Entwicklungen und Perspektiven der Schweizer Uhrenindustrie


Mémoire de Maîtrise, 2007

92 Pages, Note: 1,6


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Vorwort
1.1. Themenwahl
1.2. Intention der Arbeit
1.3. Quellenlage

2. Geographische Vorstellung des Untersuchungsgebietes
2.1. Physisch-geographische Aspekte
2.2. Kulturgeographische Aspekte

3. Methodische Vorgehensweise
3.1. Entscheidung für eine Teilerhebung
3.2. Fragebogenstruktur

4. Theoretische Einordnung der Arbeit
4.1. Wirtschaftsgeographie
4.2. Wirtschaftsgeographie in der Schweizer Uhrenindustrie

5. Entwicklung der Uhrenindustrie
5.1. Die ersten Jahre
5.2. Ausbreitung im Juragebirge
5.3 Der Weg zur industriellen Fabrikation
5.4. Wirtschaftswachstum im 19. Jahrhundert
5.5. Folgen des Wachstums

6. Krisenzeiten
6.1. Ursachen und Folgen
6.2. Überwindung und Anfälligkeit
6.3. Aufschwung

7. Aktuelle Lage
7.1. Der Swatch-Effekt
7.2. Vergleich mit anderen Industriebranchen in der Schweiz

8. Perspektiven der Uhrenindustrie
8.1. Zukunftstrend
8.2. Zukünftige Risiken
8.3. Plagiate
8.4. SWISS MADE

9. Schlussfolgerung
9.1. Rückblick
9.2. Ausblick

10. Literaturverzeichnis
10.1. Bücher
10.2. Zeitungsartikel
10.3. Publikationen
10.4. Internetquellen

11. Tabellen und Abbildungen
11.1 Tabellenverzeichnis
11.2 Abbildungsverzeichnis

12. Anhang
12.1. Expertengespräche
12.2. Interviewleitfaden

1. Vorwort

1.1. Themenwahl

Als ich angefangen habe mich mit diesem Thema zu beschäftigen, wurde ich von vielen Leuten gefragt, warum sich ein angehender Geograph mit der Schweizer Uhrenindustrie beschäftigt und wie ich auf dieses Thema gekommen bin.

Um dies zu erklären, ist es notwendig, das Aufgabengebiet eines Geographen zu erläutern. Nach Hartmut Leser versteht sich die Wirtschaftsgeographie als „Erklärung räumlicher Verbreitungs- und Verknüpfungsmuster, die sich aus wirtschaftlichen Handlungen des Menschen [...] ergeben.“ Er „untersucht das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Raum und bemüht sich deshalb um eine Synthese von Wirtschafts- und geographischer Forschung. [...] Zentraler Untersuchungsgegenstand der Wirtschaftsgeographie ist der Wirtschaftsraum in seinen unterschiedlichen räumlichen Dimensionen“ (Leser, 1997, 1002).

Nachdem dies geklärt war, kam die Frage nach der Wahl des Themas auf, mit welchem ich mich lange auseinandergesetzt habe. Ich erinnere mich daran, dass ich vor einiger Zeit auf einer Exkursion einen Vortrag über die Uhrenindustrie im französischen Jura gehalten habe. Da mich die Uhrenindustrie auch persönlich interessiert, wollte ich darüber hinaus erfahren, wie sich diese im Schweizer Jura gestaltet.

Diese vorläufige Entscheidung wurde nach einem ersten Zusammentreffen mit Schweizer Uhrenherstellern auf der Baselworld 2006 (der größten Uhren- und Schmuckmesse der Welt) konkret. Auf dieses Thema hin angesprochen, reagierten einige Hersteller sehr positiv und luden mich daraufhin zu einem Gespräch in die jeweilige Firmenzentrale ein.

Von da an begann die eigentliche Arbeit, die sich recht schnell als mühsam herausstellte. Der Grund dafür war das geringe Vorhandensein von adäquater Literatur und die Absage der Swatch-Group. Letzteres hatte dementsprechend weit reichende Konsequenzen für mich, da die Swatch-Group als weltgrößter Uhrenhersteller einen immensen Einfluss auf die Branche hat und ich auf die Aussagen dieses Unternehmens nur sehr schwer habe verzichten können.

Jedoch blieb es bei dieser einen Absage und so konnte ich die folgenden Interviews mit den Herstellern teils persönlich, teils per e-mail durchführen. Diese unterschiedlichen Formen der Datenerhebung waren erforderlich, da sich die Agenden der Hersteller kurzfristig verschoben haben und Flexibilität gefragt war. Rückblickend konnte ich feststellen, dass alle Hersteller sehr bemüht waren und mir umfangreiche Informationen haben zukommen lassen.

1.2. Intention der Arbeit

„Zeit ist das, was man an der Uhr abliest“

(Albert Einstein)

Mit Albert Einsteins berühmten Zitat soll der Einstieg in diese Arbeit gemacht werden. Welche Relevanz hat diese Aussage für das Thema dieser Arbeit?

Nach Einstein hat „Jeder Beobachter seine eigene Zeit, je nachdem wo er sich im Raum befindet“ (Quelle: www.zitate.net).

So trägt, im übertragenen Sinne, ein jeder seine eigene Uhrzeit täglich mit sich – meistens am linken, seltener am rechten Handgelenk – in Form einer Armbanduhr. Auch Einstein besaß eine Taschenuhr aus Schweizer Produktion, genauer gesagt eine Longines Taschenuhr aus Edelstahl, die er im Uhrengeschäft von Oscar Stahel in Zürich erwarb.

Doch wie ist es dazu gekommen, dass heutzutage fast alle mit einer Armbanduhr durch den Tag gehen. Meistens wird sie sofort nach dem Aufstehen angelegt, von einigen anderen wird sie erst gar nicht abgelegt.

