Xenophons Apologie des Sokrates

Literarische Technik und Sokratesbild


Dossier / Travail, 2004

12 Pages, Note: 1,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Absichten Xenophons

3. Der Hermogenesbericht
3.1. Der Dialog zwischen Hermogenes und Sokrates
3.2. Die Rede vor Gericht
3.3. Die Rede nach der Verurteilung

4. Anekdotisches
4.1. Sokrates und seine Umgebung
4.2. Das vaticinium ex eventu

5. Fazit: Das Sokratesbild der xenophontischen Apologie

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Frage nach der historischen Gestalt Sokrates ist seit langem eine der meistdiskutierten Fragen der Forschung[1] überhaupt, jedoch spielt die Apologie des Xenophon in ihr eine besonders klägliche Rolle. Nicht nur, dass teilweise bestritten wurde, dass sie überhaupt von Xenophon stamme[2], auch ihr Stil und ihre logische Kohärenz wurden oft Ziel philologischen Missfallens, so dass ihre Verurteilung bei Wilamowitz-Moellendorff[3] ihren prominentesten Vertreter findet: „Die xenophontische Schrift ist an sich genauso werthlos wie sie die ältere Philologie geschätzt hat“.

Die Apologie mag geringen Nutzen für die Suche nach historischen Fakten über die Lichtgestalt Sokrates haben, jedoch ist sie es wert, sie als literarisches Werk einer genaueren Analyse zu unterziehen und das Bild des Sokrates, das Xenophon durch sie vermittelt bzw. zu vermitteln sucht, näher zu betrachten. Dies soll Ziel dieser Arbeit sein.

Dabei sollen vor allem im Zentrum der Analyse - neben einem Überblick über den Aufbau des Werkes - die literarischen Techniken stehen, die Xenophon verwendet, um dem Leser seine Vorstellung des Charakters und der Eigentümlichkeiten des Sokrates zu vermitteln. Am Anfang steht die Frage nach den Absichten, die Xenophon zu seinem Werk veranlassen und ihn dazu bringen, es in der vorliegenden Form dem Leser zu präsentieren. In einer textnahen Interpretation sollen dann die einzelnen Teile der Apologie besprochen und in einer abschließenden Synthese das xenophontische Sokratesbild, das die Apologie zu vermitteln sucht, zusammengefasst werden.

2. Die Absichten Xenophons

Was also beabsichtigt Xenophon mit seiner Apologie? Der erste Satz lässt sie als Gedenkschrift für Sokrates erscheinen (§1: Σωκράτους ... μεμνησθαι), die ihr Augenmerk jedoch lediglich auf die Prozesssituation (έπειδη έκληθη εις την δίκην) und vor allem die Einstellung des Sokrates bezüglich der Ausarbeitung einer Verteidigungsrede und einer möglichen Verurteilung zum Tode richtet (ώς ... έβουλεΰσατο περί τε της απολογίας και της τελευτής του βίου). Der zweite dieser Punkte, die Darstellung der Einstellung des

Sokrates gegenüber einem Todesurteil, ist äußerlich motiviert: Xenophon fiel bei der Betrachtung von Schriften anderer Autoren, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt hatten, auf, dass sie darin übereinstimmten, dass für die Verteidigungsrede des Sokrates μεγαληγορία, d.h. eine Art von arroganter, anmaßender Redeweise, charakteristisch gewesen sei, und schließt daraus, es handele sich bei ihr um ein historisches Faktum. Er versucht nun diese Redeweise dadurch zu erklären, dass Sokrates gemeint habe, der Tod sei dem Leben vorzuziehen (αΐρετώτερον είναι τοΰ βίου θάνατον), und die Lücke, die seine Vorgänger offen ließen (τοΰτο ού διεσαφηνισαν), zu schließen[4], indem er zeigt, dass der Anschein, den die Redeweise des Sokrates vor Gericht vermittelte, nämlich άφρονεστέρα, also allzu unvernünftig und somit einem möglichen Freispruch zuwiderlaufend, zu sein, auf seine διάνοια gegenüber dem Tod zurückzuführen und somit der Person Sokrates angemessen ist.

Einen weiteren Antrieb lässt §22 erkennen: Xenophon erhebt keinen Anspruch auf die vollständige Wiedergabe des Prozessverlaufs (έγω ού τα πάντα είπεΐν τα έκ της δίκης έσπούδασα), sondern hält es für ausreichend zu zeigen, dass Sokrates sich weder an den Göttern durch Missachtung noch an Menschen durch Ungerechtigkeit vergangen habe (μητε περί θεούς άσεβησαι μητε περί άνθρώπους άδικος φανηναι). Im Zentrum der xenophontischen Apologie steht also hinter der übergeordneten Absicht der Erinnerung an Sokrates einerseits die Rechtfertigung seiner Redeweise vor Gericht, andererseits die Entkräftigung von Vorwürfen bezüglich gottlosen und unrechten Handelns seinerseits. Doch wie verbindet Xenophon diese beiden Punkte?

