Die Farbsymbolik in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm


Dossier / Travail, 2005

16 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Licht und Finsternis - Die Nichtfarben
2.1 Leben und Sterben - Weiß
2.2 Trauer und Tod - Schwarz
2.3 Das Zwischenreich - Grau

3. Aufmerksamkeitsfänger - Die reinen Farben
3.1 Liebe und Gefahr - Rot
3.2 Vernunft und Neid - Gelb
3.3 Ferne und Traumwelten - Blau

4. Seltene Akteure – Die Mischfarben
4.1 Hoffnung und Gift - Grün
4.2 Das Alter - Braun
4.3 Mäßigung und Leiden - Violett

5. Kostbarkeiten – Die metallischen Farben
5.1 Reichtum und Liebe - Gold
5.2. Rein und unwirklich - Silber

6. Chaos und Neugier - Bunt

7. Schlusswort

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Laut Wassily Kandinsky ist Farbe „ ein Mittel direkten Einfluss auf die Seele auszuüben.[1] Jede Farbe übt eine andere Wirkung auf den Betrachter bzw. Leser aus. Sie kann positive und negative Emotionen freisetzen, Gefahr signalisieren, Ruhe vermitteln und vieles mehr: Farben sind visualisierte Gefühle.[2] Die Grimmsche Märchensammlung zeichnet sich durch eine sehr sparsam und gezielt eingesetzte Farbgebung aus: Personen, Kleidung, Gegenstände etc. die farbig auftreten, haben immer eine besondere Bedeutung und verweisen auf das Innere, den Charakter. Auffallend ist, dass die Gebrüder Grimm fast nur die Grundfarben, und hier vor allem Rot, benutzten, dazu die Nichtfarben Schwarz und Weiß, sowie die metallischen Farben Gold und Silber. Mischfarben (nur Grün, Braun und Violett treten auf) sind äußerst selten und erfordern deswegen gesteigerte Aufmerksamkeit. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass fast immer nur reine Farbtöne verwendet werden, Abstufungen und Schattierungen wie Grasgrün, Zinnoberrot etc. finden sich nur sehr selten.

Das intuitive Wissen um die Bedeutung einer Farbe ist zum Teil angeboren, zum Teil aber auch kulturell geprägt[3], weswegen ich mich im Folgenden immer nur auf den europäischen, christlichen Bedeutungskreis und dessen traditionelle Farbsymbolik beziehen werde. Da in der Romantik Goethes Farbentheorie einen großen Einfluss auf die Kunsttheorie ausübte und Goethe fast 20 Jahre lang in persönlichem Kontakt mit den Gebrüdern Grimm stand, die seine Werke wiederum sehr schätzten[4], halte ich es für sinnvoll, neben der traditionellen Farbsymbolik auch Goethes spezielle Theorien zur Bedeutung der Farben in meiner Untersuchung der Märchenfarben mit einzubeziehen.

2. Licht und Finsternis - Die Nichtfarben

Weiß und Schwarz bezeichnet man als Nichtfarben, da sie eigentlich keine Farben, sondern nur Helligkeitsbezeichnungen sind. Sie drücken den Kontrast zwischen Licht und Finsternis aus und haben gerade deswegen einen hohen Symbolgehalt. Als Gegenpole zu allen anderen Farben sind Weiß und Schwarz besonders dazu geeignet die Bereiche jenseits der Farben, jenseits des Lebens, zu kennzeichnen.[5] Beide Farben galten in der Romantik als Todesfarben: „ Schwarz und Weiß, eine Totenschau[6], so Goethe.

2.1 Leben und Sterben - Weiß

Weiß ist die Farbe des Lichtes und damit prinzipiell positiv konnotiert.[7] Weil die Farbe Weiß aus allen anderen Farben zusammengesetzt wird, ist sie symbolisch die Farbe der Vollkommenheit. In den „ Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm “ (im Folgenden kurz KHM) findet sich dieser Gedanke unter anderem in „Die weiße Schlange“ (KHM 17): Hier wird jeder, der von dem Fleisch der weißen Schlange isst, allwissend, da er den Gesprächen der Tiere lauschen kann.

