Die Entstehung und Entwicklung des Glaubens an den israelitischen Gott des Alten Testaments ist zweifelsohne eine der zentralen und spannendsten Fragen der Theologie. Das Alte Testament erzeugt in dieser Hinsicht eine perfekte Illusion: das Volk Israel wurde von diesem einen Gott am Anbeginn der Zeiten auserwählt und durch die Geschichte geleitet. Obgleich es eine immense Schwierigkeit darstellt, die Vielfalt der Welterfahrung monistisch zu kompensieren, gelang dies den Theologen trotz der enormen nationalen Katastrophen, die das Volk Israel zu erleiden hatte. Das dahinter stehende Hauptmotiv kann man in der Bewahrung der Einzigkeit und Absolutheit dieses Gottes sehen. So ist – nicht nur – der neuzeitliche Bibelleser zur Annahme geneigt, der Gottesbegriff der Erzeltern sei die bis in die Zeit Jesu und darüber hinaus konstant gebliebene orthodoxe Variante israelitischer Gottesvorstellung. De facto erfuhren die biblischen Texte einen langen Überlieferungs- und Redaktionsprozess, und damit können Tradenten und vor allem Redaktoren für die „monotheistische Illusion“ im Alten Testament verantwortlich gemacht werden. Zwar war deren Maxime nicht bloße Uniformierung, sondern sie ließen sehr wohl verschiedene Überlieferungsströme neben einander bestehen, um möglichst viele Gotteserfahrungen in die Texte zu integrieren – deutlich sichtbar wird dies an den verschiedenen Gottesnamen, aber auch an innertextlichen Spannungen, die wiederum der Redaktionskritik wichtige Ansatzpunkte lieferten – dennoch erzeugten sie auf inhaltlicher Ebene eine Unmenge von Anachronismen: etablierte bzw. zu etablierende Gottesvorstellungen wurden einfach auf die Vergangenheit projiziert.
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs: eine Nomadengottheit?
1.1 Biblischer Befund
1.2 Das religionsgeschichtliche Modell nach Alt
1.3 Der religionssoziologische Ansatz nach Albertz
2. Der Gott des Moses: eine Berg- und Sturmgottheit?
2.1 Historische Rekonstruktion
2.1.1 Der Exodus
2.1.2 Der Aufenthalt am Gottesberg
2.1.3 Wüstenwanderung und Landnahme
2.2 Die Bedeutung des Moses
2.3 Das Gotteskonzept der Exodusgruppe
3. Kanaanäische Transformation: Synkretismus im Kulturland
3.1 Das Verhältnis von kanaanäischer und israelitischer Religion
3.2 JHWH und El
3.3 JHWH und Aschera
Exkurs: Kritik am monotheistischen Zugang zur Welt
Schlusswort
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die Entstehung und Entwicklung des Glaubens an den israelitischen Gott des Alten Testaments ist zweifelsohne eine der zentralen und spannendsten Fragen der Theologie.
Das Alte Testament erzeugt in dieser Hinsicht eine perfekte Illusion: das Volk Israel wurde von diesem einen Gott am Anbeginn der Zeiten auserwählt und durch die Geschichte geleitet. Obgleich es eine immense Schwierigkeit darstellt, die Vielfalt der Welterfahrung monistisch zu kompensieren, gelang dies den Theologen trotz der enormen nationalen Katastrophen, die das Volk Israel zu erleiden hatte. Das dahinter stehende Hauptmotiv kann man in der Bewahrung der Einzigkeit und Absolutheit dieses Gottes sehen. So ist – nicht nur – der neuzeitliche Bibelleser zur Annahme geneigt, der Gottesbegriff der Erzväter sei die bis in die Zeit Jesu und darüber hinaus konstant gebliebene orthodoxe Variante israelitischer Gottesvorstellung. De facto erfuhren die biblischen Texte einen langen Überlieferungs- und Redaktionsprozess, und damit können Tradenten und vor allem Redaktoren für die „monotheistische Illusion“ im Alten Testament verantwortlich gemacht werden. Zwar war deren Maxime nicht bloße Uniformierung, sondern sie ließen sehr wohl verschiedene Überlieferungsströme neben einander bestehen, um möglichst viele Gotteserfahrungen in die Texte zu integrieren – deutlich sichtbar wird dies an den verschiedenen Gottesnamen, aber auch an innertextlichen Spannungen, die wiederum der Redaktionskritik wichtige Ansatzpunkte lieferten – dennoch erzeugten sie auf inhaltlicher Ebene eine Unmenge von Anachronismen: etablierte bzw. zu etablierende Gottesvorstellungen wurden einfach auf die Vergangenheit projiziert.
In dieser Arbeit sollen die wichtigsten religionsgeschichtlichen Befunde von der Zeit der Erzväter bis zum Abschluss der Landnahme, was die Entwicklung der JHWH-Vorstel-lung betrifft, dargestellt werden. Dabei geraten auch die anachronistischen Projektionen der sich letztendlich durchgesetzt habenden religiösen Partei ins Blickfeld.
