Hobbes und Rousseau: Der Vertragsschluss als staatsbegründendes Moment - zwei Entwürfe, ein Vergleich


Term Paper, 2002

20 Pages, Grade: 1,0


Excerpt


Gliederung

I. Einleitung

II. Thomas Hobbes : Der Leviathan
1. Naturzustand
2. Vertragsentscheidung
3. Vertragsschluss

III. Jean-Jacques Rousseau : Der Gesellschaftsvertrag
1. Naturzustand
2. Vertragsentscheidung
3. Vertragsschluss

IV. Ein Vergleich

Literautverzeichnis

I. Einleitung

„Homo homini lupus - Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“[1]

„Es ist nichts zahmer als der Mensch in seinem ursprünglichen Zustande,…“[2]

gegensätzlicher könnten zwei Aussagen über die Natur des Menschen kaum sein, als diese Zitate von Thomas Hobbes und Jean-Jacques Rousseau; zwei der bedeutendsten Vertreter der klassischen Vertragstheorie. Diese versteht, wie ihr Name bereits andeutet, den Vertrag als konstituierendes Moment der menschlichen Gesellschaft, wobei das Vertragsverständnis der einzelnen Autoren keinesfalls deckungsgleich ist. Dies ist schon anhand der kurzen Anfangszitate nachvollziehbar, denn die Vertragstheorie orientiert sich als Bestandteil der politischen Theorie letztlich immer am Menschen respektive am Menschenbild des Autors, schließlich sind die Menschen die kleinsten Bausteine staatlicher Ordnung. Die Annahme bestimmter menschlicher Eigenschaften ist nicht nur prägend für die Gestalt des gesellschaftlichen Gan-zen, sie ist vielmehr unumgängliche Prämisse einer jeden Staatskonzeption. Und so erscheint es äußerst interessant, zu untersuchen, wie sich solch gegensätzliche Positionen bezüglich der Natur des einzelnen Individuums auf den Entwurf der gesamten Gesellschaft und im Besonderen auf das Vertragsverständnis von Hobbes und Rousseau auswirken. Zu diesem Zweck soll der von ihnen in ihren wohl bedeutendsten Werken, dem „Le­viathan“ und dem „Contract Social“, gleichermaßen vollzogene „Dreischritt“ Naturzustand – Vertragsschluss – Staat dar-gestellt werden, wobei der Schwerpunkt auf den ersten beiden Schritten und nicht auf der je-weiligen Modifikation der staatlichen Ordnung liegen soll. Ab­schließend werden dann die wichtigsten Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Werke noch einmal grob zusam-mengefasst, wobei dem aufmerksamen Leser aufgrund der schematisch gleichen Vorgehensweise bei der Bearbeitung der Staatsentwürfe schon während der Bearbeitung des „Contract Social“ vergleichende Rückgriffe auf den Leviathan ermöglicht werden sollen.

II. Thomas Hobbes: Der Leviathan

1. Naturzustand

„Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“[3] – so beschreibt Thomas Hobbes den Menschen im Naturzustand. Davon auf einen animalischen, auf seine Instinkte reduzierten, sprach- und vernunftlosen Menschen zu schließen, wäre zumindest voreilig, schließlich ist bei genauer Betrachtung des Zitates nicht von dem Menschen als Wolf, sondern vielmehr von einem Menschen die Rede, der seinen Mitmenschen wie ein Wolf begegnet.

