Bildung wird allgemein Marcus Porcius Cato gesehen. Es soll in dieser Arbeit versucht werden, zu klären, ob und inwiefern seine Tätigkeit als Politiker, Pädagoge (in der Erziehung seines eigenen Sohnes und darüber hinaus) und Lehrbuchautor vom Antihellenismus geprägt war. Dazu ist es notwendig, im ersten Schritt eine Übersicht über Catos Lebenslauf und seine politische Karriere zu geben. Dann soll im zweiten Schritt hinterfragt werden, woran sich Catos antihellenistische Haltung bezüglich seiner pädagogischen Vorstellungen (betreffs Erziehungsziele, –methoden und zu lehrenden Fächerkanon) festmachen lässt, bzw. ob Cato überhaupt als ein Gegner aller griechischen Einflüsse angesehen werden darf. Dazu werden Werke von Plutarch („Cato maior“), Plinius („naturalis historiae“) und Cicero („Cato maior de senectute“) zu Rate gezogen, die biographische Angaben über Cato liefern. Anschließend wird im dritten Schritt Catos Lehrbuch über die Landwirtschaft („de agricultura“) untersucht, mit dem Ziel, festzustellen, inwiefern es – an antiken und modernen inhaltlichen, didaktischen und methodischen Anforderungen gemessen –Lehrbuchcharakter besitzt und ob es römischer Tradition folgt oder hellenistische Tendenzen einfließen lässt. In allen drei Teilen soll neben der Präsentation von Catos politischen und pädagogischen Ideen[3] gleichzeitig angedeutet werden, in welcher Beziehung diese zu den in Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft vorherrschenden Bedingungen stehen.

2.) Zu Catos Person und Politik

Der römische Politiker Marcus Porcius Cato (seit 184 v.Chr. mit dem Beinamen Censorius) wurde 234 v.Chr. bei Tusculum geboren. Aufgewachsen ist er auf dem väterlichen Gutshof im Sabinerland, wo er nach eigenem Bekunden von klein auf an die harte Landarbeit gewöhnt wurde. Ab dem 17. Lebensjahr traten zwei weitere Tätigkeiten hinzu, die fortan Catos Leben entscheidend prägten: seine Dienste als Kriegstribun und Patron, in denen er sich vor allem wegen seiner überdurchschnittlichen rhetorischen Fähigkeiten so gut bewährte, dass er auf Empfehlung seines Freundes und Gutsnachbarn Lucius Valerius Flaccus (n.bek. – 180 v.Chr.) eine politische Ämterlaufbahn („cursus honorum“) anstrebte. Obwohl Cato nicht aus einer Adelsfamilie („nobiles“) stammte, deren Söhne für die politische Laufbahn prädestiniert waren, sondern aus dem Ritterstand, gelang es ihm, als begabter „homo novus“ die gesamte Ämterlaufbahn (204 Quästor, 199 plebejischer Ädil, 198 Prätor auf Sardinien) bis zum Konsulat 195, das er zusammen mit Flaccus ausübte, zu durchschreiten. Seine außergewöhnliche Popularität im Volk, weniger in der Senatsaristokratie, die dem „homo novus“ skeptisch gegenüberstand, beruht im wesentlichen auf seinen militärischen Erfolgen bei der Niederschlagung von Aufständen in Spanien 194, bei denen er mit großer Brutalität vorging, aber dennoch als Triumphator nach Rom zurückkehrte.

