Was ist Soziologie?

Eine Ausarbeitung zu Norbert Elias’ gleichnamigem Werk


Presentation (Elaboration), 2006

17 Pages, Grade: 2,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Die Spiele-Modelle
2.1. Vor-Spiel: Modell einer unnormierten Verflechtung
2.2. Modell normierter Verflechtungen
2.2.1. Zweipersonenspiele
2.2.2. Vielpersonenspiele auf einer Ebene
2.2.3. Vielpersonenspiele auf mehreren Ebene
2.3. Zusammenfassung der Modelle

3. Der Begriff der Figuration

4. Verflechtungszusammenhänge – Probleme der sozialen Bindung

5. Der Wandel der Gesellschaft und die Soziologie

6. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einführung

Diese Arbeit möchte einen kurzen Abriss über Norbert Elias’ Werk Was ist Soziologie?, das 1970 erschienen ist, geben. Neben Begriffen und Denkansätzen, die heute aus der Soziologie nicht mehr wegzudenken, versteht es Elias das komplexe Feld verständlich zu umreißen. So gelingt es ihm, einen Beitrag zur Etablierung dieses Fachgebietes im allgemeinen Wissenschaftsbetrieb einmal mehr zu verankern.

Grundsätzlich beschäftigt sich die Soziologie mir den Problemen der Gesellschaft und der Vergesellschaftung, so dass man sie auch als Menschenwissenschaft bezeichnet. Elias klärt in diesem Zusammenhang in seinem Werk Begrifflichkeiten, die die Soziologie betreffen. Es geht hierbei zuerst um die Differenzierung von Individuum und Umwelt. Allerdings wird dabei oft vergessen, dass das Individuum zwangsläufig Teil seiner Umwelt ist, und sie mit ihr teilt[1]. Bereits in dieser kleinen Differenzierung zeigt sich der fundamentale Ansatz, um den es hier geht: Zwar muss das Individuum als solches gesehen werden, ohne sein Umfeld, seine Umwelt kann eine Analyse oder Interpretation aber nicht geschehen.

Daher kommt es auch, daß die gesellschaftliche Entwicklung des Denkens und Sprechens über die Zwangsläufigkeiten des Naturgeschehens als soziologisches Forschungsproblem bisher vernachlässigt worden ist.[2]

Dabei sind Denken und Sprechen die fundamentalen Parameter, die den Menschen auszeichnen. Früher ging es um philosophische Erkenntnisformen und -gewinnung, wodurch die Soziogenese oder Psychogenese blockiert wurde, weil der allumfassende Blickwinkel ausgeklammert wurde. Elias geht es also um „eine Umorganisation der Wahrnehmung und des Denkens vieler interdependenter Menschen in einer Gesellschaft.“[3] Hin also zu einer Umorientierung der Gesellschaft zu einer neuen Sprech- und Denkweise. Der Mensch versucht mittels Sprache, von sich ausgehend, Probleme zu lösen. Zur Lösung dieser Probleme sieht Elias unterschiedliche Ansatzmöglichkeiten, denn

[…] der gesellschaftliche Denk- und Sprechapparat [stellt uns] zur Bewältigung dieser Denk- und Kommunikationsaufgaben entweder nur Modelle naiv egozentrischer, also mythisch-magischer Art oder naturwissenschaftliche Modelle zur Verfügung“[4]

Hier zeigt sich dann bereits, mit welchen definitorischen Schwierigkeiten man umgehen muss, nämlich der Frage, auf welche der genannten Ansätze man seine Studien aufbaut. Sinnvoll sollte aber ein System sein, dass unter Umständen in der Lage ist, beide Methoden intelligent miteinander zu verknüpfen, um so genaue und dabei wissenschaftlich fundierte Aussagen über den Menschen und die Gesellschaft, in der er lebt, treffen zu können. So kommt Elias dann bereits auf den ersten Seiten seiner Einführung zu einer prägenden Aussage, die die Zuständigkeiten und die Deutungsansätze der Soziologie treffend charakterisiert:

Zu den Aufgaben der Soziologie gehört es also nicht nur, die spezifischen Zwangsläufigkeiten zu untersuchen und zu erklären, denen sich Menschen in bestimmten empirisch beobachtbaren Gesellschaften und Gruppen oder in Gesellschaften überhaupt ausgesetzt finden, sondern auch, das Denken und Sprechen über solche Zwangsläufigkeiten von seiner Bindung an heteronome Vorbilder zu lösen und statt der Wort- und Begriffsbildungen, deren Gepräge auf magisch-mythische oder auf naturwissenschaftliche Vorstellungen zurückgeht, allmählich andere zu entwickeln, die der Eigenart der von Individuen gebildeten gesellschaftlichen Figurationen besser gerecht werden.[5]

Die Einführung dieser Figurationen wird uns im Laufe dieser Arbeit intensiv beschäftigen. Zuerst möchte ich allerdings, Elias’ Gliederung folgend, einen kurzen Exkurs zu Auguste Comte (1798-1857), der als Begründer des philosophischen Positivismus gilt, geben. In diesem Kontext muss jedoch der Begriff ,positiv’ als Synonym für wissenschaftlich gesehen werden.

Es war eines der Leitmotive der Comteschen Wissenschaftstheorie, daß die wissenschaftliche Arbeit auf der unablösbaren Verbindung von Zusammenfassung und Einzelbeobachtung, von Theoriebildung und Empirie beruhe.[6]

Dem muss man natürlich grundsätzlich zustimmen, denn erst durch die Kombination von Beobachtung realer Bedingungen und geistiger Weiterentwicklung und Evozierung der Problemstellungen, gelangt man zu wissenschaftlich abbildbaren Ergebnissen. Comtes Problemstellung lässt sich hierbei in drei Punkte aufteilen: So versuchte er erstens, eine soziologische Denk- und Wissenschaftstheorie entwickeln; zweitens, die physikalische, biologische und soziologische Wissenschaftsgruppe zueinander in Beziehung zu setzen; und drittens, darauf basierend der Soziologie eine relative Autonomie in Bezug zur Physik und Biologie zu verschaffen, wobei ihm daran gelegen war, für jede dieser Disziplinen eigene, ihrer Sache entsprechende, Verfahrensweisen zu entwickeln.[7]

Ganz entscheidend bei dieser Herangehensweise ist die Autonomie, die dabei zwischen den Naturwissenschaften sowie der Gesellschaftswissenschaft geschaffen wird. Es wird gesagt, dass Comte den Begriff Soziologie erfunden hat, weil er erkannte, dass die Wissenschaft von der Gesellschaft einen ganz neuen Namen brauchte, den man nicht unter Biologie oder Physik subsumieren konnte. Denn die wichtige Fragestellungen dieser Zeit waren eben: Wohin gehen wir? In welche Richtung geht die Gesellschaft? Diese Fragen sind grundsätzlich an das Denken, den Geist und die Vernunft gebunden, so dass Comtes Ansätze bedingt durch die Zeit, zu neuer Aktualität gelangen konnten. Elias äußert sich diesbezüglich:

Der Übergang von der philosophischen zur soziologischen Theorie der Erkenntnis und der Wissenschaft, den Comte vollzog, zeigt sich also zunächst einmal darin, daß er als „Subjekt“ der Erkenntnis nicht den einzelnen Menschen, sondern die menschliche Gesellschaft ansetzte.[8]

Diese Aussage ist sehr treffend und wichtig, denn sie zeigt eben, dass das Subjekt als solches auch zur primäre Grundlage der Forschung gemacht und akzeptiert wird. Mit anderen Worten: „[…] die Vorstellung vom Subjekt des Denkens [wird] soziologisiert.“[9]

