Nationalsozialistische Schulpolitik 1933-1945

Von Hitlers pädagogischen Maximen bis zur praktisch- politischen Umsetzung und mit einem Exkurs zu Dresden.


Examensarbeit, 2007

74 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung

2 Nationalsozialistisches Erziehungsdenken
2.1 Hitlers pädagogische Maximen
2.2 Ernst Krieck - Der Völkische Erziehungsstaat
2.3 Alfred Baeumler - „Politische Pädagogik“
2.4 Resümee und Nutzen für die nationalsozialistische Erziehungspolitik

3 Das nationalsozialistische Schulwesen
3.1 Die Erfolge und Probleme des Weimarer Bildungssystems
3.2 Eingriffe und Veränderungen in der Schulverwaltung. Die national- sozialistische Strukturreform 1933 - 1945
3.2.1 Erste Phase: Sofortmaßnahmen zur „inneren Umgestaltung“, „Gleichschaltung“ und Zentralisierung
3.2.2. Zweite Phase: Reichseinheitliche „innere“ wie „ äußere“ Umgestaltung
3.2.2.1 Das höhere Schulwesen
3.2.2.2 Das mittlere Schulwesen
3.2.2.3 Das Volksschulwesen
3.2.2.4 Die Hilfsschulen
3.2.3 Dritte Phase: Auswirkungen des Krieges auf das Schulwesen
3.3 Die Umgestaltung ideologisch intendierter Unterrichtsinhalte
3.4 Die Lehrerbildung

4 Ein Exkurs zum nationalsozialistischen Schulwesen in Dresden
4.1 Die Dresdner Schullandschaft vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten
4.2 I. Phase (1933 bis 1937)
4.2.1 Die Situation nach der Machtergreifung in Sachsen - erste „Säuberungsmaßnahmen“ und personelle Veränderungen im Volksbil- dungsministerium und allen nach geordneten Stellen von 1933-1934
4.2.2 Die Entlassungen von Lehrern und die Gleichschaltung der Schulver-
waltung in Dresden zwischen 1933 bis 1935
4.2.3. Die personellen Veränderungen im sächsischen Volksbildungsminis- terium nach der „Röhm-Krise“ und deren Konsequenzen für das Dresdner Schulsystem bis 1937
4.3 II. Phase (1937-1942)
4.3.1 Veränderungen im Volks- und Hilfsschulwesen von 1937-1942
4.3.2 Die Veränderungen im Höheres Schulwesen Dresdens nach 1937
4.3.3 Die Einführung des Mittelschulwesens in Dresden
4.3.4 Die Veränderungen im Dresdner Privatschulwesen nach 1937
4.3.5 Die Hauptschulen
4.4. III. Phase (1942-1945)

5 Schlussbemerkungen

Bibliographie

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der nationalsozialistischen Schul- politik von 1933 bis 1945. In der Bundesrepublik begann die Bearbeitung dieses historischen Problemfeldes mit einer systematischen Studie zur Schulpolitik dieser Zeit in der Mitte der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts. Darin wurden vor allem die strukturellen Veränderungen im Bildungswesen sowie die entscheidenden inhaltlichen Eingriffe und Umorientierungen untersucht. Wenig später erschien die erste Quellensammlung. Ende der sechziger und Mitte der siebziger Jahre wandte sich die Forschung verstärkt dem nationalsozialistischen Erziehungs- und Bildungswesen zu. Die NS-Pädagogik, einzelne Schulfächer und spezielle NS-Erziehungsinstitutionen wurden dabei besonders beleuchtet. Die in dieser Zeit entstandene Studie zur Funktion der Erziehung im national- sozialistischen Staat von Rolf Eilers avancierte hierbei zum Standardwerk. Ende der siebziger Jahre kamen einzelne Untersuchungen zu Schulformen, verschie- denen Unterrichtsfächern und zum Verhalten der Lehrerschaft hinzu. In den achtziger und neunziger Jahren folgten systematische Editionen zu amtlichen Er- lässen und Richtlinien, die es ermöglichten, die schulpolitischen Maßnahmen des NS-Regimes und seine inhaltlichen Eingriffe und Veränderungen im Schulwesen anhand der Quellen zu studieren. Eine dieser wichtigen Editionen, welche auch in dieser Arbeit Verwendung findet, ist jene von Renate Fricke-Finkelnburg. Außerdem folgten kontinuierlich, bis in die jüngste Zeit hinein, zahlreiche regionale Einzelstudien, die sich vor allem auf den westdeutschen Raum, so für Bremen, Göttingen usw. bezogen. Um die sächsische, speziell die Dresdner Schulgeschichte für diesen Zeitraum ist es hingegen schlecht bestellt. Hier erschien 2002 eine Arbeit zum Schulwesen für die Zeit des Nationalsozialismus im „Dresdner Geschichtsbuch“ von Ulrich Amlung. Diese stützt sich allerdings hauptsächlich auf die 1959 erstellte, nach amtlichen Quellen verfasste Arbeit von Ernst Krebs. Jene wurde als Zusammenfassung der wichtigsten schriftlichen Zeugnisse zu diesem Thema jedoch nicht publiziert. Andere Arbeiten zu diesem Thema, die sich zeitlich zwischen Krebs und Amlung bewegen, fehlen indes. So bleibt die Grundlage einer neueren Aufarbeitung für die Dresdner Schulzeit von 1933 bis 1945 eher dürftig. Dennoch will ich neben der Darstellung allgemeiner struktureller und inhaltlicher Veränderungen des deutschen Schulwesens auch deren Auswirkungen für die Stadt Dresden beleuchten und somit einen Beitrag zur Aufarbeitung der Dresdner Schulgeschichte für diese Zeit leisten.