Catos politisches Programm bezog sich insbesondere auf die Einhaltung und penible Überwachung altrömischer Tugenden („mores maiorum“), zu denen nach seinen Vorstellungen Einfachheit in Lebensstil und Ausdruck, Pflege der Landwirtschaft, Re- sistenz gegen einen ausschweifenden Lebenswandel, Einhaltung der Sittengesetze, Unkorrumpierbarkeit und Zurückweisung des Hellenismus, dem Cato vorwarf, zur Aufweichung der genannten Tugenden beizutragen, gehörten. Den „Kampf für die guten alten Sitten (sah er) als seine eigentliche Lebensaufgabe“.[4] Dies führte im Rahmen der Ausübung seiner Ämter, als Konsul 195, als Kriegstribun im Feldzug gegen Antiochos III. 191 und insbesondere als Zensor[5] ab 184 (seitdem auch sein programmatischer Beiname „Censorius“), immer wieder zu Konflikten mit der Senatsaristokratie. In unzähligen Prozessen versuchte er, unter Ausnutzung seiner Rednergabe, Korruption und Sittenverfall in Adelskreisen aufzudecken, wobei er zum Teil auch eigennützige Interessen verfolgte. Zum Beispiel versuchte er, in den Scipionenprozessen seinen schärfsten politischen Konkurrenten, den erfolgreichen Feldherren Scipio Africanus maior (235- 183 v.Chr.) und dessen Bruder durch eine Anklage wegen Bestechung und Unterschlagung von Beute- geldern politisch zu diskreditieren, was ihm allerdings misslang. Andererseits hatte sich auch Cato selbst in insgesamt 44 Prozessen (nach Plutarchs Cato- Biographie waren es sogar annähernd 50[6] ) als Angeklagter zu verteidigen, ohne ein einziges Mal für schuldig befunden zu werden. Plinius (23/24- 79 n.Chr.) schilderte Catos Qualitäten, aber auch seinen Ehrgeiz und seine Streitsucht in seinen „Naturalis Historiae“ wie folgt:

„Cato, der erste dieses Namens aus dem Geschlechte der Porcier, vereinigte nach allgemeiner Auffassung drei der vorzüglichsten menschlichen Eigenschaften in sich: er war der beste Redner, der beste Feldherr und der beste Senator; doch erschienen mir alle seine Gaben, wenn auch nicht früher, so doch deutlicher an Scipio Aemilianus (= Scipio Africanus minor) aufgeleuchtet zu haben, der doch dazu nicht unter dem Hass sehr vieler Menschen, dem Cato ausgesetzt war, zu leiden hatte. Daher mag Cato der besondere Ruhm bleiben, dass er sich vierundzwanzigmal vor Gericht verteidigte und niemand öfter vorgeladen und dabei stets freigesprochen wurde.“[7]

Catos Eintreten für strikte Einhaltung und teilweise Ausweitung der Sittengesetze hatte zur Folge, dass einige Senatoren und Ritter wegen Vernachlässigung der Landwirtschaft und schlechter Pferdepflege degradiert wurden, anderen wiederfuhr dieses Schicksal aufgrund sexueller Verfehlungen oder Korruption. 181 wurden auf Catos Initiative Gesetze gegen Korruption und Ämterkauf, 182 gegen den Tafelluxus der Aristokratie beschlossen.

Kurz vor seinem Tod 149 forderte Cato die unwiderrufliche Zerstörung Karthagos im 3. Punischen Krieg („Ceterum censeo Carthaginem esse delendam“), weil er glaubte, dass Karthago ansonsten immer wieder versuchen würde, das römische Imperium in kriegerische Konflikte zu verwickeln. Die Umsetzung seiner Forderung 146 erlebte Cato nicht mehr.[8]

3.) Antihellenismus als Ausgangspunkt von Catos Verständnis von Erziehung?

Nicht nur in Catos Politik sondern auch in seiner Vorstellung, wie die römische Jugend zu erziehen sei, spielte die strikte Ablehnung des Vordringens der griechischen Kultur nach Rom eine entscheidende Rolle. Deutlich wird dies in Schriften und Briefen an seinen heranwachsenden Sohn M. Porcius Licinianus („Libri ad filium“), die sich im Laufe der Zeit immer mehr zu einer Enzyklopädie, einer Sammlung von Merksätzen, Lebens- weisheiten und orakelhaften Sprüchen aus vielen unterschiedlichen Lebensbereichen, aus- weitete.[9] Dabei handelt es sich nicht um eine pauschale Bekämpfung griechischer Kultur und Bildung. Cato war sich darüber im Klaren, dass „man mit der geistigen Überlegenheit der Griechen rechnen müsse und nicht vor ihr die Augen verschließen dürfe“[10], daher bemühte er sich auch selbst um das Studium der griechischen Sprache und Literatur, allerdings nicht, um griechische Lebensweise, Kultur und Philosophie in Rom einzuführen, sondern um ihre Gefährlichkeit für die Vorherrschaft Roms zu verdeutlichen. Cato hatte die Vorstellung, dass Roms Aufstieg zur Weltmacht unter anderem durch die Tugend- haftigkeit der Vorväter ermöglich worden war. Deren drei Kardinaltugenden, „virtus“ (d.h. Fleiß und Geschick bei der Landarbeit, Härte in Kriegszeiten, Einfachheit und Anspruchslosigkeit in Lebensstil und Kultur), „pietas“ (d.h. Pflichtbewusstsein gegenüber den Eltern, den Göttern und dem Vaterland) und „religio“ (d.h. Frömmigkeit) erschienen ihm nun durch den Einfluss des Hellenismus gefährdet, der durch die Veredelung von Poesie, Kleidung, Architektur, Redekunst, Gelehrsamkeit – man kann sagen, der Kultur allgemein – den Müßiggang befördere, der zu Dekadenz führe, die letztlich Roms Machtstellung von Innen bedrohe.[11] Bei Plinius ist überliefert, mit welchen Worten Cato diese Zusammenhänge seinem Sohn erklärte:

