Sozialpädagogische Kommunikationsberatung in der Schule - Erfahrungen von Schülern mit Schulsozialarbeit

Eine empirische Untersuchung


Term Paper, 1991

46 Pages


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INHALT

VORWORT

EINLEITUNG

1.0 SCHULSYSTEM IN DEUTSCHLAND
1.1 Historischer Hintergrund
1.2 Aufbau
1.3 Gesellschaftliche Aufgaben
1.4 Probleme der Schule und Legitimierung von Schulsozialarbeit

2.0 SCHULISCHE KOMMUNIKATIONSFORMEN
2.1 Der Begriff Kommunikation
2.1.1 Der Systembegriff
2.2 Beziehungsformen
2.2.1 Störungen und Konflikte

3.0 SOZIALPÄDAGOGISCHE ARBEIT IN DER SCHULE
3.1 Verhältnis
3.2 Begründung für Schulsozialarbeit
3.2.1 Beziehung zwischen Lehrern und Schulsozialarbeit
3.2.2 Schulische Problemlagen von Schülern
3.3 Funktion, Aufgaben und Ziele
3.3.1 Bedingungen für Kommunikationshilfe

4.0 EXKURS: AUSSERSCHULISCHE ENTWICKLUNGSBEDINGUNGEN VON KINDERN UND JUGENDLICHEN

5.0 ERFAHRUNGEN VON SCHÜLERN MIT SCHULSOZIALARBEIT
5.1 Erklärung der Interviewtechnik, Fragestellung und Untersuchungsgruppe
5.2 Statistisch-deskriptive Auswertung
5.2.1 Unterrichtskommunikation und Probleme
5.2.2 Auffälligkeit: Definition und Umgangsweise
5.2.3 Vorstellung der Schulsozialarbeit
5.2.4 Verhältnis zwischen Lehrer bzw. Schüler und Sozialarbeiter
5.2.5 Aufgabengebiete, Hilfsangebote und Auswirkungen der Schulsozialarbeit
5.3 Interpretative Auswertung - Diskussion
5.3.1 Unterrichtskommunikation und Auffälligkeit
5.3.2 Kommunikationshilfe durch Schulsozialarbeit und ihre Auswirkungen

6.0 ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUßWORT

LITERATURVERZEICHNIS

ANHANG

VORWORT

Das Interesse an diesem Thema entsprang im Zuge des „Beratungsprojektes“ an der Fachhochschule Frankfurt a.M. im Fachbereich Sozialpädagogik im Zusammenhang mit meiner Hospitation im Bereich Schulsozialarbeit an der "Integrierten Gesamtschule" in Maintal II.

Im Zuge dieses Projektes hatte ich als Student die Möglichkeit, annähernd zu erfahren nach welchen Mechanismen Förderung und Selektion in der Schule betrieben wird und welchen Einfluß das Herkunftsmilieu für Schüler auf ihre Laufbahn haben kann. Daneben konnte ich erkennen, wie schnell eine Benachteiligung von Schülern aus „sozialen Brennpunkten“ vonstatten gehen kann, wobei diese häufig als „lernbehindert“ stigmatisiert und anschließend sonderpädagogischen Maßnahmen unterzogen werden können.

Dies ist nur eines unter vielen Phänomenen, welches zeigt, daß Schulsozialarbeit notwendig ist, um sozial auffälligen und benachteiligten Schülern eine verständliche Kommunikation zwischen sich und der Schule respektive des Lehrers herzustellen, und eine effiziente Hilfestellung und Beratung anbieten zu können. Mit dieser Arbeit will ich zum einen aufzeigen, welche Erfahrungen Schüler mit Schulsozialarbeit gemacht haben und ob sie sie als hilfreich erleben. Des Weiteren soll verdeutlicht werden, ob Schulsozialarbeit einen Beitrag leisten kann, schulische Kommunikation zwischen Schule und Schüler konstruktiv zu verändern.

Bleibt zuletzt noch unsere Danksagung an all jene Schüler, die sich keine Mühe gescheut haben, die Fragebogen kooperationsfreudig auszufüllen und somit zur Realisierung dieser Arbeit beigetragen haben.

