SWING als Phänomen musikalischer Phrasierung


Term Paper, 2007

13 Pages, Grade: 1,0


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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Musikalische Phrasierung im Jazz
2.1 Phrasierung
2.2 Mikrorhythmische Abweichungen im musikalischen Gestaltungsprozess
2.3 Auswirkungen von Syntax und Prozess auf das musikalische Zusammenspiel

3. Problematik innerhalb der Forschung
3.1 Analyse mehrspuriger Digitalaufnahmen
3.2 Midi- Programmierung als Forschungsansatz
3.3 Konzeptualisierung des swing

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die am häufigsten mit der Musikrichtung Jazz in Verbindung gebrachte Art zu musizieren ist die charakteristische Phrasierung des swing[1]. Scheinbar bietet kaum eine andere Musikform dem Musiker eine so fluid- rhythmische Grundlage. Zwischen den rhythmischen Polen binär und ternär liegt hier gleichsam die Welt der Phrasierung. Musiker nutzen diese Sphäre[2] als mikrorhythmischen Gestaltungsspielraum (Pfleiderer 2002; S.102). Der treibende und bewegende Charakter des swing wird von Musikern auch häufig mit Ausdrücken wie „groove“ oder „drive“ bezeichnet (Prögler 1995, S.30). Seit den 80er Jahren widmet sich die Forschung der Frage, wodurch swing entsteht, konnte jedoch bis heute keine ausreichenden Antworten liefern.

Ziel dieser Arbeit soll es sein, die elementaren Ergebnisse bisheriger Studien, die sich mit swing auseinandergesetzt haben, zusammenzustellen, um im Nachhinein das Forschungsdesign kritisch hinterfragen zu können. Außerdem soll versucht werden, den Leser dieser Arbeit für die Problematik der Messbarkeit eines Phänomens wie swing zu sensibilisieren.

Um den Umfang dieser Arbeit nicht zu sprengen fließen die Ergebnisse eigener Untersuchungen nur in kurzen Kommentaren ein. Außerdem beschränkt sich die Auswahl der Literatur im Wesentlichen auf fachspezifische Literatur der Rhythmusforschung jüngeren Datums.

Zudem liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit in der Untersuchung der Phrasierung innerhalb der Rhythmusgruppe und im Speziellen der des Jazzschlagzeugspieles.

Abschließend werden gewonnene Ergebnisse noch einmal gebündelt, um eine Schlussbetrachtung möglich zu machen.

2. Musikalische Phrasierung im Jazz

2.1 Phrasierung

Der Begriff Phrasierung bezieht sich auf zwei unterschiedliche Zeitebenen. Die erste Ebene entsteht durch die Interpretation von Achtelnoten mit unterschiedlichen swing - Faktoren. Der Begriff swing - Faktor[3] bezeichnet das Verhältnis zwischen zwei Achtelnoten. Die häufig mit swing in Verbindung gebrachte ternäre Aufteilung der Achtelnote entspricht dem Längenverhältnis 2:1. Binäre Achtelnoten stehen in einem Verhältnis von 1:1 zueinander (Friberg, Sundström 2002, S.333). Zwischen einer absolut genau ternären Phrasierung und einer ganz und gar binären liegt aus mathematischer Sicht eine unendlich große Menge[4]. Somit muss es in der Musikpraxis ebenfalls eine potentiell unendliche Anzahl von Möglichkeiten geben, zwischen binärer und ternärer Aufteilung hin und her zu driften. Zu einem vergleichbaren Schluss kommt auch Komponist und Jazzhistoriker Gunther Schuller. Seine Studie ergab, dass die Bandleader Basie und Lunceford mit ihren Orchestern zwar beide Swing spielten, die Musik aber mit unterschiedlichen „swing - Konzepten“ realisierten. (Schuller 1989, S.222-223). Diese Idee von einer potentiellen Übergangslosigkeit zwischen den rhythmischen Polen findet sich in jeder aktuellen Sequenzer- Software verwirklicht wieder, in der man den swing - Faktor in Prozentzahlen angeben und die Phrasierung annähernd stufenlos festlegen kann (Grupe 2004, S.88). So entspräche ein swing - Faktor von 57% einer Längenaufteilung eines Achtelpaares in 57% für die erste und 43% für die zweite Achtelnote (Prögler, S.23).

