Die oft anzutreffende Auffassung, in bi- bzw. multilingualen Gebieten müsse sozusagen von vornherein und ganz selbstverständlich Zwei-/Mehrsprachigkeit unter der Bevölkerung herrschen, ist unzutreffend. Dies wird beispielsweise an den vielfältigen Diskussionen zum Thema Sprache und den ungelösten Problemen des Zusammenlebens und zusammen Lernens im dreisprachigen Südtirol deutlich und ist u. a. darauf zurückzuführen, dass solche Gebiete ja historisch nicht zur Förderung von Mehrsprachigkeit geschaffen wurden, sondern um Minderheiten zu schützen bzw. den Gebrauch und somit das Überleben deren Sprache in einer bestimmten Nation, Region oder Provinz zu gewährleisten. Da aus dem Zusammen- bzw. vielleicht auch lediglichem Nebeneinanderleben verschiedener Sprachgruppen nicht zwangsläufig das reziproke Erlernen des Idioms des Nachbarn folgt, kann es durchaus in einsprachigen Gebieten einen höheren Anteil an multilingualen Bewohnern geben als in zahlreichen sog. mehrsprachigen Gebieten. Abgesehen davon, dass die zunächst rein physische Nähe verschiedener Ethnien per se noch keine Garantie für das Erlernen der Sprache des "anderen", "Fremden" sein kann, folgt aus ihr auch nicht zwangsläufig das aktive Bemühen um ein gelungenes Zusammenleben und ein kreatives Miteinander. Dies gilt grundsätzlich für die frankophone Provinz Québec im anglophonen Kanada ebenso wie für die deutsch- und ladinischsprachige Minderheit in Südtirol oder etwa die baskische und katalanische Minderheit in Frankreich und Spanien, wenn auch vielleicht in einem jeweils individuell unterschiedlichen Ausmaß.
Die vorliegende Arbeit will für die Autonome Provinz Südtirol spezifische traditionelle, dauerhafte wie auch aktuelle Problemkomplexe und Diskussionspunkte herausstellen sowie diese durch eine Auseinandersetzung mit den zu einem besseren Verständnis notwendigen Hintergründen näher beleuchten. Es handelt sich hierbei meist um Probleme, die immer wieder Stellungnahmen hervorrufen und oft nicht nur rein sachliche, sondern auch in hohem Maße ethnische und politische Beweggründe haben. Dies wird besonders deutlich bei der Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung, der Zweisprachigkeitspflicht im öffentlichen Dienst, dem ethnischen Proporz, dem Streit um viele Südtiroler Ortsnamen und das faschistische Siegesdenkmal in Bozen sowie der Trennung des Schulsystems nach Sprachgruppen.
Inhaltsverzeichnis
- Verlauf des Studienprojekts
- Kurzer geschichtlicher Abriss zur Entwicklung Südtirols nach 1918
- Die drei Sprachgruppen in Südtirol – Nähe oder Distanz?
- Die wichtigsten Themenkomplexe im aktuellen politischen Diskurs Südtirols
- Der Artikel 19 des Autonomiestatuts
- Zweitspracherwerb und Immersion
- Von der Zweisprachigkeit zur Mehrsprachigkeit
- Die Zweisprachigkeitsprüfung
- Der ethnische Proporz
- Die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung
- Der Streit um die Toponomastik und das Siegesdenkmal
- Das,,Unbehagen“ der italienischsprachigen Bevölkerung
- Zur Situation der deutschen, italienischen und ladinischen Sprache in Südtriol
- Weitreichende Auswirkungen der Mehrsprachigkeit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert die dauerhaften und aktuellen Problemkomplexe in Südtirol/Alto Adige. Sie untersucht die Hintergründe der vielfältigen Diskussionen zum Thema Sprache und den ungelösten Problemen des Zusammenlebens und zusammen Lernens im dreisprachigen Südtirol. Die Arbeit beleuchtet die Schwierigkeiten, die mit der Förderung von Mehrsprachigkeit in einem Gebiet verbunden sind, das historisch nicht für diese Zwecke geschaffen wurde.
- Die Entwicklung Südtirols nach 1918 und die Folgen des Friedensvertrages von Saint-Germain
- Die sprachlichen und kulturellen Beziehungen zwischen der deutschen, italienischen und ladinischen Sprachgruppe
- Die wichtigsten Themenkomplexe im aktuellen politischen Diskurs Südtirols, wie z. B. den Artikel 19 des Autonomiestatuts, den Zweitspracherwerb, die Zweisprachigkeitsprüfung und den ethnischen Proporz
- Die Auswirkungen der Mehrsprachigkeit auf die Gesellschaft und die Politik in Südtirol
- Die Herausforderungen und Chancen, die sich aus der Mehrsprachigkeit für Südtirol ergeben
Zusammenfassung der Kapitel
- Das erste Kapitel beschreibt den Verlauf des Studienprojekts und die gewählte Vorgehensweise.
- Das zweite Kapitel bietet einen kurzen geschichtlichen Abriss zur Entwicklung Südtirols nach 1918, beleuchtet die Folgen des Friedensvertrages von Saint-Germain und die Herausforderungen, die sich durch die Annexion an Italien ergaben.
- Das dritte Kapitel widmet sich den drei Sprachgruppen in Südtirol: Deutsch, Italienisch und Ladinisch. Es analysiert die Nähe und Distanz zwischen den Sprachgruppen und die Herausforderungen des Zusammenlebens und der Kommunikation.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Themen Mehrsprachigkeit, Sprachpolitik, Minderheitenrechte, Südtirol, Autonomiestatut, Artikel 19, Zweisprachigkeit, Immersion, ethnischer Proporz, Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung, Toponomastik, Siegesdenkmal und die Situation der deutschen, italienischen und ladinischen Sprache in Südtirol.
- Citar trabajo
- Thomas Strobel (Autor), 2002, Dauerhafte und aktuelle Problemkomplexe in Südtirol/Alto Adige, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81943