Worin liegt also die Faszination einer Uhr? Ist es etwa der Wunsch, die Zeit, die uns davonläuft, besitzen

zu wollen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Albert Einsteins Taschenuhr

Quelle: Longines

Was sind in der heutigen schnelllebigen und digitalisierten Welt, in der wir überall von Uhren umgeben sind, die Gründe eine eigene Uhr besitzen zu wollen, ein „Relikt“ aus alten Tagen, ein Stück Geschichte, dessen Ursprung in der Schweiz liegt?

Was veranlasst einen Käufer dazu eine Uhr aus Schweizer Fabrikation zu erwerben, die zwar im Vergleich zu Produkten aus dem asiatischen Ausland einen hohen qualitativen Standard erfüllt, aber wesentlich teurer ist und nüchtern betrachtet auch „nur“ die Uhrzeit angibt. Damit ist in der Schweiz ein ganzer Industriezweig verbunden, der für viele Menschen eine Arbeitsstelle bedeutet. Über Jahrhunderte hat sich in diesem Land, dass auch als „Wiege der Zeitmessung“ bezeichnet werden kann, ein florierender Wirtschaftsraum entwickelt, der durch eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren geprägt wurde. Unzählige Einflüsse bildeten im Endeffekt ein Produkt, ohne das die heutige moderne Welt nicht existieren könnte. Dieses Produkt wird zusammen mit Stichwörtern wie Banken, den Alpen und Schokolade assoziiert, wenn man an die „Schweiz“ denkt.

Aber wie aktuell ist diese Aussage noch oder hat die Zeit der Schweizer Uhrenindustrie bereits ausgetickt? Wo befindet sie sich heute und vor allem, wie wird sie sich in Zukunft entwickeln?

Darauf soll diese Arbeit antworten geben und versuchen aufzuzeigen, in welche Richtung sich dieser Industriezweig entwickeln wird. Unter den bisher bekannten Aspekten der aktuellen wirtschaftlichen Lage wird versucht werden, eine Zukunftsprognose zu erstellen, die sich nicht nur auf wirtschaftliche Prosperität beschränken wird. Darüber hinaus soll einerseits auf Risiken aufmerksam gemacht werden, die der Uhrenindustrie eventuell bevorstehen, und andererseits die Chancen aufgezeigt werden, die sie als Herausforderung vor sich sieht.

Um eine Prognose in diesem Sinne erstellen zu können, muss man zurückblicken, denn „ohne historische Aspekte ist ein Verständnis der Zukunftsperspektive nur sehr schwer möglich“ (Heer, 1907). Aus diesem Grund beginnt diese Arbeit mit den Anfängen der Schweizer Uhrenindustrie und verfolgt deren Entwicklung bis in die heutige Zeit. Jedoch wird sie sich nicht mit der gesamten Zeitmessung befassen, sondern nur auf den wirtschaftshistorischen Aspekt der Herstellung von Klein- und Taschenuhren eingehen.

Da sich diese hauptsächlich auf den Schweizer Jura konzentriert, wird auch hier das Zentrum des Untersuchungsgebietes liegen, mit dem sich diese Arbeit befasst.

1.3. Quellenlage

Die letzte Arbeit dieser Art ist auf das Jahr 1969 datiert und dementsprechend ist die Aktualität der daraus gewonnen Daten nicht mehr gewährleistet. Die Suche nach aktuellen Informationen stellte kein größeres Hindernis dar, da sowohl die Hersteller, als auch Wirtschaftsanalysten und die Schweizer Regierung gewillt waren, Auskünfte zu erteilen.

Informationen über die geschichtliche und wirtschaftliche Entwicklung sind zahlreich vorhanden. Bei der Lektüre muss aber beachtet werden, dass viele Werke von den Herstellern selber in Auftrag gegeben wurden und somit die Neutralität derer nicht gewährleistet werden kann. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass viele dieser Bücher um das Jahr 1970 enden.

Schwieriger gestaltete sich die Suche nach Literatur, die sich mit den Aussichten der Schweizer Uhrenindustrie befasst. Auf diesem Gebiet arbeitete bisher ausschließlich nur die Schweizer Regierung, die eine Prospektionsstudie zu diesem Thema erstellt hat, als auch die bereits oben genannten Wirtschaftsanalysten und Banken.

Zahlreicher ist das Vorhandensein von Zeitungsartikeln, in denen sich viele Berichte mit aktuellen Themen der Uhrenindustrie befinden. Die Bibliothek des Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrums der Universität Basel hat dazu ein umfassendes Dossier angelegt, das sowohl bisher erschienene und tagesaktuelle Zeitungsartikel enthält, als auch Bücher zu diesem Thema.

Das Internet bietet mit seine vielen Möglichkeiten eine große Informationsquelle, die jedoch sehr kritisch betrachtet werden muss. Als Hilfestellung für die Kontaktaufnahme zu Unternehmen und Personen, die sich mit der Uhrenindustrie befassen, ist es unabdingbar.

2. Geographische Vorstellung des Untersuchungsgebietes

Der in dieser Arbeit dargestellte Untersuchungsraum begrenzt sich auf den Schweizer Teil des Juragebirges, der aufgrund des Grenzverlaufs zwischen Frankreich und der Schweiz, in den Französischen und den Schweizer Jura untereilt wird. Dieser Teilraum wird im folgenden Kapitel dargestellt.

2.1. Physisch-geographische Aspekte

Die Bezeichnung Jura stammt von dem keltischen Wort „jor“ ab, dass so viel wie Wald bedeutet und im Laufe der Jahre zu „mons jura“ latinisiert wurde, was wiederum Waldgebirge heißt (Werner, 1975, 21).

