RECHTSSTAAT ALS IDEOLOGIE
REKONSTRUKTION VON AUSEINANDERSETZUNGEN UM DIE ENTNAZIFIZIERUNG IM ERSTEN DEUTSCHEN BUNDESTAG
Wilma Ruth Albrecht
Nach einleitenden Ausführungen zum Begriff „Rechtsstaat“ dokumentiert die Autorin eingehend die Anträge zur Beendigung der Entnazifizierung und die Debatten um diese im Bundestag und seines Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht. Die Autorin kommt in ihrer kritisch-rechtspolitischen Bewertung als Zeithistorikerin zum Ergebnis, daß es sich bei dieser „Rechtsstaat“-Debatte Anfang der 1950er Jahre um eine grundlegende Verkehrung von Recht und Unrecht et vice versa handelte, die immer dann möglich wird, wenn Recht als überstaatliche Instanz verstanden wird, die auf einer transzendentalen Rechtsvorstellung beruht. Dieser gelten zum Beispiel auch die Nürnberger Rassegesetze (1935) und die NS-Konzentrationslager als „rechtsförmig“, also „nicht als außerhalb der Rechtsordnung dieser Staaten stehend“ (Hans Kelsen), weil die Moral des Rechts in der Norm als solcher liegt: „Wer solches Recht und solche Rechtsphilosophie hat, braucht kein Unrecht und keine Unrechtsideologie mehr.“ (Micha Brumlik). Diese Verkehrung entsprach durchaus dem Zeitgeist in der Gründungs- und Frühphase der Bundesrepublik Deutschland als „der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln“ [Faust I: 575-577] und war politisch-ideologisch so notwendig wie funktional, um den Einfluss antifaschistischer, antimilitaristischer und antimonopolistischer Kräfte und Strömungen in der jungen Bundesrepublik Deutschland einzudämmen und zurückzunehmen. Insofern überlappte sich auch zeitlich die Debatte um die Beendigung der Entnazifizierung im Bundestag mit der der Rehabilitierung des nationalsozialistischen Berufsbeamtentums, der der Remilitarisierung, der der Westintegration und der der Bildung von Staatsschutzinstitutionen.
Inhaltsverzeichnis
- Der Begriff Rechtsstaat
- Die Anträge zur Beendigung der Entnazifizierung
- Die Debatte der Anträge im Bundestag
- Der „Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht“ und der Ausschussbericht
- Die Debatte um den Ausschussbericht
- Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Text befasst sich mit der Auseinandersetzung um die Entnazifizierung im ersten Deutschen Bundestag und analysiert die Rolle des Rechtsstaatsbegriffs in dieser Debatte. Der Autor beleuchtet die Nutzung des Begriffs „Rechtsstaat“ als politisches Kampfmittel von verschiedenen Parteien, um die Politik der Entnazifizierung zu beeinflussen.
- Der Begriff „Rechtsstaat“ als ideologisches Werkzeug in der Politik
- Die Nutzung des Rechtsstaatsbegriffs zur Schwächung der Entnazifizierung
- Die Debatte um die Entnazifizierung im ersten Deutschen Bundestag
- Die Rolle der einzelnen Fraktionen im Prozess der Entnazifizierung
- Die Bedeutung des „Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht“
Zusammenfassung der Kapitel
Der Begriff Rechtsstaat
Das Kapitel behandelt die Definition des Rechtsstaatsbegriffs und seine historische Entwicklung. Es werden die wichtigsten Merkmale eines Rechtsstaates erläutert, darunter die Gewaltenteilung, die Vorrangstellung des Rechts und die Rechtsbindung des Staates. Außerdem wird auf die Verkehrung des Rechtsstaatsbegriffs im Nationalsozialismus eingegangen.
Die Anträge zur Beendigung der Entnazifizierung
Dieses Kapitel beleuchtet die politischen Rahmenbedingungen nach der Wahl des ersten Deutschen Bundestages. Es werden die Anträge verschiedener Parteien zur Beendigung der Entnazifizierung vorgestellt, insbesondere der „Dringlichkeits-Antrag“ der DP-Fraktion im September 1949.
Die Debatte der Anträge im Bundestag
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der öffentlichen Debatte um die Anträge zur Beendigung der Entnazifizierung. Es werden die Argumente der verschiedenen politischen Fraktionen sowie die Positionierung der Bundesregierung dargestellt.
Der „Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht“ und der Ausschussbericht
Dieses Kapitel analysiert die Arbeit des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht in Bezug auf die Entnazifizierung. Es wird der Inhalt des Ausschussberichts dargestellt und die Rolle des Ausschusses in der Debatte um die Entnazifizierung beleuchtet.
Die Debatte um den Ausschussbericht
Dieses Kapitel befasst sich mit der öffentlichen Debatte um den Ausschussbericht. Es werden die Argumente der verschiedenen politischen Fraktionen zur Entnazifizierung sowie die Kritik am Bericht analysiert.
Schlüsselwörter
Dieser Text befasst sich mit den zentralen Begriffen „Rechtsstaat“, „Entnazifizierung“ und „Renazifizierung“. Die Analyse konzentriert sich auf die politische Auseinandersetzung um die Entnazifizierung im ersten Deutschen Bundestag und die Rolle des Rechtsstaatsbegriffs als ideologisches Instrument im Kampf um die Gestaltung der Nachkriegsgesellschaft. Die Debatte wird dabei mit den verschiedenen politischen Positionen und Akteuren, wie den politischen Parteien, der Bundesregierung und dem „Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht“, in Verbindung gesetzt. Wichtige Aspekte des Textes sind die Debatte um den „Dringlichkeits-Antrag“ der DP-Fraktion, die Rolle der einzelnen Fraktionen im Prozess der Entnazifizierung und die Bedeutung des Ausschussberichts.
- Quote paper
- Dr. Wilma Ruth Albrecht (Author), 2007, Rechtsstaat als Ideologie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80068