Lesen im Werther, Lesen des Werther

Zur Rolle der Lektüre in Goethes frühem Roman


Hausarbeit, 2007

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung – intensives vs. extensives Lesen im 18. Jahrhundert

2. Lektüre im Werther
2.1 Klopstock
2.2 Homer und das Patriarchat
2.3 Ossian

3. Lektüremodelle im Werther
3.1. Lektüremodell im Vorwort
3.2. Lektüremodell des Werther
3.3 Lottes Lektüremodell
3.4 Alberts Leseverhalten

4. Schlusswort

5. Bibliographie

1. Einleitung – Intensives vs. extensives Lesen im 18. Jahrhundert

Die erste Fassung von Goethes Werther erschien 1774. In dieser Zeit vollzog sich im Bürgertum ein Wandel in der Art des Lesens sowie der Art der Lektüre. Bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde ‚intensiv’ gelesen. Das heisst, es wurden hauptsächlich religiöse Texte wie die Bibel sowie erbauliche Literatur gelesen. Man beschränkte sich auf einen Kanon bestimmter Lektüre und gab diesen Kanon von Generation zu Generation weiter. Man las die Bücher nicht nur einmal, sondern immer wieder, sodass man Passagen daraus rezitieren konnte.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann sich das Leseverhalten zu ändern, es wurde ‚extensiv’ gelesen. Das heißt, der Kanon wurde erweitert, man las nicht mehr ausschließlich Erbauliches sondern auch „bildende und belletristische Aufklärungsliteratur.“[1] Das Leseverhalten änderte sich dahingehend, dass man nicht mehr wenige Bücher mehrmals las, sondern möglichst viele Bücher und diese nur einmalig, sodass man mehr Zeit hatte für die Neuerscheinungen.[2]

Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit dem Leseverhalten, welches die Figuren im Werther auf ihre Lektüre anwenden. Dabei werde ich im Besonderen auf die Klopstockstelle, sowie auf die Bedeutung des Homer und des Ossian für Werther eingehen.

Des Weiteren werde ich erläutern, in wieweit sich das Lektüremodell des Vorwortes sowie der Hauptfiguren Werther, Lotte und Albert unterscheiden und welche unterschiedlichen Funktionen die Literatur für diese Figuren hat.

2. Lektüre im Werther

2.1 Klopstock

Friedrich Gottlieb Klopstock lebte von 1724 bis 1803. Er wurde bekannt durch sein Werk Der Messias, sowie durch Gedichte, Oden und Elegien. Es handelt sich somit um einen zeitgenössischen Autor Goethes, der im Jahre 1771 mit seinen Oden große Bekanntheit erlangte.[3] Klopstock dichtete zu der Zeit, als sich gerade der Wandel im Leseverhalten der Bürger vollzog. Er war für diejenigen da, „die in ihrer individuellen oder sozialen Entwicklung am Übergang von der kirchlichen Erbauungslektüre zur Lektüre erbaulicher Dichtung standen“[4]. Dazu gehörten vor allem Frauen, Kinder und Kaufleute, also ungelehrte Menschen.

Der Name des Dichters wird in Goethes Roman nur ein einziges Mal erwähnt, jedoch an einer sehr signifikanten Stelle, welche die sich anbahnende Beziehung zwischen Werther und Lotte betrifft. Die beiden sind auf dem Ball und haben sich gerade erst kennen gelernt. Es kommt ein Gewitter auf und Lotte hat ihre Angst vor dem Unwetter mit einem Spiel überwunden. Jetzt stehen beide am Fenster und beobachten den unbedrohlichen Rest des Gewitters:

Sie stand auf ihren Ellenbogen gestützt; ihr Blick durchdrang die Gegend, sie sah gen Himmel und auf mich, ich sah ihr Auge thränenvoll, sie legte ihre Hand auf die meinige, und sagte: - „Klopstock!“ – Ich erinnerte mich sogleich der herrlichen Ode, die ihr in Gedanken lag, und versank in dem Strome von Empfindungen, den sie in dieser Losung über mich ausgoß. […] Edler! Hättest du deine Vergötterung in diesem Blicke gesehen, und möchte ich nun deinen so oft entweihten Nahmen nie wieder nennen hören.[5]