Der Jura ist ein lang gestrecktes Mittelgebirge[1], das mit einer Länge von knapp 300km die Schweiz von Südwesten nach Nordosten, in einem nach Südosten geöffneten Bogen (Arc Jurassien), durchläuft (Egli, 2003, 4).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Die 26 Kantone und Hauptorte der Schweiz

Quelle: Bundesamt für Statistik (www.bfs.admin.ch)

Dabei quert das Gebirge neun Kantone. Südlich von Genf, in der Nähe von Chambéry, löst sich ein Seitenzweig von den Alpen und verläuft mit abnehmender Höhe (1700m – 800m) in weitem Bogen durch die Kantone Waadt, Neuenburg, Bern, Jura, Solothurn, Basel-Landschaft und Aargau in Richtung des Kantons Zürich hin, wo es in der Nähe von Regensberg unter das Schweizerische Mittelland taucht (Egli, 1970, 69). Im Westen grenzt es an den Rhône-Saône-Graben, im Norden an die Burgundische Pforte, den Oberrheingraben und den Schwarzwald und im Osten an das Schweizer Mittelland. Der Durchbruch der Rhône im Südwesten und der Aare im Nordosten begrenzt das Gebiet.

Die größte Breite des Schweizer Jura zwischen Biel und Porrentury beträgt 35km und nimmt Richtung Osten stetig ab, sodass sie bei Lägern lediglich nur noch eine Breite von 1,5km aufweist. Der Jura, der in der letzten Phase der Alpenfaltung zu einem Faltengebirge aufgeworfen wurde und der ca. 10% der Schweizer Gesamtfläche einnimmt, wird in den Ketten-, Plateau- und den Tafeljura untergliedert (Nigg, 1975, 22).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3 Physikalische Karte des Jura.

Quelle: Knapp, 1904, 601.

Dieses entwässert in das Mittelmeer durch die Rhône und Saône sowie durch die Aare und den Rhein in die Nordsee (Knapp, 1904, 672).

Der Jura liegt in einer gemäßigten Zone, das man nach Koeppen als feuchttemperiertes (Cf), oberhalb von 1000m als feucht-winterkaltes (Df) Klima bezeichnen könnte. Diese Region wird auch als „Schweizerisches Sibirien“ bezeichnet, da hier während winterlicher Hochdrucklagen in Kaltluftseen die Schweizer Minimaltemperaturen gemessen wurden. So sank das Thermometer am 31.12.1888 in La Brévine auf -41°C, 1986 sogar auf -41,8°C (Kreisel, 1972, 21).

Das Gebiet befindet sich trotz einer durchschnittlichen Entfernung von 550km zum Ozean im ozeanisch-atlantischen Einfluss. Da sich kein größeres Gebirge vergleichbarer Höhe im Westen befindet, macht sich dies in Form von Niederschlägen bemerkbar (Kreisel, 1972, 20). Dementsprechend fällt an ca. einem Drittel aller Jahrestage Regen. Die folgende Tabelle listet die Niederschlagsmengen der untersuchten Kantone auf:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Niederschlagsmengen

Quelle: Eigene Darstellung nach Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr,

Energie und Kommunikation, 2003, (www.uvek.admin.ch).

In höheren Lagen, sowie am westlichen Jurafuß wurden größere Niederschlagsmengen gemessen. So registriert man im Plateaujura Niederschläge von über 1500mm, auf dem Mt. Tendre sogar über 2000mm pro Jahr. Die dauerhafte Schneebedeckung im Jura liegt im Durchschnitt bei 20-50 Tagen. In den Höhenlagen entsprechend mehr (Kreisel, 1972, 21). Trotz des Regenreichtums ist der Jura von Wasserarmut gekennzeichnet, da der Kalkuntergrund sehr rasch das Wasser versickern lässt (Egli, 1970, 71).

2.2. Kulturgeographische Aspekte

Diese Tatsachen führen dazu, dass die landwirtschaftliche Nutzung nur eingeschränkt möglich ist. Ursprünglich war der Jura ein ausgesprochenes Waldgebirge, dessen heutige Waldlosigkeit anthropogen verursacht ist (Wiesli, 1986, 63ff.).

Durch die Ausweitung der Siedlungsflächen wurde vermehrt Ackerbau betrieben, der in den unteren Regionen, in einer Höhenlage von 400 bis 700m, noch möglich ist. Auf der östlichen Seite des Juragebirges, entlang des Neuenburger und Bieler Sees, wird sogar Wein angebaut. Oberhalb von 700m findet man vermehrt Wiesen und Weiden vor, sowie vereinzelt Gersten-, Hafer- und Roggenanbau.

Hauptsächlich wird im Jura aber Viehzucht, vor allem Milchviehhaltung, betrieben. Die daraus gewonnene Milch wird in Käsereien zu Käse, wie dem Gruyère oder dem Comté, verarbeitet (Knapp, 1904, 688).

Die Einwohnerzahl dieser Region ist deutlich niedriger als im Schweizer Durchschnitt. Für die Gesamtschweiz wird ein Wert von 238 Einwohnern pro Quadratkilometer angegeben. In großen Teilen des Schweizer Jura, vor allem in den höher gelegenen Regionen wird nur ein Wert zwischen 50-99 Einw./ km² genannt. Einige Talsohlen weisen eine Bevölkerungsdichte von knapp 150 Einw./ km² auf. In den Mittelzentren[2], wie z.B. La Chaux-de-Fonds sowie dem Oberzentrum[3] der Region Biel, kommen deutlich höhere Bevölkerungswerte auf. So wird für La Chaux-de Fonds (~37.000 Einwohner) ein Wert von 500-749 Einw./ km² und für Biel (~49.000 Einwohner) ein Wert von bis zu 2000 Einw./ km² angegeben. Diese hohe Bevölkerungsdichte erklärt sich dadurch, dass die Gemeindefläche von La Chaux-de-Fonds mehr als doppelt so groß ist wie die Fläche der Stadt Biel (Bundesamt für Statistik, Eidgenössische Volkszählung, 2000).