Bevor jedoch die Darstellung am konkreten Beispiel erfolgt, soll im ersten Teil auch auf die geistigen Ursprünge des nationalsozialistischen Erziehungsdenkens eingegangen werden. Ausgangspunkt sind dabei die Erziehungsvorstellungen Adolf Hitlers, zu denen Ernst Krieck und Alfred Baeumler die wissenschaftlichen Grundlagen zu schaffen versuchen. Nachdem die Probleme und Errungenschaften des Weimarer Bildungssystems und die Entwicklung des deutschen Schulwesens zwischen 1933 und 1945 angesprochen worden sind, werde ich auf die Veränderungen der Unterrichtsinhalte während der nationalsozialistischen Herrschaft eingehen und weiterhin die Lehrerausbildung kurz darstellen. Schließlich möchte ich die dargestellte Entwicklung am konkreten Fall Dresden reflektieren. Ferner soll geklärt werden, ob die Nationalsozialisten ein durchdachtes, schulpolitisches Konzept bereithielten und inwieweit sich die verschiedenen Machtinstanzen auf Reichs- und Länderebene sowohl horizontal als auch vertikal behinderten bzw. ergänzten. Kam es zwischen diesen Instanzen zu Streitigkeiten? Wenn ja, wie und auf welche Weise wurden sie beseitigt? Es sei darauf hingewiesen, dass der Beitrag nur das allgemein bildende Schul- wesen behandelt; sowohl die Berufs- als auch die NS- Eliteschulen bleiben außer Betracht.

2 Nationalsozialistisches Erziehungsdenken

2.1 Hitlers pädagogische Maximen

Hitler widmete der Erziehung in seinem 1925 erschienen Werk „Mein Kampf“ ein eigenes Kapitel. In diesem beschäftigte er sich mit grundlegenden Problemen der Erziehung und definierte die Rolle der Schule im nationalsozialistischen Staat. Grundlage seiner Ausführungen bildete eine rassistische Konzeption von Staat und Gesellschaft, welche in der Umgestaltung der schulischen Aufgaben und Zielsetzungen Ausdruck finden sollte. Der wesentlichste Unterschied gegenüber anderen schulpolitischen Konzepten bestand in der Veränderung jener Prioritäten- setzung der einzelnen Erziehungsziele. „Der völkische Staat hat seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einpumpen bloßen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. Hier aber wieder an der Spitze die Entwicklung des Charakters, besonders die Förderung der Willens- und Entschlusskraft, verbunden mit der Erziehung zur Verantwortungsfreudigkeit, und erst als letztes die wissenschaftliche Schulung.“1 Nach Hitlers Vorstellungen war demnach der körperlichen Ertüchtigung ein unbedingter Vorrang vor allen anderen schulischen Aufgaben einzuräumen. Diese enorme Aufwertung begründete er mit dem Argument, dass sie der Garant für den langfristigen Bestand des völkischen Staates sei und damit quasi die Grundlage einer dauerhaft gesunden Volksgemeinschaft bilde. Hierzu schreibt er: „Die körperliche Ertüchtigung ist daher im völkischen Staat nicht eine Sache des einzelnen, auch nicht die Angelegenheit, die in erster Linie die Eltern angeht, und die erst in zweiter oder dritter die Allgemeinheit interessiert, sondern eine Forderung der Selbsterhaltung des durch den Staat vertretenen und geschützten Volkstums“2.

Im Vordergrund dieser „Heranbildung kerngesunder Körper“ stand vor allem die Ertüchtigung der Jungen, da sie für eine dauerhafte Wehrhaftigkeit der deutschen Volksgemeinschaft verantwortlich war. Der Sportunterricht sollte die „Vorbildung für den späteren Heeresdienst“ sein, den Hitler als „die letzte und höchste Schule vaterländischer Erziehung“3 verstand.

Die Charakterbildung sollte, als zweite wichtige Aufgabe, der Schulung der körperlichen Ertüchtigung folgen. Unter dieser verstand Hitler jedoch nicht die Schaffung einer starken und gefestigten Persönlichkeit, mit welcher der Schüler zu selbstverantwortlichem Handeln erzogen werde. Vielmehr verstand er unter Charakterbildung allein den Auf- und Ausbau der Willens- und Entschlusskraft, um Aussichtsloses bedenkenlos zu wagen.4 Die Charakterbildung ergänzte die Leibesertüchtigung, um somit einen verwegenen und entschlossenen Soldaten heranzuzüchten, der zu allem bereit war.

Dies erklärt auch, warum die Wissensvermittlung bei Hitler zum Schlusslicht degradiert und damit die Ordnung des klassischen Schulsystems „vollständig auf den Kopf“ gestellt wurde. Nach Hitlers Vorstellungen genügte es, „…wenn der einzelne Mensch ein allgemeines, in großen Zügen gehaltenes Wissen als Grundlage erhält und nur auf dem Gebiet, welches dasjenige seines späteren Lebens wird, gründlichste Fach- und Einzelausbildung genießt“5. Als Konsequenz dieser Auffassung sah er die Verringerung des Lehrstoffes als dringend geboten. Es waren die naturwissenschaftlichen und technischen Fächer, welche auf ein notwendiges Maß verringert werden sollten. Eine Aufwertung erfuhren jedoch die geisteswissenschaftlichen Fächer. Hitler begründete diese Idee damit, dass diese Fächer wegen ihrer besonderen Anfälligkeit für Wertsetzungen zu einer gezielten ideologisch-politischen Ausrichtung des Schülers nutzbar gemacht werden könnten.6 Am Beispiel des Geschichtsunterrichtes verdeutlichte er seine Vorstellungen. „Es fehlte unserer Erziehung die Kunst, aus dem geschichtlichen Werden unseres Volkes einige wenige Namen herauszuheben und sie zum Allgemeingut des gesamten deutschen Volkes zu machen, um so durch gleiches Wissen und gleiche Begeisterung auch ein gleichmäßig verbindendes Band um die ganze Nation zu schlingen. Man hat es nicht verstanden, die wirklich bedeutsamen Männer unseres Volkes in den Augen der Gegenwart als überragende Heroen erscheinen zu lassen, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie zu konzentrieren und dadurch eine geschlossene Stimmung zu erzeugen. Man vermochte nicht, aus den verschiedenen Unterrichtsstoffen das für die Nation Ruhmvolle über das Niveau einer sachlichen Darstellung zu erheben und an solchen leuchtenden Beispielen den Nationalstolz zu entflammen.“7 Mit diesen drei aufeinander folgenden Elementen war das nationalsozialistische Schulkonzept komplett. Nachdem der Körper des Schülers physisch gestählt, charakterliche Eigenschaften, wie Treue, Opferwilligkeit, Verschwiegenheit und Mut gestärkt worden waren, sollte er schließlich und endlich notwendiges Grundlagenwissen vermittelt bekommen. Am Ende jener primär staatlichen Erziehung war der junge Mensch nicht mehr Individuum, sondern Teil der auf einen Führer ausgerichteten Volksgemeinschaft.

