"Identity Politics" und Islam - die Umma als translokale politische Identität von Muslimen in der westlichen Diaspora


Dossier / Travail, 2007

19 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Muslimische Identitäten
2.1 Politische Identität & ”PoliticsofIdentity“
2.2 Muslimische Identitäten & Islamische Identität 8
2.3 Die ”Umma“alsglobalerBezugspunkt

3 Islamistische Identität
3.1 Islamistische Ideologie
3.2 Die Produktion islamistischer Identität
3.3 Ursprünge islamistischer Identität

4 Schlussfolgerung

1 Einleitung

Die Einsicht, dass Identität und Politik eng zusammengehören, ist eine relativ neue. Sie ist wohl insbesondere in den Kämpfen von Frauen oder ethnischen Minderheiten um Anerkennung reflektiert worden und so auch in das politikwissenschaftliche Bewusstsein getreten. Die Identität - das womit man gleich (identisch) ist - gibt die Antwort auf die Frage danach, wer man ist. Sie bietet damit auch ein großes Mass an politischem Sprengstoff.

Dass man sich überhaupt fragt, wer man ist, ist Charles Taylor zufolge ein Phänomen, das erst mit der europäischen Moderne aufgekommen ist.[1] Vorher sei die eigene Identität mit dem Platz in der Gesellschaft selbstverständlich gegeben und nicht mehr in Frage gestellt worden. Doch mit dem Aufkommen der Moderne sei die Vorstellung einer inne- ren Natur aufgetreten, und mit dieser die Vorstellung einer individuellen Identität, die nun ausgefüllt werden musste.[2] Die eigene Identität ist nun nicht mehr einfach durch gesellschaftliche Umstände bestimmt, sondern Ergebnis der eigenen Suche danach.

Innerhalb der Internationalen Beziehungen hat Identität lange Zeit keine besondere Rolle gespielt.[3] Aufgrund der wachsenden Bedeutung islamistischer Bewegungen in der Weltpolitik, hat auch die Relevanz islamischer Identitätspolitik für diese zugenommen.

Die Hypothese, die ich in dieser Arbeit prüfen möchte, ist folgende: Es gibt eine isla- mische Identität, die viele Muslime in westlichen Gesellschaften miteinander verbindet. Sie konstituiert sich über die Abgrenzung von einem westlichen Lebensstil und westlichen Werten und möchte einen als ”authentisch“verstandenenIslamgegendieseEinflüsse beschützen. Zentral für die Herstellung dieser Idenitität ist die Gemeinschaftsideologie der ”Umma“.Muslime,diedieseIdentitätteilen,sinddeswegennichtzwangsläufigselber politisch aktiv. Islamisten finden in ihnen jedoch einen Resonanzboden für ihre Politik und potentielle Ziele für ihre Rekrutierungsversuche.

In dieser Hausarbeit werde ich mich darum besonders mit der ”Umma“alstranslo- kaler politischer Identität beschäftigen. Ich gehe davon aus, dass sie einen Bezugspunkt für Muslime in aller Welt darstellt und so eine imaginäre Gemeinschaft konstituiert. Is- lamisten begreifen sich dabei als politisch Handelnde im Sinne dieser Gemeinschaft. Be- sonderes Augenmerk wird in dieser Arbeit auf die Beziehung islamischer Identität und den Bewegungen des politischen Islam gelegt werden, ohne dabei Phänomene auf den Islam als Religion zu reduzieren. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den islamisch-politischen Bewegungen in Europa und den USA, also in der westlichen Diaspora, und nicht auf muslimischen Gesellschaften.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit einer Identität, die von Muslimen über staatliche Grenzen hinweg geteilt wird. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob von einer translokalen oder transnationalen Identität die Rede sein soll. Aufgrund der verschie- dene Orte übergreifenden und diese miteinander verbindenden Qualität der islamischen Identität, ohne dass sie dabei einen besonderen Bezug auf den Nationalstaat hat, soll in dieser Arbeit die Rede von translokaler Identität sein.[4] Begrifflich orientiere ich mich im Übrigen an Olivier Roy, der trennt. Als ”islamisch“und ”muslimisch“inderBedeutungvoneinander ”muslimisch“bezeichneichdas,wassichfaktischalsmuslimischbeschreiben lässt, während ich das als ”islamisch“bezeichne,wasalssolchesintendiertist.5 Islamismus und islamischer Fundamentalismus benutze ich in diesem Text synonym.[6]

Diese Arbeit wird sich im Wesentlichen auf die Auswertung von Büchern und Journalartikeln zum Thema stützen. Die dabei ausgewählte Literatur beschränkt sich nicht auf die Internationalen Beziehungen, sondern erstreckt sich auf viele Fachbereiche, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Dies hat nicht nur den Grund, dass sich aus der Perspektive der Internationalen Beziehungen bisher nur unzureichend mit dem Thema auseinandergesetzt wurde, sondern auch, dass ein solcher Blick die Blindheit einzelner Fachbereiche für bestimmte Gesichtspunkte ausgleicht.

