Vergleichende Analyse der Erwerbstätigkeit von Frauen und dem Einfluss auf die Fertilität in den 1970er und 1980er Jahren in der DDR und BRD


Bachelorarbeit, 2007

48 Seiten, Note: 1,8

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretischer Rahmen
2.1. Soziologische Theorie sozialpolitischer Intervention
2.2. Theorie der kulturellen Leitbilder
2.2.1. Grundlegende Kategorien: Geschlechter – Arrangement, Geschlechterkultur und Geschlechterordnung
2.2.2. Institutionen und Handlungsfelder der Geschlechterordnung
2.2.3. Geschlechterkulturelle Modelle als Grundlage für die Klassifizierung von Geschlechter – Arrangements
2.3. Zusammenfassung

3. Methodische Probleme beim Ost – West – Vergleich

4. Politische Rahmenbedingungen beider deutscher Staaten
4.1. Familienpolitische- und Frauenpolitische Leitbilder der DDR und BRD
4.1.1. BRD
4.1.2. DDR
4.2. Familienpolitische Maßnahmen
4.2.1. BRD
4.2.2. DDR
4.3. Umsetzung der Leitbilder und Zielvorstellungen in der Realität
4.3.1. Demographische Entwicklungen beider deutscher Staaten
4.3.2. Zusammenfassung

5. Rahmenbedingungen der Erwerbstätigkeit
5.1. Arbeitsmarkt
5.1.1. Art der Beschäftigung
5.1.2. Entlohnung
5.2. Erwerbsverhalten von Männern und Frauen
5.3. Weibliche Erwerbsbiographien
5.4. Motivation der Frauen

6. Zusammenhang zwischen sozialpolitischen Interventionen und kulturellen Leitbildern in DDR und BRD in Bezug auf die Frauenerwerbstätigkeit und die Fertilität
6.1. Zusammenführung der theoretischen Ansätze
6.2. Übertragung der theoretischen Ansätze auf das Verhältnis von Frauenerwerbstätigkeit und Fertilität in der DDR und BRD

7. Fazit und Ausblick

8. Literaturverzeichnis

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Tabelle 1: Sozialpolitische Maßnahmen der BRD

Tabelle 2: Sozialpolitische Maßnahmen der DDR

Tabelle 3: Anteile der weiblichen Berufstätigen in der BRD nach Wirtschaftsabteilungen 1971 (Quelle: Helwig 1974, S. 86)

Tabelle 4: Anteile der weiblichen Berufstätigen in der DDR nach Wirtschaftsbereichen 1971 (ohne Lehrlinge); (Quelle: Helwig 1974, S. 85)

Abbildung 1: Zusammengefasste Geburtenrate für Ost- und Westdeutschland 1950-1990; (Quelle: Kreyenfeld 2004, S. 13)

Abbildung 2: Zusammengefasste Scheidungsziffer in Deutschland von 1970 – 2005 (Bundesministerium des Inneren, Stand 25.06.2007)

Abbildung 3: Entwicklung der Frauenerwerbstätigenquote in Ost- und Westdeutschland 1950-1989, (Quelle: Böttcher 2006, S. 6)

