Über die Kommunikationsprobleme in Grillparzers „Der arme Spielmann“


Dossier / Travail de Séminaire, 2006

16 Pages, Note: 2,0


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Zur Entstehung und Publikation der Erzählung
2.1. Form und Inhalt der Erzählung
2.2. Autobiographische Ansätze

3. Kommunikationsprobleme in der Erzählung
3.1 Jakob und die Gesellschaft
3.2 Jakob und der Erzähler
3.3 Jakob und sein Vater
3.4 Jakob und Barbara

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit möchte sich mit Franz Grillparzers Erzählung Der arme Spielmann beschäftigen. Es ist an sich ein bereits vielbesprochenes Werk, das unter verschiedensten Gesichtspunkten analysiert wurde. Der Schwerpunkt dieser Arbeit soll auf der Frage der Kommunikationsprobleme gelegt werden. Wie agieren und kommunizieren die dargestellten Personen im Werk untereinander und wie kann diese Kommunikation bewertet werden? Gibt es insbesondere Kommunikationsprobleme und wie treten diese zu Tage? Entstehen aus diesen Missverständnissen handlungsrelevante Situationen, die entscheidend für den weiteren Verlauf der Erzählung sind? Dies sind einige der Fragestellungen, denen ich im Folgenden nachgehen möchte.

Zudem soll zu Beginn ein kurze zeithistorische und biographische Einordnung Grillparzers und seines Werkes erfolgen. Denn insbesondere im Armen Spielmann finden sich immer wieder Parallelen zur Biographie des Autors, die bei der Bewertung der oben genannten Fragen bezüglich der Kommunikationsprobleme mit in Betracht gezogen werden können. Zwar sind sie an sich nicht notwendig für eine literaturwissenschaftliche Interpretation, dennoch sind gerade in diesem speziellen Fall, die Analogien ein kurzes Schlaglicht wert.

Franz Grillparzer wird am 15. Januar 1791 in Wien geboren. Er war der älteste von vier Söhnen eines Hof- und Gerichtsadvokaten. Sein Vater Wenzel soll ein wortkarger, erfolgloser Zeitgenosse gewesen sein, der stirbt als Franz gerade 18 Jahre alt ist. Ohnehin treffen den jungen Franz viele Schicksalsschläge: sein jüngster Bruder ertränkt sich im Jahr 1817 – hier findet sich wenigstens faktisch eine Parallele zum Tod des Bruders des Spielmanns Jakob; seine Mutter begeht zwei Jahre später Selbstmord; der zweite Bruder gibt sich die Schuld am Tod des Jüngsten und der Mutter, und beim dritten Bruder treten Anzeichen von Geistesstörung auf.

Grillparzer selbst studiert Staats- und Rechtswissenschaften und tritt 1813 in den Staatsdienst ein. Ähnlich seinem Spielmann sehnt er sich aber eher nach einem Leben als Künstler, anstatt das triste Leben eines Beamten zu führen, so dass er, wenn auch erst spät, 1856 verbittert als Hofrat abtritt.

Franz Grillparzer soll – und auch hier finden sich autobiographische Züge im Werk – unfähig gewesen sein, menschliche Beziehungen dauerhaft einzugehen; er hatte mehrere unglückliche und sonderbare Liebesbeziehungen.

1831 beginnt er „zuerst als Versuch eines autobiographischen Romans“[1] mit der ersten Niederschrift der Erzählung Der arme Spielmann. Es dauert aber noch Jahre bis die Novelle schließlich 1847 im Almanach Iris abgedruckt erscheint. Dazwischen machte sich Grillparzer bereits als Autor verschiedener Dramen, Stücke und Novellen einen Namen[2]. Seine Verdienste um die deutschsprachige Literatur werden dennoch erst spät geehrt. So erhält er 1859 die Ehrendoktorwürde der Universitäten Wien und Leipzig. Zwei Jahre später wird er zum Mitglied des österreichischen Herrenhauses auf Lebenszeit ernannt und 1864 wird Grillparzer Ehrenbürger Wiens.

Ohne Zweifel gilt Grillparzer als einer der bedeutendsten österreichischen Dramatiker des 19. Jahrhunderts. Schnell steigt er zum Theaterdichter Wiens auf. In seinen Dramen verarbeitete er Formelemente des österreichischen und spanisch-katholischen Barocktheaters, des Wiener Volksschauspiels und der Dramen der Weimarer Klassik. Seine Helden schwanken zwischen Gewissen, dem Zwang und der Unfähigkeit zum Handeln; sie behaupten sich im Verzicht, was sich auch in Der arme Spielmann erkennen lässt.

