Das Gordon-Growth-Modell und das ihm zugrundeliegende Unternehmensbild


Diplomarbeit, 2003

46 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Notationsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Das Gordon-Growth-Modell
1.1 Der Stellenwert der Aktie in Deutschland
1.2 Das Gordon-Growth-Modell als Dividendendiskontierungsmodell
1.3 Das Gordon-Growth-Modell: Annahmen und Herleitung
1.4 Die Bestimmung des Dividendenwachstums
1.5 Kritikpunkte und Grenzen des Gordon-Growth-Modells

2. Erweiterungen des Gordon-Growth-Modells
2.1 Lösungsansätze zu den dargestellten Problemen
2.2 Mehrstufige Modelle
2.3 Anwendungen des Modells

3. Das zugrundeliegende Unternehmensbild
3.1 Die Abbildung der Unternehmensstruktur durch
Rechnungslegungsgrößen
3.1.1 Fallbeispiel: Die Oceangroove AG bei konstant wachsendem Buchwert
des Eigenkapitals pro Aktie
3.1.2 Fallbeispiel: Die Oceangroove AG bei konstant wachsendem Gewinn pro Aktie
3.1.3 Fallbeispiel: Die Oceangroove AG bei konstant wachsender Ausschüttungsquote
3.2 Investitionsverhalten der Unternehmen im Gordon-Growth-Modell
3.2.1 Fallbeispiel: Die Oceangroove AG bei Investitionen in ein Projekt mit positivem Kapitalbarwert
3.2.2 Fallbeispiel: Die Oceangroove AG bei Investitionen in ein Projekt mit Null-Kapitalbarwert
3.2.3 Fallbeispiel: Die Oceangroove AG bei Investitionen in ein Projekt mit negativem Kapitalbarwert

4. Die Bedeutung des Gordon-Growth-Modells

Literaturverzeichnis

Erklärung

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Die Folgen eines Rentabilitätseinbruches bei der Oceangroove AG auf das Dividendenwachstum

Tabelle 2: Charakterisierung der Phasen des Produktlebenszyklus anhand der Unternehmensgewinne

Tabelle 3: Die Gewinnerwartungen der Oceangroove AG bis zum Jahr

Tabelle 4: Die Oceangroove AG bei konstant wachsendem Buchwert des Eigenkapitals pro Aktie für die nächsten 30 Jahre

Tabelle 5: Die Oceangroove AG bei konstant wachsendem Gewinn pro Aktie für die nächsten 30 Jahre

Tabelle 6: Der Verlauf des Wachstums gemäß Fall

Tabelle 7: Der Verlauf des Wachstums gemäß Fall

Tabelle 8: Die Oceangroove AG bei konstant wachsender Ausschüttungs- quote für die nächsten 30 Jahre

Tabelle 9: Die Oceangroove AG bei Investition in ein Projekt mit positivem Kapitalbarwert

Tabelle 10: Die Oceangroove AG bei Investition in ein Projekt mit Null-Kapitalbarwert

Tabelle 11: Die Oceangroove AG bei Investition in ein Projekt mit negativem Kapitalbarwert

Notationsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Das Gordon-Growth-Modell

1.1 Der Stellenwert der Aktie in Deutschland

Der Stellenwert der Aktie als Anlage- und Finanzierungsinstrument hat in Deutsch-land seit Mitte der 90er Jahre stark zugenommen und wird wohl auch auf lange Sicht in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. So betrug im Frühjahr 2000 in Deutschland die Aktienmarktkapitalisierung 82 % des Bruttoinlandsprodukts. Ende 1995 machte sie nur 22 % des Bruttoinlandsproduktes aus. Durch die Baisse der letzten drei Jahre am deutschen Aktienmarkt ging der Anteil bis Ende 2002 wieder auf 31 % zurück. Er liegt aber immer noch deutlich über dem Niveau von 1995.[1]

Bei deutschen Unternehmen ist der Trend zur Aktienfinanzierung trotz starker Rückschläge in jüngster Vergangenheit weiterhin zunehmend. Die Aktiengesell-schaft als Unternehmensform hat offensichtlich in den letzten Jahren an Attraktivität gewonnen.[2]