Die Gliederung der Arbeit ist bewusst „chronologisch“ konzipiert: ausgehend von einer Betrachtung der Religion der Erzväter über den durch Moses vermittelten Gott am Sinai, den die Exodusgruppe mit nach Palästina brachte, soll schließlich gezeigt werden, inwieweit die israelitische(n) Gottesvorstellung(en) im Zuge der Landnahme einer tiefgreifenden Transformation unterworfen war(en). Am Ende der Arbeit soll klar geworden sein, dass sich die altisraelitische Religion durch eine enorme Vielfalt auszeichnete, der die biblischen Texte allein nicht gerecht werden können. Davor jedoch stellt sich in einem Exkurs die Frage nach der Problematik des Monotheismus überhaupt und inwieweit er in der Lage ist, den Lebensvollzügen in einer komplexen Welt gerecht zu werden.
1. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs: eine Nomadengottheit?
1.1 Biblischer Befund
Die Vätererzählung in Gen 12-50 handelt vom Leben Abrahams, Isaaks und Jakobs und ihrer Beziehung zu Gott.[1] Als Abraham von Gott berufen wird, ist dies nach der Konzeption einer wahrscheinlich vorexilischen Redaktion der eigentliche Beginn der israelitischen Religion, denn dieser Gott ist identisch mit JHWH. Dies zeigt deutlich Ex 3f, wo sich JHWH dem Moses im brennenden Dornbusch offenbart und ihm auch seinen Namen nennt. Seine erste Selbstvorstellungsformel lautet hier allerdings: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.“ (Ex 3,6)[2]
Jedoch wird die Angelegenheit etwas komplizierter, wenn nur drei Kapitel später die priesterschriftliche Bearbeitungsschicht in Ex 6 davon spricht, dass Moses der erste sei, dem Gott seinen Namen JHWH offenbart, er den Vätern jedoch als El-Šaddaj erschienen wäre.[3]
Dass Gott in der Bibel verschiedene Namen haben kann, verhalf der Redaktionskritik zur Einsicht, dass im Pentateuch verschiedene Überlieferungsströme zusammen geflossen sein mussten, wenngleich das klassische Schichtenmodell längst zur Diskussion steht. Neben den beiden häufigsten Gottesbezeichnungen JHWH und Elohim findet sich eine Reihe von Umschreibungen, die schon allein aus dem Verbot in der jüdischen Tradition resultieren, den Namen Gottes (resp. JHWH) auszusprechen.
Um etwas über die Religion der Erzväter zu erfahren, kann man unter den biblischen Texten – ungeachtet des Quellenwertes – eigentlich nur Gen 12-50 konsultieren.[4] Hier fallen sogleich ganz bestimmte Typen von Gottesbezeichnungen ins Auge. Einige seien genannt[5]: zum einen begegnet „der Gott meines Vaters“, wobei das Possessivpronomen wechseln kann (Gen 31,5.42; 2Chr 17,4), aber häufig steht auch explizit ein Personenname als Genitivattribut wie in „der Gott Abrahams“ (Gen 31,42.53) oder „der Gott Nahors (Gen 31,53). Zum anderen finden sich aber auch Appellativa in Verbindung mit einem Personennamen – meist einem der Väter – die sehr ungewöhnlich, ja sogar ziemlich archaisch anmuten, wie „Schild Abrahams“ (Gen 15,1b), „Schrecken Isaaks“ (31,42a.53b) und „Starker Jakobs“ (49,23f).
Neben den unterschiedlichen Gottesbezeichnungen differiert die Religiosität der Väter im Vergleich zu späteren Zeiten aber vor allem auch in der Gottesvorstellung. Von einer übernatürlichen Unnahbarkeit und Unantastbarkeit Gottes wie im späteren Zentralkult, die nur durch kultische Mittler überwunden werden kann, fehlt jede Spur. Vielmehr wird Gott als ein unmittelbarer persönlicher Begleiter der (halb-) nomadischen[6] Sippen gedacht, der bedingungslos seinen Beistand und seine Hilfe gewährt.[7]
Um diesen Befund war spätestens seit Albrecht Alt eine leidenschaftliche Diskussion entbrannt. Deren Verlauf kann im Folgenden nicht exakt nachgezeichnet werden, aber zumindest soll die Position Alts kurz dargelegt sein, und mit dem religionssoziologischen Erklärungsmodell von Rainer Albertz soll eine der wichtigsten gegenwärtigen Antworten auf die Theorie einer Väterreligion als Vorläufer der JHWH-Religion angeführt werden.
1.2 Das religionsgeschichtliche Modell nach Alt
Hatte die alttestamentliche Wissenschaft die Väterreligion lange Zeit als fromme Rückprojektion angesehen, die dazu dienen sollte, eine historische Linearität und Kontinuität des JHWH-Glaubens zu erzeugen[8], so stufte Albrecht Alt den historischen Quellenwert der Vätersagen weitaus höher ein, und meinte, in ihnen einen typisch nomadischen Religionstyp ausmachen zu können, der gewissermaßen eine Vorstufe zur JHWH-Religion darstellte.