Bei dieser Gelegenheit danke ich meinem Projektleiter Dr. Reiner Hess dafür, den Stein ins Rollen gebracht zu haben, mich mit Beratungsformen und Kommunikationshilfe an der Schule auseinanderzusetzen.

Ralf-Peter Nungäßer; Frankfurt/M., Januar 1991

EINLEITUNG

Noch immer ist die praktische Verbreitung von Schulsozialarbeit dürftig. An traditionellen Regelschulen findet man sie nur in seltenen Ausnahmefällen, so z.B. an „sozialen Brennpunkten“. Allerdings ist sie mittlerweile an vielen integrierten Gesamtschulen in der BRD vertreten (1986: S.222; vgl. KREFT/MIELENZ, 1988, S.462) Wenn in diesem Zusammenhang von Schulsozialarbeit gesprochen wird, so stellt sich immer wieder die Frage nach ihrer Legitimation und Funktion:

- Inwieweit ist Schulsozialarbeit überhaupt fähig, konstruktiv verändernd auf die Sekundärsozialisationsinstanz Schule einzuwirken und wirkt sie nicht für Schüler widersprachig, wenn sich in ihrer Eigenschaft und Funktion lediglich in „Wundflickerei“ erschöpft anstatt die „Verletzungsursachen“ zu beseitigen?
- Kann und soll Schulsozialarbeit unter diesen (hypothetischen) Umständen die Pionierarbeit leisten, Kommunikationsprozesse und gestörte Kommunikationsformen zwischen Schülern und Schule (meist Lehrern) aufzuzeigen und eventuell für beide Seiten befriedigend zu beheben?

Zunächst soll in dieser Arbeit der Komplex Schule untersucht werden: Welche Bedingungen zum derzeitigen Schulsystem führten, wie das deutsche Schulsystem aufgebaut ist und welche gesellschaftliche Aufgaben sie zu erfüllen hat.

Im nächsten Kapitel soll dargestellt werden, welche Kommunikationsprozesse in der Schule vorherrschen, auf welche Art sie ablaufen und wie sie, falls sie gestört sind, zu Konflikten zwischen Schülern und Schule, insbesondere aber zu Leistungs- und Lernversagen bei Schülern führen können.

Im dritten Kapitel soll untersucht werden, wie es um das Verhältnis zwischen Schulsozialarbeit und Schule steht; welche Begründungen dazu führen, die Schulsozialarbeit so notwendig erscheinen lassen, welche Ziele und Aufgaben sie im allgemeinen vertritt und welchen schulischen Problemlagen Schüler täglich ausgesetzt sind. Hierzu soll ein Exkurs verdeutlichen, daß Schüler nicht nur schulischen Belastungen ausgesetzt sind, sondern auch außerschulische Bedingungen zu möglichen Lern- und Leistungsversagen beitragen können. Der letzte Teil dieser Arbeit will darstellen, wie Schüler ihren Schulalltag erleben und welche Erfahrungen sie mit den Angeboten der Schulsozialarbeiter/innen gemacht haben. Werden sie als hilfreich erlebt? Oder sehen sie in ihr lediglich ein notwendiges Übel, welches man durchlaufen muß, damit man, im Falle von Schulversagen, nicht ganz ins „Bodenlose“ herabsinkt? Zu diesem Zweck sollen Fragebogenerhebungen dazu dienen, relevante Schüleraussagen zu diesem Thema zu gewinnen, die am Ende statistisch-deskriptiv und im Anschluß daran interpretativ ausgewertet und dargestellt werden sollen.

1.0 SCHULSYSTEM IN DEUTSCHLAND

1.1 Historischer Hintergrund

Nach dem zweiten Weltkrieg bestand im besetzten Deutschland keine zentrale Gewalt, „die für einen Wiederaufbau des Bildungssystems nach einheitlichen Zielvorstellungen hätte sorgen können“ (BfpB, 1977, S.12). Bestrebungen der Alliierten „das traditionelle deutsche Bildungssystem mit unterschiedlichen Bildungsgängen nach dem Ende der Grundschule durch ein (einheitliches und) gestuftes Schulwesen zu ersetzen, hatten kein Erfolg“ (ebd., S.12).