„Über diese Griechen, mein Sohn, werde ich gehörigen Ortes sprechen: was ich in Athen für ausgezeichnet halte, und wie gut es ist, ihre Schriften zwar anzusehen, nicht aber sie sich anzueignen, davon will ich dich überzeugen. Sie sind ein verruchtes und nicht zu besserndes Volk, und glaube mir, als wäre es der Ausspruch eines Sehers: Wenn einstens dieses Volk uns seine Wissenschaft zuführen wird, so wird alles verderben (...)“[12]

[...]


[1] Zu Gegenstand und Funktion historischer Pädagogik: Albert Reble, Geschichte der Pädagogik, Stuttgart (7.Aufl.) 1964, S. 11-14, hier S. 11.

[2] In diesem Zusammenhang wird häufig folgendes Bonmot von Karl Marx zitiert: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehinre der Lebenden.“ Zit. Nach: Iring Fetscher (Hg.), Marx-Engels Studienausgabe, Bd.4, Frankfurt 1972, S. 34.

[3] Diese sind kaum voneinander zu trennen. Es scheint so, als ob die Politik für Cato die Zielvorstellung, die Pädagogik die Mittel für ihre Umsetzung lieferte.

[4] Matthias Gelzer/ R. Helm, s.v. M. Porcius Cato Censorius, in: RE XXII (1954), Sp. 125.

[5] Dem Zensor oblag neben der Vergabe von Staatsämtern und Verpachtungen vor allem die Sittenaufsicht. Über die Aufgaben des Zensors: Vgl. Plut., Cato maior, 16,1ff.

[6] Plut., Cato maior, 15,1.

[7] Plin., Naturalis historiae VII, 28, 100.

[8] Zu Catos Biographie: Vgl. Gelzer/ Helm, s.v. M. Porcius Cato Censorius, in: RE XXII (1954), Sp. 108-165. Dietmar Kienast, Cato der Zensor. Seine Persönlichkeit und seine Zeit, Heidelberg 1954.

[9] „Libri ad filium“ ist nur noch in Fragmenten vorhanden.

[10] Ludwig Bieler, Geschichte der römischen Literatur, Berlin/ New York (4.Aufl.) 1980, S. 78.

[11] Zu den drei Kardinaltugenden: Vgl. Johannes von Driesch/ Josef Esterhues, Geschichte der Erziehung, Bd.1: Von den Griechen bis zum Ausgang der Aufklärung, Paderborn (5.Aufl.) 1960, S. 92; Zur altrömischen Erziehung: Vgl. Henri-Irénée Marrou, Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, Freiburg/ München 1957, S. 337-353; Vgl. Robin Barrow, Greek and Roman Education, London 1976, S. 57-72; E.B. Castle, Die Erziehung in der Antike und ihre Wirkung in der Gegenwart, Stuttgart 1965, S. 107-118; Reble, Geschichte der Pädagogik, S. 39-44.

[12] Plin., naturalis historiea XXIX, 1,7.

Fin de l'extrait de 30 pages

Résumé des informations

Titre
Cato maior als Politiker, Pädagoge und „Lehrbuchautor“
Université
Bielefeld University
Note
1,3
Auteur
Année
2000
Pages
30
N° de catalogue
V79387
ISBN (ebook)
9783638860079
ISBN (Livre)
9783656452522
Taille d'un fichier
435 KB
Langue
allemand
Mots clés
Cato, Politiker, Pädagoge, historische Pädagogik, Antike, Lehrbücher, römische Geschichte, Hellenismus
Citation du texte
Thomas Gräfe (Auteur), 2000, Cato maior als Politiker, Pädagoge und „Lehrbuchautor“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79387

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