Immer am 14. Juli – dem Nationalfeiertag – bejubelt sich Frankreich selbst in landesweiten Erinnerungsritualen und manifestiert den 14. Juli 1789 als Anbeginn einer neuen Zeitrechnung, die durch den Niedergang der Adelsgesellschaft geprägt wird und als fulminanten Endpunkt die Errichtung der Republik setzt. Schon das Festlegen der Bastille-Erstürmung als Start der Französischen Revolution stellt eine beliebige Geschichtskonstruktion von Historikern, Medien und Gesellschaft dar. Viele Einzelschritte begleiteten einen langen Prozess, der hinführte zu den heftigen Entwicklungen des Jahres 1789. Schon die Zeitgenossen beschrieben das 18. Jahrhundert als das Zeitalter der Revolutionen1. Das lässt sich unter anderem an eigentlich völlig unverdächtigen Details zeigen. Niccolò Machiavellis Text „Discorsi sopra la prima decada de Tito Livio“ wurde in den Jahren 1571, 1664, 1691 und 1782 jeweils neu ins Französische übersetzt. Das Wort Revolution taucht in der ersten Übersetzung nicht auf, im 17. Jahrhundert ein und zwei Mal und 1782 plötzlich 25 Mal2. Ist es schon schwierig, einen genauen Anfang zu bestimmen, so fällt es nicht leichter, einen zeitlichen Endpunkt zu benennen. François Furet sieht eine Ablösung der Französischen Revolution als Modell-Revolution mit der kommunistischen Umwälzung 1917 in Russland:
Alles wird anders im Jahre 1917. Da die sozialistische Revolution nunmehr ein Gesicht hat, hört die Französische Revolution auf, Modell für eine mögliche, wünschenswerte, erhoffte, aber noch inhaltlose Zukunft zu sein. Nun ist sie die Mutter eines wirklichen, datierbaren, verzeichneten Ereignisses, das den Namen trägt.3
Ist damit die Französische Revolution abgeschlossen? 1989 sagte François Furet, dass Frankreich die Revolution mit der Ära von François Mitterand akzeptiert habe und diese somit ein Ende gefunden habe4. Noch komplexer zeigt sich die Materie, wenn man sich auf die Suche nach den Ursachen für dieses die Ordnung in Europa verändernde Ereignis begibt. Eine einfache Lösung bietet ein Schulbuch von 1967 in einer Zusammenfassung:
Wir merken uns: Die Bürger Frankreichs waren von den Ideen der Aufklärung erfüllt und verlangten ein politisches Mitspracherecht. Bauern und Bürger lehnten sich gegen die Vorrechte des Adels und der Geistlichkeit auf. Die Einberufung der Ständevertreter zur Behebung der Finanznot führte 1789 zur Revolution.5
Diese Arbeit untersucht, wie ideologisch konträre Geschichtsschreibung konträr mit der Ursachenforschung der Französischen Revolution umgeht – und beschreibt dadurch auch schon wieder Geschichts-Prozesse. Denn die sozialistischen Historiker wurden von der Entwicklung ab dem Jahr 1989, der allgemein friedlichen Revolution in den kommunistischen Staaten, überholt und dadurch – aus heutiger Sicht – in eine Randlage gedrängt. Der DDR-Historiker Walter Markov wurde selbst schon Gegenstand ausführlicher Geschichtsschreibung6. Albert Sobouls Ansatz und der seines sozialistischen Mitstreiters Walter Markov, die Krise in Frankreich aufzuzeigen, die in die Revolution führte, bildet die eine Säule dieser Arbeit. Das Gegenkonzept des Konservativen François Furet die andere. Der dritte Teil dieser Ausarbeitung behandelt die Geschichte der konträren Geschichtsschreibung in diesem speziellen Fall. Es waren bei den beteiligten Historikern nicht allein ideologische Gegensätze, sondern auch persönliche vorhanden. Von 1982 bis 1997 starben diese drei Historiker7 – und mit ihnen eine auch in Zukunft einzigartige Streitkultur.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Die Krise in der sozialistischen Geschichtsschreibung
- 2.1. Die Krise des Adelsgesellschaft
- 2.2. Der Aufstieg der Bourgeoisie
- 2.3. Der Zusammenbruch
- 3. Die Krise in der bürgerlich-konservativen Geschichtsschreibung
- 3.1. Die Revolution beginnt lange vor 1789
- 3.2. Tocqueville erklärt Frankreichs vorrevolutionäre Strukturen
- 4. Revisionismus versus Marxismus und andere Streitigkeiten — die Gegensätze der Ideologien
- 4.1. Die persönliche Ebene
- 4.2. Der wissenschaftliche Diskurs
- 5. Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die konträren Interpretationen der Französischen Revolution durch sozialistische und bürgerlich-konservative Geschichtsschreibung. Dabei fokussiert sie auf die unterschiedlichen Ansätze zur Ursachenforschung und zeigt auf, wie diese von ideologischen und persönlichen Konflikten geprägt waren.
- Krise der Adelsgesellschaft und Aufstieg der Bourgeoisie als zentrale Faktoren der Revolution (sozialistische Perspektive)
- Langfristige Entwicklungen und vorrevolutionäre Strukturen als wesentliche Ursachen (bürgerlich-konservative Perspektive)
- Ideologische Konflikte und persönliche Streitigkeiten unter den Historikern
- Bedeutung der Französischen Revolution als Modell für spätere Revolutionen und ihre langfristige Rezeption
- Die Frage nach dem Ende der Revolution und ihrer Interpretationen in der modernen Geschichtsschreibung
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Schwierigkeit, einen präzisen Anfangs- und Endpunkt für die Französische Revolution zu definieren. Es werden verschiedene Perspektiven auf die Revolution und die Rolle der historischen Ereignisse vorgestellt, die zur Entwicklung des Jahres 1789 führten.
Kapitel Zwei analysiert die sozialistische Geschichtsschreibung, die die Französische Revolution als Kulmination eines langfristigen Wandels von der Adelsgesellschaft zur Herrschaft der Bourgeoisie sieht. Die Analyse konzentriert sich auf die Thesen von Albert Soboul und Walter Markov, die die Krise Frankreichs und den Aufstieg der Bourgeoisie als treibende Kräfte der Revolution betrachten.
Kapitel Drei beleuchtet die bürgerlich-konservative Geschichtsschreibung, die die Revolution als Ergebnis langfristiger, gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen begreift. Die Thesen von Alexis de Tocqueville, der Frankreichs vorrevolutionäre Strukturen analysiert, werden vorgestellt.
Kapitel Vier untersucht die konträren Ansätze der sozialistischen und bürgerlich-konservativen Geschichtsschreibung, die sowohl ideologisch als auch persönlich geprägt sind. Der Fokus liegt auf dem Diskurs um die Revolution und die Bedeutung der einzelnen Historiker, wie Soboul, Markov und Furet, in diesem Kontext.
Schlüsselwörter
Französische Revolution, Geschichtsschreibung, Sozialismus, Konservatismus, Ideologie, Krise, Adel, Bourgeoisie, Revolutionstheorie, François Furet, Albert Soboul, Walter Markov, Historiographie, 1789, 18. Jahrhundert, Frankreich.
- Quote paper
- BA Axel Huber (Author), 2005, Die Französische Revolution als Krisen-Konstruktion moderner, ideologisch konträrer Geschichtsschreibung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82068