Entwicklung eines Kommunalmarketing-Instrumentes zur Beeinflussung des unternehmerischen Standortwahlverhaltens


Diploma Thesis, 2007

114 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhalt

Kurzfassung

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einführung
1.1 Problemstellung, Relevanz und Zielsetzung
1.2 Aufbau der Arbeit

2 Die unternehmerische Standortwahl
2.1 Der Raumwirtschaftliche Ansatz der Wirtschaftsgeographie
2.1.1 Neoklassische Theorie: Die Rolle der Transportkosten
2.1.2 Kritik
2.2 Relationale Wirtschaftsgeographie
2.2.1 Entstehung neuer Industrien und regionaler Wachstumszentren
2.2.2 Lokale Produktionssysteme, Innovative Milieus und Netzwerke
2.2.3 Unternehmensgründung und -wachstum aus evolutionärer Sicht
2.3 Verhaltensorientierte Ansätze
2.3.1 Heuristische Verfahren der Standortwahl
2.3.2 Unvollständige Information und Fähigkeit zur Verarbeitung
2.4 Prozess, Faktoren und Einschränkungen der Standortwahl
2.4.1 Anlässe und Phasen der Standortentscheidung
2.4.2 Anforderungen an den Standort: Die Standortfaktorensicht
2.5 Standortdynamik und Abschätzung des Ansiedlungspotenzials
2.6 Zusammenfassung

3 Kommunalmarketing als Untersuchungsgegenstand
3.1 Marketing als Ausgangsbasis
3.1.1 Konzepte, Anwendungsbereiche
3.1.2 Übertragung auf den öffentlichen Bereich
3.2 Das Kommunalmarketing
3.2.1 Inhalt, Ziele und Erfolgsfaktoren
3.2.2 Organisation und Finanzierung
3.3 Standortmarketing: Das St. Galler-Management-Konzept übertragen auf das Management von Wirtschaftsstandorten
3.3.1 Standortanalyse
3.3.2 Normatives Standortmanagement: Leitbilder und Ziele
3.3.3 Strategisches Standortmanagement: Standortstrategien
3.3.4 Operatives Management: Maßnahmen und Instrumente
3.3.5 Erfolgskontrolle
3.4 Förderung von Unternehmensclustern

4 Ableitung und Entwicklung des Instrumentes
4.1 Normative Ansatzpunkte
4.2 Strategische Ansatzpunkte
4.3 Operative Ansatzpunkte
4.4 Instrumente zur Bewertung von Unternehmensstandorten
4.5 Das Instrument

5 Empirie – Weiterentwicklung und Test des Instrumentes
5.1 Erläuterung der Vorgehensweise
5.2 Auswahl der Untersuchungsräume
5.3 Beispiel Münster
5.4 Beispiel Regensburg
5.5 Das Instrument vor dem Hintergrund des unternehmerischen Standortwahlverhaltens
5.6 Raumwirksamkeit von Kommunal- bzw. Standortmarketing

6 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Kurzfassung

Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Entwicklung eines Kommunalmarketing-Instrumentes zu Beeinflussung unternehmerischer Standortentscheidungen.

Durch die Analyse des unternehmerischen Standortwahlverhaltens wird zunächst mit der Orientierung an den Ansprüchen und dem Verhalten der „Kunden“ dem Leitgedanken des Marketings Rechnung getragen. Der Fokus liegt dabei auf dem Standortwahlprozess als Anpassungshandlung an unternehmensinterne oder -externe Stressfaktoren, sowie auf verschiedenen einzelwirtschaftlichen Standorttheorien zur Erklärung der Standortwahl. Eine Zusammenführung der Standorttheorien mit dem idealtypischen Phasenmodell der Standortwahl zeigt, dass für ein Verständnis unternehmerischer Standortentscheidungen sowohl verhaltenstheoretische Ansätze als auch Elemente der Raumwirtschaftstheorie und der relationalen Wirtschaftsgeographie zu berücksichtigen sind. Der aus Sicht der Unternehmen geschilderte Standortwahlprozess gibt erste Ansatzpunkte für eine Beeinflussung von unternehmerischen Standortentscheidungen durch Maßnahmen des Kommunalmarketings.

Um diese Hinweise in ein umfassendes Konzept einzubinden, wird im weiteren Verlauf ein ganzheitlicher Kommunalmarketing-Ansatz erarbeitet. Aufgrund der offensichtlichen Zielkonflikte und Schwierigkeiten beim anzustrebenden Interessenausgleich zwischen sämtlichen Zielgruppen und Akteuren des dargestellten idealtypischen Kommunalmarketings wird im folgenden ein Standortmarketing-Ansatz auf Basis des St. Galler Management-Konzepts als Teilbereich des Kommunalmarketings vorgestellt.

Ausgerichtet am unternehmerischen Standortwahlprozess und unter Zugrundelegung einer Schwerpunktstrategie im Rahmen des Standortmarketings erfolgen dann die Ableitung und der Entwurf des Instruments. Diese modifizierte Checkliste kann Standort suchenden Unternehmen zur Unterstützung und Beeinflussung während der Phase der Standortbewertung vorgelegt werden.

Im empirischen Teil der Arbeit werden anhand der Städte Münster und Regensburg zunächst die jeweiligen Kommunal- und Standortmarketingkonzepte erläutert. Zudem wird das Instrument anhand dieser Beispielstädte weiterentwickelt und getestet.

Den Abschluss bilden Überlegungen zur Raumwirksamkeit der vorgestellten Standortmarketingkonzepte und zu dem Erklärungsgehalt wirtschaftsgeographischer Standorttheorien für das entwickelte Instrument.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Räumliche Kostenkurve nach D.M. Smith

Abbildung 2: Heuristisch-sukzessiver Standortsuchprozess

Abbildung 3: Systematik von harten und weichen Standortfaktoren

Abbildung 4: Standortanforderungen aus Unternehmenssicht

Abbildung 5: Der Zusammenhang von Standortwahlprozess, erklärenden Theorien und Ansatzpunkten der Beeinflussung durch Kommunalmarketing

Abbildung 6: Ebenen eines ganzheitlichen Kommunalmarketings

Abbildung 7: Ziele und Zielgruppen des Kommunalmarketings

Abbildung 8: Formen des Kommunalmarketings

Abbildung 9: Das St. Galler Management-Konzept für Wirtschaftsstandorte

Abbildung 10: Teilbereiche und Methoden der Standortanalyse

Abbildung 11: Beispiel eines Stärken-Schwächen-Profils

Abbildung 12: Beispiel eines hierarchischen Zielsystems

Abbildung 13: Beispiele für Wettbewerbsstrategien von Standortanbietern

Abbildung 14: Instrumente des Standortmarketing

Abbildung 15: Entwurf einer Balanced Scorecard im Standortmarketing

Abbildung 16: Handlungsfelder des operativen Standortmarketing

Abbildung 17: Entwurf einer Checkliste zur Standortbewertung (fiktives Beispiel)