Beide Städte, die gleichzeitig auch wichtige Uhrenmetropolen sind, sind sowohl durch eine Schnellstraße als auch eine Bahntrasse verbunden, wofür der Kettenjura für wichtige Querverbindungen untertunnelt wurde. Die Verlängerung dieser Trassen verbindet die Hauptstadt Bern mit Besançon in Frankreich und schließt somit die Region ans europäische Verkehrsnetz an. Eine weitere wichtige Verbindung verläuft von La Chaux-de-Fonds sowie von Biel in Richtung der Universitätsstadt Neuenburg (Neuchâtel) und vernetzt somit die Uhrenmetropolen miteinander (Labhart, 2001, 47).

3. Methodische Vorgehensweise

Im Rahmen der Erstellung einer Magisterarbeit, die sich mit einem Thema befasst, dass bislang unzureichend behandelt wurde, gilt es im Vorfeld zu klären, ob die benötigten Informationen bereits zur Verfügung stehen.

Hierfür gibt es mehrere Möglichkeiten, wie beispielsweise die Sichtung von Quellen. Bieten diese sekundärstatistischen[4] Daten, wie z.B. Jahres- oder Geschäftsberichte, nicht die Möglichkeit die für die Arbeit notwendigen Informationen zu gewinnen, so muss eine eigene Erhebung, eine Primärstatistik[5], in Betracht gezogen werden (Wessel, 1996, 101).

Im weiteren Verlauf sollten die Grundfragen einer bevorstehenden Erhebung geklärt werden. Dabei stellt sich die Frage, WAS, WARUM und WIE die Datenmengen erfasst werden sollen (Atteslander, 1995, 16).

3.1. Entscheidung für eine Teilerhebung

Es gibt in der Regel mehrere Methoden, um direkt an Informationen zu gelangen. So unterscheidet man z.B. schriftliche, mündliche und telefonische Befragungen, die noch weiter differenziert werden können. Des Weiteren wird nach „willkürlichen“ und „bewussten“ Auswahlen unterschieden. Bei Ersteren liegt die Aufnahme eines Elementes, das für die Grundgesamtheit von Bedeutung ist, im Ermessen des Auswählenden. Bei Letzteren erfolgt eine Auswahl nach dem Konzentrationsprinzip, das auch als Abschneideverfahren bezeichnet wird. Es basiert auf der Ausgeprägtheit eines besonderen Merkmals, dass für nahezu die gesamte Verteilung der Grundgesamtheit bestimmend ist. Ein Beispiel für eine bewusste Auswahl ist das Expertengespräch, das in dieser Arbeit als Methode gewählt wurde. Mit diesem Verfahren kann man mit einer geringen Anzahl relevanter Unternehmen eine Übersicht über diesen Wirtschaftssektor geben (Schnell, 1999, 278ff.).

Wichtig bei einem bevorstehenden Expertengespräch ist auch die Beachtung der verwendeten Mittel sowie die Bedingungen der unmittelbaren räumlichen Umwelt, in der das Interview stattfindet (Roth, 1995, 147). Das Mittel einer Befragung ist die Sprache, die nicht nur auf einen bestimmten kulturellen Hintergrund verweist, sondern die auch von Normen, wie z.B. einem adäquaten Sprachniveau, geprägt wird (Atteslander, 1995, 134).

Für diese Arbeit war es erforderlich, nachdem das Expertengespräch als effektivste Methode zur Informationsgenerierung ausgewählt wurde, den Rahmen für ein mündliches Interview festzulegen, sowie die in Frage kommenden Unternehmen zu bestimmen.

Da in diesem Fall eine Vollerhebung aufgrund der großen Anzahl von Uhrenherstellern in der Schweiz nicht in Frage kam, fiel die Entscheidung auf eine Teilerhebung (Schnell, 1999, 249). Die Vorteile liegen nicht nur in der Kostenersparnis, sondern vor allem in der Zeitersparnis bei der Datenauswertung, die es ermöglichte, sich mit der erhobenen Datenmenge intensiver auseinanderzusetzen. Diese Konzentration ist ein Grund, warum die Teilerhebung häufig genauere Untersuchungsergebnisse liefert (Wessel, 1996, 180).

Im Rahmen der Teilerhebung wurde die Schweizer Uhrenindustrie in Segmente unterteilt, die sich an Preisklassen orientieren. Aus jeder dieser Preisklassen, Marktsegmente genannt, wurde ein Hersteller ausgewählt, der eine Besonderheit aufweist. Die Uhrenindustrie wird in ein Basis- (Preisklasse bis 999€), ein Mittleres- (Preisklasse 1000 bis 2.499€), ein Oberes- (Preisklasse 2.500 bis 9.999€) und in das Prestige- oder auch Luxus-Marktsegment (Preisklasse ab 10.000€) differenziert (Quelle der Preisangaben, Angaben der Hersteller (AdH)).

Um das Expertengespräch zielgerichtet zu moderieren, muss darauf geachtet werden, dass die Kommunikation auf einer gemeinsamen Basis stattfindet, da sich so die Gültigkeit der Aussagen erhöht (Atteslander, 1995, 155). Findet sich aber kein Ansatzpunkt zwischen den Gesprächspartnern, so kann es vorkommen, dass auf den Stimulus ein Nichtantworten folgt, was wiederum Anlass zu einer Analyse liefert (Atteslander, 1995, 148).