Durch seine Lichtsymbolik wurde Weiß auch im Christentum zu einer wichtigen Farbe, nach der Verklärung Christi wurden dessen Kleider „ weiß wie das Licht[8]. Weiß ist deswegen auch Zeichen für Auferstehung und neues Leben. In „Die zwölf Brüder“ (KHM 9) sollen diese getötet werden, nur das Hissen der weißen Fahne könnte dies verhindern. Oftmals werden in den Märchen junge Königssöhne in weiße Tauben verwandelt, erst nach bestimmten Taten finden sie wieder zur alten Gestalt und zum neuen Leben zurück: In „Die Alte im Wald“ (KHM 123) muss ein armes Dienstmädchen der Taube z.B. einen goldenen Ring bringen, in „Hurleburlebutz“ (KHM Anhang, d.h. in den Ausgaben nach 1856/57 nicht mehr veröffentlichte Märchen, Nr.10) muss eine Königstochter ihr sogar den Kopf abschlagen.

Weiß symbolisiert auch Unschuld und Reinheit: Das brave Mädchen in „Die weiße und die schwarze Braut“ (KHM 135) wird als Belohnung für sein gutes Herz von Gott ganz Weiß verwandelt. Weiß ist in der Bibel auch die Farbe der Heiligen und der Engel.[9] „Das Mädchen ohne Hände“ (KHM 31) trifft eine „schneeweiße Jungfrau“, die sich hinterher als Engel herausstellt, und „Schneeweißchen und Rosenrot“ (KHM 161) sehen ein schönes Kind in weißglänzenden Kleidern, ihren Schutzengel.

In der Romantik war Weiß eine populäre Modefarbe, die besonders von vornehmen Damen, aber auch von empfindsamen, gefühlvollen Künstlerpersönlichkeiten getragen wurde.[10] In der romantischen Vorstellung von der vollkommenen Frau hatte diese makellos weiße Haut - in den Märchen findet sich dieses Idealbild z.B. in der Beschreibung von Schneeweißchen („Schneeweißchen und Rosenrot“, KHM 161) und „Sneewittchen“ (KHM 53) wieder. Die Vorsilbe „Schnee“ in deren Namen weist nochmals, als Symbol der Keuschheit und Unberührtheit, auf ihre Unschuld und Reinheit hin: Beide Frauen benehmen sich zum Teil kindlich naiv und können sich gar nicht vorstellen, dass jemand ihnen Böses antun will. Sneewittchen fällt sogar gleich drei Mal auf die Mordversuche ihrer Stiefmutter herein.

Zum Farbsymbol für den Tod wurde Weiß schon in der Antike durch die Verbindung mit der Leichenblässe der Verstorbenen. In der Romantik war es üblich, den Toten weiße Kleider anzuziehen. In den Märchen z.B. sichtbar in dem weißen „Totenhemdchen“ (KHM 109). Durch diesen Zusammenhang wurde Weiß auch zur Farbe der Geister und Gespenster: In dem „Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ (KHM 4) verkleidet sich der Küster mit einem weißen Laken als Gespenst, um den Jungen zu erschrecken, und in „Der gestohlene Heller“ (KHM 154) stellt sich ein blasses, schneeweiß gekleidetes Kind als Geist heraus. In den Kinder- und Hausmärchen trifft man auch häufig auf einen weißen Tod oder eine todbringende weiße Figur. Der Teufel in „Die drei Handwerksburschen“ (KHM 120) winkt z.B. mit einem weißen Tuch; die Hirschkuh, der der König in „Die zwei Brüder“ (KHM 60) hinterher jagt, und die ihn zur bösen Hexe führt, ist natürlich nicht braun sondern schneeweiß; der böse Zwerg in „Schneeweißchen und Rosenrot“ (KHM 161) hat einen langen weißen Bart, in „Die weiße und die schwarze Braut“ (KHM 135) taucht die ermordete Braut in Gestalt einer schneeweißen Ente wieder auf.

Ein weißes Taubenpaar dagegen war bereits in der Romantik ein populäres Liebessymbol. Die beiden weißen Tauben, die „Aschenputtel“ (KHM 21) dabei helfen die unlösbaren Aufgaben der bösen Stiefmutter zu bewältigen, stehen symbolisch für die Liebe der toten Mutter zu ihrer Tochter. In „Die Nelke“ (KHM 76) sind zwei weiße Tauben, die die unschuldig in einem Turm gefangengehaltene Frau mit Nahrung versorgen, in Wirklichkeit zwei Engel, von Gott aus Liebe zu ihr geschickt.