Mit der Gründung der BRD wurde die Kulturhoheit (z.B. Schulgesetzgebung) bei den Ländern belassen. Somit kam es zu einer völlig unterschiedlichen Entwicklung (Gesetzgebung, Schulstruktur, Lehrinhalte) in den jeweiligen Ländern, was dazu führte, daß die Kultusministerkonferenz gerade noch größere Fehlentwicklungen („Schulchaos“) verhindern konnte (vgl. ebd., S.12). Als dann in den sechziger Jahren in der BRD ein deutlicher Mangel an Fachkräften herrschte, konnte das althergebrachte dreigliedrige Schulsystem (Haupt-, Realschule und Gymnasium) den Bedarf an hochqualifizierten Schulabsolventen in einer sich rasant entwickelnden Wirtschaft und Technologie nicht mehr decken (vgl. BECK/SCHMIDT, 1970, S.10). Die Forderung nach einer Neugestaltung des Bildungssystems in der BRD wurde immer lauter. Hierzu schreibt EVERS (1969): „Fast alle Nachbarstaaten der BRD in (...) Europa haben in den letzten 20 Jahren ihr Bildungswesen grundlegend reformiert oder sind dabei es zu tun. Unter den Industriestaaten gibt es nur eine Ausnahme, nämlich die BRD (S.79).

Die zweite Forderung nach einer Neugestaltung des Bildungssystems lief konform im Sinne des Artikels 3.3 GG (Grundgesetz), der die Gleichheits- und Gerechtigkeitsgrundsätze des Sozialstaats postuliert: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, (...) und Herkunft, (...) benachteiligt oder bevorzugt werden“. Die Schüler- und Studentenbewegung forderte in diesem liberalen Geiste, das Schulsystem von innen her zu demokratisieren, zumal bislang die Forderung des aufgeklärten Bürgertums nach (Chancen-) Gleichheit weder von der Gesellschaft, noch von ihrem Bildungssystem erfüllt waren. Vor allem aber hatte man die Abschaffung der sozialen Auslesefunktion und Benachteiligungen im Auge. Die Diskrepanz zwischen dem veralteten Schulsystem und der Forderung nach Erneuerung erläutert STUBEN-RAUCH (1974) insofern, als daß diese Diskrepanz der Motor „für den Entwurf eines neuen Konzeptes der Schule (sei), die die Schranken zwischen tradierten Schulen überwinden, die Chancengleichheit für alle in der Schule garantieren und somit die ‚pluralistische, demokratische‘ Ordnung im Schulwesen erst herstellen will“ (S.64).

Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, die ergaben, daß Lernprozesse, Leistungsfähigkeit und Begabung in hohem Maße auch von Sozial- und Milieufaktoren abhängig sind, war die Schule nun gezwungen Sozial- und Schichtbedingte ungleiche Bildungschancen zu minimieren ( vgl. B:E REDAKTION, 1976). Da die Schule in ihrer Beschaffenheit für eine solche Aufgabe jedoch nicht gerüstet schien, eröffnete sich für die Sozialarbeit/ Sozialpädagogik ein völlig neues Arbeitsfeld und Aufgabenbereich.

1.2 Aufbau

Die staatliche Erziehung beginnt in der BRD mit der Schulpflicht (Vollzeitschulpflicht), die in der Regel mit dem sechsten Lebensjahr eintritt und mit dem 15./ 16. Lebensjahr endet. Bis zum 18. Lebensjahr zählt dann die Teilzeitschulpflicht, welche eine theoretische Weiterbildung, besonders für in die Praxis einsteigende Berufsschüler, sichern soll.

In traditionellen Bildungssystem der BRD verlaufen die Bildungsgänge nach der Grundschule unterschiedlich. Die Schulpflicht wird in den ersten vier Jahren (Stadtstaaten sechs Jahre) in der Grundschule abgeleistet, die für alle einheitlich ist. Danach steht eine wichtige Entscheidung mit erheblichen Auswirkungen für den weiteren Ausbildungs- und Lebensweg des Schülers ins Haus: der Übergang in die Sonder-, Haupt-, Realschule oder in das Gymnasium.