Abbildung 18: SVP Beschäftigte in NRW

Abbildung 19: Beschäftigte in Münster und NRW nach Wirtschaftsabschnitten

Abbildung 20: Checkliste zur Standortbewertung am Beispiel Münster

Abbildung 21: Entwicklung des SVP Beschäftigen in den größten Städten Bayerns

Abbildung 22: Industriebsatz in Bayern

Abbildung 23: Checkliste zur Standortbewertung am Beispiel Regensburg

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Typen betrieblicher Standortentscheidungen

Tabelle 2: Verzeichnis der Interviewpartner

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einführung

1.1 Problemstellung, Relevanz und Zielsetzung

Kern der vorliegenden Arbeit ist die Analyse des unternehmerischen Standortwahlverhaltens und die Ableitung von Handlungsmöglichkeiten kommunaler Entscheidungsträger, Standortentscheidungen von Unternehmen zu beeinflussen. Hierzu wird ein konkretes Kommunalmarketing-Instrument entwickelt.

Vor dem Hintergrund sich angleichender Rahmenbedingungen auf dem gemeinsamen Markt der EU werden zunehmend Divergenzen zwischen Wachstums­regionen und strukturschwachen Räumen deutlich. Aktuelle Herausforderungen wie die jüngste Stufe der EU-Osterweiterung und damit abermals steigende Möglichkeiten unternehmerischer Standortverlagerung zwingen Nationalstaaten, Regionen – und in letzter Konsequenz vor allem die Kommunen – zum Entwickeln umfassender Lösungsansätze für eine gute Positionierung im Wettbewerb der Städte. Gleichzeitig bestehen Tendenzen einer voranschreitenden Übertragung ehemals nationaler Aufgaben auf regionale und kommunale Akteure sowie der Anspruch der Kommunen, weitestgehend eigenverantwortlich den künftigen Herausforderungen zu begegnen (vgl. Simon 1995: 1).

Kommunalmarketing als Ansatz einer marktorientierten, also an den Bedürfnissen der verschiedenen in- und externen Zielgruppen wie Bürger, lokale Wirtschaft, Medien, touristische Besucher, Pendler und auswärtige Unternehmen ausgerichteten Führung einer Kommune, kann dabei ein wichtiges Instrumentarium zur Bewältigung der neuen Herausforderungen sein (vgl. Grabow und Hollbach-Gröming 1998: 65). Besonderes Gewicht erhält hierbei die Anspruchsgruppe Wirtschaft bzw. Unternehmen, da sich durch die, mit der Sicherung des Bestandes sowie der Neuansiedelung von Unternehmen verbundenen Effekte wie Arbeitsplätze, Erhöhung der allgemeinen Kaufkraft, Körperschafts­steuern oder Imagegewinn, die Handlungsfähigkeit der Kommunen auch im Hinblick auf die weiteren Zielgruppen ausdehnen lässt (vgl. Schwartz 1982: 3). Eine entscheidende Bedeutung haben hierbei technologiebasierte Wachstumsbranchen, die hier dementsprechend im Fokus der Betrachtung stehen.

Bei der Erarbeitung kommunaler Marketingkonzepte und -Instrumente zur Ansprache dieser primären Zielgruppe kann die Wirtschaftsgeographie mit der unternehmerischen Standortwahl als einem ihrer zentralen Forschungsfelder wichtiges Basiswissen liefern. Mittels einer Verknüpfung wirtschaftsgeographischer Forschungs­ergebnisse mit Erkenntnissen der Betriebswirtschaftslehre zum unternehmens­internen Prozess der Standortentscheidung sowie zu tragfähigen Marketingkonzepten lassen sich mögliche Ansatzpunkte und Instrumente für ein erfolgsträchtiges Kommunalmarketing entwickeln, wie in dieser Arbeit aufgezeigt wird.

Kern wirtschaftsgeographischer Forschung ist die räumliche Dimension wirtschaftlicher Aktivitäten (vgl. Haas und Neumair 2007: 1). Es wird also zusätzlich zu klären sein, inwiefern Kommunalmarketing- bzw. Standortmarketingaktivitäten eine raumwirksame Komponente haben.

1.2 Aufbau der Arbeit

Diese Arbeit orientiert sich an fünf zentralen Fragestellungen, die zur Strukturierung der Ausführungen dienen.

Marketing zeichnet sich durch seine Kundenorientierung aus. Aus Sicht eines Standortanbieters handelt es sich bei den Kunden um ansässige und Standort suchende Unternehmen, an deren Bedürfnissen sich sämtliche Marketingaktivitäten auszurichten haben. Für die Entwicklung eines erfolgsträchtigen Instrumentes zur Beeinflussung unternehmerischer Standortentscheidungen bildet die bestmögliche Kenntnis der Auslöser und Prozesse im Rahmen von Standortentscheidungen daher eine unverzichtbare Basis. Es erscheint somit sinnvoll, zunächst die Thematik der betrieblichen Standortwahl abzuarbeiten. Die erste Fragestellung lautet dementsprechend:

- Welche sind die relevanten Faktoren bei der unternehmerischen Standortwahl?

Zur Beantwortung der ersten Frage werden deshalb in Kapitel 2, nach einer Einführung in die Raumwirtschaftstheorie, mit den Standorttheorien Webers und Smiths zunächst zwei klassische Ansätze der wirtschaftsgeographischen Standortlehre erläutert. Auf die relationale Wirtschaftsgeographie Bathelt und Glücklers (2002) wird ebenso Bezug genommen wie auf behavioristische Erklärungsmuster der Standortwahl, bevor am Schluss des Kapitels der Prozesscharakter von Standortentscheidungen beschrieben, sowie die Standortfaktorensicht erläutert wird. Dies führt zur Beantwortung der zweiten Fragestellung:

- Wann kommt es zur Standortwahl, und wie gestaltet sich der Entscheidungsprozess?

Im weiteren Verlauf der Untersuchung ist die Perspektive zu wechseln. Erfolgen die Darstellungen in Kapitel 2 aus Sicht der Unternehmen, so wird in Kapitel 3 das Kommunalmarketing aus Sicht der Kommunen als Standortanbieter erläutert. Mit dem St. Galler-Management-Konzept wird ein ganzheitliches Marketingverständnis zugrunde gelegt und auf den öffentlichen Bereich übertragen. Wie im Kapitel später ausführlich begründet wird, erfolgt zudem eine Einengung des Kommunalmarketings auf ein Standortmarketing.

In Kapitel 4 schließt eine Zusammenführung der Erkenntnisse und eine Ableitung möglicher Ansatzpunkte für das zu erarbeitende Marketing-Instrument an. Auf diese Weise wird die dritte Frage beantwortet:

- Welche Instrumentarien des Standortmarketings bieten zu welchem Zeitpunkt des betrieblichen Entscheidungsprozesses einen erfolgsträchtigen Ansatzpunkt?

