Rilke und der Symbolismus


Term Paper, 2003

24 Pages, Grade: 1,0


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INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Literarische Moderne
2.1. Die wichtigsten Stilrichtungen um die Jahrhundertwende

3. Symbolismus
3.1. Dinggedichte

4. „Der Schwan“

5. „Blaue Hortensie“

6. Schlussfolgerungen

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der vorgelegten Hausarbeit wird der Frage nachgegangen, wie der Symbolismus als literarische Strömung am Anfang des 20. Jahrhunderts in der Zeit der literarischen Modeme im lyrischen Werk von Rainer Maria Rilke vertreten ist. Die Jahrhundertwende ist eine sehr turbulente Zeit nicht nur in gesellschaftlich-historischer Hinsicht, sondern auch für das literarische Leben. Keine literarische Epoche im deutschsprachigen Raum weist so viele Stile, Strömungen oder Richtungen auf: Von der Arbeitsdichtung über Expressionismus, Naturalismus bis zu Surrealismus. Eine wesentliche Richtung dieser Epoche der Modeme ist der Symbolismus, dessen hervorragender Vertreter in der deutschsprachigen Lyrik Rainer Maria Rilke neben George ist. Rilke hat sich selbst nicht als Symbolist bezeichnet, ein Versuch, Rilke als Symbolist zu interpretieren, wird in dieser Hausarbeit unternommen. Eine zentrale Rolle dabei spielt sein lyrisches Schaffen, insbesondere das "Dinggedicht", das seinen Höhepunkt in dem Zyklus "Neue Gedichte" der mittleren Schaffensperiode des Lyrikers findet. Um den theoretischen Ausgangspunkt zu begründen, werden Gedichte von Rilke herangezogen, die die wesentlichen symbolistischen Merkmale illustrieren: "Der Schwan" und "Blaue Hortensie". Die tiefere Werkanalyse dieser Gedichte schließt aber nicht aus, dass auch literarisches Material aus anderen Gedichten oder auch von anderen Autoren berücksichtigt und kommentiert wird. Eines der wichtigsten Ziele der Hausarbeit ist es, Rilke nicht nur als Symbolist einzuordnen, sondern auch ihn von den anderen literarischen "Ismen" abzugrenzen. Deshalb schien es mir nötig, eine kurze Charakteristik der Kunstrichtungen vorzunehmen, damit die Vergleiche oder Parallelen ihr theoretisches Fundament erhalten. Nur sporadisch und nach Bedarf werden Lebensumstände oder Einflüsse von anderen Künstlern angegeben oder erläutert, insoweit dies eine Rolle für sein Werk oder den analysierten Inhalt spielt. Eine systematische biografische Darstellung des Lyrikers ist nicht vorgesehen, da die Arbeit sich ausschließlich auf literaturtheoretische und –geschichtliche Fragen konzentriert. Eine besondere Aufmerksamkeit wird nicht nur der inhaltlichen Analyse, sondern auch der sprachlichen gewidmet. Die symbolistische Lyrik geht ihren eigenen Weg mit der „Sprachmagie“, die einen wesentlichen Bestandteil des schöpferischen Arsenals jedes Symbolisten darstellt. Noch mehr gilt das für Rilke als „Versschmied“, weil er einen eigenen stilistischen Weg als Lyriker und sogar als Symbolist geht.

2. Literarische Moderne

Die literarische Moderne lässt sich zwischen 1870 und 1920 in Europa einordnen: Der Naturalismus als der Vorbote, die literarischen Bewegungen um 1900 (darunter auch der Symbolismus) und der Expressionismus als die Endphase[1].

Der Ausgang des 19. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch vielfältige Erscheinungen in der Gesellschaft und in der Kunst. Die literarischen Bewegungen dieser Zeit können keinesfalls einheitlich betrachtet oder eindeutig zugeordnet werden, zumal sie in den verschiedenen europäischen Ländern verschiedene Zeiträume umfassen. Doch kann man in dem Hin und Her der literarischen Strömungen bestimmte Linien rekonstruieren: Ein Nebeneinander, Miteinander, Gegeneinander verschiedener Tendenzen und Doktrinen, eine stilistische Vielfalt, gemeinsame Motive und Themen charakterisieren das Leben der Epoche.