„Sonderschulen gibt es für körperlich oder geistig benachteiligte oder sozial gefährdete Kinder“ (KREFT/MIELENZ, 1988, S.456). Die Sonderschule arbeitet mit „Ansätzen einer Einbeziehung behinderter Kinder und Jugendlicher in allgemeine Schulen, denen dann hier eine zusätzliche Förderung zuteil wird“ (ebd., S.546). Neben der Vermittlung des Lesens, Schreibens und des Rechnens gelten als Bildungsziele der Grundschule (Primarbereich) auch die Grundlagenvermittlung des sozialen Verhaltens. „Da die Ergebnisse des Lernens in der Grundschule Voraussetzung in eine der drei anschließenden Schulformen sind, erfüllt sie insofern auch Ausleseaufgaben“ (BfpB, 1977, S.13).

Als Bildungsziel der Hauptschule gilt die Vorbereitung auf die Ausbildung für handwerkliche Berufe durch die Vermittlung einfacher naturwissenschaftlicher Grundkenntnisse.

„Die Realschule ist als Vorbereitung auf technisch-verwaltende Berufe mittleren Niveaus gedacht. In ihr werden, (...) (ein) mathematisch-naturwissenschaftliches Grundverständnis und bestimmte technisch orientierte Zusatzkenntnisse vermittelt.

Das Gymnasium dient (in erster Linie) der Vorbereitung auf das Universitätsstudium, indem es, (...) die Sprachbildung für das Verständnis abstrakten Denkens formen und (tiefere) mathematisch-naturwissenschaftliche, teilweise auch sozialwissenschaftliche Kenntnisse vermitteln soll“ (ebd., S.13).

Mit der Einführung der Gesamtschule (durch die Verabschiedung des Bildungsgesamtplanes 1973 durch die Regierungschefs von Bund und Ländern), der sogenannten Sekundarstufe I (in die auch die Sekundarstufe II - die Gymnasiale Oberstufe - mit einbezogen werden kann), wollte man das überlieferte System der unterschiedlichen Schulformen (Haupt-, Realschule und Gymnasium) in einer Schule zusammenfassen (vgl. ebd., S.21-22). „Die Gesamtschule nimmt für sich in Anspruch, erzieherische Forderungen zu verwirklichen, die für eine demokratische Industriegesellschaft unbestritten von allen Seiten erhoben werden, als da sind:

- Chancengleichheit für alle;
- Förderung des einzelnen gemäß Neigung und Fähigkeit;
- Vermeidung verfrühter Schullaufbahnentscheidungen und deren ständige Korrigierbarkeit;
- breites Fächerangebot entsprechend der Vielfalt der Begabungen und Erfordernissen der Gesellschaft (...)“ (DEUTSCHER BILDUNGSRAT, 1969, S.9).

Neben diesen skizzierten Schullaufbahnen, gibt es noch die Möglichkeit des zweiten Bildungswegs, der als Ziel eine fachliche Ausbildung für all jene hat, die auf dem traditionellen Bildungsweg keinen Abschluß erlangt hatten.

„Die innere Gliederung der Schule beruht auf dem Grundsatz der Einteilung in Jahrgangsklassen, d.h., alle Kinder eines Altersjahrgangs werden in einer Klasse zusammengefaßt“ (BfpB, 1977, S.12). Über die Versetzung in die nächsthöhere Klasse entscheiden die Lehrer im allgemeinen zum Ende eines jeden Schuljahres aufgrund eines Notensystems, welches als Bewertungskriterium dient. Hieraus ergibt sich die Folgerung, daß Schüler, die sich dem Schulprozeß nicht reibungslos unterordnen und somit ein von der Norm „abweichendes Verhalten“ wie Lern- und Leistungsstörungen oder Verhaltensauffälligkeiten zeigen, durch Verwarnungen oder Verweise, schlechte Noten und im schlimmsten Falle mit Sitzenbleiben (wiederholen einer Schulklasse) oder durch Unterziehung in sonderpädagogische Maßnahmen sanktioniert werden.

1.3 Gesellschaftliche Aufgaben

„Das Schulsystem der BRD beruht auf der Unterscheidung von Allgemeinbildung und beruflicher Bildung“ (ebd., S.12). Prinzipiell haben beide Schularten zwei Hauptaufgaben gemeinsam:

- die Sozialisierung,
- die Plazierungen,

wobei die Berufsschule als Partner der betrieblichen Ausbildung noch die Aufgabe der beruflichen Qualifizierung besitzt.