Man kann aber auch zusammenfassend feststellen, dass sich mit Comte ein Wandel vom „nichtwissenschaftlichen zum wissenschaftlichen Erkennen“[10] vollzogen hat. Für ihn wurde genau dieser Ansatz zur entscheidenden Fragestellung seiner Untersuchungen, wobei er davon überzeugt war, dass jede wissenschaftliche Erkenntnis aus nichtwissenschaftlicher Erkenntnis hervorgehe.[11] Dabei durchläuft sie drei Stadien: Erstens, das theologische oder fiktive, zweitens, das metaphysische oder abstrakte, und drittens, das wissenschaftliche oder eben positive Stadium. Dabei ist essentiell, dass ohne das theologische oder religiöse Stadium, das immer Grundlage und Ausgangspunkt damaliger Erkenntnis war, wissenschaftliche Erkenntnisse nicht möglich gewesen wären. Denn der Mensch muss Beobachtungen machen, um Theorien formen zu können. Gleichzeitig muss er aber auch Theorien haben, um beobachten zu können, sonst wäre man in einem Teufelskreis gefangen gewesen.[12]

Genauso wie sich das Wissen der Menschen im Laufe der Zeit verändert, unterliegt auch die Wissenschaft, beziehungsweise die Anwendung tradierter, überlieferter Wissensgegenstände einem historischen, technischen und gesellschaftlichen Wandel. Grundsätzlich jedoch vergrößert sich über die Zeit der Wissensschatz. Hierin liegt aber genau ein Problem für Comte: „Man akzeptiert es als selbstverständlich, daß etwas Unwandelbares, das sich in oder hinter allem Wandel entdecken läßt, einen höheren Wert besitzt, als der Wandel selbst.“[13] Daraus resultiert nämlich die Annahme, dass es unveränderliche Wert- und Denkformen gäbe und wissenschaftlich fortschrittliches Denken könne dadurch gehemmt werden. Traditionalistisch begründet könnte man auch konstatieren, dass hier dann häufig die Verwechselung von Tatsache und Ideal vorliegt. Dennoch ist es, mit maßgeblicher Hilfe Comtes, gelungen, der Soziologie seinerzeit eine gewisse Selbständigkeit zu verschaffen.

Es war die Einsicht in die relative Autonomie des Gegenstandsbereichs der „Soziologie“, die den entscheidenden Schritt zur Konstituierung der Soziologie als einer relativ autonomen Wissenschaft darstellte.[14]

Dass dies kein leichter Prozess ist, zeigt sich auch noch heute, wenn immer wieder versucht wird, „die Struktur gesellschaftlicher Prozesse auf biologische oder psychologische Strukturen zu reduzieren“[15].

Dennoch muss man ohne Zweifel feststellen, dass es Auguste Comte war, der den Weg von einer philosophischen zu einer soziologischen Wissenschafts- und Erkenntnistheorie einleitete.

2. Die Spiele-Modelle

Die nun folgenden Abschnitte beschäftigen sich mit den so genannten Spiele-Modellen. Mit ihnen gelingt es Elias eigentlich komplexe, gesellschaftliche Zusammenhänge anhand einfacher Modelle zu verdeutlichen. Grundlage hierbei ist eine gewöhnliche Spielsituation, wie wir sie von einfachen Kartenspielen oder Gesellschaftsspielen kennen. Behält man dieses Muster im Hinterkopf, ist die Erschließung der folgenden Figurationen – der Begriff, der nun die entscheidende Rolle spielen wird, und den Elias über die Spiele-Modelle einführt – relativ einfach.