Bedeutend war Grillparzer auch als Tagebuch-Autor. Zwischen 1804 und 1871 entstanden eine Fülle von Notizen, Beobachtungen und Urteilen.

Am 21. Januar 1872 stirbt Franz Grillparzer mit 81 Jahren in Wien.

2. Zur Entstehung und Publikation der Erzählung

Die Erzählung Der arme Spielmann geht auf reale Begebenheiten, sowohl was den Protagonisten als auch die Überschwemmung betrifft, zurück. Grillparzer spricht unter anderem in einem Brief an den Verleger Gustav Heckenhast deutlich davon, „daß der alte Spielmann wirklich durch ein eigenen Erlebnis veranlaßt worden sei.“[3] Aber auch insbesondere in einer Antwort auf Ludwig August Frankl wird dies deutlich:

Ganz zufällig! Ich speiste viele Jahre hindurch im Gasthause „zum Jägerhorn“ in der Spiegelgasse. Da kam häufig ein armer Geiger und spielte auf. Er zeichnete sich durch eine auffällige Sauberkeit seines ärmlichen Anzuges aus und wirkte durch seine unbeholfene Bewegungen rührend komisch. Wenn man ihn beschenkte, dankte er jedes Mal mit irgend einer kurzen lateinischen Phrase, was auf eine genossene Schulbildung und auf einstige bessere Verhältnisse des greisen Mannes schließen ließ. Plötzlich kam er nicht mehr und so eine lange Zeit nicht. Da kam die große Überschwemmung im Jahre 1830. Am meisten litt die Brigittenau, wo ein berühmter Kirchtag, ein lustiges Volksfest, jeden Sommer gefeiert wurde. Ich wußte, daß der arme Geiger dort wohnte, und da er nicht mehr aufspielen kam, so glaubte ich, daß auch er unter den Menschenopfern in der Brigittenau seinen Tod gefunden habe. Ich wurde eingeladen, für ein Taschenbuch eine Novelle zu schrieben, und so versuchte ich eine solche, in welcher mein armer, guter Bekannter als Held figuriert.[4]

Zwar sieht Reinhold Backmann im Kommentar der Historisch-Kritischen Ausgabe hier einige Unstimmigkeiten, sie sind aber für das Thema dieser Arbeit nicht weiter relevant.[5]

Wie bereits oben erwähnt hat Der arme Spielmann, wie viele andere Werke Grillparzers, eine lange Entstehungsgeschichte hinter sich. Begonnen im Jahr 1831 schließt der Autor 1846 seine Erzählung ab und sendet sie nach 15-jähriger Schaffenszeit seinem Verleger Heckenhast zu, der sie im Herbst 1847 in seiner Chronik Iris. Deutscher Almanach für 1848 veröffentlicht. Doch der in Ungarn herausgegebener Almanach, der mit dieser Nummer sein Erscheinen einstellen muss, ist nicht gerade eine optimale Ausgangsposition für Grillparzers Erzählung. Sie erschien darüber hinaus zu einem Zeitpunkt, als der Autor sich bereits auf Grund von Misserfolgen, insbesondere seines Lustspiels Weh dem der lügt!, enttäuscht von der Literaturszene zurückgezogen hat.

2.1 Form und Inhalt der Erzählung

Die Erzählung ist in eine Rahmen- und Binnenhandlung aufgeteilt.[6] Der Ich-Erzähler berichtet in der Rahmenhandlung von seiner Begegnung mit dem Spielmann Jakob, der ihm dann in Form der Binnenhandlung seine Lebensgeschichte erzählt. Am Ende der Novelle ist Jakob tot und der Ich-Erzähler der Rahmenhandlung verfolgt den Trauerzug des verstorbenen Spielmanns.