Als zweite Zeitebene ist der Bezug einer musikalischen Darbietung zu einem festen Metrum von Bedeutung. Diese Zeitebene wird häufig durch die in der Musikwelt weit verbreiteten zeitlichen Angaben „vor dem Beat, „auf dem Beat“ und „hinter dem Beat“ wiedergegeben (Grupe, S.87-89).

Da sich die Realisationen dieser zeitlichen Strukturen im Normalfall im Bereich von Millisekunden bewegen, wird in der Forschung passend von Mikrotiming gesprochen. Untersuchungen in diesen Zeitbereichen führten zur Etablierung eines Rasters kleinster Zeiteinheiten mit dem Namen „Elementarpulsation“ (Grupe, S.87). Da die aktuelle Forschung das Phänomen swing im Bereich des Mikrotimings verortet, werde ich die wichtigsten Resultate bisheriger Experimente, die sich mit Messungen des swing - Faktors befasst haben, in den nächsten Abschnitten zusammenfassen.

2.2 Mikrorhythmische Abweichungen im musikalischen Gestaltungsprozess

Die wichtigste These, die aus Charles Kiels Experimenten hervorgeht ist die, dass alle gespielten Rhythmen in natürlicher Weise von der Exaktheit eines abstrakten Metrums abweichen. Folgt man Kiel, besteht ein Zusammenhang zwischen dem sozialisierenden Zusammenspiel innerhalb einer Rhythmusgruppe und den mikrorhythmischen Diskrepanzen im Spiel der einzelnen Musiker. Erst diese graduellen Abweichungen von einer statischen Norm lassen etwas entstehen, das man als „groove“ bezeichnen würde (Kiel 1995, S.4). Einer ähnlichen Argumentation folgt Frank Kofsky, der „rhythmische Fehlplatzierungen“[5] als essentiell für swing beschreibt (Kofsky 1977, S.13). Diese Sichtweise steht im absoluten Gegensatz zu der unter Musikern geläufigen Qualitätszuschreibung des „tight“ seins[6].

Im Unterschied zur klassisch romantischen Musiktradition, die mikrorhythmische Abweichungen strukturell und formal in der agogischen Ausformung nutzt, ist in der Rhythmusforschung eine timing- Eigenheit gemeint, die einen „spezifischen Bewegungscharakter der polyrhythmischen Patternstrukturen verdeutlicht und verstärkt“ (Pfleiderer, S.110). Ein für den swing typisches Pattern ist die „Ridetap- Figur“[7] des Schlagzeugers. Ähnlich wie Kiel setzt auch Prögler hier seine Forschung an, indem er das Zusammenspiel von Bass und Ridetaps in Bezug auf einen Clicktrack untersucht[8]. Alle Musiker spielen in Pröglers Experiment einen zwölftaktigen Blues in H- moll in den Tempi 60, 120 und 240 „beats per minute. Dies entspricht in etwa den für Jazz typischen Tempi slow-, mid- und up- Tempo.

Laut Prögler deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Länge der „Pickup Note“ einen Großteil des Stiles eines Jazzschlagzeugers ausmacht. Der Begriff „Pickup Note“ beschreibt die Länge der zweiten Achtel innerhalb des im Jazz geläufigen „Ridepatterns, welches das Spiel einer Viertelnote gefolgt von zwei Achtelnoten ist. Die Länge der „Pickup Note“ bestimmt somit das Verhältnis der Achtelnoten untereinander und sagt daher am meisten über die Phrasierung eines Jazzschlagzeugers aus. Folgt man den Ergebnissen der Studien, variiert die Länge der „Pickup Note“ je nach Tempo. Die Messungen zeigen deutlich, dass es keine jazztypische Phrasierung gibt, sondern die Phrasierung in erster Linie tempo- und personenabhängig ist (Prögler, S.36).

Fortführend belegen Studien, dass mit zunehmendem Tempo der swing - Faktor tendenziell linear abnimmt. Messungen ergaben, dass bei niedrigen Tempi der swing - Faktor zwischen 3 und 3.5 liegt. Dieser Wert entspräche angelehnt an das konventionelle Notenbild einer engeren Phrasierung als das Spielen einer punktierten Achtelnote gefolgt von einer Sechzehntelnote.