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit ist darauf ausgerichtet, darzustellen, wie sich die Frauenerwerbstätigkeit auf die Fertilität in der alten Bundesrepublik (BRD) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) in den 1970er und 1980er Jahren ausgewirkt hat. Dabei muss jedoch immer beachtet werden, dass sowohl die Erwerbstätigkeit als auch die Fertilität nicht ohne die Einbeziehung anderer Faktoren betrachtet werden können, sondern nur im Kontext der in einer Gesellschaft bestehenden Vorstellungen darüber wie unter anderem die Familie, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die staatlichen Rahmenbedingungen miteinander in Verbindung stehen und so die Lebensbedingungen von Individuen beeinflussen. Die Idee zur Bearbeitung dieses Themas ist unter anderem im Zusammenhang mit einem aktuellen Kinofilm entstanden, wodurch die Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch aktuelle Bezüge erhält. „Das Streben nach Glück“[1] stellt auf eindrucksvolle Weise dar, mit welchen Schwierigkeiten Eltern bei der Vereinbarung von beruflicher Karriere und der Kinderbetreuung konfrontiert werden. Es wird deutlich, dass nicht nur Konflikte durch die Ausübung einer Berufstätigkeit entstehen, sondern auch die partnerschaftliche Beziehung unter dem Spannungsverhältnis von Familie und Beruf leidet. Der hier genannte Film spielt in den 1980er Jahren in San Francisco. Beide Partner sind berufstätig und haben einen gemeinsamen Sohn, den sie aus finanziellen Gründen tagsüber zu einer privaten Pflegemutter geben, die jedoch nicht einmal die Landessprache beherrscht. Um die Lebensbedingungen zu verbessern, beginnt der Vater eine Ausbildung, bei welcher er jedoch nicht entlohnt wird. Die Spannungsverhältnisse zwischen den Partnern unter der finanziellen Belastung und dem Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden schließlich so groß, dass die Frau ihre Familie verlässt. Der Vater hat nun eine noch größere Bürde zu tragen, da er nun für die Vereinbarkeit beider Lebensbereiche mit zusätzlichen finanziellen Problemen allein zuständig ist.

Diese Darstellung soll verdeutlichen, wie konfliktreich der Versuch der Vereinbarung zweier Lebensbereiche, die jeweils verschiedene und zum Teil sich ausschließende Anforderungen an die Individuen stellen, sein kann. In Bezug auf die hier angestrebte Untersuchung der Frauenerwerbstätigkeit und deren Einfluss auf die Fertilität von Frauen der beiden deutschen Staaten in den 1970er und 1980er Jahren wird in der Wissenschaft häufig argumentiert, dass ein negativer Zusammenhang zwischen den beiden Parametern besteht (Vgl. Kreyenfeld 2004, S. 18; Engelhardt/ Kögel/ Prskawetz 2001, S. 3). Das Ziel soll es nicht sein, diesen negativen Zusammenhang nachzuweisen, sondern zu untersuchen, welche Faktoren auf die beiden Lebensbereiche einwirken und auf diese Weise die negative Beziehung hervorrufen. Im zweiten Kapitel sollen hierzu theoretische Ansätze vorgestellt werden, die es ermöglichen die verschiedenen Faktoren, die die Lebensbereiche beeinflussen, miteinander in Beziehung zu setzen. Kapitel erläutert verdeutlicht, welche Probleme bei einem Ost-West-Vergleich auftreten können. In dem darauf folgenden Kapitel soll zum einen dargestellt werden, welche Rahmenbedingungen mit welchen Mitteln vom jeweiligen Staat hinsichtlich der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familie geschaffen wurden und zum anderen welchen Zielen dabei gefolgt wurde. Da jedoch die vom Staat beabsichtigten und in der Realität der Individuen auftretenden Wirkungen differieren können, soll im Anschluss eine kurze Einschätzung demographischer Parameter wie beispielsweise der Fertilitätsrate, Heirats- und Scheidungsneigung und anderer erfolgen.

Im fünften Kapitel wird schließlich die Erwerbssituation der Frauen betrachtet, um Unterschiede zwischen den beiden Teilstaaten und den Geschlechtern benennen können. Schließlich soll im sechsten Kapitel beurteilt werden, inwiefern äußere Faktoren auf das Verhältnis von Frauenerwerbstätigkeit und Fertilität einwirken.

