Als Epoche bezeichnet die Romantik etwa die Zeit zwischen 1790 und 1830. Zugleich lässt sich heute vieles als ,romantisch' bezeichnen, vom Kerzenschein über politische Gruppierungen bis zum Blümchenkleid. Doch ist dieser in seinem Facettenreichtum schwierige Begriff auch zu verwenden angesichts einer Dichterbiographie, die erst im Fin de Siècle des 19. Jahrhunderts beginnt und noch über die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinausreicht, eines Werkes, das dem Geiste der - die positive Romantik vorwiegend negierenden - Dekadenz entspringt und zum größten Teil im politischen 20. Jh. entstand? Ziel dieser Arbeit ist es, die tiefe romantische Prägung darzustellen, die dem Werk Thomas Manns wesentlich ist. Es soll herausgearbeitet werden, wie entschieden dieses Werk die romantische Tradition des 19. Jhs. aufnimmt und bewahrt, lange nachdem dieses ausgeklungen ist; wie es schließlich weit ins 20. Jh. wirkt, indem die romantische Dekadenz zugunsten des "Zuges ins Weltweite" überwunden wird. Dabei stehen die subtilen Wechselwirkungen von Regression und Überwindung, die von der Romantizität des Schaffens TMs ausgehen, im Vordergrund. Wie Goethe ist TM nicht einer Epoche, einem Zeitstil allein zuzuordnen, weder historisch-biographisch, noch geistig-künstlerisch. So umfasst sein Werk auch jene ,Goethe'sche Ganzheit', die (vermeintlich) Gegensätzliches in sich vereint. Dieser Eigenschaft des "Nichtmodischseins" entspricht TMs künstlerische Größe, die sich dem 19. Jh. verpflichtet und verwandt fühlt, jenem romantischen Jh., "mit dem sich in mir (TM) ein ausgesprochener Sinn für Größe verband." Die Kunst bedeutet ihm "Aufforderung zu höchster Wachheit und Lockung zu süßem Zauberschlaf zugleich", zur "göttlich-dämonischen Ganzheit der Welt, des Lebens, des Menschen, der Kultur." Die Arbeit fokussiert folgende Stationen: Nach einigen Beobachtungen zum Nachwirken des Werkes Novalis' bei TM steht die Phase der frühen Erzählungen im Mittelpunkt und damit u.a. der Einfluss Schopenhauers und Wagners. Ausführlich kommen darauf "Tonio Kröger" und "Der Tod in Venedig" als Abschluss des Frühwerks zur Sprache. Von den "Betrachtungen eines Unpolitischen" aus geht es dann zum "Zauberberg" (Übergang vom Ästhetizismus zum Humanitätsbegriff). Mit Blick auf das Spätwerk steht die 'imitatio Goethes' im Mittelpunkt. Die romantische Fundierung des Gesamtwerks soll zuletzt durch verschiedene Äußerungen TMs, besonders durch den Schopenhauer-Essay, zusammenfassend belegt werden.
Inhaltsverzeichnis
- Thema und Zielbestimmung
- I. Einst in Vergangenheit und Zukunft – zur Typologie des Romantischen als Wesen und Seelenlage
- II. Das weltromantische 19. Jahrhundert – von Innerlichkeit, Lebensstolz und der Verwandtschaft mit dem Tode
- 2.1 „Jeder Dichter aber, der etwas von der Seele des Ofterdingen in sich hat, sei uns von Herzen willkommen“
- 2.2 „Erstarrung; Öde; Eis; und Geist! Und Kunst!“
- 2.3 Zur Demontage visionärer Fruchtbarkeit – die Welt als Wille und der Tod
- III. „Das Spiel kommt zu Würden“ – zur schöpferischen Jugendphase Thomas Manns
- 3.1 Unterweltliche Erotik: „Die Hunde im Souterrain“
- 3.2 „Mein Freund Schopenhauer“ – die geistige Rechtfertigung der frühen Jahre
- IV. „Seine Begierde ward sehend“ – zu Reflexionen und Kunsttheorie nach 1900
- 4.1 Von Buddenbrooks zu Tonio Kröger - Todesrausch und Erkenntnis
- 4.2 Der Tod in Venedig – „Meisterhaltung“ am Ende des Frühwerks
- 4.3 ...und begierig ward das Sehen: gis – a – ais – h und Betrachtungen
- V. „Operationes spirituales“ auf dem Zauberberg
- 5.1 Von Bleistiften und feuchten Stellen im Schattenreich...
- 5.2 ...und: „die Augen auf!“
- VI. Weltfähigkeit, imitatio Goethes und süßer Schlummer
- 6.1 „Die Republik... wie gefällt euch das Wort in meinem Munde?“
- 6.2 Vater Goethe und die „Lebensbürgerlichkeit“
- 6.3 „Könnte man nicht sagen, daß wir nur wachen, um zu schlafen ?’“
- VII. Anstelle eines Ausblicks: „Der Untergang der romantischen Sonne“
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die tiefe romantische Prägung, die das Werk Thomas Manns charakterisiert. Sie zeigt auf, wie Manns Werk die romantische Tradition des 19. Jahrhunderts aufnimmt und bewahrt, lange nachdem diese ausklingt. Zudem beleuchtet die Arbeit, wie die tief romantische Dekadenz im Werk Manns zugunsten des „Zuges ins Große und Weltweite“ überwunden wird.
- Die romantische Tradition im Werk Thomas Manns
- Die Rolle der Dekadenz in Manns Schaffen
- Die Überwindung des Romantischen im Sinne des „Zuges ins Große und Weltweite“
- Die Verbindung von Ästhetizismus und Humanität im Werk Manns
- Die Bedeutung von Schopenhauer, Wagner und Goethe für Manns künstlerische Entwicklung
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel befasst sich mit der Problematik des Begriffs „Romantisch“ und versucht, ihn im Kontext der Moderne zu definieren. Im zweiten Kapitel werden die Verbindungen zwischen Romantik und Dekadenz sowie das Nachwirken des Werks Novalis bei Thomas Mann analysiert. Das dritte Kapitel untersucht die schöpferische Jugendphase Thomas Manns und beleuchtet die bedeutenden Einflüsse von Schopenhauer und Wagner. Das vierte Kapitel analysiert wichtige Erzählungen Thomas Manns wie Tonio Kröger und Der Tod in Venedig und erforscht die Entwicklung seiner Kunsttheorie.
Schlüsselwörter
Romantik, Dekadenz, Thomas Mann, Schopenhauer, Wagner, Goethe, Ästhetizismus, Humanität, Homoerotik, Tod, Leben, Kunst, Künstler, Republik, “Zug ins Große und Weltweite”, “Lebensbürgerlichkeit”, “Operationes spirituales”, “die Augen auf!”, “Der Untergang der romantischen Sonne”
- Arbeit zitieren
- Sonja Schiffers (Autor:in), 2005, "Die Sphäre rollt." Zum Romantischen im Werk Thomas Manns , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/80699