Für Werther bedeutet dieser Ausspruch ein völliges Verstehen der beiden, da er sofort weiß, auf welche Ode sie anspielt, nämlich die „Frühlingsfeier“. Der Name des Dichters bedeutet für ihn eine innere Verbindung zu Lotte, die ihr gegenseitiges Empfinden ausdrückt, da nur der Name reicht und kein Wort über den Inhalt verloren werden muss, um zu wissen, was der andere fühlt bzw. woran er gerade denkt. Hans Rudolf Vaget bezeichnet diese Stelle als „poetischen Einklang der Herzen, der mit dem Namen des Dichters sozusagen blitzartig hergestellt wird.“[6] Werther ist nun umso mehr fasziniert von Lotte, da sie seine Vorliebe für den Dichter teilt und ebenso von dessen Dichtung ergriffen ist wie Werther.

Laut Richard Alewyn meint Lotte mit ihrem Ausruf hier nicht mehr nur die Literatur, sondern „sie händigt ihm den Schlüssel zu ihrem Herzen aus.“[7]

Daher beziehen sich die Empfindungen, die Werther in seinem Brief beschreibt, nicht nur auf die „herrliche Ode“, im Gegensatz zu Lotte, die von dem Naturschauspiel beeindruckt ist[8], sondern verstärken auch seine Begeisterung für Lotte, die sich durch ihre Kenntnis Klopstocks und seiner Oden als ‚würdige Leserin’ für Werther erweist. Er fühlt sich verstanden darin, dass es für dieses Naturschauspiel keinen besseren Ausdruck gibt, als den Namen des „edlen“, wie er Klopstock später in seinem Brief nennt, das nichts diesen Zustand besser beschreiben könnte, als diese Ode. Er sieht Lotte als verwandte Seele, die genauso empfindet, wie er, was auch dadurch unterstützt wird, das sie vom Rest der Gesellschaft getrennt sind und alleine die Schönheit des Naturschauspiels bewundern, während die anderen sich davor fürchten.

Man weiß jedoch nicht, ob Lotte diese Empfindungen Werthers wirklich teilt, Arnd Bohm beispielsweise sieht in Werthers angeblichem totalem Verstehen zwischen ihm und Lotte lediglich eine Wunschvorstellung Werthers, da Werther einfach davon ausgeht, dass Lotte an die Frühlingsfeier denkt und nicht an irgendeine andere Ode, so wie er auch später oft literarische Vorstellungen in sein Umfeld hineininterpretiert, die gar nicht vorhanden sind.[9]

Das Besondere an der Klopstockstelle war zur damaligen Zeit, dass es vorher noch keinen Roman gab, in dem die bloße Nennung des Dichternamens ausreichte, um eine solche Wirkung hervorzurufen.[10]

[...]


[1] Engelsing: Lesergeschichte, S.183.

[2] Vgl. Chartier: Geschriebene Botschaft , S.117-131 und Engelsing: Lesergeschichte, S.182-215.

[3] Vgl. Lee: Reception of Klopstock’s Odes, S.1-11.

[4] Engelsing: Lesergeschichte, S.192.

[5] Goethe: Werther, S.53.

[6] Vaget: Leiden des Werther, S.50.

[7] Alewyn: “Klopstock!”, S.359.

[8] Vgl. Vaget: Leiden des Werthers, S.50.

[9] Vgl. Bohm: Intertextuality in Werther, S.116-133.

[10] Alewyn: „Klopstock!“, S.357.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Lesen im Werther, Lesen des Werther
Untertitel
Zur Rolle der Lektüre in Goethes frühem Roman
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für deutsche Sprache und Literatur)
Veranstaltung
Einführungsseminar NDL: Goethe
Note
1,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
15
Katalognummer
V81961
ISBN (eBook)
9783638877596
Dateigröße
441 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lesen, Werther, Lesen, Werther, Einführungsseminar, Goethe
Arbeit zitieren
Andrea Löhr (Autor:in), 2007, Lesen im Werther, Lesen des Werther, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81961

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