Der Leser wird zu Beginn in Ort und Zeit eingeführt. Der Ich-Erzähler berichtet vom jährlich stattfindenden Wiener Volksfest, dem Brigittenkirchtag, auf dem ihm vor zwei Jahren ein Bettelmusikant auffiel, der sich nicht daran störte, dass er von den Zuhörern nur Spott erntete, „denn was er spielte, schien eine unzusammenhängende Folge von Tönen ohne Zeitmaß und Melodie“[7] zu sein. „Die dürftige und doch edle Gestalt, seine unbesiegbare Heiterkeit, so viel Kunsteifer bei so viel Unbeholfenheit“[8] weckt schließlich die Neugier des Erzählers. Er will erfahren, wie ein scheinbar gebildeter Mann, denn er hört ihn lateinische Sprichwörter sprechen, zu so einem seltsamen Bettelmusikanten geworden sein kann. Er verabredet sich daraufhin mit dem Spielmann in dessen Wohnung, die dieser sich mit zwei Handwerkergesellen teilt. Dort erfährt er das Prinzip, nach dem der Spielmann musiziert:

Statt nun in einem Musikstücke nach Sinn und Rhythmus zu betonen, hob er heraus, verlängerte er die dem Gehör wohltuenden Noten und Intervalle, ja nahm keinen Anstand sie willkürlich zu wiederholen, wobei sein Gesicht oft geradezu den Ausdruck der Verzückung annahm. Da er nun zugleich die Dissonanzen so kurz als möglich abtat, überdies die für ihn zu schweren Passagen, von denen er aus Gewissenhaftigkeit nicht eine Note fallen ließ, in einem gegen das Ganze viel zu langem Zeitmaß vortrug, so kann man sich wohl leicht eine Idee von der Verwirrung machen, die daraus hervorging.[9]

Außerdem beginnt der Spielmann Jakob mit der Erzählung seiner Lebensgeschichte. Insbesondere die nun geschilderte Binnenerzählung ist es, bei der auf die Kommunikationsprobleme eingegangen werden kann, denn schließlich berichtet der Spielmann von den unterschiedlichsten zwischenmenschlichen Beziehungen, die er in seinem Leben hatte.

Jakob ist der mittlere von drei Söhnen eines einflussreichen Hofrates. Seine beiden Brüder genießen das Ansehen und die Anerkennung des Vaters, sie sind klug und im späteren Leben erfolgreich. Ihm selbst gelingt nicht einmal eine vorher abgesprochene Abschlussprüfung, was den Ausstoß durch seinen Vater nach sich zieht. Jakob nimmt eine einfache Arbeit als Abschreiber in der Kanzlei seines Vaters an. Dort trifft er eines Tages die Kuchenverkäuferin Barbara, die ihm bereits vorher aufgefallen war, weil sie auf der Strasse ein Lied gesungen hat, das ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist. Durch dieses Lied entdeckt er seine Liebe zur Violine wieder, die ihm vorher von seinem Vater weggenommen wurde. Barbara verspricht ihm, das Lied in Noten abschreiben zu lassen. Als er die Noten im Krämerladen von Barbaras Vater abholen möchte, will dieser ihn vor die Tür setzen. Als er aber erfährt, dass Jakob der Sohn des Hofrats ist, reagiert er übertrieben freundlich. Nachdem ein Bediensteter von Jakobs Vater ihn mit Barbara zusammen gesehen hat, wirft ihn sein Vater aus dem Haus.

Jakobs jüngster Bruder stirbt beim Versuch mit einem Pferd die Donau zu durchschwimmen, der ältere Bruder muss nach einer Untersuchung wegen Verleumdung außer Landes gehen und Jakobs Vater stirbt an einem Schlaganfall. Jakob erbt alleinig und sieht sich sogleich einer Reihe von Bittstellern gegenüber, und auch Barbaras Vater würde jetzt gerne eine Verbindung der beiden sehen, gegen die sich Barbara aber stets wehrt.

Es stellt sich heraus, dass Jakob vom Sekretär seines Vaters mit einer Geschäftsidee übers Ohr gehauen wurde. Jakob, der eben noch euphorisch einen Kopierdienst für Musikstücke eröffnen wollte, ist auf einen Schlag arm. Barbaras Vater verstößt ihn als er von seiner Mittellosigkeit erfährt, Barbara selbst heiratet widerwillig einen reichen Fleischer und verlässt die Stadt. Jakob wird so zum armen Spielmann. Jahre später gibt Jakob Barbaras beiden Söhnen Violinenunterricht, allerdings lernen sie nur das Lied, das Barbara immer gesungen hat. Damit endet die Lebensgeschichte des Spielmanns und der Ich-Erzähler kommt wieder zu Wort.

