Am 16. Dezember 2003 wurde vom Deutschen Bundestag und am 9. Juli 2004 vom Bundesrat mit den Stimmen aller großen Parteien, einschließlich denen der Opposition, das „vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ verabschiedet.
Die als Hartz-Reformen bezeichneten Maßnahmen werden in der aktuellen Diskussion als der umfassendste Umbau des deutschen Sozialsystems aller Zeiten bezeichnet. Immer wieder war die Rede vom „sozialen Kahlschlag“, insbesondere „Hartz IV“ sei „Armut per Gesetz“.
Zentrales Anliegen des Gesetzes ist die Stärkung der Eigenverantwortung eines jeden Erwerbsfähigen. Durch das in Politik und Öffentlichkeit geprägte Begriffspaar "Fördern und Fordern" scheinen längst vergessen geglaubte repressive Elemente in die deutsche Sozialpolitik zurückgekehrt zu sein.
Herzstück der Reform ist die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im Rahmen der Umsetzung von „Hartz IV“ ab dem 01.01.2005. Inhalt, Beweggründe und Ziele der Reform, sowie Erfolge und Probleme im Rahmen der Umsetzung sollen in dieser Arbeit behandelt werden.
Es bleibt abzuwarten, ob die ehrgeizigen Ziele der Hartz-Reformen tatsächlich durch die verabschiedeten Gesetzesänderungen erreicht werden können. Gesamtwirtschaftliche Effizienz und soziale Gerechtigkeit – scheinbar unversöhnlich stehen sich diese beiden Ziele gegenüber.
Gliederung
1. Einleitung
2. Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bis zum 31.12.
a) Arbeitslosengeld
b) Sozialhilfe
c) Arbeitslosenhilfe
3. Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II seit dem 01.01.
a) ALG I
b) ALG II
c) Sozialgeld
4. Gründe und Ziele der Reform
a) Verbesserung von Betreuung und Vermittlung
b) Beseitigung von Doppelstrukturen
c) Etatentlastung
5. Umsetzungserfolge und Umsetzungsprobleme
a) Umsetzungserfolge
b) Kostenexplosion
c) Verschiebebahnhöfe
d) Doppelstrukturen
6. Gerechtigkeitsaspekte
a) Zwischen sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit
b) „Zwingen und Kürzen“ statt „Fördern und Fordern“
7. Fazit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Am 16. Dezember 2003 wurde vom Deutschen Bundestag und am 9. Juli 2004 vom Bundesrat mit den Stimmen aller großen Parteien, einschließlich denen der Opposition, das „vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ verabschiedet.
Die als Hartz-Reformen bezeichneten Maßnahmen werden in der aktuellen Diskussion als der umfassendste Umbau des deutschen Sozialsystems aller Zeiten bezeichnet. Immer wieder war die Rede vom „sozialen Kahlschlag“, insbesondere „Hartz IV“ sei „Armut per Gesetz“.
In Preußen wurde Fürsorge lediglich aus Gründen der öffentlichen Ordnung, nicht um der Armen selbst willen unternommen. Der „Arme“ war nicht Subjekt behördlicher Verpflichtung, sondern lediglich Objekt behördlichen Handelns.[1] Noch 1961 war im BSHG geregelt, dass „Willensschwache Personen anzuweisen (sind), sich in einer geeigneten Anstalt aufzuhalten, um sie an regelmäßige Arbeit zu gewöhnen“. Das Arbeitshaus wurde erst 1974 am Ende der Ära Brandt abgeschafft.
Auf den ersten Blick scheinen gerade die repressiven Elemente in das deutsche Sozialrecht zurückgekehrt zu sein. Das SGB II legt in § 2 unmissverständlich fest, dass die „zentrale Forderung (...) die Eigenverantwortung des Erwerbsfähigen (ist), der alle Möglichkeiten nutzen und vorrangig seine Arbeitskraft einsetzen muss, um seinen (...) Lebensunterhalt zu bestreiten“. Herzstück der Reform ist die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im Rahmen der Umsetzung von „Hartz IV“ ab dem 01.01.2005. Inhalt, Beweggründe und Ziele der Reform, sowie Erfolge und Probleme im Rahmen der Umsetzung sollen in dieser Arbeit behandelt werden. Gesamtwirtschaftliche Effizienz und soziale Gerechtigkeit – scheinbar unversöhnlich stehen sich diese beiden Ziele gegenüber.
2. Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bis zum 31.12.
a) Arbeitslosengeld
Das Arbeitslosengeld ist eine echte Sozialversicherungsleistung, die vollständig über die Sozialabgaben von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert wird. Eine Anwartschaft wird erworben, wenn der Bezieher in einem Zeitraum von drei Jahren vor der Arbeitslosigkeit mindestens zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt war. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes beträgt zwölf, in Ausnahmefällen achtzehn Monate. Die Höhe des Arbeitslosengeldes ist abhängig von dem ehemaligen Einkommen des Betroffenen. Gezahlt werden an Bezieher mit Kindern 67 % des letzten Einkommens, an Kinderlose 60 %. Das Arbeitslosengeld wird als echte Versicherungsleistung unabhängig von den finanziellen Verhältnissen des Betroffenen gezahlt. Insbesondere eine Vermögensanrechnung findet nicht statt. Träger des Arbeitslosengeldes ist die Bundesagentur für Arbeit.[2]
b) Sozialhilfe
Die Sozialhilfe ist eine reine Fürsorgemaßnahme, die dem Prinzip der Unterhaltssicherung entspringt. Sie wird aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Sozialhilfe wird nach dem Prinzip der Bedarfsdeckung gezahlt. Von ihr wird dementsprechend nur das umfasst, was zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes, sprich für ein Leben in menschenwürdigen Verhältnissen, erforderlich ist (Existenzminimum). Sozialhilfe wird sowohl durch finanzielle als auch durch Sachleistungen gewährt.
Die Sozialhilfe richtet sich streng nach der Bedürftigkeit des Antragstellers, praktisch jedes anderweitige Vermögen sowie andere staatliche Leistungen wie Kinder- oder Wohngeld sind auf den Sozialhilfeanspruch anzurechnen, ebenso werden Einkommen und Vermögen eines etwaigen Partners des Beziehers angerechnet. Die Sozialhilfe wird nur subsidiär gezahlt, sie ist demnach lediglich als Auffangnetz für die Gewährung menschenwürdiger Lebensumstände anzusehen. Eine Einstandspflicht von Angehörigen ist vorgeschrieben.
Die Sozialhilfe wird ohne Gegen- oder Versicherungsleistung zeitlich unbegrenzt gezahlt. Träger der Sozialhilfe sind die Kommunen.[3]
c) Arbeitslosenhilfe
Die Arbeitslosenhilfe steht im Spannungsfeld zwischen Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Sie wird seit 1981 allein durch Steuermittel des Bundes finanziert.
Die Arbeitslosenhilfe folgt dem Prinzip des Verdienstersatzes und knüpft an den Bezug von Arbeitslosengeld an. Die Höhe der Arbeitslosenhilfe ist nicht bedarfsorientiert, sondern verdienstbezogen und beträgt zwischen 53 % und 57 % des letzten Einkommens. Die Arbeitslosenhilfe wird zeitlich unbegrenzt gezahlt. Es wird jedoch jährlich eine Abschmelzung der Leistung um 3 % vorgenommen. Sinkt die Arbeitslosenhilfe im Zuge dieser Abschmelzung unter Sozialhilfeniveau, wird von den Kommunen so genannte aufstockende Sozialhilfe bis zum Existenzminimum gewährt.
Zwar ist auch für die Zahlung von Arbeitslosenhilfe der Nachweis der Bedürftigkeit erforderlich, es findet jedoch eine weitaus restriktivere Vermögensanrechnung statt. Die Einstandspflicht beschränkt sich auf unterhaltspflichtige Verwandte ersten Grades.[4]
3. Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II seit dem 01.01.
a) ALG I
Das Arbeitslosengeld I entspricht im wesentlichen dem Arbeitslosengeld vor der Reform. Es ist eine Sozialversicherung und wird über die Beiträge finanziert. Die Bezugsdauer beträgt in der Regel zwölf Monate und umfasst grundsätzlich 60% des letzten Gehalts. Eine Bedürftigkeitsprüfung findet nicht statt.