Die vor allem in der Weimarer Zeit stets geforderte Objektivität der wissen- schaftlichen Schulbildung sollte ausgegrenzt werden. Nicht Erkenntnisvermittlung und -gewinn standen im Zentrum des Schulkonzeptes, sondern die Erziehung hin zu einem treuen, nicht hinterfragenden Volksgenossen. Dazu schreibt Hitler: „Man erziehe das deutsche Volk schon von Jugend an mit jener ausschließlichen Anerkennung der Rechte des eigenen Volkstums und verpeste nicht schon die Kinderherzen mit dem Fluche unserer „Objektivität“ auch in Dingen zur Erhaltung unseres eigenen Ichs“8.

Letztendlich war „Mein Kampf“ keine politische oder pädagogische Aufklärungs-, sondern vielmehr eine Agitations- und Propagandaschrift, deren einziges Ziel es war, möglichst viele Anhänger seiner Ideen zu gewinnen.9 Die Besonderheit lag in der „explosiven Mischung“ aus Rassismus, Volksverhetzung und auch durchaus plausiblen Beobachtungen.10 Diese Kombination war das Erfolgsrezept der nationalsozialistischen Agitation. Jeder, außer Juden und Sozialisten, konnte in den Ausführungen etwas finden, was er selbst bestätigen oder aber zumindest teilweise in der Gesellschaft beobachten konnte.

Trotz der ausführlichen Beschreibung der schulischen Aufgaben im kommenden nationalsozialistischen Staat bei Hitler fehlte der Bewegung insgesamt eine in sich geschlossene Erziehungstheorie, die das in „Mein Kampf“ propagierte Programm wissenschaftlich zu begründen versuchte.11 Ernst Krieck sowie Alfred Baeumler, zwei zeitgenössische Wissenschaftler, versuchten, von verschiedenen Ansatz- punkten ausgehend, ein einheitliches erziehungswissenschaftliches Konzept zu entwickeln. Beide an der NS-Weltanschauung orientierten Vorstellungen ver- suchten zudem, diese philosophisch zu begründen und damit eine geistes- wissenschaftliche Legitimation Hitlers Auffassungen zu manifestieren.

2.2 Ernst Krieck - Der Völkische Erziehungsstaat

Ernst Krieck, 1882 in Vögisheim in Südbaden geboren, war ursprünglich Volksschullehrer. Aus einem armen bäuerlichen Elternhaus stammend, war dies die einzige Möglichkeit, vor dem ersten Weltkrieg eine höhere Bildung zu erhalten.12 Durch Fortbildungen und autodidaktische Maßnahmen bildete er sich auf dem Gebiet der Erziehung weiter, nachdem ihn die Volksschullehrertätigkeit allmählich zu unterfordern begann. Er publizierte zahlreiche Schriften und Artikel in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, wobei er zwei bestimmte Fragen zu seinem zentralen Thema avancierte. Zum einen beschäftigte ihn das Problem der Konfessionalität der Volksschule13, zum anderen das des chancengleichen Zugangs der Arbeiterkinder zur höheren Bildung.