2. Theoretischer Rahmen

Zunächst soll eine theoretische Rahmung erstellt werden, um mit Hilfe dieser fundierte Aussagen über den Zusammenhang von Frauerwerbstätigkeit und Fertilität treffen zu können. Hierzu sollen gezielt Ansätze vorgestellt werden, die es möglich machen, zu zeigen, dass die Setzung von staatlichen Maßnahmen einen Einfluss auf die Entscheidungen von Individuen haben können und die Individuen ebenso mit ihren Handlungen einen Umschwung der gesellschaftlichen Orientierung erzielen können. Um nun sowohl die Perspektive von agierenden staatlichen Politiken als auch die Handlungsebene der Individuen in die Betrachtung mit einzubeziehen, wird eine Verknüpfung der von Franz Xaver Kaufmann (2005) vorgeschlagenen „soziologischen Theorie sozialpolitischer Intervention“ und der „Theorie der kulturellen Leitbilder“ von Birgit Pfau-Effinger angestrebt. Im Vorfeld wurde auch die Einbeziehung von Esping-Andersens (1990) entwickelter Wohlfahrtsstaatstypologie in Betracht gezogen, da diese es erlaubt verschiedene Wohlfahrtsstaatstypen zu unterscheiden. Jedoch scheint aufgrund der ausschließlichen Orientierung Esping-Andersens auf die westeuropäischen Industriestaaten eine Verwendung dieser Typologie als wenig sinnvoll, da die Übertragung dieser Theorie auf die sozialistisch ausgerichtete DDR mit Problemen verbunden wäre. Denn sowohl der politische als auch der gesellschaftliche Aufbau dieses Staates unterliegt einer gänzlich anderen Ideologie bzw. Orientierung als die von Esping-Andersen angenommenen Merkmale. Im folgenden Abschnitt wird die Eignung der vorgestellten theoretischen Ansätze ausführlicher begründet.

2.1. Soziologische Theorie sozialpolitischer Intervention

Franz Xaver Kaufmann (1982) hebt zunächst den Sachverhalt hervor, dass „Sozialpolitik (…) in der Verknüpfung von Leistungen unterschiedlicher funktionaler Teilsysteme der Gesellschaft im Hinblick auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung besteht“ (Kaufmann, 2005, S. 74). Das heißt also, dass jede politische Maßnahme in ein bereits bestehendes System von Maßnahmen eingegliedert wird und dort in Verbindung mit anderen Maßnahmen seine Wirkung entfaltet (Vgl. a.a.O., S. 145). Aufgrund dieser Zusammenhänge definiert Kaufmann Sozialpolitik als „kumulativen Prozess sozialstaatlicher Intervention“, „deren Wirksamkeit sich erst im Laufe der Zeit auf die ganze Bevölkerung ausdehnt“ (Vgl. a.a.O., S. 146). Das Wirkungsfeld der Sozialpolitik verortet Kaufmann in den „sozialen Verhältnissen“, welche die Lebensbedingungen der Individuen umfassen (Vgl. a.a.O., S. 76). Schon anhand dieser kurz skizzierten Ausführungen bezüglich der Sozialpolitik wird deutlich, dass sich die Analyse des Zusammenhangs von sozialpolitischen Maßnahmen als schwierig erweist, da sich das Beziehungsgeflecht sehr vielfältig darstellt. Um dieses Beziehungsgeflecht trotz der enormen Vielschichtigkeit untersuchen zu können, schlägt Kaufmann die Verknüpfung der „politikwissenschaftlichen Einsicht in die Mehrstufigkeit politischer Prozesse“ mit der „soziologischen Unterscheidung unterschiedlicher Ebenen gesellschaftlicher Realität“ vor (a.a.O., S. 78). Weiterhin macht Kaufmann deutlich, dass jede Intervention eines Staates mit einem Eingriff in das alltägliche Leben der Individuen verbunden ist, wobei er zwei wesentliche Merkmale hervorhebt, die das Verhältnis der staatlichen Maßnahmen und der Individuen zueinander beschreiben: Es wird gezeigt, dass sich staatliches Eingreifen zum einen darüber legitimiert, dass sie eine Verbesserung der Lebensbedingungen bestimmter Zielgruppen zum Ziel hat und zum anderen darüber, dass die Maßnahmen eine kollektive Bedeutung besitzen, die also nicht nur einer einzelnen Gruppe einer Gesellschaft nützen, sondern der Allgemeinheit (Vgl. a.a.O., S. 83). Auf diese Weise wird deutlich, dass „sozialpolitische Intervention immer ambivalent ist“, da die jeweiligen Maßnahmen einerseits nicht vorrangig im Interesse der genannten Zielgruppe erfolgen müssen und andererseits die durchgeführten Maßnahmen auch nicht automatisch auf die Zustimmung dieser Zielgruppe treffen muss (a.a.O., S. 85). Durch diese Ambivalenz der Wirkungsweise der Sozialpolitik wird deutlich, dass eine „soziologische Betrachtungsweise (…) mehrperspektivisch“ angelegt sein muss, „d.h. sie hat Möglichkeiten und Restriktionen aller an einem sozialpolitischen Prozess beteiligten Akteure mit zu berücksichtigen“ (a.a.O., S. 83). Erst durch die Verbindung des sozialpolitischen Prozesses mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit können Erkenntnisse von der Wirkungsweise gewonnen werden.