Mit Hilfe einer Erläuterung ausgewählter quantitativer und qualitativer Standortbewertungskonzepte und der zuvor gewonnenen Erkenntnisse wird ein Bewertungs­instrument kommunaler Standortfaktoren entwickelt, das unter Berücksichtigung der strategischen Ausrichtung eines Standortes im Rahmen des operativen Standortmarketings eingesetzt werden kann. Hierdurch wird die vierte, folgendermaßen lautende Fragestellung geklärt:

- Wie hat ein mögliches Instrument zur Bewertung und Kommunikation der relevanten Standortfaktoren auszusehen?

Das Instrument wird im Anschluss in Kapitel 5 anhand der Städte Münster und Regensburg in die Praxis überführt. Neben Erläuterungen zu den Kommunalmarketing- und Standortmarketingaktivitäten dieser Städte erfolgt also eine Weiterentwicklung des Instrumentes für zwei ausgewählte Standorte. Zudem wird das Instrument vor dem Hintergrund der Theorie der unternehmerischen Standortwahl betrachtet und der Erklärungswert einzelner Ansätze herausgearbeitet. Im Anschluss wird zudem die letzte Fragestellung zu bearbeiten sein:

- Welche räumlichen Auswirkungen kann Kommunalmarketing bzw. Standortmarketing haben?

Kapitel 6 liefert schließlich eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie einen Ausblick auf mögliche weitere Forschungsfragen.

2 Die unternehmerische Standortwahl

Die Grundlage für den Einsatz von Marketing bildet immer die Analyse des Käuferverhaltens und der Determinanten dieses Verhaltens (vgl. Meffert 1986: 133). Die „Käufer“ sind im Falle des Kommunalmarketings, neben anderen Anspruchsgruppen wie Touristen oder Einwohnern, zum einen Unternehmen mit einer relativ weitgehenden Standortwahlfreiheit, zum anderen die ansässige Wirtschaft, deren Bestand es zu pflegen gilt (vgl. Pieper 1994: 197). Für die Kommunen als Standortanbieter sind deshalb Kenntnisse über die Zielsetzungen und Strategien ihrer „Kunden“, also der Unternehmen, hinsichtlich ihrer Standortwahl von höchster Bedeutung. Dabei sind sowohl Bewertungs- und Auswahlkriterien für Standorte, als auch die formell und informell an den Entscheidungen beteiligten Personen und Gruppen von Interesse (vgl. Schnurrenberger 2000: 4). Effiziente, an den Entscheidungsprozessen der Unternehmen ausgerichtete Kommunal­marketingkonzepte sollten also bei der Erklärung von Standortentscheidungen ansetzen.

Die Standortwahl bezieht sich in der vorliegenden Arbeit auf die räumliche Ebene des Makrostandorts im Sinne einer Kommune bzw. einer Stadt. Dementsprechend werden in diesem Kapitel verschiedene theoretische Ansätze zur einzelwirtschaftlichen Standortwahl dargestellt. Zunächst erfolgt die kurze Erläuterung der Raumwirtschaftstheorie Schätzls (2001), sowie zweier neoklassischer Theorien zur unternehmerischen Standort­entscheidung. Mit ihren restriktiven Annahmen erklären diese Ansätze keinesfalls vollständig die Standortwahl von Unternehmen, liefern jedoch insofern einen Beitrag, als dass die langfristige Gewinnmaximierung auch bei der Standortwahl eine entscheidende Einflussgröße ist. Auch wenn sich die Entscheidungsträger nicht immer streng rational und nach dem Maximalprinzip verhalten, so können suboptimale Entscheidungen zum Ausscheiden des Unternehmens aus dem Markt führen; dieses Faktum gilt, aufgrund ihrer langfristigen zeitlichen Wirkung, gerade für die Standortentscheidung. Mit einer Erläuterung der vielfachen Kritik an der traditionellen Standortlehre wird zum Ansatz der relationalen Wirtschaftsgeographie übergeleitet. Diese Sichtweise stellen Bathelt und Glückler (2002) der Raumwirtschafts­theorie gegenüber und rücken dabei nicht die Eigenschaften des Wirtschaftsraums, sondern die unternehmerischen Entscheidungsträger in den Mittelpunkt der Standort­entschei­dung. Sie betonen Dynamik, moderne unternehmerische Organisationsformen sowie die Bedeutung sozialer Einbettung der Entscheidungsträger in lokale Milieus und Produktionssysteme. Dies führt bereits zu ersten Hinweisen, welche Anforderungen technologieorientierte und damit potenziell zukunftsfähige Unternehmen an ihr Umfeld stellen, und ob ihre Ansiedlung überhaupt durch Marketingaktivitäten herbeigeführt werden kann. Betrachtet findet ebenfalls der evolutionäre Ansatz von Unternehmensgründung und -entwicklung entlang historischer Pfade. Die Gründungs-, Standort- und Wachstumsfaktoren aus evolutionärer Sicht sowie die Saatbeet-Hypothese können wichtige Anhaltspunkte liefern, inwiefern eine Region Unternehmen in ihr Umfeld einbindet, und ob diese ihren Standort nach außerhalb dieser verlegen würden. Regionen bzw. Kommunen gelangen somit zu einer Einschätzung, ob Marketingaktivitäten in Richtung einer Abwerbung von Unternehmen aus benachbarten Räumen überhaupt als lohnenswert angesehen werden können.

Für das Kommunalmarketing, das gezielt Einfluss auf die Entscheidungsträger nimmt, stellen insbesondere Erkenntnisse verhaltenswissenschaftlicher Ansätze wichtiges Basiswissen dar. Standortentscheidungen werden vielfach nach bestimmten Heuristiken getroffen, sind oftmals suboptimal und werden von persönlichen Präferenzen beeinflusst. Für die spätere Entwicklung des Standortfaktoren-Bewertungsinstrumentes ist eine genauere Beleuchtung dieser Theorien unumgänglich. Den Ansatzpunkt des hier zu entwickelnden Instrumentes bildet die Kenntnis des innerbetrieblichen Entscheidungsprozesses. Hierzu sind deshalb die Kernphasen der Standortwahl herauszuarbeiten und Anhaltspunkte für die Ausgestaltung des Instrumentes zu gewinnen.

Schließlich erfolgt eine Darstellung der aus unternehmerischer Sicht entscheidenden Standortfaktoren. Die Standortfaktorensicht geht zwar auch auf die Arbeit Webers (1909) zurück[1], ist aber den gewandelten Anforderungen anzupassen und zu erweitern. Die hier herausgearbeiteten Faktoren stellen zusätzlich die Grundlage für das später entwickelte Kommunalmarketing-Instrument dar.