Sind die Befragten dem Gespräch gegenüber positiv eingestellt, so erhöht dies einerseits die Akzeptanz der Methode und liefert gleichzeitig die Möglichkeit detaillierter nachzufragen (Wessel, 1996, 107).

In dieser Arbeit trat dieses Problem nicht auf. Bereits bei der ersten Kontaktaufnahme mit den Herstellern auf der Baselworld 2006[6], kristallisierte sich heraus, dass diese der bevorstehenden Arbeit gegenüber interessiert eingestellt waren. Dementsprechend fiel auch die Bereitschaft zu einem Expertengespräch positiv aus.

3.2. Fragebogenstruktur

Bei der Erstellung eines Fragebogens müssen zu Beginn die Forschungsziele bestimmt werden. Der Forschungsgegenstand und somit auch die Forschungsfrage werden aber nicht von Theorien oder Hypothesen festgelegt. Sie ist das Ergebnis des vom Forscher wahrgenommenen gesellschaftlichen Problems, das es zu beheben gilt, um die Lösung an die Gesellschaft zurückzugeben (Atteslander, 1995, 93).

Damit die Befragung wissenschaftliche Gültigkeit besitzt, bedarf es der Verwendung eines stark strukturierten und standardisierten Fragebogens, der die bekannteste und gebräuchlichste Befragungsform darstellt. Entscheidend für die Vergleichbarkeit der erhobenen Informationen ist es, dass allen Interviewpartnern die gleichen Fragen vorgelegt werden (Schnell, 1999, 301).

Dabei ist zu beachten, dass die Form eines Fragebogens variiert. Der Unterschied einer wissenschaftlichen Befragung zu einer Alltäglichen liegt in der Kontrolliertheit jeder einzelnen Befragungsphase (Roth, 1995, 148). In einem stark strukturierten Fragebogen ist eine exakte sowie äußerst sorgfältige Vorgehensweise unabdingbar. Dies bedeutet, dass die Vorbereitung auf ein angesetztes Interview nicht nur die Lektüre der Jahresberichte beinhalten darf. Man muss sich ebenso mit aktuellen, wie auch mit vergangenen Themen befasst haben, um auf einen unerwarteten Gesprächsverlauf entsprechend eingehen zu können. Zusätzlich muss die Reihenfolge der Fragen festgelegt werden, um die zumutbare Gesamtdauer, die je nach Autor zwischen 30 und 90 Minuten liegt, nicht zu überschreiten. Der Gesamtdauer eines Interviews sind natürliche Grenzen gesetzt, da bei zunehmender Länge sowohl die Aufnahmefähigkeit als auch die Aufmerksamkeit des Befragten abnimmt. Bereits vor der Erstellung ist über die sprachliche Formulierung und die Vorgehensweise zu entscheiden, d.h. es muss darauf geachtet werden, ob Frage-/ Antwortkategorien gebildet werden sollen. Der Inhalt der gestellten Fragen wird durch die Problemstellung festgelegt, um hinsichtlich des Untersuchungsziels möglichst vollständige Informationen zu erheben (Atteslander, 1995, 162).

Der Zweck von Frage-/ Antwortkategorien liegt darin, dass der Befragte auf Anhieb eine erkennbare Unterscheidung zwischen den zu stellenden Fragen sieht. Dies bringt ihn nicht aus dem Konzept und verhindert eine Unterbrechung des Gesprächs (Wessel, 1996, 118). Eine solche Kategorisierung wurde auch in dem für diese Arbeit erstellten Fragebogen festgelegt. Fragen, die denselben Aspekt behandelten, wurden in eben solche Kategorien zusammengefasst. So entstanden sieben Kategorien, die zwischen zwei und sieben offenen Fragen enthalten.

Der Vorteil offener Fragen besteht darin, dass sie keine vorformulierten Antwortkategorien vorgeben und somit der Befragte innerhalb seines eigenen Referenzsystems antworten kann. Dadurch wird er nicht in eine bestimmte, von der Vorstellung des Forschenden entwickelte Antwortrichtung gelenkt. Zusätzlich gewährleisten sie die Antwortbereitschaft des Interviewten, da sich die Fragen auf dessen Wissensbestand als Experte eines Fachgebietes beziehen (Schnell, 1999, 308ff.). Außerdem bietet eine offene Fragestellung beiden Gesprächspartnern einen flexiblen Reaktionsraum in dem schwierige Fragen erläutert werden können. Er bietet die Möglichkeit bei abweichenden Themen nachzufragen und wichtige Zusatzdaten zu erhalten.

Der Nachteil offener Fragen liegt einerseits in ihrer Auswertung, da die Antworten unterschiedlich lang ausfallen können (Schnell, 1999, 310). Andererseits birgt die mangelnde Anonymität das Risiko, dass der Interviewte aus den unterschiedlichsten Beweggründen verzehrt antwortet, was zusätzlich durch die Anwesenheit des Interviewers verstärkt wird, da er unbewusst Einfluss auf das Verhalten seines Gegenübers nimmt (Wessel, 1996, 117).

Es muss beachtet werden, dass sich hinter jeder Befragung ein Interesse verbirgt. Nicht nur der Interviewer wünscht Informationen, die er in Beziehung zu seinen Fragen stellen kann, obwohl er stärker daran interessiert ist, Antworten zu erhalten als der Befragte sie zu geben. Jedoch ist auch er nicht gänzlich ohne Interesse (Atteslander, 1995, 134-160).