Diese Nomadenreligion weise sich vor allem durch zwei Charakteristika aus. Zum einen sei sie von Grund auf polytheistisch, auch wenn Alt die Erzväter durchaus als Nomaden sieht, und ihre Religion zumindest in der Steppe, wenn nicht gar in der Wüste entstanden wissen will. Alt verweist zur Begründung dieser Annahme auf Gen 31,53.[9] Die unterschiedlichen Gottesbezeichnungen seien ein polytheistisches Relikt, und bezögen sich demnach keineswegs auf dieselbe Gottheit.
Dies ist insofern innovativ, da lange Zeit vor allem im 19. Jahrhundert gerade die nomadische Herkunft – zumindest eines Teils – des israelitischen Stämmeverbandes als eine bedeutende Ursache für die Entstehung des israelitischen Monotheismus angesehen wurde.[10] Das andere Charakteristikum wäre ein typisch nomadisches. Denn aus der unterschiedlichen Gottesvorstellung, die sich in den Vätersagen manifestiert hat, entwickelte Alt die Vorstellung einer vorrangigen Personengebundenheit des jeweiligen Gottes, hervorgerufen durch individuell vorzustellende Gottesoffenbarungen, wobei der Name des Offenbarungsträgers in der Gottesbezeichnung erhalten blieb. Die Heiligtumsgründungssagen taugen hier als Antithese gegen die lokale Ungebundenheit nicht, denn hinter ihnen verbirgt sich eine Instrumentalisierung der Erzväter in Form von Ätiologien. H.Donner bemerkt dazu treffend: „Israel hat sich nach der Landnahme die alten kanaanäischen Heiligtümer [...] zu eigen gemacht, hat Anspruch auf sie erhoben und ihre sakrale Würde auf Jahwe zurückgeführt, der sich den Erzvätern schon vor der Landnahme dort offenbart haben sollte.“[11] Nach Alt ist dieser Befund religionsgeschichtlich mit der Sesshaftwerdung nomadischer Gruppen in Palästina zu erklären, woraus zunächst eine Verschmelzung mit den lokalen kanaanäischen El-Numina erfolgte, bevor durch die Ausbildung eines gesamtisraelitischen Nationalbewusstseins diese Gottesbildsynthesen singularisiert bzw. alle mit JHWH identifiziert wurden.
Die Vorstellung einer Sammlung des israelitischen Stammesgefüges an den Pforten des gelobten Landes – was der biblischen Darstellung entspricht – wo die nomadische Vätergottheit mit dem Bergnumen der Exodusgruppe verschmilzt, und diese synthetische Gottheit dann ins Kulturland gebracht wird, erweist sich als zu kursichtig. An eine solche Geschlossenheit auf allen historischen und sozialen Ebenen ist im Wachzustand nicht zu denken. Dass die Gottesbezeichnungen und -beziehungen der Vätersagen auf eine Varietät innerhalb der israelitischen Religion hinweisen, scheint unbestritten. Aber ob für diesen Sachverhalt die geschichtliche Interpretation Alts angemessen ist, wurde in letzter Vergangenheit immer mehr angezweifelt, auch wenn er religionsgeschichtliche Analogien u.a. bei den Nabatäern festgestellt haben will. Auch wenn Herbert Donner nicht alle Kritikpunkte am Modell Alts als berechtigt ansieht, und er viele offenstehende Fragen formuliert, die Alt angemessen beantwortet zu haben scheint, sieht auch er den Hauptansatzpunkt für eine kritische Betrachtung in der Frage, ob die Erzväter des AT tatsächlich Nomaden gewesen sind. Das alte Gegenüber von Kulturlandbauern und Transhumanznomaden wurde durch eine Reihe soziologischer Forschungen längst durch den Antagonismus zwischen Stadt und Land abgelöst.[12] Dies ist auch für die mehr religionssoziologisch ausgerichteten Betrachtungen von Rainer Albertz axiomatisch.
[...]
[1] Die erst sekundäre genealogische Verknüpfung der drei Erzväter steht außer Diskussion. Vgl. etwa H.Donner, 89.
[2] Vgl. R.Albertz, 49.
[3] Dto.
[4] Aus welcher Perspektive die Genealogie Israels in diesen Geschichten jedoch geschildert wurde, wird sich weiter unten noch zeigen.
[5] Eine schöne Übersicht liefert M.Köckert, 915f.
[6] Zur Diskussion um die Sozietät der Erzväter siehe weiter unten.
[7] Vgl. R.Albertz, 62.
[8] Gegenüber der Tradition, die bemüht war, den Gott der Väter stets mit JHWH zu identifizieren.
[9] Vgl. A.Alt, 16f. Der masoretische Text weist eine pluralische Verbalform auf, die auf zwei unterschiedliche Subjekte schließen lässt.
[10] Auch wenn E.Renans Formel „Le désert est monothéiste“, Œuvres complétes 8, 147, längst obsolet ist, dürfte sie zur Zeit Alts noch eine gewisse Reputation in der Theorie um die Entstehung des Mono-theismus gehabt haben.
[11] Vgl. H.Donner, 87.
[12] Vgl. ders., 92f.
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