3. Der Hermogenesbericht

Er lässt einen Gewährsmann auftreten, Hermogenes, den Sohn des Hipponikos, den er gleichermaßen als Freund des Sokrates (§2: έταΐρός τε ην αύτω) wie als Berichterstatter der folgenden Partien (έξηγγειλε) charakterisiert. Die Gründe hierfür sind offensichtlich: Xenophon versucht durch seine eigene Distanzierung vom Prozessgeschehen den Anschein von Objektivität, durch die persönliche Nähe des Hermogenes zu Sokrates und die Berufung auf eben diesen den von Historizität zu erwecken. Ob er zu Hermogenes tatsächlich Kontakt hatte und er tatsächlich als Quelle Xenophons gelten muss oder Xenophon sich einer schriftlichen Quelle bedient hat, ist wohl nicht zu beantworten[5], jedenfalls ist die Einführung eines fiktiven Gewährsmannes nichts Ungewöhnliches gerade in Schriften, die sich historischen Themen widmen. Jedoch soll hier die Person des Berichterstatters keine weitere Rolle spielen, sondern die Art und Darbietung des Berichteten.

Der Bericht des Hermogenes zerfällt in zwei ungleich große Teile, einerseits einen Dialog zwischen Hermogenes und Sokrates (§3-9), der vor dem Prozess anzusetzen ist, andererseits in zwei Reden, die Sokrates vor Gericht hält, eine längere vor (§10-21) und eine kurze nach (§24-26) der Verurteilung. Im Zentrum des Dialoges steht die διάνοια Σωκράτους gegenüber dem Tod, in den Reden vor Gericht die Entkräftigung der Anklagevorwürfe gegen Sokrates zum einen und die Reaktion des Sokrates auf das Urteil zum anderen. Diese Teile sollen nun einzeln analysiert werden.

3.1. Der Dialog zwischen Hermogenes und Sokrates

Die Frage des Hermogenes, ob Sokrates sich nicht mit der Ausarbeitung einer Verteidigungsrede eher beschäftigen solle, anstatt sich über andere Dinge zu unterhalten, beantwortet dieser damit, dass er sich während seines bisherigen Lebens nichts zu Schulden habe kommen lassen (§3: ούδέν άδικον διαγεγένημαι ποιων) und der Auffassung sei, dass dies die beste Vorbereitung auf seine Verteidigung sei (μελέτην είναι καλλίστην άπολογίας). Sokrates wird hier also von vornherein als Unschuldiger dargestellt, der meint, eine ausgefeilte Verteidigungsrede nicht nötig zu haben. Hermogenes wendet dagegen ein (§4), dass es in Athen öfter vorkomme, dass auch Unschuldige zum Tode verurteilt werden, und Sokrates gibt zu, dass er versucht habe, sich Gedanken über die Verteidigung zu machen, daran jedoch von seinem δαιμόνιον gehindert worden sei. Daraus schließt Sokrates (§5), dass von göttlicher Seite bestimmt sei, es sei besser für ihn zu sterben, wo er doch ein frommes und gerechtes Leben gelebt habe. Diese merkwürdig anmutende Auffassung wird im Folgenden (§6-7) etwas klarer: Die Vorteile einer sofortigen Verurteilung zum Tode liegen zum einen darin, dass er den Beschwerlichkeiten des Alters (§6: και όράν τε χείρον και άκουειν ηττον και δυσμαθέστερον είναι καί ων εμαθον έπιλησμονέστερον) entgeht, zum anderen, dass ihm ein schneller Tod bevorsteht (§7: έξέσται μοι τη τελευτή χρησθαι η ράστη...κέκριται). Wir haben hier also einen Sokrates vor uns, der vor jeglicher Schwierigkeit zurückschreckt, ein schwieriges Leben ist ihm eine Qual, ein langsamer Tod ebenfalls. Doch ist das wirklich so?