Wie also ist dieser Mensch als Wolf, und wie gestaltet sich sein Leben? Nun, vor al­len Dingen einsam; denn dieser Mensch ist ein Einzelgänger, kein staatenbildendes Wesen, kein zoon politikon, wie Aristoteles formulierte. Dieser Mensch ist in der eigentlichen Bedeutung des Wortes asozial. Alles, was die Menschen im Naturzustand in Gesellschaft hält ist gegen ihren Willen, solange „… es keine Macht gibt, die dazu in der Lage ist, sie alle einzuschüchtern.“[4] Und dies ist ja per definitionem im Naturzustand der Fall: hier existiert keine übergeordnete Gewalt, somit kein Kollektiv und kein Korrektiv, alles was ist, ist das Individuum. Als erster politischer Denker sucht Hobbes auf diese Weise den „reinen“ Menschen außerhalb der ihn umgebenden sozialen Strukturen, in der Isolation des Individuums. Er denkt ihn in einen außerstaatlichen Zustand, der nicht als historisches Faktum, nicht als chronologisches Davor, sondern vielmehr als das Saldo einer um ihre politische Gewalt dezimierten Menschengesellschaft verstanden werden soll, der jederzeit in der Lebensweise erblickt wer-den kann, „…in die solche Menschen, die früher unter einer friedlichen Regierung gelebt hat-ten, in einem Bürgerkrieg abzusinken pflegen.“[5] Dieser Naturzustand der Menschen offenbart sich im Zustand des Krieges, des Bürgerkrieges wohlgemerkt. Er ist somit kein Kampf zwischen religiösen, nationalen oder anders geeinten Gemeinschaften, denen immer auch ein verbindendes, stärkendes Element der Brüderlichkeit und Kameradschaft innewohnt. Der Na-turzustand ist der denkbar brutalste menschliche Kampf der absoluten Unsicherheit und Halt-losigkeit; es herrscht der Krieg eines jeden gegen jeden.[6] Nicht umsonst illustriert Hobbes diesen Zustand in der lateinischen Fassung seines Werkes mit einem grausamen biblischen Beispiel: dem Brudermord von Kain an Abel.[7] Dieser Naturzustand beschreibt das Zusammenleben der Menschen als das totale Chaos. Nichts wirkt von außen auf die menschliche Interaktion. Es existieren weder Eigentum noch Herrschaft[8] ; erst recht keine Moral, denn „Wo [sic!] keine allgemeine Gewalt ist, ist kein Gesetz, und wo kein Gesetz, keine Ungerechtigkeit.“[9] Gemessen am im „Leviathan“ verwendeten Freiheitsbegriff, der Freiheit defi-niert als „… die Abwesenheit äußerer Hindernisse“[10], befindet sich der Mensch im Naturzustand somit im Zustand absoluter Freiheit, wobei dieser Freiheitsbegriff nicht mit dem eines demokratischen Ideals gleichgesetzt werden darf, denn diese Freiheit ist äußerlich, gesellschaftsfeindlich und ziellos, und wäre sie absolut, so wäre dieser Mensch ein verlorener Skla-ve des Zufalls. Dieser Konsequenz war sich wohl auch Hobbes bewusst, zumindest stellte er dem äußeren Chaos eine strenge innere Ordnung des Individuums gegenüber. Nach außen gilt das Prinzip des Chaos, des natürlichen Rechts, wie es Hobbes formuliert, welches dem Menschen gestattet, jedes nach seiner Ansicht geeignete Mittel zur Selbsterhaltung ohne Rücksicht auf andere einzusetzen, selbst Vergewaltigung und Mord[11]. Nach innen projiziert Hobbes dieses Prinzip der äußeren Welt nahezu spiegelbildlich: der Komplexität der mensch-lichen Handlungsmöglichkeiten stellt er eine Reduktion der Antriebe entgegen.

„Hobbes gelingt die gleichsam geometrische Abstraktion des menschlichen Handelns in der Tat nur dadurch, daß [sic!] er zwei einschneidende Reduktionen vornimmt: einmal bezüglich der Willensfreiheit des Menschen, zum anderen im Hinblick auf die ihn leitenden Antriebe. Von ihnen bleiben am Ende nur zwei, ja im Grund nur ein einziger übrig: das Grundmotiv der Furcht oder – positiv – gewendet – der Wille zur Selbsterhaltung.“[12]