Den Abschluss bildet, nach einer Einschätzung der Standortmobilität von Unternehmen und des Ansiedlungspotenzials in Deutschland, die Zusammenführung der einzelnen Phasen des betrieblichen Standortwahlprozesses mit den Standorttheorien und ihrem Erklärungsgehalt einerseits, sowie den Einflussmöglichkeiten durch kommunales Marketing bzw. Standortmarketing andererseits.

2.1 Der Raumwirtschaftliche Ansatz der Wirtschaftsgeographie

Der unter anderem von Schätzl (2001: 17f.) vertretene Raumwirtschaftliche Ansatz der Wirtschafts­geographie hat seinen Ursprung in der regional science, die in den 1950er Jahren in den USA begründet wurde. Ziel der Wirtschaftsgeographie ist es demnach, mittels Theorie- und Modellbildung Aufschluss über die räumliche Ordnung und Organisation der Wirtschaft zu erhalten. Untersuchungsgegenstand ist dabei das interdependente Raumsystem aus der Verteilung ökonomischer Aktivitäten im Raum (Struktur), räumlichen Bewegungen von Produktionsfaktoren, Gütern und Dienstleistungen (Interaktionen) sowie deren Entwicklungs­dynamik (Prozess) (vgl. Bathelt und Glückler 2002: 27). Den Kern wirtschaftsgeographischer Forschung bildet somit die Analyse dieser drei Elemente, wobei die zur Erklärung ökonomischer Raumsysteme herangezogenen raumwirtschaftlichen Theorien nach Schätzl (2001: 24f.) in folgende drei Bereiche unterteilt werden können:

- Standorttheorien: Sie sollen den optimalen Standort für einen Einzelbetrieb der Landwirtschaft, der Industrie oder des Dienstleistungssektors ermitteln, bzw. Aufschluss über die optimale Verteilung aller Standorte innerhalb eines ökonomischen Raumsystems sowie die zeitliche Veränderung der Struktur geben. Somit lassen sich die Standorttheorien weiter untergliedern in die Theorie der unternehmerischen Standortwahl und Standortstrukturtheorien. Die klassischen Strukturtheorien entwickelten v. Thünen (1875) zur Landnutzung, Lösch (1944) für die Industrie und Christaller (1933) für den tertiären Sektor, während Weber (1909) den Grundstein für die einzelwirtschaftliche Betrachtung legte (vgl. Pieper 1994: 12).
- Räumliche Mobilitätstheorien: Erklärt werden die Ursachen und Auswirkungen räumlicher Mobilität einzelner Produktionsfaktoren sowie von Gütern und Dienstleistungen.
- Regionale Wachstums- und Entwicklungstheorien: Ziel dieser Theorien ist die Darstellung und Erklärung sozioökonomischer Entwicklungen einzelner Regionen sowie die Darstellung interregionaler Unterschiede im Entwicklungsstand.

Der Raumwirtschaftliche Ansatz ist stark durch neoklassische Modelle geprägt, weshalb auch hier die Verhaltensannahmen des homo oeconomicus gelten. Demnach agiert der Entscheider absolut rational, ist über alle Umweltzustände informiert, unterliegt keinen Umwelteinflüssen und reagiert ausschließlich auf materielle Reize. Der wirtschaftende homo oeconomicus versucht stets, mit gegebenen Mitteln den größtmöglichen Erfolg zu erzielen, oder strebt bei vorgegebenem Erfolg eine Aufwandsminimierung an. Dieses ökonomische Prinzip wird nicht durch persönliche Präferenzen oder suboptimales Verhalten gestört (vgl. Freckmann 1995: 8). Besonders präsent sind diese Annahmen in den folgenden Darstellungen der Theorie der einzelwirtschaftlichen Standortwahl.

2.1.1 Neoklassische Theorie: Die Rolle der Transportkosten

In seinem 1909 erschienenen Werk „Über den Standort der Industrie“ entwickelte Weber als erster eine umfassende Theorie zum optimalen Standort des industriellen Einzelbetriebs. Für das Modell der kostenminimalen Standortwahl werden einige Abstraktionen vorgenommen (vgl. Weber 1909: 36ff.): So sind die Standorte der Rohmaterialen sowie die räumliche Verteilung des Konsums bekannt und die Transportkosten im einheitlichen Transportsystem eine Funktion von Gewicht und Entfernung. Innerhalb eines homogenen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Systems ist die räumliche Verteilung der als immobil geltenden Arbeitskräfte ebenfalls bekannt, die Lohnhöhe ist – bei räumlicher Differenzierung – konstant, Arbeitskräfte sind unbegrenzt verfügbar. Unter Berücksichtigung dieser Annahmen wird die Standortwahl lediglich von drei harten Faktoren beeinflusst. Zum einen sind dies die Transportkosten als zentraler Faktor, zum anderen Arbeitskosten und Agglomerations­wirkungen, also die Auswirkungen räumlicher Konzentration ökonomischer Aktivitäten, als eher untergeordnete Korrekturgrößen. In seiner Theorie behandelt Weber ein Ein-Betriebs-Unternehmen, das unter Verwendung zweier Rohstoffe ein einziges homogenes Produkt fertigt. In der ersten Stufe berechnet Weber nun mit dem so genannten tonnenkilometrischen Minimalpunkt den optimalen Standort lediglich anhand der Transportkosten für Ausgangsmaterialen und Endprodukte. In Stufe zwei berücksichtigt er auch die räumlichen Unterschiede der Arbeitskosten und gelangt so zu Korrekturen des optimalen Standortes, bevor in den Stufen zwei und drei außerdem räumlich heterogene Arbeitskosten sowie die Wirkung von Agglomerationsvorteilen mit einbezogen werden. Anhand dieser Faktoren wird – im Bezug auf das Oberziel der Gewinnmaximierung – eine Empfehlung hinsichtlich des optimalen Unternehmensstandortes abgegeben, das Modell hat also normativ-deduktiven Charakter (vgl. Meyer 1960: 22).

Die Theorie Webers wurde vielfach modifiziert und erweitert. Eine Weiterentwicklung der Theorie Webers ist das auf Smith (1971) zurückgehende Marginal­prinzip.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Räumliche Kostenkurve nach D.M. Smith

Quelle: Schätzl (2001: 56)

Ausgehend von der Annahme, dass Unternehmen zwar nach Gewinn, nicht aber unbedingt nach Gewinnmaximierung streben, kommt Smith zu einer flächenhaften Standortbewertung und bezieht neben den Kosten auch räumliche Unterschiede zwischen den Erlösstrukturen ein. Die Transportkosten sind allerdings auch hier ausschlaggebend. Wie Abbildung 1 zeigt, steigen mit zunehmender Entfernung vom kostenminimalen Produktionsstandort Pk die lageabhängigen Kosten, die im Wesentlichen durch zusätzliche Transporte entstehen. Mittels verschiedener Kosten- und Erlösfunktionen kann nun z.B. durch Preis- und somit Erlösanstieg die Erlösgerade nach oben verschoben werden, was die Grenzen der Standortwahl verschiebt. Steigende Transportkosten wiederum führen zu einem steileren Verlauf der Kostenfunktion, was marginale Standorte unrentabel machen würde (vgl. Dicken und Lloyd 1999: 84).