Die Eproche, in der Rilke als Dichter im deutschsprachigen Raum tätig war, hat als Sammelbezeichnung „Literarische Moderne“. Es handelt sich um eine Generation junger Dichter, die neue Stoffe und Stile fanden, indem sie die traditionellen Dichtungsformen und die bürgerliche Ästhetik radikal und kategorisch ablehnten. Provokation und Experiment charakterisieren die neuen Ausdrucksmöglichkeiten und das Dichtungsverständnis. Diese literarischen Umwälzungen der europäischen Literatur der Jahrhundertwende entwickeln sich in zahlreiche Strömungen, Richtungen und Stile: Expressionismus (in Deutschland), Futurismus (in Italien und in Russland), Dadaismus (in der Schweiz, in Deutschland und in Frankreich), Kubismus, Surrealismus (in Frankreich), Poetismus (in Tschechien). Oft wird der Naturalismus als die erste Phase, der Impressionismus und Symbolismus als zweite Phase der literarischen Moderne eingeordnet. Innerhalb einer Gruppierung sind auch verschiedene Richtungen oder Gegenströmungen zu registrieren: z.B. der Zürcher Dadaismus war gegen den Berliner Dadaismus. Nur eines ist klar definierbar: Die Zeit des Realismus war bereits vergangen, obwohl sich die Klassiker des Realismus (Wilhelm Busch, Theodor Fontane, Wilhelm Raabe) in der Epoche der Jahrhundertwende im literarischen Leben noch einmischten. Aber als herrschende künstlerische Richtung, die die menschlichen Bedingungen analytisch, konkret und kritisch beschreibt, ist der Realismus bereits Vergangenheit.

2.1. Die wichtigsten literarischen Stilrichtungen um die Jahrhundertwende

Aus dem Realismus geht eine neue Stiltendenz hervor, die versucht, die Wirklichkeit genau, aber ungeschönt wiederzugeben. Der literarische Naturalismus (1870-1900) in Europa fußt auf den im 19. Jahrhundert neu gewonnenen Kenntnissen der Naturwissenschaft, insbesondere der Psychologie und der Evolutionstheorie: August Comte, Hippolyte Taine, Charles Darwin[2]. Die Quellen dieser Literaturtradition sind bereits in der Antike (z.B. bei Homers „Odyssee“) oder im Mittelalter (bei Boccaccio mit seiner Pestschilderung im „Decamerone“) zu finden. Emile Zola gibt der Literaturdichtung ihre Gestalt und den Abriss, er ist der Programmatiker und das unbestrittene Haupt des europäischen Naturalismus[3] – der erste Band von Zolas naturalistischem Romanzyklus Les Rougon-Macquart erschien 1871. „Der deutsche Naturalismus unterscheidet sich vom europäischen zunächst dadurch, daß er spät anfing und nur wenige Jahre dauerte. Die Werke des sog. „konsequenten“ Naturalismus von Arno Holz, Johannes Schlaf und Gerhart Hauptmann gehören fast alle in die Zeit zwischen 1889 und 1893“[4].

Als Document humain soll die Literatur nach den Brüdern Goncourt betrachtet werden, als Resultat einer exakten wissenschaftlichen Erforschung und authentischen Dokumentation des Stoffes. Die Subjektivierung oder Stilisierung der Wirklichkeit sind ausgeschlossen. Elend, Armut, Krankheit, Laster sind die Themen, auf die sich die Autoren konzentrieren, der Ausgestoßene, das Kleinbürgertum und das Proletariat sind die häufigsten Literaturfiguren. Das Hässliche, das Böse und das Niederträchtige im Leben werden betont.

Der Expressionismus zeichnet sich vorwiegend durch die Einstellung gegen den Naturalismus aus. Die Betonung alles Gefühlhaften, Affektvollen und Pathetischen mit Umbruch, Aufbruch und neuem Erleben ist das zentrale Anliegen dieser literarischen Bewegung. Die Literatur wird zum „Schrei“ des Protestes gegen alles das, was außerhalb der künstlerischen Arbeit geschieht. Die Themen und Inhalte – Großstadt, Krieg, Verbrechen, Wahnsinn, Gewalt – schreien die Pathologie der Gesellschaft heraus und provozieren mit Tabubrüchen und einer Suche nach dem „neuen“ Menschen. Ein „Gesamtphänomen“ ist der Synkretismus von Literatur und Kunst, besonders zwischen Malerei, Tanz und Kino. In verschiedener Art und Weise sind die Tendenzen vertreten, es können keine Autoren als „reine“ Expressionisten „etikettiert“ werden wegen der Verschiedenheit ihrer Auffassungen und literarischen Darstellungen (Dieser Abschnitt lehnt sich an Beutin, S. 367-386 an).