Da die bisher dargestellten Zusammenhänge sehr komplex sind und auf dieser Basis nur schwer theoretisch fassbar erscheinen, müssen Vereinfachungen dieser Beziehungen vorgenommen werden. Dazu geht Kaufmann von der Annahme aus, dass staatliche Intervention so angelegt ist, dass sie typische Effekte erzielt, die in vier Kategorien zusammengefasst werden kann (Vgl. a.a.O., S. 87; Trappe 1995, S.25):

1. Die Verbesserung des rechtlichen Status von Personen;
2. Die Verbesserung der Einkommensverhältnisse von Personen;
3. Die Verbesserung der materiellen und sozialen Umwelt von Personen;
4. Die Verbesserung der Handlungskompetenz von Personen.

Anhand dieser Systematisierung werden „vier unterschiedliche Voraussetzungen für die Teilhabe an den typischen Formen moderner Bedürfnisbefriedigung, Interessenartikulation und kultureller Orientierung“ deutlich (Kaufmann 2005, S. 87). Somit kann festgestellt werden, dass diese vier Effekte dazu dienen können, die Lebenslage von Personen zu charakterisieren. Da diese Typologie lediglich mögliche Effekte und nicht die Intervention selbst erfasst, geht Kaufmann einen Schritt weiter und erstellt vier Interventionsformen, wobei er jedem Wirkungseffekt eine Interventionsform zuordnet, die im Folgenden entsprechend der obigen Wirkungseffektreihenfolge aufgezählt werden: die rechtliche Interventionsform, die ökonomische Interventionsform, die ökologische Interventionsform und die pädagogische Interventionsform. Mit Hilfe dieser Untergliederung wird es für die vorliegende Arbeit möglich sein, zu zeigen, mit welchen Mitteln ein Staat auf die Lebensbedingungen der Individuen versucht Einfluss zu nehmen. Gleichzeitig können die Rahmenbedingungen charakterisiert werden, in denen die Individuen ihre Lebensverläufe gestalten. Unter welchen Bedingungen sozialpolitische Interventionen Einfluss auf das individuelle Handeln ausüben können, stellt Heike Trappe in Anlehnung an Kaufmann dar: Umso größer die Wirkung staatlicher Politik auf die Individuen ist, „je geringer sind die Handlungsspielräume der Adressaten“ (Trappe 1995, S. 26). Weiterhin lässt sich die Wirkung der politischen Maßnahmen eher prognostizieren, wenn die Freiheitsgrade und die Handlungsalternativen in einem geringen Maße vorliegen. Sozialpolitische Maßnahmen können jedoch nicht nur auf das individuelle Handeln Einfluss nehmen, sondern auch auf den politischen Handlungsspielraum. So können sich verschiedene Maßnahmen in „Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Eigenlogik wechselseitig verstärken, blockieren oder neutralisieren“ (a.a.O., S. 26). Das heißt also, dass verschiedene Maßnahmen gegeneinander wirken können und auf diese Weise ihre Wirksamkeit erschweren. Aus diesem Grund muss der Staat dafür Sorge tragen, dass sich bereits etablierte und neu entwickelte Maßnahmen zum einen nicht gegenseitig ausschließen und zum anderen alle bis zu einem Zeitpunkt durchgesetzten Maßnahmen erhalten bleiben, damit die Inanspruchnahme innerhalb des biographischen Rahmens überschaubar und auch planbar bleibt.