2.2 Trauer und Tod - Schwarz

Schwarz ist die Negation des Lichts und damit des Lebens. Da Negation auch der grundsätzliche Charakterzug der Hölle und des Teufels ist, werden beide im Märchen häufig als Schwarz beschrieben, und nicht etwa, wie wegen der Höllenfeuer anzunehmen, als Rot. In „Der König vom goldenen Berge“ (KHM 92) erscheint der Teufel als „ schwarzes Männchen “ und in „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ (KHM 29) ist der Eingang zur Hölle schwarz. Schwarz steht somit für das Böse: Der Zauberer in „Der gläserne Sarg“ (KHM 163) wird „ Schwarzkünstler “ genannt, in „Die weiße und die schwarze Braut“ (KHM 135) fragt die Ermordete „ Was macht die schwarze Hexe?.[11]

Ein Wandel von Schwarz zu Weiß bedeutet immer eine Besserung, ja Erlösung der Märchenfigur. In „Der Königssohn, der sich vor nichts fürchtet“ (KHM 121) wird die schwarze Jungfrau mit jeder Nacht, die der Königssohn stumm im Schloss verbringt, ein Stückchen weißer, bis sie schließlich am dritten Tag „ schneeweiß und wunderschön “ ist. Umgekehrt färben sich die angeblichen Cousins der Katze in „Katze und Maus in Gesellschaft“ (KHM 2) immer schwärzer, je unverschämter und böser die Katze wird: Das erste Kätzchen ist noch weiß mit braunen Flecken, das zweite schwarz mit einem weißen Ring um den Hals, das dritte hat schließlich nur noch weiße Pfötchen „ aber sonst kein weißes Haar “. Mit dieser Symbolik kann allerdings auch eine Täuschung einhergehen, wenn sich z.B. der Wolf in „Der Wolf und die sieben jungen Geißlein“ (KHM 5) die schwarzen Pfoten mit Mehl weiß färbt und damit für die Geißlein als ‚Gut’ erscheint.

Da sich Leichen nach einer Weile schwärzlich verfärben, ist Schwarz traditionell auch die Farbe des Todes und der Trauer. In dem Märchen „Der König vom goldenen Berge“ (KHM 92) wird dieser von einer Gruppe schwarzer Männer angegriffen und enthauptet. „Hans mein Igel“ (KHM 108) liegt nach seiner Erlösung kohlschwarz im Bett, und wird erst wieder lebendig, als ihn der Doktor Weiß balsamiert, und in „Die drei Schwestern“ (KHM Anhang Nr.16) erwacht die Königstochter erst wieder aus ihrem totenähnlichem Schlaf, als eine schwarze Tafel neben ihrem Bett zerschlagen wird. Die ebenholzfarbenen Haare von „Sneewittchen“ (KHM 53) deuten sogar besonders intensiv auf ihren bevorstehenden Tod hin - der griechischen

Sage nach bestand auch der Thron des Unterweltgottes Hades aus schwarzem Ebenholz[12].

Die schwarze Trauerfarbe kann im Märchen auch zum zentralen Element für die weitere Handlung werden. In „Die zwei Brüder“ (KHM 60) kommt der Held zufällig in eine mit schwarzem Trauerflor überzogene Stadt, und wird erst durch diese Farbe darauf aufmerksam, dass es einen Drachen zu besiegen gibt. Ein schwarzer Rabe ist immer ein besonders böses Vorzeichen, das Krieg, Krankheit und Tod ankündigt. In „Der treue Johannes“ (KHM 6) belauscht dieser drei Raben und erfährt dadurch vom bevorstehenden Tod seines Herrn.

Im Zusammenhang mit Augen- und Haarfarbe kann Schwarz, nach Goethes Farbentheorie, aber auch ein Zeichen für Leidenschaft und gute Laune sein.[13] Die schwarzhaarige Frau in „Die Nixe im Teich“ (KHM 181) verzweifelt nicht über die Entführung ihres geliebten Mannes, und schafft es durch Liebe und Mut ihren Mann aus der Tiefe des Sees wieder zurückzuholen.