Kriecks erziehungswissenschaftliches Hauptwerk „Philosophie der Erziehung“ erschien im Jahr 1922. Es war sein publizistischer Durchbruch und brachte ihm schließlich den Ehrendoktor der Universität Heidelberg ein. In dieser Schrift setzte er sich mit der „Stellung der Erziehungswissenschaft im System der Wissenschaften“ auseinander und versuchte, eine neue, eine „reine“ Erziehungs- wissenschaft zu begründen. Diese definierte er als: „…eine überall und jederzeit in der Menschheit sich vollziehende geistige Grundfunktion.“ Er schrieb: „Erziehung ist überall und jederzeit vorhanden als ein ursprüngliches Geschehen…“ und „…wird damit als eine notwendige und ursprüngliche Gegebenheit vorausgesetzt; gleich wie Religion, Recht, Sprache, Gemeinschaft, Staat nicht erst aus irgendwelchen verstandesmäßigen, zweckhaften Überlegungen entspringen, sondern geistige Urgegebenheiten in der Menschheit sind“14. Sie schloss neben der planmäßigen Form von Erziehung, wie etwa Unterricht, auch die Form von Erziehung ein, die immer dort auftritt, wo bestimmte Formen des Gemeinschaftslebens auf den Zuerziehenden einwirken. Nach Kriecks Vorstellungen wächst der Zuerziehende in diese Formen hinein und wird durch sie geprägt.15 Erziehung wird demnach vom sozialen Umfeld abhängig gemacht. Von dieser Annahme ausgehend entwickelte er ein Modell, um die verschiedenen Schichten der Erziehungswirklichkeit zu systematisieren. Die von ihm als „rational“16 definierte Form der Erziehung durch Schulen oder Hochschulen bildet dabei die oberste Schicht. Die Zweite ist auf der Ebene des bewussten sozialen Handelns in der Familie, am Arbeitsplatz usw. angesiedelt. Die unterste Schicht der erzieherischen Faktoren „…besteht aus den unbewussten Wirkungen, Bindungen und Beziehungen von Mensch zu Mensch. Sie bilden den Untergrund des Gemeinschaftslebens, die unmittelbarste und stärkste Bindung im organischen Gefüge“17. Alle drei Schichten stehen in direkter Verbindung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig. Neben dieser vertikalen Gliederung der funktionalen Erziehung führte Krieck eine weitere, die von ihm als „Breitengliederung“18 definierte, Unterscheidungsform an. „Die Pole sind die Selbsterziehung der Gemeinschaft und die Selbsterziehung der Einzelnen. Dazwischen spannt sich das weite Gebiet der Fremderziehung, und zwar der wechselwirkenden Fremderziehung der Glieder, also des Ichs und des Du, ferner die Fremderziehung jedes Gliedes durch die Gemeinschaft und endlich die Fremderziehung der Gemeinschaft durch die Glieder. Dazu tritt dann noch die Erziehung der Gemeinschaft durch andere Gemeinschaften, also durch die Wirkungsbeziehungen kultureller, wirtschaftlicher und politischer Art nach außen“.19 In diesem ausgebauten Konzept hat das gesamte soziale und gesellschaftliche Leben eine erzieherische Implikation. Jeder wird erzogen und erzieht seinerseits wieder. Diese kollektive Assimilierung bezeichnete Krieck als „Zucht“, wobei mit diesem Begriff die durch Sitten und Normen der jeweiligen Gemeinschaft ausgelöste Prägung gemeint war. Erziehung wird damit ein soziales Phänomen. Das war für die damalige Zeit ungewöhnlich.20 Trotz der richtigen Beobachtung der Abhängigkeit der Erziehung von sozialer Herkunft und deren Prägung war die Schlussfolgerung Kriecks fehlerhaft und führte schließlich zu dessen Verirrung. Er sah den Prozess von Fremd- und Selbsterziehung, bei dem sich das Individuum stets an seinen sozialen Typus (selbst) bindet, als „organischen“ Vorgang an.21 Damit wird das politisch-gesellschaftliche Grund- verständnis von Krieck offensichtlich. Gemeinschaft verstand er nicht als entstandenen Zweckverband, bei dem das Individuum als gleichberechtigtes Glied je nach Interessenlage Mitglied werden kann oder nicht. Er sah das Individuum als ein organisches Glied der Gemeinschaft, dessen Typus dieses in seiner Existenz aufnimmt und ihn in Sondergestalt abbildet.22 Das sich, im Sinne der Aufklärung, aus dem sozialen Beziehungsgeflecht heraus emanzipierende Indivi- duum, gab es nach Krieck nicht. In seinem Verständnis „verschmilzt“ das Individuum mit anonymen, mystischen Mächten.23 Die Gemeinschaften seien deshalb „überindividuelle und ursprünglich geistige“ Organismen.

Auf der Grundlage des von ihm entwickelten „organischen“ Weltbildes, welches den Kern seiner gesamten Philosophie der Erziehung bilden sollte, konstruierte er seine Erziehungsvorstellungen. Diese rückten ihn schließlich in die Nähe der nationalsozialistischen Ideen.24 Denn auch Hitler ging von einer natürlich gewachsenen Volksgemeinschaft als Basis seines neuen Staates aus. Die ersten Gemeinsamkeiten der krieckschen und nationalsozialistischen Auffassung über Erziehung und Gesellschaft waren damit hergestellt.

Weitere Schriften, wie „Menschenformung“ (1925) oder „Bildungssysteme der Kulturvölker“ (1927), sollten die Grundauffassung des organischen Weltbildes historisch belegen. Im Jahre 1928 wurde Krieck schließlich an die Pädagogische Akademie Frankfurt am Main berufen. Dort hielt er im Juli 1931 vor Volksschul- lehrern eine Rede, welche mit „Heil dem dritten Reich!“ endete. Daraufhin wurde Krieck vom preußischen Kultusminister nach Dortmund strafversetzt. Diese Maß- regelung löste eine Protestwelle fast aller pädagogischen Hochschullehrer aus. Ob Krieck mit seiner Äußerung die Hitler-Partei gemeint hatte und dies der aus- schlaggebende Grund für seine weitere politische Orientierung war, bleibt um- stritten.25 1932 trat er plötzlich in den nationalsozialistischen Lehrerbund und damit automatisch in die NSDAP ein. Dadurch, dass die Bewegung bis zur Machtergreifung in Bezug auf ihre kulturellen Ziele wenig festgelegt war, sah Krieck hier seine Chance, einen völkischen Erziehungsstaat zu verwirklichen, welcher mit seinem weltanschaulichen Grundkonzept der organischen Gesellschaft harmonierte. Für die Verwirklichung dieser Idee schien die nationalsozialistische Bewegung mit ihrer Volksgemeinschaft ideal.26 Krieck arrangierte sich mit den Nazis. Diese waren nicht mehr eine partikulare politische, sondern eine völkisch-revolutionäre Bewegung, deren Entwicklung offen und damit eine Realisierung des Erziehungsstaates zu ermöglichen schien. Noch im selben Jahr seines Eintritts in die NSDAP veröffentlichte er das Buch „Nationalpolitische Erziehung“. Es wurde zur Pflichtlektüre nationalsozialis- tischer Studenten und Lehrer. Im Kern drückte es Kriecks weltanschaulichen Widerwillen gegenüber Liberalismus und Individualismus aus. Hier rechnete er mit dem bürgerlich-liberalen System ab, welches seinen beruflichen Aufstieg verhindert hatte. Primär ging es nicht um politische Ziele, sondern um die Stellung des Menschen in der Gesellschaft. Er sollte aus der isolierten Subjektivität, in die ihn die liberalistische Parteienpluralität gezwungen hatte, befreit und in sein Volk heimgeführt werden.27 Die völkische Revolution würde die Mängel des alten Systems überwinden und die Gemeinschaft, einem Organ gleich, gesunden lassen.28 „Das Weimarer zwischenstaatliche System hat mit seinen politischen und bürgerlichen Freiheitsrechten die Auflösung geschichtlich gewachsener Formen und Bindungen, die das kapitalistische Zeitalter kennzeichnen, auf Rechtsform und Scheinorganisation gebracht. Dem Staat gehört fortan nur die Summe der einzelnen mündigen Staatsbürger an: er kennt als Volk bloß die Masse der Einzelnen, nicht aber Sozialgebilde. Den Einzelnen ist ein möglichst weiter Raum willkürlicher Bewegung zugebilligt, und auf dieser Freiheit genannten Willkür und Auflösung sollen sich Familie, Staat, Partei, Wirtschaftsgesellschaft, Wirtschaftsordnung und Kirche gründen: alles ist Zusammenschluss nach subjektivem Wollen, individuellen Zwecken und Bedürfnissen, nach Belieben, Neigung und Wahl.“29 In Bezug auf seine die Erziehungswissenschaft betreffende These aus „Philosophie der Erziehung“ voll- zog Krieck nun eine folgenreiche Wendung. Es war jetzt nicht mehr die Gemein- schaft, die auf ihre Glieder erzieherisch wirkt, sondern die nationalsozialistischen Massenbewegungen mit ihren Formationen HJ, SS und SA. Krieck führt dazu aus: „Der Nationalsozialismus hat also die aus den Instinkten seiner Führer in Anwendung gebrachten Elementarmittel und Methoden der Massenerregung und Massenbewegung auszubauen zu einer allgemeinen Zuchtform, einem Übungssystem, das im ganzen Volk und in den einzelnen Volksgenossen die Rassewerte weckt…“30 Das eine Element, welches den mystischen Urzustand wiederherstellen sollte, war damit gefunden - die nationalsozialistische Bewegung.