In der Öffentlichkeit wird die Notwendigkeit einer privaten Altersvorsorge aufgrund der Probleme in der gesetzlichen Rentenversicherung immer stärker diskutiert. Die Deutschen halten dabei nicht mehr ausschließlich an „traditionellen“ Finanzinstru-menten wie z.B. Lebensversicherungen oder der Anlage in Immobilien fest. Sie wollen vielmehr immer stärker die Chancen der Anlage in Aktien nutzen.[3]

Die Entwicklung an den Aktienmärkten ist aber auch von geldpolitischem Interes-se. Zum einen gibt sie Aufschluss über die Einschätzungen der Marktteilnehmer bezüglich der wirtschaftlichen Lage und Perspektive der Volkswirtschaft bzw. der Konjunktur. Zum anderen können Wechselwirkungen zu anderen Finanzmärkten auftreten, die die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems und somit auch unter Umständen die Wirksamkeit der Geldpolitik beeinflussen können. So könnten beispielsweise fundamental nicht gerechtfertigte Kurssteigerungen an den Aktien-märkten durch damit verbundene Vermögenseffekte eine stark erhöhte gesamt-wirtschaftliche Nachfrage auslösen. Dies wiederum kann einen Anstieg der Verbraucherpreise zur Folge haben, was das Ziel der Preisniveaustabilität beeinflusst. Solche fundamental nicht gerechtfertigte Kurssteigerungen werden auch als „spekulative Kursblasen“ bezeichnet.[4]

Aufgrund der jüngsten negativen Erfahrungen mit diesen Marktüberzeichnungen und „spekulativen Kursblasen“, die man verstärkt in den Jahren 1999 und 2000 beobachten konnte, wird die Notwendigkeit von fundamentalen Beurteilungsmaß-stäben für das Kursniveau an den Aktienmärkten deutlich. Es werden hierfür beispielsweise Dividendendiskontierungsmodelle zur Aktienbewertung heran-gezogen. Zu diesen Ansätzen gehört auch das Gordon-Growth-Modell, das in dieser Arbeit thematisiert werden soll.

Zur Veranschaulichung der Überlegungen wird ein Beispielunternehmen, die Oceangroove AG, herangezogen. Die Geschäfte dieser Gesellschaft werden unendlich fortgeführt. Die Betrachtungen beginnen in variierenden Ausgangs-situationen. Danach befindet sich die Oceangroove AG aber immer in einer Situation gleichmäßiger und stetiger Unternehmensentwicklung mit konstantem Wachstum. Abschreibungen auf Anlagegegenstände werden in den Beispielen nicht berücksichtigt. Der Bewertungsstichtag soll jeweils der Beginn des Jahres 2002 sein.

1.2 Das Gordon-Growth-Modell als Dividendendiskontierungsmodell

Die Gordon-Growth-Formel wurde bereits 1938 von J.B. Williams[5] entwickelt und dann im Jahre 1956 von M.J. Gordon und E. Shapiro[6] wiederentdeckt. Das Gordon-Growth-Modell ist ein sogenanntes Dividendendiskontierungsmodell, das der Ermittlung eines Kapitalbarwertes einer Aktie dient. In solchen Modellen geht man davon aus, dass der Barwert der Investition von der Summe der zu erwartenden diskontierten Rückflüsse (Cash Flows) abhängt.

Im Falle der Aktie also von den in der Zukunft zu erwartenden Dividenden, die an die Anteilseigner ausgeschüttet werden.

Im Folgenden wird erkennbar, dass es bei der Aktienbewertung nach der Kapitalbarwert-Methode keine Rolle spielt, ob die Aktie nur gehalten wird, um Dividendenerträge zu erzielen oder ob sie zu einem späteren Zeitpunkt verkauft werden soll, um beispielsweise zusätzlich Kursgewinne zu realisieren.

Man geht bei den folgenden Überlegungen davon aus, dass das Unternehmen unendlich lang existiert.

Die Berechnung des Preises einer Aktie nach der Kapitalbarwert-Methode stellt sich wie folgt dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenfür Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, (1)

wobei

P0 den Preis der Aktie zum Zeitpunkt t=0,

Divt die Dividende pro Aktie zum Zeitpunkt t und

r den Zinssatz pro Periode bezeichnen.

Sollte die Aktie jedoch nach einer bestimmten Zeit T verkauft werden, so gilt nach der Kapitalbarwert-Methode für den Preis in t=0

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenfür Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenund Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, (2)

wobei

PT den Preis der Aktie zum Zeitpunkt T bezeichnet.