Die beiden hier in der gebotenen Kürze angesprochenen Theorien stellen natürlich nur einen kleinen Ausschnitt raumwirtschaftlicher Forschung dar. Dennoch wird die Ausrichtung dieses Ansatzes auf deduktive Modelle und mathematisch hergeleitete Standortempfehlungen deutlich (vgl. Autschbach 1997: 128).

2.1.2 Kritik

Wie bereits erwähnt, wurden die neoklassischen Modelle trotz ihres innovatorischen und grundlegenden Charakters vielfach kritisiert. Als Hauptkritikpunkte sind deshalb zu nennen:

Die Prämissen vollständig vorliegender Informationen und perfekter sowie rationaler Informations­verarbeitung des homo oeconomicus gehen an der Realität vorbei, wie z.B. in empirischen Untersuchungen durch Pred (1967) mit dem Konzept der bounded rationality, also der nur eingeschränkten Fähigkeit zur rationalen Entscheidung, deutlich gemacht wurde. Außerdem ist der Entscheider in einen sozialen Kontext und gesellschaftliche Werte eingebunden, die ihn zu suboptimalen Entscheidungen veranlassen können. Gegen die Annahme konsequenter Gewinnmaximierung sprechen außerdem die Vielfalt unternehmerischer Zielsetzungen wie Macht und Prestige, oder verschiedene Strategien einzelner Standorte bei Mehrbetriebsunternehmen; so z.B. die kurzfristige Akzeptanz von Verlusten in Räumen mit einem starken Wettbewerb (vgl. Kulke 1990: 5).

Auch das zu beobachtende Standortwahlverhalten im Falle von Neugründungen deckt sich nicht mit der neoklassischen Theorie. Oftmals präferiert der Unternehmensgründer einen Standort in räumlicher Nähe zu seinem bisherigen Wohn- oder Ausbildungsort, und räumt somit beispielsweise sozialen Kontakten oder dem Wunsch der Familie Vorrang vor ökonomischem Kalkül ein (vgl. Bathelt und Glückler 2002: 133).

Weitere Kritikpunkte bilden die Vernachlässigung der Nachfrageseite, die Prämisse vollständiger Konkurrenz sowie die einseitige Kostenorientierung. Der in den Modellen ausschlaggebende Faktor der Transportkosten macht in den meisten Branchen nur wenige Prozent der Gesamtkosten aus und reicht nicht als Erklärungsfaktor für die Standortwahl. Von diesem Faktum ist lediglich die Grundstoffindustrie auszunehmen (vgl. Schamp 2000a: 22).

Wichtiger und letzter Kritikpunkt sei hier die in den Modellen angenommene Statik. Die Standortwahl wird als einmalige Entscheidung angesehen, mögliche Standortverlagerungen oder die Ausweitung zu Mehr-Betriebes-Unternehmen finden in den Theorien keine Berücksichtigung. Gerade die ständig wechselnden Anforderungen innovativer und technologiebasierter Unternehmen an ihre Standorte, sowie die bereits in der Einleitung angesprochene veränderte Konkurrenz- und Nachfragebedingungen veranlassen die unternehmerischen Entscheidungs­träger jedoch zu Anpassungshandlungen (vgl. Goette 1993: 54).

2.2 Relationale Wirtschaftsgeographie

Bathelt und Glückler (2002, Teil 3) stellen ihren Ansatz einer relationalen Wirtschaftsgeographie der Raumwirtschaftslehre gegenüber. In ihrer Herangehensweise steht nicht der Wirtschaftsraum mit seinen jeweiligen Eigenschaften, sondern das Handeln der unternehmerischen Entscheidungsträger im Vordergrund. Der relationale Ansatz betont den Gestaltungs­spielraum für Unternehmensentscheidungen und berücksichtigt im Gegensatz zur traditionellen Sichtweise die vielfältigen unternehmerischen Zielsetzungen, Organisationsformen und deren Auswirkungen auf Standortentscheidungen. Besondere Beachtung finden das Netzwerkkonzept sowie die „embeddedness “ der Akteure in ihr sozio-kulturelles Umfeld, die sowohl Standortentscheidungen als auch die regionalökonomischen Entwicklungen beeinflussen kann. Auch die von der relationalen Wirtschaftsgeographie als „Evolution“ bezeichnete Gründung und Entwicklung von Unternehmen entlang historischer Pfade erscheint vor dem Hintergrund der zu bearbeitenden Fragestellung wichtig (vgl. Haas und Neumair 2007: 32f.).

2.2.1 Entstehung neuer Industrien und regionaler Wachstumszentren

Wie im empirischen Teil der Arbeit gezeigt werden wird, haben kommunale Entscheidungsträger ein großes Interesse, innovative und auf neuen Technologien basierende Unternehmen anzusiedeln. Diese so genannten neuen Industrien unterliegen aufgrund ihres Wissensvorsprungs weniger stark dem Wettbewerb, weshalb ihre Standortwahl auch weniger stark von Kostenaspekten determiniert wird. Außerdem führen hohe Gewinne tendenziell zu einer guten Entlohnung der Produktionsfaktoren, also zu relativ höheren Vergütungen der Arbeitnehmer. Die somit gegebene hohe Anziehungskraft solcher Lokalisationen neuer Industrien führt zu der Annahme, dass sich neue Schlüsselindustrien ihre Standortbedingungen selbst schaffen (vgl. Storper 1986: 62). Diese Eigenproduktion der regionalen Standortfaktoren bedingt, dass Konzentrationen neuer Industrien eher abseits etablierter Zentren entstehen, wobei periphere Regionen ohne die nötige infrastrukturelle Basisausstattung sowie ein angemessenes Arbeitskräfte- und Ressourcenpotenzial natürlich von vorneherein als mögliche Ansiedelungspunkte ausgeschlossen sind. Durch die starke Standortwahlfreiheit der Unternehmer lässt sich allerdings nicht prognostizieren, an welchem Ort neue Konzentrationen entstehen. Im Vergleich mit der Produktlebenszyklustheorie nach Vernon (1966) und Hirsch (1967) wird somit die Wirkungsrichtung umgedreht: Nicht die Industrie orientiert sich an den jeweils besten Bedingungen, sondern die günstigen Standortfaktoren entstehen durch die Ansiedelung der Unternehmen. Typische Ansiedelungsbereiche neuer Industrien sind vorzugsweise mittelgroße Zentren oder Einzugsgebiete von Metropolitanregionen (vgl. Maier und Tödtling 2001: 96).