2.2. Theorie der kulturellen Leitbilder

Birgit Pfau-Effinger (2000) versucht mit ihrer Theorie der kulturellen Leitbilder einen theoretischen Ansatz zu entwickeln, der es erlaubt, „internationale Differenzen in der Erwerbsbeteiligung von Frauen“ zu erklären (Pfau-Effinger 2000, S. 19). Hierbei macht sie darauf aufmerksam, dass bereits vorhandene Theoriekonstruktionen zum Teil zu beschränkt in ihrer Argumentation sind, und somit nicht der „Komplexität der Zusammenhänge“ gerecht werden, die das unterschiedliche Maß der Erwerbsbeteiligung von Frauen beeinflussen (a.a.O, S. 19). In diesem Zusammenhang verweist die Autorin auf die Tatsache, dass wohlfahrtsstaatliche Rahmenbedingungen zwar von Bedeutung sind, wenn es um die Erwerbsbeteiligung von Frauen geht, jedoch scheinen solche institutionell ausgerichteten Ansätze dazu zu neigen, die Erwerbsmotivation von Frauen ausschließlich auf ökonomische Belange zurückzuführen, die wiederum in Form von finanziellen Anreizen von staatlicher Seite gesetzt wurden. Auch feministische Diskurse greifen laut Pfau-Effinger nicht weit genug, wenn sie davon ausgehen, dass Frauen Zeit ihres Lebens bestrebt sind, einer Vollbeschäftigung nachzugehen und die staatliche Politik dafür verantwortlich ist, inwiefern ihnen es möglich ist, dieser Orientierung gerecht zu werden (Vgl. a.a.O., S.20). Diese Argumentation führt dazu, dass beispielsweise die Ausübung einer Teilzeitarbeit lediglich darauf zurückzuführen ist, dass der Staat keine ausreichenden Rahmenbedingungen geschaffen hat, die die volle Erwerbstätigkeit der Frau ermöglicht. Somit wird deutlich, dass laut Pfau-Effinger die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Beschäftigungsform nicht nur von staatlicher Seite gelenkt wird, sondern auch andere Institutionen wie der Arbeitsmarkt oder auch die Familie einen Einfluss auf das jeweilige Erwerbsverhalten haben (Vgl. a.a.O., S. 20). Demnach dürfen nicht nur einzelne Institutionen bei der Untersuchung betrachtet werden, sondern es muss das „Wechselspiel zwischen den verschiedenen Institutionen“ analysiert werden (a.a.O., S. 20).

