Bis dass der Film reisst: Der Moment, in dem Ingmar Bergman für PERSONA (S 1965) einen brennenden Filmstreifen durch den Projektor laufen lässt, kann als Sinnbild für filmischen Exzess stehen. Obwohl aus dem Experimentalfilm entlehnte Formexperimente im Spielfilm Eingang gefunden haben, irritieren die fünf Sekunden, in denen Bergman nichts als ein weisses Bild zeigt: Die Form verselbständigt sich und wird zum Selbstzweck. Diesem Moment der Irritation kann die rauschende Tonspur zum schwarzen Bild in LOST HIGHWAY (USA 1996) gegenübergestellt werden. Nach einer schnell geschnittenen Sequenz kippt das Bild weg und David Lynch zeigt während fast 17 Sekunden zuerst ein unscharfes, dann ein schwarzes respektive leeres Bild.1 Obwohl exakt dreissig Jahre zwischen den beiden Filmen liegen, verwischen sie in ähnlicher Weise, durch den Einsatz von formalem Exzess, die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Traum oder Fantasie. Dem Zuschauer2 wird damit jeder Hinweis für eine Zuordnung der Bilder verweigert. Diesem Moment der Irritation, wie es evoziert wird und welche Formen dafür verantwortlich sind, widmet sich die vorliegende Arbeit.
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Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Forschungsstand
- Leitfragen
- Aufbau
- I. THEORIE
- Filmischer Exzess: Definitionen, Formen und Dimensionen
- Theoretische Konzepte zu filmischem Exzess (Thompson / Barthes)
- The Concept of Cinematic Excess (Kristin Thompson)
- Le sens obtus (Roland Barthes)
- Thompson versus Barthes: Fazit und Kritik
- Erste Begriffsbestimmung von filmischem Exzess
- Weitere theoretische Bezüge zum Konzept des filmischen Exzesses
- Filmischer Exzess als Betonung der Stil-Ebene von Filmen
- Exkurs: Bedeutung von Stil in der Filmgeschichte
- Genreorientierte Betrachtung von filmischem Exzess
- Narratologische Ansätze
- Discours vs. histoire (Christian Metz)
- Topik-Reihen (Peter Wuss)
- Auteur-Theorie
- Autorenfilm im Kontext Art Cinema
- Unterscheidung zwischen Spektakel und Exzess
- Filmischer Exzess als Form von Selbstreflexivität
- Filmischer Exzess als Form von Spektakel
- Manierismus
- Barock und Neobarock
- Minimal Art
- Kitsch, Camp
- Sujethafte und sujetlose Filme (Jurij M. Lotman)
- Dysnarration (Francis Vanoye)
- Narrationsmodi: Art Cinema Narration und parametrische Narration (David Bordwell)
- Fazit
- Begriffsbestimmung und -entwicklung
- Kritik und Diskussion: Historischer Abriss
- Autorenfilm im Kontext postmoderner Filme
- Fazit
- Interdisziplinärer Zugang
- Weitere Parallelen in Literatur und Theater
- Zusammenfassung der interdisziplinären Parallelen
- Abschliessende Beurteilung
- Filmischer Exzess als Gegenspieler
- Filmischer Exzess in Form von Selbstreflexion
- Filmischer Exzess in Form von Spektakel
- Filmischer Exzess in Form von Verrätselung
- Filmischer Exzess als Grenzbereich: Gegenkonzept und Subversion
- Gegenüberstellung Art Cinema und postmoderner Film
- Filmgeschichtliche Kontextualisierung: Art Cinema
- Begriffsbestimmung
- Filmhistorische Entwicklung
- Themen
- Narration und Gestaltungsmittel
- Figuren im Art Cinema
- Fazit: Ästhetik im Art Cinema
- Exzess im Art Cinema
- Filmgeschichtliche Kontextualisierung: postmoderner Film
- Begriffsbestimmung
- Themen
- Narration und Gestaltungsmittel
- Figuren im postmodernen Film
- Fazit: Postmoderne Ästhetik
- Exzess im postmodernen Film
- Merkmale filmischen Exzesses
- Gegenüberstellung Art Cinema und postmoderner Film
- II. ANALYSE
- Fallbeispiele
- L'ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD (Alain Resnais, F 1961)
- Synopsis
- Einbettung und Beschreibung der analysierten Sequenz
- Narration und Gestaltungsmittel
- Beurteilung filmischer Exzess in L'ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD
- L'ECLISSE (Michelangelo Antonioni, I/F 1962)