Die Bezeichnung Impressionismus bezieht sich nicht auf einen literarischen Epochenbegriff, sondern eher auf eine stilistische Technik, in der das Detail als das Ganze auftritt. In dieser Besonderheit – Details aufzunehmen – ist der Impressionismus dem Naturalismus nahe, aber im Wesentlichen stellt er die Abkehr davon und die Abwendung vom Sozialen dar. Der Begriff ist dem französischen Wort „impression“ abgeleitet (was etwa Eindruck auf Deutsch bedeutet) und dem gleichnamigen Bild von Claude Monet[5]. Als Namensgeber dieser künstlerischen Richtung gelten die französischen Maler, die zwischen 1860-1870 eine ganz neue Empfindsamkeit präsentieren: In Farbschattierungen und Lichtreflexen verschmilzt die reale Struktur der Dinge. Stimmung, persönliche Empfindung, der momentane Eindruck beschäftigen die Impressionisten in der Malerei[6]. Ähnlich sind die Auffassungen bei den literarischen Impressionisten (1890-1910): Man lehnt die Wirklichkeit mit ihren hässlichen und bösen Seiten ab und zieht sich in die Welt des Subjektivismus zurück. Die impressionistische Darstellung ist durch Eindrücke, Reize und Empfindungen charakterisiert, die sinnlich-subjektiv, einmalig-flüchtig und unverwechselbar sind. Sie werden nicht begrifflich analysiert, sondern entmaterialisiert, indem die Wirklichkeit keine komplexe Einheit darstellt. Heiterkeit, Unbeschwertheit, farbig-sinnliche Atmosphäre bestimmen inhaltlich die impressionistische Literatur, geprägt durch die Aneinanderreihen von Bildern. Die sehr hohe Suggestivkraft beruht auf der Erzähltechnik des inneren Monologs. Zu einer solchen Charakteristik passen vorwiegend Dichtungstypen im Bereich der Lyrik - kurze und konzentrierte Gedichte, was der Fall in der deutsprachigen Literatur ist. Als Impressionisten werden daher Liliencron, Dehmel und der frühe Hofmannsthal betrachtet. Auch der frühe Rilke weist impressionistische Tendenzen auf.

Die Kunst der Jahrhundertwende wird auch mit dem Begriff Jugendstil benannt. Die Münchener Zeitschrift „Jugend“ war namensgebend für die Stilrichtung, die besonders in der Malerei und Innenarchitektur ausgeprägt war. Sie ist durch verfeinerte Eleganz und dekorativen Reiz gekennzeichnet[7]. Charakteristisch sind Pflanzen- und Blumenornamente, Schlangenlinien, alles Fließende, bewegte Wasser, stilisierte Menschengestalten, geisterhafte und fröhliche Themen und Motive, es herrscht eine raffinierte Traumvorstellung von zarter Sensualität (vgl. Sorensen, S. 126-127). Die Wurzeln gehen auf die antike Anakreontik zurück mit ihrer Lebenslust. Besonders in München und in Wien sind die wichtigsten Objekte des neuen Baustils zu finden. Die Wiener literarische Moderne entwickelt eine neue Kultur der Kaffeehausliteratur: Das Cafe wird zum Treffpunkt der Dichter, wo man schreiben, kommentieren oder diskutieren kann[8]. Schwieriger ist es den Jugendstil in der Literatur als in der Kunst oder in der Architektur zu bestimmen und nachzuweisen und den Jugendstil als eine selbstständige literarische Strömung einzugrenzen[9]. Ähnliche Probleme der Definition und der Einordnung bereitet auch der Begriff "Décadence", der aus dem Französischen stammt und "Verfall" bedeutet. Nietzsche führte den Begriff in Deutschland ein. Die Dekadenzdichtung betont das Subjektiv-Individualistische und die Freiheit von Moral- und Wertvorstellungen, die zu Erschöpfung, Auflosung und Verfall führen. In den 1880er Jahren setzte sie sich in Frankreich als Reaktion auf den Naturalismus durch. Das Weltbild der Décadence ist durch Sensibilität, Pessimismus, Überreiz und Nervosität geprägt. Es ist äußerst schwierig, die wichtigsten Vertreter zu nennen, da sich die Dekadenzliteratur schwer von den anderen Strömungen als eine selbstständige Richtung isolieren lässt (besonders vom Impressionismus und vom Symbolismus) und die Themen oder die Motive sich oft überschneiden. Trotzdem ist es möglich, Autoren zu nennen, deren Werke solche Charakterzüge aufweisen: in England Lord Byron, Wilde, in Deutschland und Osterreich der frühe Hofmannsthal, teilweise George, Schnitzler, in Frankreich Baudelaire.