Aus Gleichung (1) folgt für den Preis PT der Aktie im Zeitpunkt T:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (3)

Aus den Gleichungen (2) und (3) ergibt sich somit

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Es werden hier also alle Dividendenströme, die bis zum Zeitpunkt t=T erwartet werden und zusätzlich der im Zeitpunkt t=T zu erzielende (erwartete) Preis dis-kontiert. Dieser Preis (PT) bestimmt sich wiederum durch die Summe der darauf folgenden diskontierten Dividendenströme.

Für den Sonderfall von konstanten Dividenden über den gesamten (unendlichen) Zeitraum ergibt sich für Gleichung (1) nach Anwendung der geometrischen Reihe

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten ,

bzw.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, (4)

wobei Div die konstante Dividende bezeichnet.

Beispiel 1: Für die Oceangroove-Aktie wird ein sicherer, unendlicher Dividen-denertrag in Höhe von 10,00 € erwartet. Bei einer flachen Zins-struktur und einem Zinssatz von 5,00 % p.a. beträgt der heutige Preis der Oceangroove-Aktie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

1.3 Das Gordon-Growth-Modell: Annahmen und Herleitung

Das Gordon-Growth-Modell betrachtet einen weiteren Sonderfall der Gleichung (1):

Es wird unterstellt, dass die Dividenden in jeder Periode mit einem konstanten Faktor G wachsen.

Für diesen Faktor G (wobei G=1+g) gelten folgende Annahmen:

g ist konstant und bezeichnet das Wachstum der Dividenden pro Periode bis ins Unendliche.

Aus Konvergenzgründen für die Anwendung der geometrischen Reihe ist der Faktor g kleiner als der Zinssatz pro Periode (r): Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.
Man kann für die Dividende im Zeitpunkte t daher folgendes annehmen:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenfür Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten, (A1)

wobei g den konstanten Wachstumsfaktor der Dividenden bezeichnet.

Aus der Annahme (A1) folgt für die Dividendenzahlung im Zeitpunkt t

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (5)

Setzt man nun Gleichung (5) in Gleichung (1) ein, so erhält man

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Durch die Substitution von Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenmittels dem AusdruckAbbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenergibt sich

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

Die Anwendung der geometrischen Reihe führt zu der Darstellung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten .

Nach der Rücksubstitution[7] ergibt sich für den Preis P0

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

bzw.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten. (6)
Beispiel 2: Für die Oceangroove-Aktie wird ein sicherer, unendlicher Dividen-denertrag beginnend mit 10,00 € erwartet. Das jährliche Dividenden-wachstum beträgt 3,00 % p.a.. Bei einer flachen Zinsstruktur und einem Zinssatz von 5,00 % p.a. beträgt der heutige Preis der Oceangroove-Aktie

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten.

1.4 Die Bestimmung des Dividendenwachstums

Es stellt sich nun die Frage nach den Determinanten des Wachstumsfaktors. Auf diese und die Frage, wie man g sinnvoll festlegen kann und welche Voraussetz-ungen gelten müssen, um ein konstantes Dividendenwachstum erzielen zu können, möchte ich im Folgenden eingehen (s. auch Gliederungs-

punkt 3).

Das Dividendenwachstum ist stark von der Entwicklung der Gewinne, dem Unter-nehmenswachstum[8] und der Dividendenpolitik der Gesellschaft abhängig. Durch die Dividendenpolitik hat es jede Unternehmung in einem gewissen Handlungs-rahmen, vorgegeben durch die Anteilseigner, selbst in der Hand, in welcher Höhe Dividenden ausgeschüttet werden und ob diese mit einem konstanten Faktor wachsen.

Wie das folgende Beispiel zeigt wäre es naiv, sich für die Wahl des Faktors g an kurzfristigen Wachstumsprognosen von Analysten oder Investmenthäusern zu orientieren. Diese kurzfristigen Prognosen können zwar unter Umständen ein sehr hohes und auch durchaus realistisches Wachstum einer Unternehmung vorhersa-gen. Allerdings ist zu bedenken, dass ein durchschnittliches Unternehmen langfristig nur etwa in dem Maße wie das nominale Bruttoinlandsprodukt der Volkswirtschaft wachsen wird, in der es operiert (s. Beispiel 3). Damit orientiert sich der Faktor g an der langfristigen Inflationsrate und dem langfristigen realen Wirtschaftswachstum.