Die Arbeit ist so aufgebaut, dass zunächst allgemeines über ”IdentityPolitics“schrei- be, um dann die islamische Identität als eine Form in der Muslime in der westlichen Diaspora sich identitfizieren genauer betrachte. Im letzten Abschnitt werde ich dann den Zusammenhang mit dem Islamismus näher beleuchten.

2 Muslimische Identitäten

Die heute in westlichen Gesellschaften anzutreffende islamische Identität hat wenig mit der aus traditionellen muslimischen Gesellschaften zu tun. Die spezifische Form in der sich in der heutigen Welt Identität herstellt ist politisch, was nicht heißt das sie in dem Raum stattfindet, der üblicherweise als politisch verstanden wird. Ich werde in diesem Abschnitt zunächst Theorien heranziehen, mit denen sich die islamische Identität als modernes Phänomen erklären lässt, um dann genauer auf diese einzugehen. Zudem werde ich auf die besondere Funktion der sprechen kommen.

2.1 Politische Identität & ”Politics of Identity“

Das Menschen sich überhaupt mit der Frage ihrer Identität beschäftigen, ist, wenn man Charles Taylor folgt, ein relativ junges Phänomen. Erst mit der europäischen Moderne und dem Diskurs der Aufklärung sei die Vorstellung einer Innerlichkeit aufgekommen, die Vorraussetzung für das heutige Verständnis von Identität wäre. Die Menschen hätten nun die Idee einer individuellen Identität entwickelt, die ihnen gehöre und die sie auch in sich entdecken könnten.[7] Wesentlich dafür sei die moralische Kategorie der Authenzität, nach der die Menschen in Übereinstimmung mit ihrer eigenen Identität leben sollten.[8] Diese Vorstellung von Authenzität sei es gewesen, die den Bruchpunkt mit der bisherigen Gesellschaft markierte.

Denn vorher sei die eigene Identität mit dem Platz in der Gesellschaft selbstverständlich gegeben und nicht mehr in Frage gestellt worden. Doch mit dem Aufkommen der Moderne, und mit dieser der Vorstellung von individueller Identität, sei jeder Mensch vor die Aufgabe gestellt eine eigene Identität auszubilden, die sich nicht einfach aus der gesellschaftlichen Position ableiteiten läßt.[9]

Eric Hobsbawm hat beobachtet, dass seit der Industriellen Revolution die Erfindung von Traditionen ein wichtiger Teil der Formierung neuer Identitäten ist. Sie diene der Herstellung und Symbolisierung von sozialem Zusammenhang in tatsächlichen und künst- lichen Gemeinschaften, wie auch der Einübung von Glaubens- und Wertesystemen, sowie Verhaltenskonventionen.[10] Mit Taylor und Hobesbawm lässt sich also sagen, dass die theoretische Grundlage für Identitätspolitik und ihre praktische Umsetzung erst in der Moderne aufkam. Aber die Entstehung der modernen Identität ist nicht rein ideengeschichtlich zu erklären. Wie Francis Fukuyama argumentiert, wurde die Trennung von innerem und äußerem Selbst durch die Transformation zu demokratischen Gesellschaften mit freiem Markt produziert.[11] Im Zusammenhang mit diesem gesellschaftlichen Wandel wurden bisherige Grenzen der sozialen Mobilität beseitigt; der soziale Status wurde nun durch eigene Anstrengungen erreicht und stand nicht bereits zur Geburt fest:

”One’ssocialstatuswasachievedratherthanascribed.[...]One’slifestory was the search for fulfillment of an inner plan, rather than conformity to the expectations of one’s parents, kin, village, or priest.“[12]

Die Entstehung moderner Identität setzte sich also mit der Entstehung bürgerlicher Demokratie und kapitalistischer Produktionsverhältnisse durch.