Im Jahr 1934 erhielt Krieck einen Lehrstuhl an der Universität Heidelberg und wurde dort später auch Rektor. Hier arbeitete er an seiner letzten größeren Theorie, der „völkisch-politischen Anthropologie“. Ausgangsproblem war hier die Vorstellung, dass die sich im 19. Jahrhundert vollziehende Ausdifferenzierung der Wissenschaften zu einer losen Ansammlung von sinnlos nebeneinander existierenden Einzeldisziplinen geführt habe. Der Bildungssinn der Universität war verloren gegangen. Die von Krieck entwickelte „völkisch-politische Anthropologie“ sollte, als eine alle Einzelwissenschaften integrierende Philo- sophie, diesen Missstand beseitigen. Mit der nationalsozialistischen Weltan- schauung sah er die „neue bindende Grundlage für alle Wissenschaften, Fakultäten und Hochschulen31 gegeben. Im Gegensatz zu seinem wissenschaftlichen Hauptgegner Wilhelm Hartnacke32 war die philosophische Grundposition jedoch nicht die einer den Nationalsozialisten eigenen bio- logistischen Rassentheorie, sondern eine „universelle Biologie“, in die er sowohl die Naturwissenschaften als auch die Geistes- und Sozialwissenschaften einbinden wollte.33 Die „universelle Biologie“ verwehrte sich dem sozialdarwinistischen Grundsatz, dass sich stets nur der Stärkste durchsetzten könne. Die sozialen Umstände verhinderten oft eine Entfaltung der individuellen Leistungen, was einen Eingriff des Staates notwendig mache. Jener müsste durch gezielte Aktionen, wie etwa eine Schulreform, günstigere Ausgangsbedingungen schaffen. Die Folge dieser, sich gegen die weitläufige nationalsozialistische Sichtweise stellende These, war eine jahrelange Kontroverse, an deren Ende die Niederlage Kriecks stand und er schließlich alle seine öffentlichen Ämter niederlegte. Er wendete sich danach wieder seiner wissenschaftlichen Arbeit zu und wurde bis Kriegsende kaum öffentlich aktiv. 1947 starb er schließlich in einem amerika- nischen Internierungslager.34