Beispiel 3: Der Börsenwert[9] der Oceangroove-Aktie beträgt 1,7 % des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP).[10] Nimmt man für die Oceangroove AG ein Wachstum von 10,00 % p.a., für das BIP aber nur ein Wachstum von 3,00 % p.a. an, dann wäre der Börsenwert der Oceangroove AG in ungefähr 62 Jahren größer als das BIP.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Dieses Beispiel zeigt, dass es abwegig wäre, ein zu großes, die Zunahme des Bruttoinlandsproduktes stark übersteigendes langfristiges Unternehmenswachs-tum anzunehmen.

Das Wachstum bestimmt sich weiterhin auch nach der Art der Geschäfte, die die Gesellschaft betreibt. Es können beispielsweise Patentlaufzeiten, eine Monopol-stellung des Unternehmens oder auch die Produktlebenszyklen der produzierten Güter ausschlaggebend für die Struktur von Gewinnen und somit auch für ein Wachstum der Dividenden sein.

1.5 Kritikpunkte und Grenzen des Gordon-Growth-Modells

In den Annahmen des Gordon-Growth-Modells stecken natürlich starke Einschrän-kungen, die die praxisorientierte Anwendung erschweren. Die meisten Kritikpunkte beziehen sich auf diese dem Modell zugrundeliegenden Annahmen.
Ein Problem liegt in dem Begriff der Unendlichkeit. Dividenden, die unendlich mit einem konstanten Faktor wachsen, sind ebenso schwer vorstellbar wie ein über alle Perioden gleich bleibender Zinssatz. So wurde beispielsweise in einer empirischen Analyse beobachtet, dass überhaupt nur eine von 610 betrachteten Firmen ein konstantes Dividendenwachstum über einen Zeitraum von lediglich zwölf Jahren hätte erreichen können. Es wurde bei dieser Untersuchung das Wachstum von 610 Industrieunternehmen in dem Zeitraum von 1950 bis 1964 analysiert. Die betrachteten Gesellschaften wurden jedes Jahr in zwei gleich große Gruppen aufgeteilt. Als Kriterium für die Einteilung diente das Unterneh-menswachstum. Die 305 Gesellschaften mit den größten Wachstumswerten bildeten die erste Gruppe, die anderen die zweite. Lediglich eine dieser 610 Unternehmen konnte sich für zwölf der untersuchten 14 Jahre in der ersten Gruppe behaupten. Keine der Gesellschaften wurde für 13 oder gar 14 Jahre in die erste Gruppe eingeteilt.[11]

Hinzu kommt das Problem der Bestimmung des Wertes für g und – wie auch bei anderen Modellen – der Festlegung von r. Selbst bei einer hohen Verlässlichkeit der Daten aufgrund derer diese beiden Größen festgelegt werden, handelt es sich doch bei der Bestimmung des Wachstumswertes für die Zukunft bestenfalls um eine Annäherungen an die dann tatsächlich zu beobachtenden Werte.[12] Da dem Modell aber eine sehr langfristige Betrachtung zugrunde liegt, sind solche Abweichungen kaum zu vermeiden. Schon geringe Streuungen können dabei, wenn sie permanent auftreten, dramatische Auswirkungen auf die Ergebnisse haben (s. auch Abb. 1).[13]

Bezugnehmend auf Gleichung (6) zeigt die folgende Abbildung die Auswirkungen einer Fehleinschätzung des Faktors g. Je größer der Wachstumsfaktor gewählt wird und je näher er damit an dem Zinssatz r liegt, desto größer kann die Abweichung im Preis P0 bereits bei einer kleinen Abweichung in der Wachstumsrate sein.