„Unter der Sozialisationsaufgabe der Schule versteht man die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die den Schüler befähigen, sich in die Gesellschaft einzugliedern und sie mitzugestalten. Der junge Mensch wird mit gesellschaftlichen Werten (Leistung u.a.), Rollen (Arbeiter, Unternehmer u.a.) (und) Normen (gesetzliche Regeln) (...) vertraut gemacht“ (BAUMANN, 1979, S.44)

„Die Aufgabe der Plazierung ergibt sich aus dem engen Zusammenhang von Schulbildung, beruflicher Stellung, Einkommenshöhe und gesellschaftlichem Ansehen. Qualität und Dauer der Schulbildung und Ausbildung beeinflussen die spätere Stellung des einzelnen in der Gesellschaft. Welche Wertschätzung der heutige Schüler später genießt, welchen Beruf er ausübt und welches Einkommen er bezieht, hängt unmittelbar mit der Qualität seiner Schulbildung zusammen“ (ebd., S.45).

Hierzu gibt der jeweils aktuelle Zustand der Gesellschaft den Ausschlag über Inhalte, Struktur und Ziele der Lernprozesse (vgl. EVERS/MANCKE, 1988, S.445), wobei sich die staatliche Regelschule weitgehend an den Maßstäben der sozialen Mittelschicht orientiert (vgl. ebd., S.459).

Zur Vermittlung der oben genannten Aufgaben an die Schüler, ist in erster Linie der Lehrer verantwortlich. Hierbei übernimmt er diverse Funktionen: Er organisiert und bestimmt den Unterrichtsprozeß und somit u.a. den Kommunikations- und Didaktikprozeß; er ist zur Selektion mittels Bewertung durch Zensuren ermächtigt, er spricht Empfehlungen, Er- oder Entmutigungen aus (vgl. GROSSMANN-ADEN, 1975, S.27).

Nach JAHROW (1978) soll die Schule folgenden gesellschaftlichen Zwecken entsprechen (vgl. S.265):

- Reproduktion kultureller Systeme durch Qualifizierung: Darunter wird die Vermittlung von Fertigkeiten und Kenntnissen verstanden, „die zur Ausübung konkreter Arbeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erforderlich sind“ (FEND, 1977, S.7).
- Reproduktion der Sozialstrukturen über soziale Selektion und Positionszuweisung.
- Gesellschaftliche Integration über die Reproduktion von Normen, Werten und Interpretationsmustern.

Es wird deutlich, daß sich in der Schule kontinuierliche, organisierte und institutionalisierte Lernprozesse - welche über diverse Kommunikationskanäle vermittelt werden - ereignen, die ausschließlich dem Erwerb von Kenntnissen und die Integrierung in die Gesellschaftsordnung zum Ziel haben. Hierbei stellt sich die Frage, ob Schule in diesem Zusammenhang tatsächlich zur naht- und problemlosen Integrierung in die bestehende Gesellschaftsordnung beiträgt, oder ob es sich bei dieser Annahme nicht lediglich um einen „liberalen Mythos“ handelt und sie nicht schon im Vorfeld zur ungleichen Selektion und letztendlich zur Vergrößerung sozialer Abstände beiträgt (vgl. ILLICH, 1972, S.25). Dieser Prozeß der Integrierung in die Gesellschaft ist, neben der Schulform, Lehrplan usf., eng an die Kommunikationsprozesse innerhalb des Unterrichts gebunden. In diesem Sinne fällt dem Lehrer als Vermittlungs- und Bewertungsinstanz eine Schlüsselposition in den Kommunikationsprozessen zu, innerhalb derer er den Machthebel des Selektionsvorgangs bedient.