2.2.2 Lokale Produktionssysteme, Innovative Milieus und Netzwerke

Während der vorher beschriebene Ansatz das einzelne Unternehmen bzw. einzelne Branchen im Fokus hat, stellt der Milieu-Ansatz die innovative Region in den Vordergrund und geht somit über die einzelwirtschaftliche Betrachtungsweise hinaus. Demnach ist ein innovatives Unternehmen Produkt der lokalen Umgebung, also des Milieus, welches als der eigentliche Innovator anzusehen ist. Das von der Groupe de Recherche Européen sur les Milieux Innovateur s (GREMI) entworfene Konzept sieht folglich die Existenz eines innovativen Milieus als entscheidende Voraussetzung für die Entstehung und Wachstum zukunftsfähiger Unternehmen und dynamischer Regionen. Ein innovatives Milieu ist nach Schätzl (2001: 231) zu verstehen als

„[…] komplexes territoriales System von formalen und informellen Netzwerken, die wechselseitige wirtschaftliche und technologische Abhängigkeiten aufweisen und fähig sind, synergetische und innovative Prozesse zu initiieren.“

Ausgangspunkt für die Entstehung eines innovativen oder kreativen Milieus ist eine gebietsgebundene Produktionsorganisation, also ein lokalisiertes Produktionssystem. Dieses umfasst eine Ballung von Industrieunternehmen, Zulieferern, privaten und öffentlichen Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie Kunden in räumlicher Nähe zueinander. Zwischen diesen Akteuren besteht durch Güter-, Arbeitsmarkt-, Informations- und Technologieverflechtung ein vielschichtiges Beziehungs­netzwerk. Innerhalb des Netzwerks kommt es durch die Lokalisierung der Wertschöpfungs­kette zu Transaktionskostenvorteilen, erhöhter Kooperation und gemeinschaftlichen Problemlösungen (vgl. Bathelt und Glückler 2002: 190). Damit erinnert der Ansatz zwar teilweise an die Agglomerationsvorteile Webers, allerdings misst er diesen nicht nur eine korrigierende, sondern die entscheidende Funktion zu. Als zweite wichtige Eigenschaft eines innovativen Milieus ist die Einbettung in einen lokalen sozio-kulturellen Zusammenhang zu sehen. Das Produktionssystem ist demnach untrennbar mit regionalen Gewohnheiten, Verhaltensnormen, Technikkulturen und Vertrauens­beziehungen verbunden. Als entscheidende Komponente des Milieu-Gedankens gilt auch die Identifikation der Akteure mit „ihrer“ Region. Ein regionales Gemeinschaftsgefühl auf der Basis einheitlicher kultureller Werte fördert die Zusammenarbeit von Politik, regionaler Wirtschaft und Bildungseinrichtungen (vgl. Gehrung 1985: 22f.). Damit in dem Milieu nun kreativ neues Wissen entsteht und somit Innovationen durchgesetzt werden können, muss eine schnelle Diffusion spezifischer Informationen und eine Anpassung an sich ändernde Rahmenbedingungen gewährleistet sein. Analog zum Ansatz des Sozialkapitals bringt zudem die Geschlossenheit eines innovativen Milieus zwar Vorteile mit sich, zu viel Abschottung kann sich jedoch nachteilig auswirken. Die Wissensbasis eines auf einen Technologiebereich bzw. eine Wertschöpfungs­kette spezialisierten Produktions­systems kann nicht nach Belieben in andere Regionen übertragen werden, wodurch das Milieu sich einen Wettbewerbsvorsprung erarbeiten und ausbauen kann (vgl. Haas und Neumair 2007: 105).

Zum einen schaffen sich also, parallel zum Ansatz der neuen Industrien, die Akteure des Netzwerkes ihr Umfeld selbst, zum anderen können geeignete Merkmale des wirtschaftsräumlichen Umfeldes sowie flankierende regionalpolitische Maßnahmen die Milieubildung erleichtern, was bereits an dieser Stelle eine gewisse Beeinflussbarkeit der unternehmerischen Standortwahl impliziert (vgl. Wagner 1998: 196).

Unter dem Stichwort „Clusterförderung“ wird im Rahmen der Wirtschaftsförderung und des Standortmarketings von vielen Städten eine gezielte Förderung potenziell zukunftsfähiger Branchen betrieben. Lokale Initiativen, so genannte strategische Partnerschaften und verschiedenste Kommunikationsplattformen sollen zu einer Vernetzung der entsprechenden Akteure wie Unternehmen, branchennahe Institute und Lehrstühle an Universitäten und Fachhochschulen sowie spezialisierten Dienstleistungsunternehmen beitragen (vgl. Haas und Neumair 2007: 97f.). Auch die hier ausgewählten Städte Münster und Regensburg verfolgen einen entsprechenden Ansatz, wie im weiteren Verlauf der Arbeit ausführlich dargestellt wird.

Die Ansätze der neuen Industrien sowie des innovativen Milieus unterscheiden sich deutlich von der Raumwirtschaftstheorie, da sich zum einen die Standortwahl nicht an Transportkosten orientiert, zum anderen vor allem die netzwerkartigen Beziehungen sowohl informeller als auch formeller Art die Dynamik einer Region, und damit den entscheidenden Standortfaktor ausmachen.

2.2.3 Unternehmensgründung und -wachstum aus evolutionärer Sicht

Bereits in den vorher geschilderten Ansätzen ist ein evolutionärer Gedanke enthalten. Unternehmen stehen demnach nicht nur in einem strukturellen Kontext, vielmehr ist eben dieser Kontext als konkretes Ergebnis früherer Handlungen zu sehen. Der evolutionäre Ansatz betont genau diese historische Komponente und verweist auf die Problematik, Standort­entscheidungen von Unternehmen losgelöst von deren Entwicklung bzw. der Entwicklung ihrer Region zu sehen (vgl. Bathelt und Glückler 2002: 195).

Bei Unternehmensneugründungen, die als Übergänge von abhängiger zu selbständiger Beschäftigung zu verstehen sind, fällt keine bewusste Standortentscheidung oder Bewertung alternativer Regionen an. Der Unternehmer verfügt über eine detaillierte Kenntnis der Standortbedingungen seines bisherigen Lebensumfeldes. Dieser Überblick über Absatzmarkt, Zulieferer, Behörden, Banken und Arbeitsmarkt ist Bestandteil der Entscheidung zur Unternehmensgründung, weshalb die Gründung an einem anderen Ort mit zu viel Risiko behaftet wäre. Auch nach der meist über mehrere Stufen erfolgten Gründung bleibt der Unternehmer in sein Umfeld mit dem bekannten Lieferanten- und Absatznetzwerk eingebettet. Mit dem Wachstum des Unternehmens wird der Aktionsraum stetig erweitert, wobei auf den regionalen festen Kunden- und Zuliefererstamm aufgebaut wird. Eine Verlagerung des Unternehmens in eine andere Region würde die Abkoppelung von dem historischen Kontext bedeuten, weshalb Kleinunternehmen als deutlich eingeschränkt in ihrer Standortwahlfreiheit gelten können (vgl. Schamp 2000b: 64).