2.3 Das Zwischenreich - Grau

Da Grau durch die Mischung von Weiß und Schwarz entsteht, steht es in der Mitte zwischen Licht und Finsternis, Leben und Tod. Es ist die Farbe des Zwischenreiches. Ein mysteriöses graues Männchen bringt sowohl dem braven Jungen in „Die goldene Gans“ (KHM 64), als auch in „Die Bienenkönigin“ (KHM 62) Glück. „Aschenputtel“ (KHM 21) trägt einen alten grauen Kittel, wenn sie tagsüber für die Stiefmutter schuften muss, und wird in diesem grauen Zustand vom Königssohn nicht erkannt. Erst als sie nachts den Kittel ablegt, das Zwischenreich verlässt, verliebt sich der Königssohn in sie. Auch „Die Gänsehirtin am Brunnen“ (KHM 179) wird erst wieder zur Königstochter, wenn sie abends ihre graue Perücke abnimmt und ihre goldenen Haare sichtbar werden. Davor ist sie nicht sie selbst, wird von niemandem erkannt.

Nach Goethe ist Grau die Farbe der Melancholie, der Hoffnungslosigkeit, der Schatten und der Nähe zum Tod.[14] Die böse Hexe in „Das Rätsel“ trägt deshalb auch einen nebelgrauen Mantel (KHM 22).

[...]


[1] Wassily Kandinsky in: Franz Josef Röll: Mythen und Symbole in populären Medien. Frankfurt am Main: Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik e.V., Abt. Verlag 1998, S.373. Der Maler und Theoretiker Kandinsky beschäftigte sich, neben seinen Experimenten auf dem Feld der abstrakten Malerei, mit dem Wesen und der Wirkung der Farben.

[2] Nach: Röll: Mythen und Symbole in populären Medien, S. 322.

[3] Nach C.G. Jung in: Röll: Mythen und Symbole in populären Medien, S.321 f.

[4] Nach: Reinhold Steig: Goethe und die Brüder Grimm. Kassel: Horst Hamecher Verlag 1972.

[5] Nach: Peter Schmidt: Goethes Farbensymbolik. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1965, S. 142.

[6] Schmidt: Goethes Farbsymbolik, S. 142.

[7] „Und Gott sah, dass das Licht gut war.“ Bibel, AT 1.Mose 1, 4.

[8] Bibel, NT Matthäus 17, 2.

[9] Z.B. Bibel, NT Johannes 20, 12.

[10] Auch in Goethes Dichtungen, zum Beispiel in „Die Leiden des jungen Werther“, tragen edle Damen häufig weiße Kleider.

[11] Interessanterweise treten zudem sowohl bei Goethes „Faust“ als auch in „Die Nelke“ (KHM 76) ein schwarzer Pudel als Symbol für das Böse auf.

[12] Lexikonredaktion: Herder-Lexikon. Symbole. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder 71978, S.38.

[13] Nach: Schmidt: Goethes Farbsymbolik, S.154. Auch der Held in Goethes „Werther“ ist über den Anblick eines munteren Kindes mit schwarzen Augen vergnügt. In: Trunz, Erich (Hg.): Johann Wolfgang Goethe. Die Leiden des jungen Werthers. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 61984, S.15.

[14] Nach: Schmidt: Goethes Farbsymbolik, S. 155.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Die Farbsymbolik in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm
Université
LMU Munich  (Institut für Deutsche Philologie)
Cours
Die Sammlung der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm
Note
1,0
Auteur
Année
2005
Pages
16
N° de catalogue
V82786
ISBN (ebook)
9783638898430
ISBN (Livre)
9783638908405
Taille d'un fichier
463 KB
Langue
allemand
Annotations
Kommentar des Dozenten (nach Benotung): Ihre Seminararbeit zum Thema "Die Farbsymbolik in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm" habe ich mit Spannung und großem Gewinn gelesen. Der Bezugsrahmen ihrer Beschreibungen bildete die Farbsymbolik in der christlichen Tradition [...] und Goethes Farbenlehre, die überzeugend in den Zusammenhang der Grimmschen Rezeption gebracht wird. [...] Mir hat an Ihrer Arbeit besonders gut gefallen, [...] dass Sie in der Beschreibung die Nuancierungen und Ambivalenzen sehr präzis erfasst haben und sprachlich ohne Spekulationen die Sache im Blick hatten.
Mots clés
Farbsymbolik, Kinder-, Hausmärchen, Brüder, Grimm, Sammlung, Kinder-, Hausmärchen, Brüder, Grimm
Citation du texte
M.A. Melitta Töller (Auteur), 2005, Die Farbsymbolik in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82786

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