Busse[6] zieht diese Passage ins Lächerliche, übersieht jedoch dabei, dass hier ein Faktor eine große Rolle spielt, nicht die „egoistischen Motive“ des Sokrates, sondern der unbedingte Gehorsam gegenüber einer göttlichen Macht, der den Menschen Sokrates, wie er glaubt, dazu zwingt, sich nicht angemessen, d.h. eben nicht auf jede Weise Ausfluchtmöglichkeiten suchend (§8: έκ παντός τρόπου τα άποφευκτικά), zu verteidigen, sondern seine Sichtweise der der Gottheit anzupassen, indem er Argumente sucht, die ihr Urteil für ihn rational verständlich machen können. Diese Einstellung mag für den modernen Leser befremdlich sein, jedoch beabsichtigt Xenophon mit dieser Partie wohl nicht nur zu zeigen, dass Sokrates meinte, der Tod sei dem Leben vorzuziehen, sondern auch warum, nämlich nicht aus Furcht vor dem Alter, sondern aus Gottesfürchtigkeit. Er zeichnet das Bild eines Sokrates, der zwar durchaus zu rationalen Überlegungen fähig ist, aber nur auf der Basis einer starken Religiosität, die ihn durch ihren Widerstand erst dazu bringt, die hier ausgebreiteten Gedanken zu formulieren, um eine Bestätigung dafür zu finden, dass die Götter in ihrem Urteil richtig liegen, die er schließlich auch in §8 auch formuliert: όρθώς δέ οΐ θεοί τότε μου ήναντιοΰντο.

Daher möchte der xenophontische Sokrates die Gelegenheit vor Gericht nicht vorrangig dafür nutzen, sich zu verteidigen, sondern aufzuzeigen όσων νομίζω τετυχηκέναι καλών καί παρα θεών καί παρ' άνθρώπων, καί ην έγώ δόξαν εχω περί έμαυτοΰ (§9), d.h. was er an Schönem von Göttern und Menschen erhalten und welche Meinung er über sich selbst hat.

3.2. Die Rede vor Gericht

Die Rede vor Gericht wird eingeleitet durch die kurze Wiedergabe der Anklagepunkte, erstens der Asebie, zweitens der Einführung neuer fremder Götter und schließlich der Jugendverderbnis. Obwohl der xenophontische Sokrates behauptet hatte, er werde sich nicht verteidigen, richtet er sich in seiner Rede doch nach den Vorgaben der Anklagepunkte. Dies mag seine Ursache in einer Divergenz zwischen der apologetischen Absicht Xenophons, die ihn dazu zwingt eine Verteidigungsrede zu formulieren, und

[...]


[1] Einen Überblick über die Forschung bietet A.Patzer, Einleitung zur Aufsatzsammlung: Der Historische Sokrates. Darmstadt 1987, S. 1-40.

[2] Überblick zum Authentizitätsstreit bei A.-H. Chroust: Xenophon, Polycrates and the ,indictment of Socrates’. In: Classica et Mediaevalia 16 (1955), S.1 Anm.1.

[3] U.v.Wilamowitz-Möllendorff: Die xenophontische Apologie. In: Hermes 22 (1897), S. 105.

[4] Vgl. Chroust: Xenophon, Polycrates and the indictment of Socrates. S.4: „The Defence ... was intended to supplement and correct already existing Socratic Apologies, namely, those Apologies which dealt with the trial of the year 399 as well as those rejoinders that had been prompted by the publication of the Polycratean κατηγορία Σωκράτους in the year 393/92“.

[5] Zweifel an einer Hermogenesquellenhypothese sind jedoch angebracht. vgl. A.Busse: Xenophons Schutzschrift und Apologie. In: Rheinisches Museum 79 (1930), S.222: „Eine wiederholte Analyse des Werkchens lehrt indessen, dass hier ein Geistesprodukt ganz eigener Art vorliegt, ein Mosaik entlehn­ter Ausdrücke, Sätze, Gedanken, die vom Verfasser teils eigenen, teils fremden Schriften entnommen sind“.

[6] Busse, Xenophons Schutzschrift und Apologie, S.228f.: „Und diese Überzeugung soll sogar aus rein egoistischen Motiven entsprungen sein, aus der Furcht vor den Leiden des Greisenalters und der Aus­sicht, auf solche Weise den leichtesten Tod zu finden und bei den Freunden das beste Andenken zu hinterlassen. Auf solchem Hintergrund wird in den Aussprüchen und Reden des Sokrates das Bild ei­nes selbstgefälligen, ruhmredigen Gecken gezeichnet...“.

Fin de l'extrait de 12 pages

Résumé des informations

Titre
Xenophons Apologie des Sokrates
Sous-titre
Literarische Technik und Sokratesbild
Université
University of Freiburg  (Seminar für Klassische Philologie)
Cours
Xenophons und Platons Apologie des Sokrates
Note
1,0
Auteur
Année
2004
Pages
12
N° de catalogue
V82832
ISBN (ebook)
9783638889353
ISBN (Livre)
9783638889445
Taille d'un fichier
388 KB
Langue
allemand
Mots clés
Xenophons, Apologie, Sokrates, Xenophons, Platons, Apologie, Sokrates
Citation du texte
Robert Igel (Auteur), 2004, Xenophons Apologie des Sokrates, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82832

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