Auf dieser Grundlage hebt Pfau-Effinger hervor, dass diesen Argumentationen die kulturellen Bezüge fehlen, die zum einen das Handeln der Individuen mit bedingen und auch zwischen verschiedenen staatlichen Systemen differieren können. Doch nicht nur die staatliche Politik ist an bestimmten kulturellen Mustern ausgerichtet, sondern auch das Erwerbsverhalten des Einzelnen wird maßgeblich durch kulturelle Leitbilder mitbestimmt. Unter diesen Aspekten weist die Autorin darauf hin, dass vor allem in der Frauenforschung davon ausgegangen wird, dass ein direkter Zusammenhang zwischen der Erwerbstätigkeit der Frauen und den in der Familie zu erledigenden Aufgaben besteht (Vgl. a.a.O., S. 21). Vor diesem Hintergrund ist damit zu rechnen, dass sich aufgrund der verschiedenen kulturellen Einstellungen einzelner Länder die jeweilige Orientierung bezüglich der Erwerbs- und Familienarbeit unterscheiden. Gerade dies ist für die vorliegende Arbeit ein interessanter Aspekt, da untersucht werden soll, inwiefern die Erwerbstätigkeit einen Einfluss auf die Fertilität der beiden deutschen Staaten hatte. Aus dieser Perspektive scheint es möglich, ausgehend von den vorherrschenden Familien- und Frauenleitbildern der DDR und BRD, herauszufinden, wie Frauen aufgrund dieser Leitbilder beispielsweise in den Lebensbereichen Familie oder Arbeitsmarkt agieren bzw. wie diese kulturellen Orientierungen durch den Staat gefördert oder ermöglicht wurden. Durch die Einbeziehung der kulturellen Leitbilder wird das komplexe Beziehungsgeflecht von Wirkung staatlicher Einflussnahme, Familie und den Orientierungen der einzelnen Individuen erst deutlich: Die Handlungen der Individuen sind durch die Leitbilder geprägt. Die Entscheidung für oder gegen eine Erwerbstätigkeit der Frau muss unter Berücksichtigung dieser Leitbilder, den familialen Orientierungen und Bedürfnissen und den staatlichen Bestimmungen getroffen werden. Wie sich hier schon vermuten lässt, können solche Entscheidungsfindungen nicht ohne Konflikte ablaufen. Die Autorin stellt an dieser Stelle fest, dass es zum einen innerhalb einer Gesellschaft nicht das eine kulturelle Leitbild gibt, da soziale Akteure durch konfliktreiche Aushandlungsprozesse „konkurrierende Leitbilder“ schaffen können, und zum anderen dass sich „kulturelle und institutionelle Bedingungen“ unterschiedlich schnell entwickeln können, wodurch es wiederum notwendig wird, die Wechselwirkung dieser Faktoren zu untersuchen (a.a.O., S. 22). Pfau-Effinger verweist weiterhin darauf, dass die bisher vorliegenden Ansätze zur Klärung der internationalen Differenzen der Erwerbsbeteilung zu statisch angelegt sind, wodurch es schwierig ist, sozialen Wandel anhand mehrerer Dimensionen zu klären. Sie will einen theoretischen Rahmen schaffen, der es erlaubt, „auf der Basis des Geschlechter – Arrangements“ zum einen die „Wechselbeziehungen zwischen kulturellen, institutionellen und strukturellen Bedingungen“ und zum anderen das „soziale Handeln“ einzubeziehen und zu analysieren (a.a.O., S. 23). Die verbreitete Annahme, dass mit dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft ein einheitliches kulturelles Modell der männlichen Versorgerehe entstanden ist, dass auf alle Industrieländer gleichermaßen anwendbar ist, scheint nicht ausreichend, um die komplexen Zusammenhänge zu erklären. Pfau-Effinger geht davon aus, dass sozialer Wandel dann stattfindet, wenn soziale Akteure Konflikte über Aushandlungsprozesse lösen, und daher vermutet sie, dass sich in verschiedenen Ländern ähnliche aber auch differierende kulturelle Leitbilder entwickelt haben.

2.2.1. Grundlegende Kategorien: Geschlechter – Arrangement, Geschlechterkultur und Geschlechterordnung

Mit Hilfe dieser Vorüberlegungen entwickelt die Autorin nun einen eigenen theoretischen Rahmen mit den Begriffen „Geschlechterkultur, Geschlechterordnung und Geschlechter – Arrangements“ (a.a.O., S. 68). Innerhalb dieses Rahmens bezeichnet Pfau-Effinger als Geschlechterkultur die Werte und Leitbilder, die innerhalb einer Gesellschaft bezüglich der gesellschaftlichen Integration und Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen maßgeblich sind. Wie bereits erwähnt worden ist, können aufgrund von „Konflikten, Aushandlungsprozessen und Kompromissbildungen zwischen sozialen Gruppen“ auch verschiedene Leitbilder entstehen, die dann nebeneinander bestehen können. Diese Leitbilder sind innerhalb einer Gesellschaft in Form von Normen institutionell verfestigt und somit gewissermaßen stabil (a.a.O., S. 69). Daher ist davon auszugehen, dass sowohl die Bevölkerung eines Staates als auch die Politik der Institutionen ihr Handeln anhand eines „kulturellen Kompromisses“[2] über die gesellschaftliche Arbeitsteilung ausrichten. Da jedoch verschiedene soziale Gruppen an dieser Kompromissfindung beteiligt sind, kann das jeweilig verankerte Leitbild erneut ausgehandelt werden, wodurch die vorherrschende Geschlechterkultur „sowohl als Ursache als auch als Folge des sozialen Handelns“ der Individuen angesehen werden kann (a.a.O., S. 69). Zusätzlich muss an dieser Stelle beachtet werden, dass innerhalb eines Landes keinesfalls ein dominierendes Leitbild von allen Individuen Anerkennung finden muss. So können zwischen sozialen Gruppen, Milieus oder auch ethnischen Minderheiten die Leitbilder variieren, obwohl die institutionellen Rahmenbedingungen einheitlich und universell gültig angelegt sind. Genau solche Ungleichzeitigkeiten müssen nach Pfau-Effinger bei der Analyse besondere Berücksichtigung finden, da sie sowohl Ergebnis als auch Ursache für Veränderungsprozesse darstellen können. Hierbei muss zusätzlich beachtet werden, ob es sich bei diesen Veränderungen um eine „Pluralisierung von Werten und Leitbildern oder eher um Ungleichzeitigkeiten beim Übergang von einem alten zu einem neuen dominanten Leitbild handelt“ (a.a.O., S. 70).