1.4 Probleme der Schule und Legitimierung von Schulsozialarbeit

Wie im vorangegangenen Punkt ersichtlich wurde, ergibt sich aus der Funktion der Schule und dem Kommunikationsprozeß zwischen Schüler und Lehrer ein gewisses Problempotential. Hinsichtlich auftretender Probleme zwischen Schülern und Lehrern sind konstruktive Lösungen von beiden Seiten oft nicht mehr realisierbar, weil einerseits der Lehrer an starre Lehrpläne, zeitliche Gebundenheit und pädagogische Unzulänglichkeiten fixiert ist, und zum zweiten Schüler durch ihre entwicklungsbedingte Lebensrealität dem nicht genügen können (außerschulische und pubertäre Probleme, einseitig wissenschaftliche und kognitive Ausbildung, mangelnder Demokratisierungs- und Individuationsprozeß usw.). Aus dieser Darstellung zur Schulsituation ist eine mangelnde Schülerorientiertheit ersichtlich und man gelangt leicht zu der Annahme, die Schule sei gegen ihre Schützlinge gerichtet. Daß Schule in dieser Hinsicht krankmachend wirkt, wird in der Literatur wie folgt beschrieben: So ergaben Untersuchungen, daß allein 50% von Kindern im Grundschulalter eine Symptomatik aufweisen (Konzentrationsstörungen, Hypermotorik, Kopfschmerzen, Lernschwierigkeiten u.a.), die ihnen eine Sonderstellung in der Familie und in der Klasse zuweisen und die, weil sie ihre Probleme nur mit Mühe oder gar nicht bewältigen können, präventiver Maßnahmen im Sinne der Psychohygiene bedürftig sind und therapeutischer Maßnahmen bedürfen (vgl. MEINHARDT, 1976, S.57). Hier nun legitimiert sich der Einsatz von Schul-Sozialpädagogen und -arbeiter/innen. Aufgrund der Schulreform fand die Sozialpädagogik/Sozialarbeit ein neues Tätigkeitsfeld hauptsächlich an den Gesamtschulen sowie an Hauptschulen.

2.0 SCHULISCHE KOMMUNIKATIONSFORMEN

Nach MUCK (1980) ist die Organisation des Schulwesens, als einer vorgegebenen Kommunikationsstruktur, weitgehend identisch mit dem Aufbau der klassischen Verwaltungsbürokratie (vgl. S.152). Für FÜRSTENAU (1967) handelt es sich hierbei um „ein System von hierarchisch einander zugeordneten Ämtern mit jeweils fest umrissenen Befugnissen, wobei die oberen Instanzen in besonderen Maße entscheiden, anordnen und kontrollieren, während die unteren überwiegend Anordnungen ausführen und nach oben darüber berichten. Alle Arbeitsvorgänge in diesem System orientieren sich nach Regeln und Verfahrensvorschriften“ (S.34). BECKER (1973) führt hier den Unterricht als Beispiel für eine emotionslose Kommunikationsstruktur an, in der die Beziehungs- und Interessenzusammenhänge für die Dauer der Unterrichtszeit unterdrückt werden, um die formalen Organisationsregeln aufrecht erhalten zu können.

Zur Klärung dieses Zusammenhangs und der Struktur der Kommunikation in Schulen, soll in den nächsten Kapiteln Kommunikation definiert sowie Kommunikationsformen und Kommunikationsstörungen aufgezeigt werden.

2.1 Der Begriff Kommunikation

Umgangssprachlich wird im Alltag unter Kommunikation das ‚miteinander Sprechen‘ verstanden; im wissenschaftlichen Sprachgebrauch hingegen, versteht man unter Kommunikation, neben dem Sprechen, auch die nonverbalen Mitteilungen (vgl. BACHMAIR u.a., 1989, S.96), wie z.B. Mimik, Gestik, Olfaktor, „taktile Signale“, „Halo-Effekt“ (Ausstrahlung eines Menschen) usf. (MOLLENHAUER/RITTELMEYER, 1977, S.207). Demnach liegt Kommunikation ein Verhalten zugrunde, welches anderen Personen etwas verbal oder non-verbal mitteilt, „und daß dieses Verhalten vom Verhalten anderer Personen beeinflußt wird und deren Verhalten wiederum beeinflußt“ (BACH-MAIR u.a., 1989, S.96).