Eine erhebliche Bedeutung für den Erfolg von Neugründungen kommt den lokalen institutionellen Rahmenbedingungen zu. Öffentliche Programme zur Beratung und Unterstützung beim Faktor Risikokapital oder den Betriebsräumen reduzieren die Risiken bei Neugründungen. Viele Kommunen bündeln derartige Aktivitäten in eigenen Gründerzentren, insbesondere um Ausgründungen in Hochtechnologiebereichen zu fördern. (vgl. Maier und Tödtling 2001: 84).

Auch bei diesen Gründungen werden keine echten Standortentscheidungen getroffen. Die Unternehmer verhalten sich zwar insofern rational, als das sie die Vorteile des Standortes in Ihre Überlegungen einbeziehen, eine reine Nutzenmaximierung nach dem Modell des homo oeconomicus findet jedoch nicht statt. Um diese Überlegungen weiter zu verfolgen, werden nun verhaltenstheoretische Ansätze der Standortwahl vorgestellt.

2.3 Verhaltensorientierte Ansätze

Den unter Kapitel 2.1 beschriebenen deduktiv hergeleiteten neoklassischen Ansätzen stellte eine Reihe von Autoren verhaltenswissenschaftliche Erklärungsmodelle für die unternehmerische Standortwahl gegenüber. Diese Ansätze haben keinen normativen Anspruch, sondern versuchen mittels der Beschreibung realer Standortentscheidungen zu deren Erklärungs­faktoren zu gelangen, und verfolgen somit eine induktive Vorgehensweise (vgl. Schätzl 2001: 59f.). Die Modelle nehmen Abstand von der Idee des homo oeconomicus bzw. „ optimizers “ und berücksichtigen das Verhalten des „ satisfizers “, der zu suboptimalen, lediglich zufrieden stellenden Problemlösungen neigt. Vollständig rationales Verhalten ist demnach aufgrund stets unvollständiger Information, beschränkter Kapazität der Informationsverarbeitung sowie individueller Präferenzen nicht möglich (vgl. Haas und Neumair 2007: 51). Der auf Pred (1967) zurückgehende Ansatz ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass er heuristische Verfahren berücksichtigt und Unterschiede hinsichtlich der Fähigkeit zur rationalen Entscheidung, Ressourcen­verfügbarkeit und Organisation der Unternehmen sowie unterschiedliche Perspektiven der Akteure mit in Betracht zieht. Darüber hinaus wird die Standortentscheidung als Prozess aufgefasst, der immer vor dem Hintergrund übergeordneter Unternehmensentscheidungen abläuft.

2.3.1 Heuristische Verfahren der Standortwahl

Standortentscheidungen sind wegen ihrer Komplexität und langfristigen Wirkung mit hoher Unsicherheit behaftet. Trotzdem verfolgen Unternehmen bzw. die entsprechenden Entscheidungsträger selten Optimierungsbestrebungen. Vielmehr wenden sie Heuristiken wie vereinfachte Verfahren, Routinen und Erfahrungsregeln an. Mit diesen Mustern wird bewusst nicht nach einer optimalen Lösung gesucht, sondern versucht, ein vertretbares Verhältnis zwischen Aufwand und einer möglichst akzeptablen Lösung zu erzielen (vgl.
Bea 1988: 305). Mit der erreichten Komplexitätsreduktion soll einerseits eine zufriedenstellende Lösung erzielt werden, andererseits kann die Heuristik selbst ökonomisch sinnvoll sein, da sie den Einsatz an Zeit, Informationen und damit Ressourcen einem Optimierungskalkül gegenüber deutlich reduziert. Diese Ersparnis kann so groß sein, dass sie den Nachteil aus der Abweichung vom Optimum überkompensiert. Standortentscheidungen können beispielsweise nach folgenden heuristischen Verfahren ablaufen (vgl. Maier und Tödtling 2001: 29f.).

- Stufenweise Standortentscheidung: Um zur Auswahl des Standortes zu gelangen, wird auf jeder Maßstabsebene eine eigene Entscheidung getroffen. Anhand nationaler Kennzahlen wird zunächst ein Land, danach anhand regionaler Unterschiede eine Region, im Anschluss eine Stadt und schließlich der Mikrostandort innerhalb einer Kommune ausgewählt (vgl. Brockfeld 1997: 49, vgl. auch Abbildung 2, S. 21 in dieser Arbeit).
- Beschränkung auf wichtige Faktoren: Dieses Verfahren zielt auf Komplexitäts­reduktion indem lediglich diejenigen Standortfaktoren in die Bewertung einbezogen werden, die besonders wichtig erscheinen. Dies kann auch in Form einer Checkliste geschehen, in der die relevanten Faktoren nach einem bestimmten Schema gewichtet werden und danach der günstigste Standort herausgefiltert wird.
- Suche nach einem zufriedenstellenden Standort: Die gewünschte Komplexitätsreduktion kann auch durch Beschränkung der Zahl der zu analysierenden Standorte erreicht werden. Nach erfolgter Festlegung der Kriterien für einen akzeptablen Standort wird bei diesem Vorgehen ein Ort nach dem anderen untersucht, bis ein geeigneter gefunden ist. Wie oben bereits erwähnt, kann sich dieses Verfahren unter bestimmten Bedingungen aufgrund von Ersparnissen als ökonomisch vorteilhaft erweisen (vgl. Förtsch 1973: 130ff.).
- Mindestanforderungen für die Standortfaktoren: Dieser Ansatz vernachlässigt die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Faktoren und legt für jeden Standortfaktor Mindestanforderungen fest. Ein Standort kommt nur in Frage, solange er für sämtliche Faktoren die Mindestanforderungen erfüllt (Bea 1988: 305).
- Nachahmung: Hier orientiert sich die eigene Standortwahl an der anderer Unternehmen. Ausgehend von der Annahme, dass die Standortentscheidungen anderer Unternehmen ständig durch den Ausleseprozess des Marktes überprüft werden, liegt die Vermutung nahe, dass erfolgreiche Unter­nehmen besonders günstige Standorte gewählt haben müssen. Dabei werden jedoch sowohl die sich ständig ändernden Standortvoraussetzungen vernachlässigt, als auch der Einfluss unternehmerischen Geschicks und strategischer Entscheidungen auf den Unternehmenserfolg. Dieser wird sicherlich nicht ausschließlich durch den Standort determiniert.