2.3 Alfred Baeumler - „Politische Pädagogik“

Alfred Baeumler wurde 1887 im sudetendeutschen Neustadt geboren. Er studierte in München, Bonn und Berlin, zunächst Kunstgeschichte, dann Philosophie und Ästhetik. Nach dem ersten Weltkrieg setzte er seine philosophischen Studien fort. Baeumler habilitierte an der Technischen Hochschule in Dresden und wurde dort 1928 ordentlicher Professor für Philosophie und Pädagogik. Er pflegte regen Kontakt zu dem nationalsozialistischen Chefideologen Alfred Rosenberg, was für seinen Eintritt in die NSDAP im Jahr 1933, mitentscheidet gewesen sein könnte.35 Auf dessen Drängen übernahm Baeumler 1934 die Abteilung Wissenschaft in dem ein Jahr zuvor neu eingerichteten Amt „Rosenberg“. Schon seit 1930 wandte er sich dem Thema der Geschichtsphilosophie zu. In den ab da erschienenen Arbeiten verlor er sich meist in einem mystifizierenden, irrationalen Germanismus. Dieser wiederum bildete die Grundlage einer politischen Vision, die ein neues, auf germanischen Traditionen basierendes, deutsches Reich zu verwirklichen suchte und damit ebenfalls Ideal für die nationalsozialistische Bewegung zu sein schien. Ausgangspunkt dieser germanischen Tradition bildeten die so genannten Wehrbünde, die ihrerseits in wechselseitiger Treue durch eine persönliche Führer- Gefolgschafts-Beziehung mit einander verbunden waren.36 Dazu entwickelte Baeumler ein Drei-Ebenen-Modell, bei dem sich auf der ersten Ebene der Germanismus als männlich-heroische Kultur gegenüber der „wei- bischen“ materiellen Kultur durchsetzten sollte.37 Er behauptete, dass die in der Weimarer Zeit aufgezwungene weibliche oder materielle Kultur dem deutschen Volk von Natur aus nicht wesensgemäß sei und deshalb zu einem heroischen männerbündnischen System zurückfinden müsse. In dieser sonderbaren Vorstellung spiegelte sich Baeumlers antifeminine und antidemokratische Grundhaltung wider. Die Frau habe den Mann verweichlicht, indem sie ihn über Konsum und Häuslichkeit zur urbanen-materiellen Kultur hingeführt habe. Nur in einer männerbündnerischen Sozialstruktur von „Mannschaften, in denen Führer und Geführte in gegenseitiger Treue einander verschworen seien“38, könne diese Verweichlichung, die zudem in der deutschen Linken Unterstützung finde, aufgehalten werden. Wie Krieck, so war auch Baeumler davon überzeugt, dass die Gesellschaft ein organisches Ganzes darstellt. „Der Einzelne ist nur, was er ist, durch die Gemeinschaft.“39 Nach Baeumler musste nun die Herbeiführung des organischen Volksstaates Ziel aller politischen Bestrebungen sein. Dazu sollten auf der zweiten Ebene die so genannten Symbole zum Einsatz kommen. Diese Symbole seien der „Kitt“, durch welchen die Einheit des deutschen Volkes sinnlich erfahrbar gemacht werden würde. „Die Gefolgschaft Adolf Hitlers kennt das Symbol, die Darstellung der Idee in einem Menschen, in einer Fahne. Das Führerprinzip und die Symbole des Nationalsozialismus haben den Begriff der Idee neu geprägt.“40 Das Symbol tritt an die Stelle des früheren absoluten Begriffes des Menschen. Es ist die geschichtlich-realistische Verwirklichung der Zugehörigkeit eines Menschen zu einer bestimmten Rasse und einem bestimmten Volkstum. Die Symbole repräsentieren die Gemeinschaft und schließen andere von dieser aus. Korrigiert werden müsse vor allem die Diskrepanz zwischen dem Typus des Gebildeten und dem des Soldaten. „Es nütze nicht viel, wenn die Gebildeten lediglich per Gesinnung sich zur nationalsozialistischen Revolution stellten; denn Volksgemeinschaft bedeutet etwas anderes als Verbundenheit in Gesinnung und Wille. Wer legt diese Gesinnung, diesen Willen aus? Wer richtet die einzelnen aus, wer bezeichnet das Ziel konkret? Die patriotische Gesinnung wird nicht bezweifelt, aber mit patriotischer Gesinnung kann man nicht kämpfen und die Macht ergreifen. Dazu bedarf es des unbedingten Einsatzes konkreter Symbole.“41 Gemeint war damit, dass der Nationalsozialismus „die Ersetzung des Gebildeten“ durch den von Baeumler herausgehobenen „Typus des Soldaten“ herbeizuführen habe.42 Daraus resultierend war auch der Auftrag einer politischen Erziehung, welche im Sinne des Nationalsozialismus dienlich werden sollte, umschrieben. Sie habe nämlich vor allem einen, den Typus entsprechenden, Wehrauftrag gerecht zu werden.43 Aus dieser Auffassung ergab sich schließlich die dritte Ebene, wobei es hier vorrangig um die pädagogische Umsetzung der Grundidee ging. Die nationalsozialistische Erziehung, welche im Gegensatz zum individualistischen Liberalismus und dessen bildungsgeschichtlicher Tradition stand, wurde zum Kern dieser Ebene. Überwunden werden sollte vor allem der Typus des „Gebildeten“, da er sich von der Realität des völkischen Lebens distanziert hatte. Ab 1939 wich diese polemische einer systematisch pragmatischer werdenden Argumentation, wobei sich Baeumler auf Grundlage seiner Vorstellungen über Erziehung mit allgemeinen Fragen zu deren Umsetzung zu beschäftigen begann. Sein Interesse galt vor allem der Schule, der Lehrerbildung und dem Sport.44 Besonders der Schule räumte er bei der Umsetzung seiner Überlegungen eine zentrale Rolle ein. Sie sollte die indi- viduelle geistige Entwicklung der Kinder und Jugendlichen fördern. Darüber hinaus bräuchte diese Entwicklung auch Zeit, die dem Nachwuchs gewährt werden müsse.45 Mit dieser Haltung stellte er sich in doppelter Hinsicht gegen die Bestrebungen der HJ und anderer nationalsozialistischer Jugendorganisationen. Zum einen, indem er die Schule als Institution wieder aufzuwerten versuchte, da sie den Umweg darstellt, „…den das Leben selber erfunden hat, um zu bestimmten Leistungen zu gelangen. Um sein Ziel zu erreichen, setzt das Leben sich scheinbar in Widerspruch zu sich selbst; es schafft die Schule, die ihrem Aufbau nach nicht „Leben“ ist, und gerade damit dem Leben dient“46. Zum anderen, weil er die „individuelle geistige Entwicklung“ des Kindes zu fördern gedachte, was auf keinen Fall im Interesse der nationalsozialistischen Erziehungspolitik gelegen haben dürfte, da hier jegliche aufkeimende Indi- vidualität verhindert werden sollte. Dem kindlichen Entwicklungskonzept von Bauemler lag ein Modell zu Grunde, welches die „Leistung der Intelligenz vom Charakter abhängig“ machte und als „Bildbarkeit des Menschen“ bezeichnet wurde.47 Dieser, auf Rasse als Grundbegriff basierende Charakter, bedürfe, trotz vorgegebener intellektueller Grundrichtung, der Erziehung und Bildung. Hier sollte vor allem dem Lehrer eine besondere Funktion zukommen; er hat den politischen Auftrag, den die Schule vom Führer erhalten hat, in eigener Verantwortung durchzuführen.48 Schule und Lehrerschaft unterstünden der Politik, dies bedeute jedoch keine Unterwerfung, sondern die Einordnung der Erziehung in die Volksordnung.