Wenn mindestens zwei Menschen aufeinandertreffen und in Kontakt zueinander treten, so nimmt ein jeder, innerhalb der Kommunikation untereinander, einmal die Rolle des Kommunikators (Sender) und der andere die des Kommunikanten (Empfänger) ein. Im Falle der Fortführung der Kommunikation können sich die Rollen vertauschen, und wieder umkehren usf. (vgl. ebd., S.97). Nach WATZLAWICK u.a. (1969) gibt es im Falle des Aufeinandertreffens zweier, oder mehrerer Personen, fünf Regeln nach denen Kommunikation in jedem Falle abläuft (S.50ff):

1. Es ist unmöglich, nicht zu kommunizieren (selbst wenn zwei Menschen nicht miteinander reden, sich sogar den Rücken zuwenden - oder Anzeichen machen, nicht reden zu wollen - , so hat selbst diese Geste auf irgendeine Art und Weise einen Mitteilungscharakter).
2. Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt (zum einen drückt man aus was man gerne vom anderen möchte - Inhalt - und zum anderen drückt man gleichzeitig aus in welchem Verhältnis man zum anderen steht, was man von ihm hält - Beziehung -).
3. Jede Kommunikation enthält eine Struktur, die als Interpunktion oder Ereignisabfolge erscheint (jeder Kommunikationspartner beginnt einmal mit der Kommunikation und setzt somit eine Kommunikationskette - die Ereignisabfolge - in Gang).
4. Die Kommunikation kann sowohl in digitaler und/oder in analoger Weise erfolgen (digital: wenn die Mitteilung eindeutig ist, z.B. durch Sprache; analog: wenn die Mitteilung nicht eindeutig zu entschlüsseln ist, z.B. durch Mimik, Blick u.a.).
5. Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe können entweder symmetrisch oder komplementär sein (hierbei kommt es darauf an, ob die Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern auf Gleichheit - Symmetrie -, oder auf Ungleichheit - Komplementarität - beruht).

Diese Prinzipien einer jeden Kommunikation treten in allen Kommunikationssituationen auf (Familie, Schulklasse u.a.) und können bei Nicht-Beachtung der fünf Regeln Störungen unterliegen, wie sie im Kapitel „Störungen und Konflikte“ (Punkt 2.2.1) erläutert werden sollen.

2.1.1 Der Systembegriff

Für MINUCHIN u.a. (1988) sieht sich jeder Mensch als eine Einheit, als ein Ganzes, welches mit anderen Einheiten (Ganzheiten) in Interaktion steht. D.h., daß sich jeder Mensch nicht lediglich als Teil eines Systems erlebt, sondern als individuelle Einheit. Eine wechselseitige Beeinflussung einer jeden Einheit findet im System statt; während dabei jede Einheit bestimmt, welche Art von Beziehung sie mit anderen eingehen möchte. Somit findet ein Austausch, eine Kommunikation zwischen den einzelnen Mitgliedern im Kommunikationssystem statt (vgl. S.27). Nach SATIR (1988) besteht jedes System aus mehreren Teilen, die einander in Beziehung stehen. Zwischen den Teilen gibt es Aktionen, Reaktionen und Interaktionen, die alle miteinander in Kommunikation stehen und sie sich auch ständig verändern. So kann jedes einzelne Teil als Auslöser für alle anderen wirken. Die Kommunikationstheorie, so schreiben BASTINE/JACOBY (1977), geht von der Annahme aus, „daß die Beziehungen zwischen Menschen als Regelkreis betrachtet werden können (...). Das Individuum ist also nicht aus sich allein heraus in seinen Handlungen zu verstehen, sondern seine Reaktionen sind nur im Zusammenhang mit den Reaktionen der übrigen Handelnden zu begreifen“ (S.129).

WATZLAWICK u.a. (1969) unterscheiden bei der Betrachtung des Kommunikationssystems in „geschlossene Systeme“ und „offene Systeme“ (vgl. S,117ff). SATIR (1988) unterteilt diese wie folgt (vgl. S.143):

1. Das offene System:

- Ist auf Veränderung eingestellt, Veränderungen sind willkommen;
- bietet Möglichkeiten zur Wahl und setzt auf eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit der Realität;
- setzt das Selbstwertgefühl des Einzelnen an die höchste Stelle.

2. Das geschlossene System:

- Hat das Bestreben zur rigiden Homöostase, d.h. es ermöglicht nur wenig oder überhaupt keine Veränderung und jeder Veränderung wird Widerstand zur Erhaltung des Status-Quo entgegengesetzt;
- hängt von restriktiven Verordnungen, Gesetzen und Befehlen ab und es funktioniert nur nach Anwendung von Macht;
- es versucht, Einflüsse von außen fernzuhalten;
- sieht Macht und Pflichterfüllung vor dem Selbstwertgefühl des einzelnen als vorrangig an.