4. Theoretische Einordnung der Arbeit

Die Wirtschaftsgeographie setzt sich zusammen aus den Teilgebieten der Verkehrs-, Handels-, Industrie- sowie Agrargeographie und versucht mit Theorien deren Interaktionen zu erklären (Bathelt, 2002, 19). Diese finden im Vernetzen Feld der Problemforschung der Geographie statt und werden im folgenden Schaubild visualisiert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Verknüpfung der Wirtschaftsgeographie

Quelle: Veränderte Darstellung nach Bathelt, 2002, 21.

Hier sieht man deutlich die Verbindung der Wirtschaftsgeographie mit den Nachbarwissenschaften und somit auch die Einflüsse derer in ihre Entwicklung.

4.1. Wirtschaftsgeographie

Bevor aber auf die einzelnen Theorien eingegangen werden kann, die in dieser Arbeit untersucht wurden, muss zuerst der Begriff Wirtschaftsgeographie erklärt werden. Verschiedene Autoren haben unterschiedliche Definitionen verfasst, die sich im Wesentlichen aber nicht voneinander unterscheiden. Für diese Arbeit wurde die Definition von Bathelt gewählt, aufgrund der Tatsache, dass sie die Zusammenhänge am verständlichsten erläutert.

Nach Bathelt ist die Wirtschaftsgeographie „die Wissenschaft von der räumlichen Ordnung und der räumlichen Organisation der Wirtschaft. Sie stellt sich in dem raumwirtschaftlichen Ansatz die Aufgabe, räumliche Strukturen und ihre Veränderung – aufgrund interner Entwicklungsdeterminanten und räumlichen Interaktionen zu erklären, zu beschreiben und zu bewerten. Dabei sind die Verteilung ökonomischer Aktivitäten im Raum (Struktur), die räumlichen Bewegungen von Produktionsfaktoren, Gütern und Dienstleistungen (Interaktionen) sowie deren Entwicklungsdynamik (Prozeß) als interdependentes Raumsystem zu verstehet“ (Bathelt, 2002, 27).

Leser hat diese Definition noch durch das Einbringen der menschlichen Konstante erweitert und folgert daraus, dass „die Wirtschaftsgeographie das räumliche Verbreitungs- und Verknüpfungsmuster, das sich aus wirtschaftlichen Handlungen des Menschen bzw. sozialer Gruppen ergibt, erfasst und erklärt“. Zusätzlich fügt er die Bedeutung natürlicher Raumfaktoren auf das wirtschaftliche Handeln mit ein (Leser, 1997, 1002).

Wie man aus der obigen Grafik erschließen kann, sind zahllose Theorien in die Wirtschaftsgeographie eingeflossen. Am Beispiel der Schweizer Uhrenindustrie werden nur einige markante Aspekte aufgezeigt, die von besonderer Bedeutung sind. So spielen die Standorttheorie sowie die Clusterungsprozesse eine sehr zentrale Rolle. Mit diesen beiden Gebieten wird sich dieses Kapitel ausführlich befassen und ihre Bedeutend für die Uhrenindustrie erläutern.

In den vorherigen Kapiteln wurde der Weg der Uhrenherstellung in den Schweizer Jura deutlich beschrieben. Zur Zeit der Entstehung dieser Branche existierten die meisten nun vorliegenden Theorien noch nicht. Nichts desto trotz sollen sie versuchen zu erklären, wieso sich ausgerechnet in dieser Region dieser Industriezweig niedergelassen hat. Die Erklärung soll unabhängig von der historischen und damaligen wirtschaftlichen Entwicklung formuliert werden.

Die Standorttheorie ist deswegen so interessant, da sie so umfassend ist, dass fast alle wichtigen Aspekte berücksichtigt werden. Doch was sind eigentlich Standorte und was sagen sie aus? Es sind Orte, die punktuell das Zentrum des Interesses bilden, sei es in der Industrie als Produktionsstätte größerer Betriebe (z.B. ThyssenKrupp in Essen) oder gar ganze Länder wie in der aktuellen Debatte um den „Standort Deutschland“. Leser erklärt den Standort als „Ort, an welchem ein Wirtschaftsbetrieb aktiv tätig ist“ (Leser, 1997, 820). Jedoch reicht diese Definition im vorliegenden Fall nicht aus, da man weiter nach räumlichen Maßstabsebenen unterscheiden muss. So findet man Standorte auf lokaler-, regionaler-, nationaler-, supranationaler und globaler Ebene. Dadurch bleiben sie vergleichbar. Und genau darum geht es auch – um die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Standorte auf der ganzen Welt.

In der heutigen Zeit werden Produktionsstandorte dann verlegt, wenn die am neuen Ort vorliegenden Standortfaktoren sich als günstig für den Betrieb erweisen. Nach Weber hat ein Standortfaktor einen scharf abgegrenzten Vorteil. Dieser besteht darin, dass am vorliegenden Ort eine Kostenersparnis stattfindet, die es der Industrie dort ermöglicht ein bestimmtes Produkt mit geringerem Kostenaufwand herzustellen, als an einem anderen Platz. Diese Ersparnis wird durch das Vorhandensein mehrerer positiver Standortfaktoren auf die Produktionskosten ausgelegt. Das bedeutet, je mehr positive Standortfaktoren vorhanden sind, desto günstiger fällt die Herstellung der Produkte an. Daraus entwickelte Weber die Theorie zur optimalen Standortwahl, die sich aus mehreren Punkten zusammensetzt. Darunter befinden sich die Produktionsprozesse, die Arbeitskosten und die Agglomerationskosten (Bathelt, 2002, 124).