Damit hielt Baeumler zwar an den klassischen Begriffen Bildung und Bildsamkeit fest, jedoch erfuhren diese eine Umdeutung, welche auf der Ausrichtung der Leistungsfähigkeit auf Charaktereigenschaften beruhte. Diese wiederum basierten auf rassischen Grundlagen. Die Verbindung zur nationalsozialistischen Ideologie war indes hergestellt. Baeumler glaubte nun, wie Krieck, an eine vollständige Umsetzung seiner Theorie. Sein Einfluss begann sich jedoch während der Kriegszeit systematisch zu verringern. Nach dem Krieg verlor er schließlich seine Professur und wurde drei Jahre in den Lagern Hammelburg und Ludwigsburg interniert. Dadurch, dass er später als „Belasteter“ eingestuft wurde, konnte er sich trotz seines Freispruches nicht mehr rehabilitieren. Seine philosophische Lauf- bahn war, vor allem wegen seiner Parteizugehörigkeit, beendet. Seine letzte Veröffentlichung unter dem Titel „Das mythische Weltalter“ erschien 1965. Am 19. März 1968 starb er in Eningen bei Reutlingen49

2.4 Resümee und Nutzen für die nationalsozialistische Erziehungspolitik

Hitler, Krieck und Baeumler gehören zu den wichtigsten Vertreter national- sozialistischen Erziehungsdenkens. Ihre Ideen bilden das Grundgerüst der sich ab 1933 verwirklichenden Erziehungspolitik. Nachfolgend sollen die zentralen Aus- sagen knapp zusammengefasst und hinsichtlich ihrer realpolitischen Umsetzung analysiert werden.

Bei Hitler waren Bildung und Erziehung rassischen Prinzipien untergeordnet und in deren Dienst gestellt. Eine Geistesfeindlichkeit seiner Erziehungsvorstellung war die Folge. Denn nicht die Bildung und Erziehung des Einzelnen hin zu einem selbstverantwortlichen, mündigen Menschen war das Ziel, sondern jene Er- ziehung, die ihn zu einem opferwilligen Volksgenossen machen sollte. Nach Hitlers Meinung ist der Einzelne nur als Teil der Gemeinschaft nützlich. Am Ende schließlich steht die Pädagogisierung der gesamten Nation und damit verbunden deren Erziehung zum Krieg. Die Bedeutung in den Ausführungen der Darlegung Hitlers für die spätere nationalsozialistische Schulpolitik besteht darin, dass sie als Leitlinie in der Erziehungspraxis tatsächliche Umsetzung fand. Wie diese im konkreten Fall ausgesehen hat, wird in den folgenden Kapiteln ausführlich dar- gestellt.

Ernst Krieck belegt zu aller erst einmal die Attraktivität der national- sozialistischen Bewegung für gesellschaftskritische und an nationaler Integration interessierte Pädagogen. Seiner Meinung nach müsse die Einheit der Gemein- schaft durch die Erziehung, welche aus ihr selbst entspringt, wiederhergestellt werden. Mit dieser „nationalpolitischen Erziehung“ sollte der Weg aus der Krise, deren Ursachen er in der liberalen Gesellschaftskonzeption der Weimarer Republik zu finden glaubte, herbeigeführt werden. Das Resultat seiner falschen Schlussfolgerungen war die Preisgabe wissenschaftlicher Kriterien zugunsten rassisch-völkischer Standpunkte. Seine vorher kulturtheoretisch-soziologisch deutbaren Begriffe (z.B. Zucht) deutete er nun fälschlicherweise völkisch- anthropologisch um. Sogar Fragen der Erziehbarkeit wurden mit biologischen Annahmen entschieden und rassisch definiert. Die normative Umdeutung funk- tionalen Denkens war Kriecks großer Fehler, welcher schließlich in der Politi- sierung der Erziehungstheorie seinen Höhepunkt fand. Durch seine Arbeiten lieferte er den Nationalsozialisten eine theoretische Legitimation, da schließlich die Idee von der Erziehung als Grundfunktion aller Gemeinschaften zur Basis der nationalsozialistischen Erziehungspolitik wurde. Seine Erwartungen in Bezug auf die Umsetzung der gesamten Erziehungstheorie erfüllten sich jedoch nicht. Sie scheiterten am Pragmatismus der neuen Machthaber, denen es nach 1933 mehr und mehr um die Vorbereitung auf den Krieg ging.

Auch Alfred Baeumler brachten seine anthropoligisch-rassische Grundhaltung und die Vorliebe für Männerbünde in die Nähe der nationalsozialistischen Be- wegung. Die Erziehungswirklichkeit sah er durch die Weltanschauung bestimmt, wobei die Schule als Mittel politischer Indoktrination dienen sollte. Anders als Krieck, hielt er an den traditionellen pädagogischen Begriffen Bildung und Bildsamkeit fest. Jedoch erfuhren diese eine inhaltliche Umdeutung nach völkisch-rassischen Gesichtspunkten und fanden in der Stilisierung des poli- tischen Soldaten als Höhepunkt erzieherischer Tätigkeit ihre Absage an die Bildungstradition. Durch den Symbolbegriff schließlich wurde seine Theorie für die Nationalsozialisten nutzbar. Hiermit fand die nationalsozialistische Funk- tionalisierung von Gemeinschaft und Ästhetisierung des Politischen eine ver- meintlich geisteswissenschaftliche Fundierung. Seine Theorie aber war, da sie der Wirklichkeit gegenüber unkritisch blieb, nur Ideologie.