BACHMAIR u.a. (1989) gehen davon aus, daß die Konsequenz des Systembegriffes für das Alltagsdenken noch ungewohnt sei. Es sei schwierig, sich vom sogenannten „Ursache-Wirkungs-Denken“, vom „wer hat verursacht - wer hat angefangen - Denken“ loszulösen (vgl. S.97). „An einem Beispiel aus der Schule läßt sich das verdeutlichen: Der störende Schüler in der Klasse ist in seinem Verhalten abhängig von dem Verhalten der ganzen Klasse und vom Verhalten des Lehrers. Die Abhängigkeit seines Verhaltens von den anderen zeigt sich in der Tatsache, daß der störende Schüler vielleicht bei einem anderen Lehrer oder in einer anderen Klasse nicht stört. Zugleich beeinflußt er jedoch auch wieder die Klasse und den Lehrer, und dieser Einfluß auf andere zeigt sich daran, daß bei seiner Abwesenheit vielleicht, zuvor unauffällige Schüler zu Störern werden“ (ebd., S.98). Ableitend kann man daraus folgern, daß Störungen nicht allein beim identifizierten Schüler (Störer) zu suchen sind, sondern stets Symptom einer Störung im gesamten System darstellen. So sind z.B. die Schulschwierigkeiten eines Schülers nicht allein bei ihm zu suchen, sondern vielmehr in seiner Familie und/oder in der Schule (Klasse/Gruppe), wie sie im Kapitel „Störungen und Konflikte“ (Punkt 2.2.1) beschrieben werden.

2.2 Beziehungsformen

In der Situation des schulischen Alltags laufen eine Vielzahl von Beziehungen (Interaktionen, Kommunikationen usw.) ab. Allgemein wird in der Pädagogik die Beziehung des Pädagogen (Lehrer) zum Heranwachsenden (Schüler) analog der Mutter-Kind-Dyade, als liebevolle Beziehung zwischen einem Heranwachsenden und einem Erwachsenen definiert (vgl. MUCK, 1980, S.155). In welcher Weise die verschiedenen Beziehungsangebote tatsächlich in der Schule aufeinander wirken, soll hier dargestellt werden.

So haben sich zum Beispiel Lehrer, insbesondere die Beamten, der staatlichen Bürokratie unterzuordnen, die sie zudem gegenüber den Schülern verkörpern müssen. Daneben ist das Verhältnis zwischen dem Schüler und dem Lehrer durch große persönliche Abhängigkeit seitens des Schülers geprägt. Hierzu schreibt MUCK (1980): „Zwar wird vom Lehrer grundsätzlich vorbildliches Verhalten verlangt (vgl. Beamtenrecht), doch hat der Schüler rechtlich so gut wie keine Möglichkeit eine Änderung des Lehrerverhaltens zu erwirken“ (S.154). Für MUCK (1980) ist für die Analyse des schulischen Beziehungsgeflechtes ein weiterer Faktor wichtig: „Eine Klasse oder ein Kursverband entwickelt mit der Dauer ihres Bestehens eigene soziale Subsysteme, die sich ausgleichend oder korrigierend zu den formellen Normen der Institution Schule verhalten“ (S.157).

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Details

Title
Sozialpädagogische Kommunikationsberatung in der Schule - Erfahrungen von Schülern mit Schulsozialarbeit
Subtitle
Eine empirische Untersuchung
College
University of Applied Sciences Frankfurt am Main  (Sozialpädagogik)
Course
Beratungsprojekt
Author
Year
1991
Pages
46
Catalog Number
V81634
ISBN (eBook)
9783638885225
ISBN (Book)
9783638886567
File size
641 KB
Language
German
Keywords
Sozialpädagogische, Kommunikationsberatung, Schule, Erfahrungen, Schülern, Schulsozialarbeit, Beratungsprojekt
Quote paper
Diplom-Pädagoge Ralf-Peter Nungäßer (Author), 1991, Sozialpädagogische Kommunikationsberatung in der Schule - Erfahrungen von Schülern mit Schulsozialarbeit , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81634

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