Der wichtigste Faktor der Produktionsprozesse ist das Auffinden des transportkostenminimalen Standorts. Beim Produktionsprozess werden die Rohstoffe, Zwischenprodukte und der Input (Arbeit und Kapital) zum Endprodukt (Output) transformiert (Bathelt, 2002, 52, 124). Dabei muss beachtet werden, dass die Transportkosten nicht zu hoch ausfallen, die von Industriebranche zu Industriebranche variieren. So spielen die Transportkosten z.B. bei der Automobilherstellung eine größere Rolle, aufgrund der Schwere und der Sperrigkeit der Teile, als in der Uhrenindustrie. Abhängig vom Wechselkurs machen die Rohstoffimporte hier ca. 10% der Gesamtentstehungskosten aus (Retornaz, 1970, 5).

Webers Theorie besagt, dass „high-tech Produkte im Unterschied zu den Produkten traditioneller Industriebranchen durch ein geringeres Gewicht bei gleichzeitig hohem Wert pro Volumeneinheit gekennzeichnet sind“. Demnach „haben Transportkosten nur einen geringen Anteil am Umsatz. Dadurch wirkt sich selbst eine ineffiziente Organisation der Produkt- und Materialtransporte kaum nachteilig auf die Kostenstruktur aus“ (Bathelt, 2002, 138). Laut seiner Theorie sind die Transportkosten die zentrale Größe der Standortbestimmung. Erst danach kommen die Arbeitskosten und die Agglomerationsvorteile (Bathelt, 2002, 124).

4.2. Wirtschaftsgeographie in der Schweizer Uhrenindustrie

Da die Uhrenindustrie eine Hightech-Industrie ist, muss die Wirtschaftstheorie dementsprechend angewandt werden. Spielen bei der Schwerindustrie Transportkosten die herausragende Rolle, so übernehmen die Arbeitskosten und die Agglomerationsvorteile den deutlich wichtigeren Part bei der Bestimmung neuer Standorte innerhalb der Uhrenindustrie.

Wie in Kapitel 5.2 (Ausbreitung im Juragebirge) deutlich ausgeführt wird, waren zur damaligen Zeit die vorhandenen und gut ausgebildeten Fachkräfte der Antriebsmotor zur Ausdehnung der Uhrenindustrie in den Schweizer Jura. Ergänzend kann festgehalten werden, dass das vorhandene Humankapital einen weiteren Vorteil hatte, den des „Stillen Wissens“. Dieser Begriff wurde von Polanyi geprägt und bedeutet „that we know more that we can tell“ (Bathelt, 2002, 57). Hier findet eine Wissensweitergabe von Generation zu Generation statt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Standorttheorie sind Agglomerationsvorteile. Eine kurze Erklärung von Leser besagt, dass Agglomerationsvorteile, aus Kostenvorteilen für die Produktion und die Vermarktung der Produkte, die durch die besondere Raumqualität bedingt sind, bestehen. Merkmale bilden unter anderem geringe Transportkosten, bessere Absatzchancen, ein differenziertes Arbeitskräfteangebot sowie Fühlungsvorteile (Leser, 1997, 17). Dazu zählen die Nähe zu anderen Unternehmen der gleichen Branche sowie die Nähe zu Zulieferern, Kunden und Universitäten oder Hochschulen. Auch hohe Ansprüche an den vorhandenen Arbeitsmarkt sind von Bedeutung. (Bathelt, 2002, 146).

Jedoch wird die Theorie der „Spilllovereffekte“ nicht mehr zu den Agglomerationsvorteilen, sondern zu den Clusterungsprozessen gezählt. Im Fall der Uhrenindustrie würde dieser aber sehr gut in die Reihe der Standortvorteile passen. Beim „Spilllovereffekt“ kommt es durch Konzentration einer spezialisierten Industrieballung zu einem Informationsaustausch auf lokaler Ebene. Dieses Austauschen von Informationen, das häufig in persönlichen Treffen stattfindet, hat zur Folge, dass die Wahrscheinlichkeit höher sein wird, dass neue Ideen aufgegriffen und verbessert werden können. Laut Krugmann finden „Spilllovereffekte“ primär in Hightech-Industrien Verwendung (Bathelt, 2002, 82). Deswegen zählen sie in der Uhrenindustrie noch zu den Agglomerationsvorteilen.

Bei den Clusterungsprozessen handelt es sich um Industrieballungen in einem Raum. Diese sind in ein bestimmtes regionales sozio-institutionelles Umfeld eingebettet, ohne das deren Entstehungsprozess nicht denkbar wäre (Bathelt, 2002, 63). Als Folge der Ballung kommt es zur vermehrten Ansiedlung von Industriebetrieben der gleichen Branche, da diese dazu tendieren, sich dort niederzulassen, wo die Nachfrage am größten ist. Dadurch wird es möglich interne Ersparnisse zu erwirtschaften (economies of scale), die entstehen, wenn die Stückkosten mit steigendem Produktionsumfang sinken (Bathelt, 2002, 82, 128). Diese Aussage kann am Beispiel der Uhrenindustrie bestätigt werden.

Dies trifft aber bei der Niederlassung nicht mehr zu. Im Allgemeinen gilt, dass die Konsumgüterindustrie, zu der auch die Uhrenindustrie gezählt wird, dazu tendiert sich in Hauptabsatzregionen niederlässt (Bathelt, 2002, 82). Somit kann auch dieser Theorie teilweise widersprochen werden, denn die Hauptabsatzgebiete der Schweizer Uhrenindustrie liegen sehr weit weg von den Produktionsstandorten.

Was bleibt somit übrig. Die zwei hier vorgestellten Theorien konnten im Ansatz die Entwicklung erklären, obwohl sie in einigen Punkten mit dem Vorhandenen nicht übereinstimmen.