Nach längerer Zeit kehrt dieser wieder nach Wien zurück, das von einer schweren Überschwemmung heimgesucht wurde. Er begibt sich zum Haus des Spielmanns und erfährt, dass er die Katastrophe nicht überlebt hat und begraben werden soll. Im Haus des Spielmanns trifft er auf Barbara, der er die Geige abkaufen möchte, was diese jedoch weinend ablehnt.

2.2 Autobiographische Ansätze

Eigenen Aussagen zufolge, geht die Erzählung, wie bereits angesprochen, auf eine reale Gasthausbegegnung mit einem armen Bettelmusikanten zurück, der für Grillparzer durch seine lateinischen Dankesphrasen und seine auffällige Sauberkeit sehr interessant erschien. Unbestritten ist zudem jedoch das Einfließen realbiographischer Erlebnisse in die fiktive Lebensgeschichte Jakobs. Verglichen mit Grillparzers Biographie gibt es auffällig viele Parallelen im Leben des Spielmannes. So fällt es nicht schwer, sowohl in Jakob, als auch in dem Autor-Erzähler Spiegelbilder Grillparzers zu erkennen.

[...]


[1] Helmut Bachmaier: Nachwort. In: Franz Grillparzer: Der arme Spielmann. Stuttgart 2002. S. 63.

[2] Hier seien einige wichtige und bekannte Werke genannt: Blanka von Kastilien (Tragödie; entstanden 1809, UA 1858 in Wien); Die Ahnfrau (Trauerspiel; entstanden 1816, UA 1817 in Wien); Sappho (Trauerspiel; entstanden 1817, UA 1818 in Wien); Das goldene Vließ (dramatisches Gedicht; Trilogie; aufgeführt 1821 in Wien), Weh dem, der lügt (Lustspiel; aufgeführt 1838 in Wien), dieses Drama war allerdings ein Misserfolg; Libussa (Trauerspiel; aufgeführt 1840 in Wien); Die Jüdin von Toledo (hist. Trauerspiel; entstanden 1851, UA 1872 in Prag); Das Kloster bei Sendomir (entstanden 1827, veröffentlicht 1828); Der arme Spielmann (entstanden 1842, veröffentlicht 1848). Neben den ausgeführten Dramen und Novellen hat Grillparzer noch etwa 200 Dramen geschaffen, die aber nie aufgeführt wurden und nur als fragmentarische Entwürfe vorhanden sind. Außerdem hat er sich in der Lyrik versucht und eine Oper (Melusina) verfasst.

[3] Franz Grillparzer: Sämtliche Werke. Historisch-Kritische Gesamtausgabe. Hrsg. von August Sauer, fortgeführt von Reinhold Bachmann. Bd. 1,13. Wien 1930, S. 307.

[4] Ebd. S. 308.

[5] Vgl. Reinhold Bachmann: ebd. S. 308 f.

[6] In der von mir zitierten Reclam-Ausgabe (Stuttgart 2002) ergibt sich folgende Aufteilung: Rahmenhandlung S. 3-17, Binnenhandlung S. 17-45, Rahmenhandlung S. 45-49.

[7] Franz Grillparzer: Der arme Spielmann. Stuttgart 2002. S. 7.

Weitere Zitate aus der Novelle, die allesamt oben genannter Reclam-Ausgabe entnommen sind, werden im Folgenden durch die Sigle ,DaS’ gekennzeichnet.

[8] DaS, S. 8.

[9] DaS, S. 15.

Fin de l'extrait de 16 pages

Résumé des informations

Titre
Über die Kommunikationsprobleme in Grillparzers „Der arme Spielmann“
Université
University Karlsruhe (TH)  (Institut für Literaturwissenschaft)
Cours
Kommunikationsprobleme in der Literatur
Note
2,0
Auteur
Année
2006
Pages
16
N° de catalogue
V83206
ISBN (ebook)
9783638895170
ISBN (Livre)
9783638895217
Taille d'un fichier
480 KB
Langue
allemand
Mots clés
Kommunikationsprobleme, Grillparzers, Spielmann“, Kommunikationsprobleme, Literatur
Citation du texte
M.A. Florian Schneider (Auteur), 2006, Über die Kommunikationsprobleme in Grillparzers „Der arme Spielmann“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83206

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