Das bunte Erscheinungsbild der literarischen Moderne zeigt sich auch durch andere, nicht so stark vertretene Strömungen wie z.B. die Neuromantik (seit 1890) mit Magischem, Wunderbarem an Geschichte, Märchen und Mythos, Metaphysik und Exotik -generell mit Bezug auf die Vergangenheit. Die so genannte Heimatkunst mit Dorfgeschichten und Bauerromanen war eine literarische Reaktion auf das Leben in der großen Stadt.

3. Der Symbolismus

In dem „Ismen“-Pluralismus der literarischen Moderne der Jahrhundertwende ist besonders der Symbolismus hervorzuheben. Diese Strömung wird als letzte große europäische Stilepoche betrachtet und hat eine wesentliche Wirkung auf die Gegenwartsliteratur. Historisch lässt sie sich in Europa von etwa 1880 bis ungefähr 1920 einordnen[10]. Der Symbolismus entstand in Frankreich teilweise als Reaktionen auf klassizistische und realistische Strömungen: „Au total, le symbolisme a libéré les esprits de la tyrannie du positivisme sous sa double forme parnassienne et naturaliste;...“[11]. Das gemeinsame Merkmal mit den anderen Stilrichtungen der Jahrhundertwende besteht darin, dass sie alle als Gegenströmungen zum Naturalismus auftreten. Der Symbolismus ist aber am weitesten vom Naturalismus entfernt. Der Begriff wird doppelsinnig in der Literaturwissenschaft gebraucht: Einerseits ist so eine historische begrenzte Epoche der europäischen Literatur im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert benannt, und andererseits bezeichnet der Begriff eine Summe von dichterisch-lyrischen Techniken und Methoden, die ihre Wirkung auch im 20. Jahrhundert fortsetzt. Vertreter dieser Richtung stellen in keinem europäischen Land eine einheitliche Gruppe dar, da die Art und der Grad der Einwirkung unterschiedlich ist. Sie sind von Spanien bis Russland zu finden: In Belgien Maeterlinck, in Italien d’Anunzio, Ungaretti, in Russland Brjussov, Balmont, Blok, Belyi, in Spanien Garcia Lorka, Alberti.

[...]


[1] vgl. Beutin, S. 342-386

[2] vgl. Sorensen, S. 100-101

[3] Erinnern wir uns an seinen Roman „Thérèse Raquin“ und an das Krankheitsbild, das mit solch gründlicher Genauigkeit beschrieben wird: Abstoßende Pusteln, Pickel, Hautblütchen, Narben infolge einer Windpocken-Erkrankung, die das Gesicht der schönen Thérèse verstümmeln. Diese Beschreibung weist für mich die wesentlichen Charakterzüge der Literaturrichtung auf und stellt die Essenz und die Kulmination des literarischen Naturalismus dar.

[4] Sorensen, S. 103

[5] vgl. Drosdovski, S. 756

[6] vgl. Karthaus, S. 10-11

[7] vgl. Drosdovski, S. 792

[8] vgl. Beutin, S. 359

[9] vgl. Beutin, S. 355

[10] vgl. Sorensen, S. 124-125

[11] Lanson, S. 1131

Excerpt out of 24 pages

Details

Title
Rilke und der Symbolismus
College
University of Frankfurt (Main)  (Institut für Deutsche Sprache und Literatur I)
Course
Lyrik Lesen
Grade
1,0
Author
Year
2003
Pages
24
Catalog Number
V80181
ISBN (eBook)
9783638865500
ISBN (Book)
9783638865586
File size
466 KB
Language
German
Keywords
Rilke, Symbolismus, Lyrik, Lesen
Quote paper
Radmila Kirilova Freund (Author), 2003, Rilke und der Symbolismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80181

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