Es wird angenommen, dass der „homo oeconomicus“, der ausschließlich auf ökonomische Prinzipien und materielle Anreize reagiert, die wichtigste Antriebskraft des unternehmerischen Handelns im Gewinnmotiv sieht (Leser, 1997, 328). Dazu sei aber festzustellen, dass dieser Ansatz veraltet ist und so nicht mehr gilt. Man müsste den Ansatz durch neuere Ziele, wie z.B. das gestiegene Anspruchsniveau, die Macht und das Prestige ergänzen, die heutzutage mit der Herstellung von Produkten verbunden sind, vor allem in der Uhrenindustrie (Bathelt, 2002, 133).

Letztendlich kann man sagen, dass der soziale Faktor bei den wirtschaftlichen Entscheidungen und den daraus resultierenden Theorien nicht thematisiert wird. Somit bleiben Standortmodelle lediglich abstrakte Projektionen, die in der Realität nur teilweise oder zufällig mit dem Handeln von Akteuren übereinstimmen (Bathelt, 2002, 135).

5. Entwicklung der Uhrenindustrie

Die Anfänge der Schweizer Uhrenindustrie reichen weit in die Vergangenheit zurück. Je nach Autor variieren die ersten Nennungen dieses Industriebereiches zwischen den Jahren 1550 bis 1587.

5.1. Die ersten Jahre

Als Grund für die Entstehung der Uhrmacherkunst kann man die Sittenmandate des Reformator Johannes Calvin bezeichnen, die 1541 in Genf verfasst und veröffentlicht wurden. Diese verboten Attribute des Luxus’, wie z.B. kostbaren Schmuck, elegante Kleidung, Geselligkeit und das damit verbundene Trinken und forderten dabei eine strenge Moral sowie Kirchenzucht von den Bürgern der Stadt.

Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass Genf schon seit dem Mittelalter eine Stadt der Schmuckhersteller war und die Sittenmandate ihnen das Auskommen drastisch erschwerten. Zudem erschien 1566 das „Reglement der Goldschmiede der Stadt“, welches das Ende dieses Berufsstandes ankündigte (Schriften zu Wirtschafts-, Bank- und Währungsfragen (Schweizerische Bankgesellschaft) (SBG), 1986, 6ff.).

Zur gleichen Zeit fand ein großer Zuzug von Glaubensflüchtlingen aus dem nahe liegenden Burgund, Flandern und Italien statt. Unter den Hinzugezogenen waren viele Uhrmacher, darunter auch Charles Cusin, der 1587 in die Stadt Genf aufgenommen wurde. An seine Einbürgerung war die Bedingung geknüpft die Einheimischen Schmuckhersteller in die Kunst der Uhrmacherei zu unterweisen. Dadurch ermöglichte er ihnen ihre handwerklichen Fähigkeiten einzubringen. So wurde in die Uhrmacherei die Kunst des Gravierens, Ziselierens, Schleifens und Emaillieren eingeführt, sodass als Folge, die Genfer Uhrmacher schon bald für ihre Werke bekannt waren.

Durch den raschen Bevölkerungsanstieg, konnte zwischen 1589 und 1601 (auch hier variieren die Angaben je nach Autor) die erste Uhrmacherzunft der Welt, die „Maîtrise des horlogers de Genève“ gegründet werden. In der Satzung hieß es, dass „derjenige, der die Zulassung als Meister begehrte, eine tragbare Weckeruhr und eine kleine Standuhr als Meisterstück anzufertigen und vorzuweisen verpflichtet war“ (Pfleghart, 1908, 2).

[...]


[1] Def. Mittelgebirge: „[...] in Mitteleuropa bis etwa 1500m [...]“. (Leser, 1997, 518).

[2] Def. Mittelzentrum: „[...] versorgt die Bevölkerung seines Einzugsgebietes mit Gütern und Diensten des mittelfristigen, gehobenen Bedarfs. Hierzu gehören neben dem Angebot des Einzelhandels und des privaten Dienstleistungssektors [...] auch öffentliche Einrichtungen [...] (Gymnasien) und Krankenhausversorgung [...]“ (Leser, 1997, 520).

[3] Def. Oberzentrum: „[...] besitzt in seinem Einzugsgebiet die höchste Zentralität und versorgt die Bevölkerung mit hoch- bis höchstwertigen Gütern und Dienstleistungen des langfristigen bzw. episodischen Bedarfs. [...] Behörden der staatlichen Verwaltung [...] Universitäten [...]“ (Leser, 1997, 573).

[4] Def. Sekundärstatistik: Statistik, deren Datenmaterial ursprünglich für einen anderen Zweck erhoben wurde, als den, für den es eingesetzt wird (Bomsdorf, 1997, 195).

[5] Def. Primärstatistik: Statistik, deren Datenmaterial eigens für den jeweiligen Verwendungszweck erhoben wurde (Bomsdorf, 1997, 193).

[6] Die BASELWORLD ist der wichtigste Treffpunkt und die führende Messe der Uhren- und Schmuckindustrie (Quelle: www.baselworld.com).

Fin de l'extrait de 92 pages

Résumé des informations

Titre
Entwicklungen und Perspektiven der Schweizer Uhrenindustrie
Université
University of Freiburg  (Institut für Kulturgeographie)
Note
1,6
Auteur
Année
2007
Pages
92
N° de catalogue
V79645
ISBN (ebook)
9783638857345
ISBN (Livre)
9783638855457
Taille d'un fichier
7688 KB
Langue
allemand
Mots clés
Entwicklungen, Perspektiven, Schweizer, Uhrenindustrie
Citation du texte
Magister Artium Jacek Rokicki (Auteur), 2007, Entwicklungen und Perspektiven der Schweizer Uhrenindustrie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/79645

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