2.3.2 Unvollständige Information und Fähigkeit zur Verarbeitung

Ebenfalls Beachtung finden in den verhaltenswissenschaftlichen Modellen unterschiedliche Fähigkeiten und Ressourcenausstattungen der Entscheider. So kommt Pred (1967: 55ff.) zu dem Ergebnis, dass sich Unternehmen stark in Bezug auf die Quantität und Qualität wahrgenommener und letztlich genutzter Informationen unterscheiden. Geringe Informationsverfügbarkeit und -nutzung implizieren eine wenig rationale Entscheidung, was mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit die Wahl eines Standortes außerhalb der räumlichen Gewinnzone zur Folge hat: Das Unternehmen wird langfristig aus dem Markt ausscheiden. Umgekehrt erhöht sich mit steigender Informationsverarbeitungskapazität die Chance, einen Standort nahe am Optimum zu wählen.

Besonderen Einfluss auf die Fähigkeit der Informationsgewinnung und –verarbeitung hat die Ausprägung der Schnittstellen zur Unternehmensumwelt (vgl. Maier und Tödtling 2001: 30). Bereichen wie Unternehmensplanung, Forschung und Entwicklung und Marketing kommt hier eine große Bedeutung zu. Daraus ergibt sich, das Großunternehmen mit ihrer Organisationsstruktur eine größere Rationalität ihrer (Standort-)Entscheidungen erwarten lassen. Ein weiterer Bestimmungsfaktor des Standort­verhaltens ist die Ressourcenausstattung, welche nicht nur einen aufwendigeren Suchprozess erlaubt, sondern eine Verlagerung oder Zweigwerkgründung überhaupt erst ermöglicht. Standortunterschiede auf überregionaler Ebene können daher vor allem von größeren Mehrbetriebsunternehmen genutzt werden. Auch standörtliche Spezialisierungen wie die Verlagerung arbeitsintensiver Tätigkeiten in Räume mit niedrigem Lohnniveau bei gleichzeitiger Nutzung des Potenzials hoch qualifizierter Arbeitnehmer an zentralen Standorten können fast ausschließlich von Großunternehmen realisiert werden (vgl. Dicken und Lloyd 1999: 233f.).

Verhaltenswissenschaftliche Ansätze untersuchen nicht das abstrakte Konstrukt des Unternehmens, sondern die Entscheidungen von Personen und Gruppen. Diese können bestimmte, im Unternehmen verbreitete Werte und Ziele verinnerlicht haben, andererseits aber auch anderen, aus persönlicher Sicht relevanten Faktoren wie Wünschen der Familie den Vorzug geben (vgl. Scharrer 2000: 53, Schnurrenberger 2000: 69).

Der zeitlichen Dimension des Entscheidungsprozesses und der Vielzahl einwirkender Faktoren wird ebenfalls Beachtung geschenkt, darüber hinaus spielen die Auslöser für Standortwahlprozesse in dieser Arbeit eine wichtige Rolle. Wegen der Wichtigkeit für den weiteren Untersuchungsgang wird dieser Prozesscharakter mit dem folgenden Kapitel 2.4 in einem eigenem Abschnitt erläutert.

Auch die behavioristische Sichtweise der Standortwahl ist zu kritisieren. Ein häufiges Argument gegen diesen Ansatz ist, dass er sich meist in der bloßen Beschreibung von Entscheidungen erschöpft. Beim Erklärungsversuch greift demnach auch die verhaltens­wissenschaftliche Theorie oftmals auf die neoklassische Annahme der Gewinnmaximierung zurück. Außerdem wird häufig auf die Nichtberücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Zusammenhänge verwiesen (vgl. Schnurrenberger 2000: 70). Da in dieser Arbeit jedoch in erster Linie die einzelwirtschaftliche Standortwahl von Bedeutung ist, kann dieser Einwand vernachlässigt werden.

Für die Entwicklung des Kommunalmarketing-Instrumentes erscheint die besondere Berücksichtigung dieses Ansatzes sinnvoll, da sich Marketing-Konzepte und -Maßnahmen letztlich an die individuellen Entscheidungsträger in den Unternehmen richten und sich an deren Verhalten orientieren. Es gilt, durch zielgerichtete Vermittlung von Informationen Entscheidungen zu beeinflussen. So wird z.B. das Image eines Standortes nicht nur durch objektiv messbare Faktoren, sondern auch und vor allem durch subjektive Wertungen und Vorurteile bestimmt (vgl. Grabow et al. 1995: 132). Auch die im weiteren Verlauf der Arbeit als wichtiger Standortfaktor identifizierte „Kompetenz“ eines Standortes z.B. in einer technologieintensiven Branche, ist nicht objektiv in ihrem potenziellen Einfluss auf den Unternehmenserfolg messbar. Qualitative Standortfaktoren wie komplexe Verflechtungsbeziehungen und dynamische Wechselwirkungen sind in ihrer Vorteilhaftigkeit weder quantitativ exakt bestimmbar, noch werden diese intersubjektiv gleich bewertet (vgl. Giese et al. 1992: 191).

Die verhaltenswissenschaftlichen Ansätze berücksichtigt dies und liefert daher wichtige Ansatzpunkte für die Ausgestaltung eines erfolgreichen Kommunalmarketings bzw. eines konkreten Instrumentes. Diese Arbeit orientiert sich dabei an der grundlegenden Annahme, dass es mittels Wertvermittlung im Sinne eines gezielten Einsatzes des später vorgestellten Marketinginstrumentariums möglich ist, Entscheidungen einer Zielgruppe zu beeinflussen (vgl. Kotler und Bliemel 2001: 7).

[...]


[1] Weber (1909) spricht in seiner Arbeit von „Standortsfaktoren“.

Excerpt out of 114 pages

Details

Title
Entwicklung eines Kommunalmarketing-Instrumentes zur Beeinflussung des unternehmerischen Standortwahlverhaltens
College
LMU Munich  (Institut für Wirtschaftsgeographie )
Grade
1,7
Author
Year
2007
Pages
114
Catalog Number
V82334
ISBN (eBook)
9783638859073
ISBN (Book)
9783638853682
File size
1955 KB
Language
German
Keywords
Entwicklung, Kommunalmarketing-Instrumentes, Beeinflussung, Standortwahlverhaltens, Standortmarketing, Standortwahl, Stadtmarketing, Kommunalmarketing, Wirtschaftsförderung, Standortfaktoren, Standortfaktor, Ansiedlungen, Wirtschaftsgeographie, Geographie, Standortentscheidung, Cluster, Clusterpolitik, Clusterförderung
Quote paper
Stefan Seehagen (Author), 2007, Entwicklung eines Kommunalmarketing-Instrumentes zur Beeinflussung des unternehmerischen Standortwahlverhaltens, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82334

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