Nun mag man berechtigterweise fragen, wie diese Reduktion Ordnung in das zwischenmenschliche Chaos des natürlichen Rechtes bringen soll, wenn sie doch eigentlich durch ihre Legitimationsfunktion[13] die Voraussetzung für das Recht eines jeden auf alles darstellt. Die Antwort darauf erscheint banal: die Reduktion ordnet, genauer begrenzt das Chaos, indem sie für alle gilt. Durch sie hat nicht nur jedes Individuum aufgrund des natürlichen Rechts die gleiche Handlungsfreiheit sondern auch die gleiche Handlungsmotivation: die Selbsterhal-tung. Auf diese Weise entsteht eine Zielähnlichkeit menschlichen Handelns die zur Konkur-renz unter den Menschen führt - dies ist die Geburtsstunde des Neides und der Feindschaft.[14] Es ist nunmehr das Ziel jedes Menschen, dem eigenen Untergang vorbeugend seine Konkurrenten zu unterwerfen, bis ihm von niemandem mehr Gefahr droht. Alles dreht sich um die zentrale Frage: Wie kann ich meine eigene Selbsterhaltung langfristig sicherstellen? Antwort: Indem ich alle anderen als Feinde betrachte, die meine Existenz bedrohen. Verantwortlich für diesen Zustand macht Hobbes drei Hauptkonfliktursachen, die der menschlichen Natur unmittelbar entspringen. Es sind dies Konkurrenz, Misstrauen und Ruhmsucht.[15] Die Ursachen für das Chaos des Naturzustandes liegen also letztlich im Menschen selbst. Heute würde man ausgehend von den beschriebenen menschlichen Grundbedingungen bei Annahme freier Kraftentfaltung der Individuen in einem Zustand vollkommener Konkurrenz wohl sofort Ordnung im Chaos finden: man würde die Entstehung von Hierarchien als notwendige logi­sche Konsequenz erachten; nicht so Hobbes. Frei vom heute nahezu allgegenwärtigen, sozialen Darwinismus, der Hierarchien als natürliches Ergebnis der unterschiedlichen menschlichen Kräfteverhältnisse versteht, behauptet er die Existenz einer Möglichkeitengleichheit unter den Men-schen. Alle Menschen besitzen die gleichen geistigen und körperlichen Fähigkeiten, abgesehen natürlich von Hobbes selbst bzw. den Literaturschaffenden und Wissenschaftlern.[16] Es ist nicht leicht ersichtlich, warum Hobbes diese Möglichkeitengleichheit annimmt, wo diese doch offensichtlich das ordnende Prinzip der Reduktion menschlicher Handlungsmotivation zu zerstören scheint. Da Hobbes das Ziel seiner Gedankenkette, den Staat, nicht chaotisch sondern strukturiert konzipiert, sollte er doch eigentlich, wenn er schon deren Anfang als das Chaos beschreibt, jede durch Modellannahmen entstehende Ordnung aufgreifen und weiterverfolgen, anstatt sie durch weitere, nicht zwingende Modellannahmen wieder aufzuheben.

2. Vertragsentscheidung

Die Annahme gleicher menschlicher Fähigkeiten bei gleichzeitiger ungehemmter Kraftentfal-tung der Individuen ist es, die dem Naturzustand seine schreckliche Grausamkeit verleiht, in-dem sie die Entstehung gesellschaftlicher Hierarchien verhindert.

„Die Konkurrenz um knappe Güter führt daher nicht zur Feststellung der Überlegenheit des einen über den an­deren und der Beilegung von Feindseligkeiten durch Abhängigkeit, sondern mündet in dauernder Feindschaft und wechselseitiger Furcht.“[17]

[...]


[1] Hobbes, Vom Menschen – Vom Bürger, Widmungsschreiben, S. 59

[2] Rousseau, Schriften in zwei Bänden, S. 237

[3] Hobbes, Vom Menschen – Vom Bürger, Widmungsschreiben, S. 59

[4] Hobbes, Leviathan, S. 95

[5] Hobbes, Leviathan, S. 97

[6] Hobbes, Leviathan, S. 96

[7] Hobbes, Leviathan, S. 97, s. Anmerkungen zu Fußnote Nr. 22

[8] Hobbes, Leviathan, S. 98

[9] Hobbes, Leviathan, S. 98

[10] Hobbes, Leviathan, S. 99

[11] Hobbes, Leviathan, S.99

[12] Maier, S. 25

[13] Hobbes, Leviathan, S. 131 : Der Naturzustand legitimiert jede der Selbstsicherung dienende Handlung.

[14] Hobbes, Leviathan, S.95

[15] Hobbes, Leviathan, S.95

[16] Hobbes, Leviathan, S.94

[17] Nida-Rümelin, S.112

Excerpt out of 20 pages

Details

Title
Hobbes und Rousseau: Der Vertragsschluss als staatsbegründendes Moment - zwei Entwürfe, ein Vergleich
College
University of Passau  (FB Politik)
Course
Grundkurs Einführung in die politische Theorie
Grade
1,0
Author
Year
2002
Pages
20
Catalog Number
V8199
ISBN (eBook)
9783638152402
File size
560 KB
Language
German
Keywords
Hobbes, Rousseau, Vertragsschluss, Moment, Entwürfe, Vergleich, Grundkurs, Einführung, Theorie
Quote paper
Florian Jung (Author), 2002, Hobbes und Rousseau: Der Vertragsschluss als staatsbegründendes Moment - zwei Entwürfe, ein Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8199

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