Die niedrigsten Werte treten in hohen Tempi auf, in denen der swing - Faktor gegen eins geht, was einer binären Phrasierung entspricht (Friberg, Sundström, S.337). Bei den niedrigen Tempi ließen nach Pröglers Studie einige Schlagzeuger die „Pickup Note“ sogar aus. Diese Beobachtung wirft die berechtigte Frage auf, ob niedrige Tempi generell weniger mit swing in Verbindung gebracht werden als höhere (Prögler, S.38).

Tempounabhängig findet man in den Ergebnissen der Studien selten exakte triolische Phrasierungen (Friberg, Sundström, S.333). Dieser Sachbestand deutet darauf hin, dass triolisch interpretierte Achtel nicht mit swing gleichzusetzen sind, oder anders gesagt, auch ein „ternäres Feel“ kein Garant für swing ist (Grupe, S.87). Dieses Ergebnis dürfte für die Jazzpädagogik recht interessant sein, da an Musikschulen eine triolische Interpretation der Achtelnote noch immer Hauptbestandteil der Lehre ist (Friberg, Sundström, S.344-345).

Eine weitere Tendenz, die tempounabhängig festgestellt wurde, liegt in den generell höheren swing - Faktorwerten bei Schlagzeugern verglichen mit anderen Instrumenten innerhalb desselben Ensembles (Friberg, Sundström, S.333). Diese Beobachtung stützt Kiels These von den mikrorhythmischen Diskrepanzen als Voraussetzung für swing. Außerdem wurde beobachtet, dass der Solist im Jazz in den meisten Fällen hinter dem Down- Beat[9] spielt, jedoch zeitlich synchron mit dem Schlagzeug den Offbeat betont. Im Gegensatz zur Klassik, in welcher der Solist häufig leicht vor dem Beat spielt, um sich klanglich besser durchzusetzen, wird angenommen, dass der Jazzsolist allein schon durch seine breite Palette an Klangfarben so gut zu hören ist, dass es klanglich als angenehmer empfunden wird, wenn er hinter dem Beat spielt (Friberg, Sundström, S.347-348).

[...]


[1] Um eine Verwechslung mit dem Swing-Stil der Bigband-Ära zu vermeiden werde ich swing als jazztypische Phrasierungsweise klein und kursiv schreiben.

[2] Diese Bezeichnung soll hier lediglich kennzeichnen, dass es sich um einen schwer abgrenzbaren Bereich handelt.

[3] Häufig findet sich in der Literatur auch der Begriff swing - Ratio.

[4] Zwischen der metrischen Aufteilung binär (Aufteilung der Achtelnote in 2 Einheiten) und ternär (Aufteilung der Achtelnote in 3 gleiche Teile) liegt eine unendlich große Menge. Denn zwischen den reellen Zahlen 2 und 3 liegt immer eine unendliche Menge weiterer reeller Zahlen.

[5] Im Original wird der Ausdruck „rhythmic displacement“ verwendet.

[6] Unter „tight“ sein versteht man in Musikerkreisen das exakte Zusammenspiel der Musiker innerhalb eines Ensembles.

[7] Um den Umstand zu vermeiden, jedes Mal die deutsche Übersetzung „das Spielen eines Schlagzeugers auf dem Ridebecken“ benutzen zu müssen, verwende ich den in der Literatur gebräuchlichen Ausdruck „Ridetap“.

[8] Die Musiker in Pröglers Experiment sollten zu einer vorher aufgenommenen Spur in der Art spielen, von der sie glaubten sie würde swingen. Als Timingreferenz war entweder nur ein Metronom zu hören, oder die jeweils zweite „Testperson“ (der Bassist für den Schlagzeuger und anders herum) ohne den Clicktrack.

[9] Als Down- Beat gelten im Jazz die Zählzeiten eins und drei, als Off- Beat die Zählzeiten zwei und vier.

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Details

Title
SWING als Phänomen musikalischer Phrasierung
College
University of Cologne  (Musikwissenschaftliches Institut)
Course
"Saying Something" - Einführung in die Geschichte des Jazz
Grade
1,0
Author
Year
2007
Pages
13
Catalog Number
V80145
ISBN (eBook)
9783638874861
File size
420 KB
Language
German
Notes
Auf Rat des Dozenten, werde ich meine Magisterarbeit zu einem ähnlichen Thema verfassen.
Keywords
SWING, Phänomen, Phrasierung, Saying, Something, Einführung, Geschichte, Jazz
Quote paper
Eike Groenewold (Author), 2007, SWING als Phänomen musikalischer Phrasierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80145

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