Leseprobe
1.Einleitung
„Islam und Menschenrechte – das passt doch gar nicht zusammen“. Ein Satz, den ich erst vor kurzer Zeit gehört habe und über den ich erst einmal nachdenken musste. Der Islam steht seit dem 11. September 2001 unter dem Generalverdacht, fundamentalistisch und menschenverachtend zu sein. Ebenso werden heutzutage islamische Länder verdächtigt, die Menschenrechte generell zu missachten. Muslimische Fundamentalisten relativieren solche Vorwürfe mit dem Argument, auch in den westlichen Demokratien würden die Menschenrechte allenfalls teilweise durchgesetzt, und außerdem gehörten die meisten islamischen Länder einem anderen Kulturkreis mit einer eigenen Geschichte und Tradition an.
Passen Islam und Menschenrechte tatsächlich nicht zusammen ?
Das Ziel dieser Arbeit ist es, zu ergründen, inwiefern sich Islam und Menschenrechte gegenseitig ausschließen. Zunächst möchte ich dazu die Entstehung und den kulturellen Kontext der Menschenrechte skizzieren. Anschließend wende ich mich dem Islam und seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu, um schließlich die möglichen Konfliktfelder unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnissen zu analysieren.
Der Ansatz der vorliegenden Arbeit ist rein theoretischer Natur, und zwar aus zwei Gründen. Zunächst einmal ist es unmöglich, im vorgegebenen Rahmen eine Fallstudie eines oder auch mehrerer islamischer Staaten zu erstellen; Weiterhin können Verletzungen der Menschenrechte in islamischen Ländern eben auch nichtislamische Gründe haben. Gerade aber diese Fälle, ebenso wie diejenigen Staaten, in denen Menschenrechte aus islamischen wie auch nichtislamischen Motiven verletzt werden, würden das zentrale Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit, nämlich die Vereinbarkeit von Islam und Menschenrechten, unzulässig verfälschen.
2. „Der“ Islam
An dieser Stelle möchte ich nun den Islam knapp beschreiben, auch wenn das nur unter Inkaufnahme einiger Verkürzungen und Oberflächlichkeiten geschehen kann. Wie die Anführungszeichen in der Überschrift schon vermuten lassen, ist der Islam kein einheitliches Konzept, sondern gliedert sich in eine Vielzahl von Strömungen, Schulen und Auslegungen. Ich versuche im folgenden, auf der Basis der minimalen Übereinstimmungen zu argumentieren.
2.1 historischer Überblick
Gegründet wurde der Islam von Mohammed (570-632 n.Chr.) und entwickelte sich schnell zu einer der führenden Religionen der Welt. In kurzer Zeit gelang es Mohammed und seinen Nachkommen, den Nahen Osten, Nordafrika und Teile Spaniens zu erobern. Die Einwohner, wenn sie denn keine Christen oder Juden waren, mussten den islamischen Glauben annehmen – oder sterben.[1]
Allerdings hat sich in der Praxis herausgestellt, dass pragmatische Erwägungen die Alternative „Islam“ oder „Schwert“ in der Regel abgemildert haben.[2]
Regiert wurde dieses Reich durch den Kalifen, den weltlichen und geistlichen Führer der islamischen Welt. Diese Einheit bekam aber schon mit dem Tode Mohammeds erste Risse, als sich die „Partei Ali“ abspaltete und Grundlage des heutigen Schiismus wurde. In der Folgezeit zerbrach der Vielvölkerstaat, die geistliche Führung wurde und wird bis heute von den Ulema (=Schriftgelehrten) wahrgenommen. Im Gegensatz zum Christentum bildete sich innerhalb des Islam keine eigentliche religiöse Institution heraus, weshalb der Islam als „Religion ohne Kirche“[3] gilt.
Vorherrschendes Ideal in der islamischen Gesellschaftskonzeption ist bis zum heutigen Tage die Einheit der Umma, der Gemeinschaft aller Muslime.[4]
2.2 Merkmale des Islam
Trotz seines Bezuges zu den Buchreligionen ist der Islam keineswegs nur als Religion zu sehen. Vielmehr handelt es sich gleichermaßen um ein gesellschaftliches und politisches Konzept, welches der Errichtung einer idealen Gesellschaft dienen sollte. Die geistigen Grundlagen des Islam ist der Koran als das durch den Propheten Mohammed verkündete göttliche Wort, die Sunna, das überlieferte Leben und Wirken des Propheten, die Hadithe, Anekdoten der Taten und Aussprüche Mohammeds, sowie die Sharia, eine Sammlung von ethischen Regeln, die in den ersten 2-3 Jahrhunderten des Islams entstand.[5]
Typisch für den Islam als politisches Konzept sind die folgenden drei Prinzipien: die Einheit Gottes, des Propheten und des Kalifates. Ersteres verneint die Souveränität des Menschen, d.h. kein Individuum kann Gesetze erlassen, die Gottes Regeln widersprechen. Der Prophet Mohammed ist das Medium, über welches sich Gott den Menschen offenbart hat und Mohammed liefert die Interpretation des Willens Gottes durch den Koran und seinen Lebenswandel. Das Kalifat schließlich ist die staatliche Verkörperung des göttlichen Willens, eine Gesellschaft die vollständig nach den Gesetzen des Islams aufgebaut ist und nach diesen Regeln funktioniert.[6]
Aus heutiger Sicht ist dieses Staatskonzept als Theokratie zu erklären.[7] Bernard Lewis argumentiert:
[...]
[1] Vgl. Mayer, Ann E.: Islam and human rights: tradition and politics, Boulder 1991, S.148
[2] Vgl. Petersohn, Alexandra: Islamisches Menschenrechtsverständnis unter Berücksichtigung der Vorbehalte muslimischer Staaten zu den UN-Menschenrechtsverträgen, Bonn 1999, S.123.
[3] Vgl. ebd., S.17.
[4] Vgl. Hinkmann, Jens: Philosophische Argumente für und wider die Menschenrechte, Marburg 1996, S.84.
[5] Vgl. Ruthven, Malise: Der Islam. Eine kurze Einführung, Oxford/New York 21997, S.9ff.
[6] Vgl. Tergel, Alf: Human Rights in Cultural and Religious Traditions, Uppsala 1998, S.90ff.
[7] Vgl. ebd., S.93.