b) ALG II
Im Arbeitslosengeld II sind die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe aufgegangen. Das ALG II ist keine Versicherungs-, sondern eine Sozialleistung und richtet sich, anders als die Arbeitslosenhilfe, nicht nach dem letzten Nettolohn, sondern an der genau definierten Bedürftigkeit des Empfängers aus. Es fungiert als „Grundsicherung für Arbeitssuchende“. Das Leistungsniveau orientiert sich an der Höhe der Sozialhilfe, um die „Mindestvoraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein“[5] zu garantieren. Gegenüber der Arbeitslosenhilfe führt die Beschränkung auf das ALG II regelmäßig zu einer Absenkung des Leistungsniveaus.[6] Die Höhe des Regelsatzes beträgt zur Zeit für Alleinstehende 345 € (West) bzw. 331 € (Ost). Zusätzlich werden angemessene Wohn- und Heizkosten erstattet.
Um die Wirkungen der Zusammenlegung für Empfänger von Arbeitslosenhilfe zum 01.01.2005 abzufedern, werden Übergangszuschüsse zwischen 80 und 160 € zusätzlich an den Hilfeempfänger gezahlt.[7]
Einen Anspruch auf Zahlung des ALG II hat jeder erwerbsfähige Arbeitslose. Erwerbsfähig ist gem. § 8 SGB II jede Person, die täglich mindestens drei Stunden Arbeit zu leisten in der Lage ist. Verschärft wurde die Pflicht zur Übernahme zumutbarer Arbeit. Insbesondere wird ein Berufs- bzw. Qualifikationsschutz nicht mehr gewährt.
Zudem wurden die Zuverdienstmöglichkeiten zum ALG II im SGB II neu geregelt. Danach sind nunmehr zwischen 15 und 30 % des Bruttoeinkommens anrechnungsfrei.[8]
Träger der Grundsicherung sind in der Mehrzahl der Fälle die BA und kommunale Träger, die in Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) kooperieren. Diese Form der Zusammenarbeit kann beispielsweise als Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet werden. Gesellschafter sind in diesem Fall die jeweilige Agentur für Arbeit und die betreffende Kommune.
Der Bund trägt hierbei die Kosten der Grundsicherung, sowie die Verwaltungs- und Personalkosten zur Erbringung der Leistung. Die Zuständigkeit der Kommunen erstreckt sich auf die Kosten der Unterkunft, sowie der Schuldner-, Sucht- und psychosozialen Beratung.
Die Umsetzung des SGB II kann auch durch die sog. optierenden Kommunen organisiert werden. Dabei übernehmen die Kreise oder kreisfreien Städte die volle Verantwortung für den betreffenden Personenkreis. 69 kommunale Träger haben entsprechend den gesetzlichen Vorgaben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und treten insoweit an die Stelle der für ihr Gebiet jeweils zuständigen Agentur für Arbeit.
Im Falle der ebenso möglichen geteilten Trägerschaft übernimmt die Agentur für Arbeit die Betreuung der Betroffenen. Die Kommune übernimmt die Kosten der Unterkunft und weitere Leistungen zur sozialen Eingliederung. Diese Organisationsform ist wegen ihrer mangelnden Praktikabilität sowie ihrer Struktur der doppelten Zuständigkeiten relativ selten zu finden.[9]
c) Sozialgeld
Das Sozialgeld stellt das Äquivalent für die Sozialhilfe dar. Es wird für erwerbsunfähige Familienangehörige von ALG II – Empfängern, die mit diesen in Bedarfsgemeinschaften leben oder an sonstige erwerbsunfähige Bedürftige gezahlt. Seine Bedeutung ist wesentlich geringer als die der Sozialhilfe. Die Höhe des Sozialgeldes richtet sich nach den Bedarfssätzen des ALG II.[10]
[...]
[1] BVerwGE 1, 159, 160
[2] DVBl 2002, 7, (8)
[3] DVBl 2002, 7, (8)
[4] DVBl 2002, 7
[5] BVerfGE 40, 121, 133
[6] DÖV 2004, 1017, (1021)
[7] Berthold/Berchem S. 29 http://www.wifak.uni-wuerzburg.de/wilan/wifak/vwl/vwl4/publik/dp72.pdf
[8] Winkel, Soziale Sicherheit 2004, 218
[9] IAB Forschungsbericht 10/2005 http://doku.iab.de/forschungsbericht/2005/fb1005.pdf
[10] Berthold/Berchem S. 27 http://www.wifak.uni-wuerzburg.de/wilan/wifak/vwl/vwl4/publik/dp72.pdf
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