- Synopsis
- Einbettung und Beschreibung der ausgewählten Sequenz
- Narration und Gestaltungsmittel
- Beurteilung filmischer Exzess in L'ECLISSE
- PERSONA (Ingmar Bergman, S 1965)
- Synopsis
- Einbettung und Beschreibung der ausgewählten Sequenz
- Narration und Gestaltungsmittel
- Beurteilung filmischer Exzess in PERSONA
- VIDEODROME (David Cronenberg, CAN/USA 1983)
- Synopsis
- Einbettung und Beschreibung der ausgewählten Sequenz
- Narration und Gestaltungsmittel
- Beurteilung filmischer Exzess in VIDEODROME
- DROWNING BY NUMBERS (Peter Greenaway, UK/NL 1988)
- Synopsis
- Einbettung und Beschreibung der ausgewählten Sequenz
- Narration und Gestaltungsmittel
- Beurteilung filmischer Exzess in DROWNING BY NUMBERS
- LOST HIGHWAY (David Lynch, USA 1997)
- Synopsis
- Einbettung und Beschreibung der ausgewählten Sequenz
- Narration und Gestaltungsmittel
- Beurteilung filmischer Exzess in LOST HIGHWAY
- Schlusswort
- Dominante Ausprägungen von filmischem Exzess im Art Cinema
- Dominante Ausprägungen von filmischem Exzess im postmodernen Film
- Synthese
- Filmischer Exzess als Selbstzweck
- Kombination und Wiederholung: punktuelle versus konsequente Anwendung
- Filmischer Exzess und Autorschaft
- Art Cinema versus postmoderner Film: Entwicklung von filmischem Exzess
- Ausblick
- Definition und Abgrenzung des Begriffs "filmischer Exzess"
- Analyse der Entwicklung des filmischen Exzesses im Laufe der Filmgeschichte
- Untersuchung der spezifischen Verwendung von Exzess in Art Cinema und postmodernen Filmen
- Vergleich der ästhetischen und narrativen Strategien von Art Cinema und postmodernen Filmen in Bezug auf Exzess
- Analyse von ausgewählten Filmen als Fallbeispiele für die Verwendung von filmischem Exzess
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, filmischen Exzess in seiner Vielfältigkeit zu beleuchten und seine Entwicklung im Kontext von Art Cinema und postmodernen Filmen zu untersuchen. Dabei wird der Fokus auf die Analyse von Filmen liegen, die als exemplarisch für die Nutzung von Exzess als Stilmittel gelten.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die den Forschungsstand und die Leitfragen der Arbeit skizziert. In Kapitel 2 werden verschiedene theoretische Konzepte zum filmischen Exzess vorgestellt, darunter die Arbeiten von Kristin Thompson und Roland Barthes. Das Kapitel beleuchtet auch die Bedeutung von Stil im Film und diskutiert verschiedene narratologische Ansätze, die für das Verständnis von filmischem Exzess relevant sind. Zudem wird der Begriff "filmischer Exzess" in Bezug auf Spektakel und Selbstreflexivität analysiert. Kapitel 3 bietet einen Überblick über die Filmgeschichte von Art Cinema und postmodernen Filmen. Dabei werden die jeweiligen Themen, Narrationen, Gestaltungsmittel und Figurencharakteristiken beleuchtet, um einen Kontext für die Analyse von filmischem Exzess zu schaffen. Kapitel 4 präsentiert die Analyse von sechs Filmen: L'ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD, L'ECLISSE, PERSONA, VIDEODROME, DROWNING BY NUMBERS und LOST HIGHWAY. Dabei werden die jeweiligen Szenen, in denen filmischer Exzess besonders deutlich wird, detailliert untersucht. Abschliessend werden in Kapitel 5 die Ergebnisse der Analyse zusammengefasst und die dominanten Ausprägungen von filmischem Exzess im Art Cinema und im postmodernen Film herausgearbeitet.
Schlüsselwörter
Filmischer Exzess, Art Cinema, postmoderner Film, Stil, Narration, Gestaltungsmittel, Selbstreflexivität, Spektakel, Verrätselung, Grenzüberschreitung, Analyse, Fallbeispiele.
- Citation du texte
- Gina-Lisa Bucher (Auteur), Sarah Maret (Auteur), 2006, Bis dass der Film reißt. Dimensionen von filmischem Exzess in einer Gegenüberstellung von Art Cinema und postmodernem Film, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/81993