Politisch sei Identität Taylor zufolge, weil sie auf die Anerkennung der Anderen angewie- sen sei. Denn Identität entstehe - im Gegensatz zur Idee der Authenzität - in Wirklichkeit dialogisch, im Gespräch mit ”signifikantenAnderen“.Bei Identitäthandeltessichalso Taylor zufolge um etwas inhärent politisches.[13] Wenn er dabei Recht hat, lässt sich nicht strikt zwischen politischen und unpolitischen Identitäten trennen, weil die Frage nach Identität an sich schon politisch ist.

Phänomene in Zusammenhang mit Identität wurden auch von den Postcolonial Stu- dies in den Blick genommen. Stuart Hall schreibt, dass Identität als Identifizierung, also als Prozess begriffen werden müsste. Identität würde nicht gewählt werden, sondern von äußeren Umständen aufgezwungen. Es bliebe jedoch ein Spielraum, in dem die einzelnen Subjekte sich positionieren könnten.[14] Durch die Globalisierung würde es zunehmend zur Entstehung hybrider Identitäten kommen. Das politische dabei ist für Hall das Ausnutzen des gegebenen Spielraums, um sich innerhalb des gegebenen Rahmens zu positionieren.[15]

Die Feststellung, dass die eigene Identität so auch Teil einer eigenen Positionierung in- nerhalb des gegebenen Rahmens ist, ist wichtig für diese Arbeit, um zu betonen, dass die jeweilig vorfindbaren Identitäten nie einfach Reflex auf äußeren Einfluss ist und immer anders sein kann.

Es ist hier auch wichtig anzumerken, dass Identität nie einfach stabil gegeben ist. Man- daville meint dazu, dass sie beständig über die Konstruktion von inneren und äußeren ”Anderen“neuausgehandeltwerdenmuss. Hier drängt sich eine Analogie auf. Die Benedict Anderson aber auch als ”Umma“alspolitischeIdentitätlässtsichmit ”imaginedcommunity“-ähnlichwieeineNation-fassen. Anderson zufolge zeichnet sich eine solche Gemeinschaft dadurch aus, dass ihre Mitglieder keine direkten Beziehungen zueinander haben: ”[They]willneverknowmostoftheir fellow-members, meet them, or even hear of them, yet in the minds of each lives the image of their communion.“[17] Zudem würden sie sich durch diese Vorstellung auch die Grundlage des Opfers für die Gemeinschaft geschaffen werden.[18] Auch andere Autorinnen, wie etwa Jocelyne Cesari begreifen die ”Umma“alsimaginäreGemeinschaft.1[9] DerUnterschied zur Nation liegt jedoch darin, dass mit der ,,Umma“ keinerlei Vorstellung oder Praxis von Souveränität einhergeht. Die Frage nach Identität ist also in höchstem Mass politisch. Nicht nur, weil sie immer auch anerkannt sein will und sich über die Aushandlung eines ”Außen“konsitutiert,son- dern auch, weil sie darüber hinaus auch noch in ihrem spezifischen Charakter politische Eigenschaften besitzen kann. Identitätspolitik ist zudem ein modernes Phänomen. Durch den in der europäischen Moderne entstandenen Modus von Vergesellschaftung wurde sie erst möglich gemacht, und findet auch immer in diesem Rahmen statt.

Im folgenden soll es darum gehen, wo sich die islamische Identität im Besonderen in dem hier gezeichneten Rahmen verorten lässt, um im weiteren den Zusammenhang zwischen Islamismus und Identitätspolitik herausstellen zu können.

[...]

Fin de l'extrait de 19 pages

Résumé des informations

Titre
"Identity Politics" und Islam - die Umma als translokale politische Identität von Muslimen in der westlichen Diaspora
Université
University of Göttingen  (Seminar für Politikwissenschaft )
Cours
Einführung in den politischen Islam und seine Weltanschauung
Note
1,0
Auteur
Année
2007
Pages
19
N° de catalogue
V81304
ISBN (ebook)
9783638858236
ISBN (Livre)
9783638855679
Taille d'un fichier
441 KB
Langue
allemand
Mots clés
Identity, Politics, Islam, Umma, Identität, Muslimen, Diaspora, Einführung, Islam, Weltanschauung
Citation du texte
Jannis Bulian (Auteur), 2007, "Identity Politics" und Islam - die Umma als translokale politische Identität von Muslimen in der westlichen Diaspora, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81304

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