Abbildung 1 : Die Abhängigkeit des Preises P0 von der Wahl des Wachstumsfaktors g bei einer anfänglichen Dividende von 10,00 € und einem Zinssatz von 5,00 % p.a.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Festlegung des Zinssatzes r ist eine subjektive Angelegenheit. Im Grunde kann kein allgemeingültiger Wert festgelegt werden. Man müsste einen Wert für eine vergleichbar risikobehaftete Investition heranziehen. Jedoch hängt die Höhe des unterstellten, vom Investor geforderten Zinssatzes von der Risikoneigung jedes einzelnen Anlegers ab. Der Zins ist umso geringer, je risikofreudiger der Investor ist.[14]

Die Prognosen, aufgrund derer der Wachstumsfaktor festgelegt werden kann, werden häufig von Analysten getroffen, die meist nur kurzfristige Daten veröffentlichen. Man konnte aber gerade ab Mitte der 90er Jahre beispielsweise bei Unternehmen der „New Economy“ enorm große kurzfristige Wachstumswerte beobachten. Diese durchzuhalten erwies sich jedoch als unmöglich. Zur „New Economy“ zählt man junge Wachstumsunternehmen, die in den Bereichen Internet, Technologie, Software, Medien, Telekommunikation usw. tätig sind.[15]

Hier stößt man auf das nächste Problem. Die extrem hohen Wachstumsraten können die Modellannahme verletzen, dass der Faktor g kleiner dem Zinssatz r sein muss. Wird, um das zu vermeiden, r anhand eines vorher festgelegten sehr großen g bestimmt, kann dies zu einer Überschätzung des Zinssatzes führen.

Die im Modell benötigte Dividende für die Folgeperiode Div1, ist unter Zuhilfe-nahme der aktuell gezahlten Dividende noch relativ einfach und genau abschätzbar, da es sich hier nur um eine kurzfristige Vorhersage handelt.

Wird die Dividende zu groß gewählt, könnte die Zahlung der Ausschüttungen ab einem gewissen Punkt nur noch über Kreditaufnahmen aufrechterhalten werden. Kommt ein solches System zu dem Punkt, an dem keine weiteren Kreditaufnah-men mehr möglich sind, können die Dividenden nicht mehr gezahlt werden. Damit sind die Modellannahmen nicht erfüllt.

Wird sie hingegen zu klein gewählt, würde der Buchwert des Eigenkapitals durch die hohen, nicht ausgeschütteten Gewinne, die wieder investiert werden, stark ansteigen. Dieser dann sehr hohe Buchwert des Eigenkapitals würde aber bei der Wertermittlung durch das Gordon-Growth-Modell völlig außer Acht gelassen. Der tatsächliche Wert des Unternehmens bzw. einer Aktie des Unternehmens würde unterschätzt werden.

Stephen H. Penman, Professor an der Columbia University, argumentiert, dass die Finanzierung der Dividenden über Kredite nichts mit dem operativen Geschäft der Unternehmung zu tun hat, dass Dividendenzahlungen eine Verteilung von Werten und nicht eine Schaffung von Werten seien. An den Börsen sei zu beobachten, dass der Preis einer Aktie um den Betrag der ausgeschütteten Dividende fällt, sobald diese gezahlt wurde. „ In other words, paying dividends is a zero-NPV activity. It doesn’t create value. “.[16] Somit seien Dividenden zur Wertermittlung einer Aktie oder eines Unternehmens nicht geeignet.

Gewinn- bzw. Rentabilitätseinbrüchen kann zwar bei weiter wachsenden Dividen-den kurzfristig mit einer erhöhten Ausschüttungsquote begegnet werden. Dies führt jedoch dazu, dass in der nächsten Periode ein geringerer Anteil reinvestiert werden kann. Somit kann auch im folgenden Jahr i.d.R. nur ein geringeres Gewinnwachstum erzielt werden.

Ein konstantes Dividendenwachstum kann dann, wie die folgende Tabelle zeigt, nicht mehr aufrechterhalten werden. Die Modellannahmen wären auch in diesem Fall verletzt.

Tabelle 1 : Die Folgen eines Rentabilitätseinbruches bei der Oceangroove AG auf das Dividendenwachstum

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Im Jahr 2004 fällt die Eigenkapitalrendite von 5,00 % p.a. auf nur noch 2,50 % p.a.. Es ist zu beobachten, welche Auswirkung dieser Rentabilitätsverlust auf das Dividendenwachstum in den Folgejahren hat. 2004 muss die Ausschüttungsquote von 40,00 % auf 80,00 % angehoben werden, um das vorher zugrundeliegende Wachstum der Dividenden noch zu gewährleisten. Geht man nun davon aus, dass diese bereits jetzt schon außergewöhnlich hohe Ausschüttungsquote nicht noch weiter erhöht werden kann, dann ist im Jahr 2005 ein Rückgang des Dividenden-wachstums von 3,00 % p.a. auf lediglich 0,50 % p.a. zu beobachten.[17]

Es gibt Firmen, wie beispielsweise Microsoft, die sehr profitabel sind und einen großen Unternehmenswert besitzen, aber über Jahre hinweg gar keine Dividen-den an ihre Aktionäre zahlen. Ein deutsches Beispiel für eine solche Gesellschaft, die über Jahre keine Dividenden zahlt, ist die Infineon Technologies AG. Penman fragt sich, wie man diese Unternehmen zu bewerten hat, da es nicht einsichtig ist, dass ein solches Investment wertlos ist.[18]

[...]