3 Das nationalsozialistische Schulwesen

Im folgenden Kapitel soll die Entwicklung des nationalsozialistischen Schul- wesens von 1933 bis 1945 aufgezeigt werden. Diese Darstellung wird sich von den Veränderungen in der Schulstruktur sowie -verwaltung über die der Lerninhalte bis zu denen der Lehrerausbildung erstrecken. Damit dies in systematischer, überschaubarer Form gelingt, bediene ich mich der gängigen Periodisierung, welche sich in den meisten der hier zitierten Werke finden lässt.50 Die Aufteilung der NS-Schulpolitik erfolgt dabei in drei Phasen.

Die erste Periode, von 1933 bis 1937, wird als Phase schulpolitischer Sofortmaß- nahmen charakterisiert.

[...]


1 Hitler, A.: Mein Kampf, 6. Aufl., München 1940, S. 452.

2 Ebenda, S. 453.

3 Hitler, A.: Mein Kampf, 6. Aufl., München 1940, S. 459.

4 Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 24.

5 Hitler, A.: Mein Kampf, 6. Aufl., München 1940, S. 468f.

6 Vgl. ebenda, S. 480.

7 Hitler, A.: Mein Kampf, 6. Aufl., München 1940, S. 471.

8, Ebenda, S. 124.

9 Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 19.

10 Vgl. ebenda, S. 18.

11 Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 7f.

12 Vgl. ebenda, S. 31.

13 Das Volkschulwesen lag traditionell in der Hand der Kirchen. Daran änderte sich auch nach 1919 nichts. Zwar hatte der Staat die Schulaufsicht übernommen, diese den Kirchen aber wieder zur Ausübung übertragen. Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 31f.

14 Ernst, K.: Philosophie der Erziehung, Jena 1922, S. 3.

15 Vgl. Hojer, E.: Nationalsozialismus und Pädagogik. Umfeld und Entwicklung der Pädagogik Ernst Kriecks, Würzburg 1996, S. 87.

16 Ernst, K.: Philosophie der Erziehung, Jena 1922, S. 44.

17 Ebenda, S. 45.

18 Ebenda, S. 50 f.

19 Ebenda, S. 50 f.

20 Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 35.

21 Vgl. ebenda, S. 38.

22 Vgl. Ernst, K.: Philosophie der Erziehung, Jena 1922, S. 10 f.

23 Vgl. Hojer, E.: Nationalsozialismus und Pädagogik. Umfeld und Entwicklung der Pädagogik Ernst Kriecks, Würzburg 1996, S. 94.

24 Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 38.

25 Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 43.

26 Vgl. Hojer, E.: Nationalsozialismus und Pädagogik. Umfeld und Entwicklung der Pädagogik Ernst Kriecks, Würzburg 1996, S. 125.

27 Vgl. Krieck, E.: Nationalpolitische Erziehung, Leipzig 1932, S. 60.

28 Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 45.

29 Krieck E.: Nationalpolitische Erziehung, Leipzig 1932, S. 60.

30 Ebenda, S. 11.

31 Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 54.

32 Hartnacke war nach der Machtergreifung kurzeitig sächsischer Kultusminister gewesen. Vgl. ebenda, S. 54.

33 Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 54.

34 Vgl. ebenda, S. 57 f.

35 Vgl. ebenda, S. 79.

36 Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 80.

37 Vgl. Baeumler, A.: Männerbund und Wissenschaft, Berlin 1934, S. 43.

38 Ebenda, S. 14 f.

39 Ebenda, S. 86.

40 Ebenda, S. 126.

41 Baeumler, A.: Männerbund und Wissenschaft, Berlin 1934, S. 128.

42 Vgl. ebenda, S. 129.

43 Vgl. ebenda S. 130.

44 Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 95.

45 Vgl. Baeumler, A.: Bildung und Gemeinschaft, Berlin 1942, S. 116.

46 Vgl. Baeumler, A.: Bildung und Gemeinschaft, Berlin 1942, S. 119.

47 Vgl. ebenda, S. 83.

48 Vgl. ebenda, S. 96.

49 Vgl. Giesecke, H.: Hitlers Pädagogen. Theorie und Praxis nationalsozialistischer Erziehung, Weinheim und München 1993, S. 102.

50 Vgl. Fricke-Finkelnburg, R.: Schulpolitik des Nationalsozialismus, in: Meyers, P./ Riesenberger, D. (Hrsg.): Der Nationalsozialismus in der historisch-politischen Bildung, Göttingen 1979, S. 96 und Scholtz, H.: Erziehung und Unterricht unterm Hakenkreuz, Göttingen 1985, S. 47 f.

Ende der Leseprobe aus 74 Seiten

Details

Titel
Nationalsozialistische Schulpolitik 1933-1945
Untertitel
Von Hitlers pädagogischen Maximen bis zur praktisch- politischen Umsetzung und mit einem Exkurs zu Dresden.
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
74
Katalognummer
V82349
ISBN (eBook)
9783638859103
ISBN (Buch)
9783638945073
Dateigröße
735 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nationalsozialistische, Schulpolitik
Arbeit zitieren
Daniel Böhme (Autor:in), 2007, Nationalsozialistische Schulpolitik 1933-1945, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82349

Kommentare

  • SEHR gute Arbeit. Dem Autor bin ich in besonderer Weise zu Dank verpflichtet. Positiv bei dieser Arbeit ist, dass sie ganz pauschal die Schulpoloitik unter dem Nationalsozialismus zeigt. Sie wird mir bei der Abfassung meiner wissenschaftlichen Arbeit behilflich sein, denn zur Zeit schreibe ich über die antifaschistische Literatur und ein immerwiederkehrendes Stoff in dem Werk, über das ich arbeite, ist die Erziehung während des Dritten Reiches.

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Titel: Nationalsozialistische Schulpolitik 1933-1945



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