Mit dem Begriff der Geschlechterordnung[3] bezeichnet Pfau-Effinger die in der Realität existierenden Geschlechterverhältnisse und die Beziehungen zwischen einzelnen Institutionen bezüglich der geschlechtlichen Arbeitsteilung. Die Strukturen dieser geschlechtlichen Arbeitsteilung sind in dem allgemeinen System der Arbeitsteilung zwischen den Institutionen Arbeitsmarkt und Bildungssystem, Familie und Haushalt, Wohlfahrtsstaat und dem intermediären Sektor (Zwischenbereich zwischen diesen Institutionen) verankert (Vgl. a.a.O., S. 70), wobei die Arbeitsteilung zwischen diesen Institutionen durch die jeweiligen kulturellen Leitbilder und geschlechtlichen Vorstellungen organisiert wird. Dies verdeutlicht Pfau-Effinger an dem Beispiel der Zuordnung von verheirateten Müttern zu der Sphäre des privaten Haushalts. In diesem Kontext übernimmt die Mutter gesellschaftliche Aufgaben in Form von Betreuungsaufgaben. Würde sie jedoch der Sphäre der Erwerbstätigkeit zugeordnet werden, müsste der Staat dafür Sorge tragen, dass diese Aufgaben einer anderen Institution zugewiesen werden. Das heißt also, dass der Wohlfahrtsstaat laut Pfau-Effinger die Rahmenbedingungen für die Funktionsweise der Institutionen und ihrer Beziehung zueinander festlegt und auf diese Weise den Stellenwert, den die einzelne Institution bei der Produktion von Wohlfahrt einnimmt, bestimmt. Schließlich kann also festgehalten werden, dass die jeweilige geschlechtliche und kulturelle Orientierung in der Organisation der Institutionen wieder gefunden werden kann und darüber auch wieder reproduziert wird.

[...]


[1] Regisseur: Gabriele Muccino, Erscheinungsdatum 18.01.2007

[2] Hervorhebung im Text S. 69

[3] Den Begriff der Geschlechterordnung übernimmt Pfau-Effinger von Robert Connell (1987)

Ende der Leseprobe aus 48 Seiten

Details

Titel
Vergleichende Analyse der Erwerbstätigkeit von Frauen und dem Einfluss auf die Fertilität in den 1970er und 1980er Jahren in der DDR und BRD
Hochschule
Universität Rostock  (Institut für Soziologie und Demographie)
Note
1,8
Jahr
2007
Seiten
48
Katalognummer
V82141
ISBN (eBook)
9783638847780
Dateigröße
566 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vergleichende, Analyse, Erwerbstätigkeit, Frauen, Einfluss, Fertilität, Jahren
Arbeit zitieren
Anonym, 2007, Vergleichende Analyse der Erwerbstätigkeit von Frauen und dem Einfluss auf die Fertilität in den 1970er und 1980er Jahren in der DDR und BRD, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82141

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