[1] Vgl. Deutsche Bundesbank: „Gesamtwirtschaftliche Aspekte der Aktienkursentwicklung“ in Deutsche Bundesbank Monatsbericht März 2003, 55. Jahrgang, Frankfurt am Main, 2003, S. 30.

[2] Vgl. Deutsche Bundesbank: „Lebhafter Wertpapierabsatz im März 2003“, Pressenotiz, Frankfurt am Main, 30.04.2003.

[3] Vgl. Stiftung Warentest: „Gute Rendite sogar ohne Zins“ in Finanztest Nr. 11, November 2002, S. 68.

[4] Vgl. Deutsche Bundesbank, 2003, S. 41.

[5] Williams, J.B.: „The Theory of Investment Value” in Harvard University Press, Cambridge, 1938.

[6] Gordon, M.J. & Shapiro, E.: „Capital Equipment Analysis: The required Rate of Profit” in Management Science 3, 1956, S. 102-110.

[7] für die Rücksubstitution gilt nach Umformung .

[8] Das Unternehmenswachstum wird definiert als Wachstum des Buchwertes des Eigenkapitals.

[9] Der Börsenwert ergibt sich aus der Anzahl der Aktien des jeweiligen Unternehmens multipliziert mit dem Börsenkurs der betreffenden Aktie.

[10] Zum Vergleich: Der Börsenwert der Siemensaktie betrug am 28.05.2003 bei einer Marktkapitalisierung von 35.120,51 Mio. € (Quelle: Consors) etwa 1,77 % des deutschen BIP (mit einem Wert für 2002 von 1.984,3 Mrd. €, Quelle: Deutsche Bundesbank Monatsbericht April 2003, Frankfurt am Main, 2003). Das nominale Wachstum des BIP betrug im 4. Quartal 2002 im Vergleich zum Vorjahr 1,5 % (Quelle: Statistisches Bundesamt Deutschland).

[11] Vgl. Elton, E. & Gruber, M.: „Modern Portfolio Theory and Investment Analysis“, 5. Aufl., New York (u.a.), 1995, S. 486.

[12] Vgl. Brealey, R.A. & Myers, S.C.: „Principles of Corporate Finance“, 6.Aufl., Boston (u.a.), 2000, S.68.

[13] Vgl. Pagès, Henri: „A Note on the Gordon Growth Model with no stationary Dividend Growth“, Working Paper der Bank für internationalen Zahlungsausgleich, Basel, 1999, S.7.

[14] Diese Überlegungen treffen nur bei Unsicherheit zu.

[15] Vgl. Beike, R. & Köttner, A. & Schlütz, J.: „Neuer Markt und Nasdaq“, Stuttgart, 2000, S.64.

[16] Penman, Stephen H.: „Financial Statement Analysis and Security Valuation“, New York, 2001, S. 110.

[17] Würde man ein Wachstum von 3,00 % p.a. auch nach dem Jahr 2004 beibehalten wollen, dann hätte ab dem Jahr 2013 die Ausschüttungsquote einen Wert von über 100 % erreicht.

[18] Vgl. Penman, Stephen H., 2001, S. 110.

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Das Gordon-Growth-Modell und das ihm zugrundeliegende Unternehmensbild
Hochschule
Fachhochschule der Deutschen Bundesbank - Schloss Hachenburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
46
Katalognummer
V82848
ISBN (eBook)
9783638877817
ISBN (Buch)
9783638877886
Dateigröße
673 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gordon-Growth-Modell, Unternehmensbild
Arbeit zitieren
Diplom Betriebswirt (FH) Nico Lergenmüller (Autor:in), 2003, Das Gordon-Growth-Modell und das ihm zugrundeliegende Unternehmensbild, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/82848

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