Zuerst gilt es aber noch einige grundsätzliche Überlegungen anzuführen. Hier muss die Fragestellung zitiert werden, die Elias anbringt:

Wie ist es möglich, daß Menschen kraft ihrer Interdependenzen, auf Grund der ständigen Verflechtungen ihrer Handlungen und Erfahrung, miteinander einen Typ des Zusammenhangs bilden[…]?[16]

Mit anderen Worten: Wie normieren sich Gesellschaften, Interdependenzen, Verhältnisse untereinander? Kann man überhaupt von Normen sprechen? Wie sind sie strukturiert? Zur Verdeutlichung dieser Fragen dienen eben die Modelle, die man sich wie Spiele vorstellen muss, wobei Menschen ihre Kräfte messen. Dieses ,sich-untereinander-messen’ passiert nämlich immer, wenn Menschen aufeinander treffen und in Beziehungen bzw. Interdependenzen stehen. Daraus resultieren dann größere und kleinere Machtproben, sei es nun lediglich bei einem einfachen Kartenspiel oder in einem großen komplexen gesellschaftlichem System. Entscheidend ist dabei die Macht – und zwar losgelöst vom martialischen Gewaltbegriff –, die die Spieler oder Kontrahenten gegenseitig ausüben. Wenngleich der Terminus Macht auch von Elias benutzt wird, bin ich der Ansicht, dass er hier sehr vorsichtig und vor allem unmissverständlich gebraucht werden muss. Die Schwierigkeiten mit dem Begriff werden uns auch im Folgenden immer wieder begegnen, ohne dass es dafür ein geeignetes Substitut gibt. Denn es geht dabei um Einflussnahme, Druck, der auf den Mitspieler ausgeübt wird, ja manchmal sogar Zwang, und – um es mit einem Anglizismus zu beschreiben – um ,Power’, aber gleichzeitig auch subtile und unbewusste Richtungsweisung. Kurz: mit Macht wird hier ein hochkomplexer Sachverhalt beschrieben, der durch die komplexe Situation, in die er situiert wird, und die er beschreiben soll, nicht definitiv klassifiziert werden kann.

Es geht bei den folgenden Spiele-Modellen um die Machtbalance zwischen mindestens bipolaren Kräften, sowie der fluktuierende Machtbalance, wenn sich bestimmte Voraussetzungen oder ,Spielparameter’ ändern. Wie unterschiedlich solche Parameter sein können, und welche Situationen und Resultate sich daraus ableiten lassen – und nicht zu vergessen – welche spezifische Macht eingesetzt wird, sollen die folgenden Modelle zeigen:

2.1. Vor-Spiel: Modell einer unnormierten Verflechtung

Im ersten, dem einfachsten, Modell treffen sich in einem urzeitlichen Milieu zwei Stämme. Stamm A ist flink und behände, Stamm B hingegen behäbig und langsam. Beide Stämme sind auf der Jagd und der Suche nach Nahrung. Weil die Zeiten rau sind, entbrennt zwischen beiden Stämmen Konkurrenz und Feindschaft. Eines Nachts töten die flinken Mitglieder des Stammes A Angehörige von Stamm B. Die Überlebenden von Stamm B rächen sich hingegen tags drauf, wenn die Männer von Stamm A auf der Jagd sind, und töten deren Frauen und Kinder.

Für beide Stämme ergibt sich so ein spezifischer Verflechtungsprozess: Man muss auf den Zug des anderen reagieren. Die Interdependenzen üben den Zwang aus. Ihre Handlungen als singuläres Phänomen, nämlich andere zu töten, weil die Nahrung knapp wird, beziehungsweise Frauen und Kinder im Gegenzug anzugreifen, kann man nicht kausal erklären. Erst wenn man die bilateralen Zwänge, nämlich Feinde zu sein, zugrunde legt, wird es verständlich.

Dabei dient nun die Feindschaft als Funktion. Hier wird schon deutlich, dass der Funktionsbegriff aber relativ ist, denn man muss die Umstände kennen, um ihn zu bestimmen. Es handelt sich aber immer um ein Verhältnis zueinander, das wiederum unter oben beschriebenen Voraussetzungen Macht ausübt. Dabei ist es dann auf andere Situation und Figurationen übertragbar; es spielt also keine Rolle, ob es sich um Stämme, Ehepartner, das Verhältnis von Eltern zu ihrem Kind oder das vom Angestellten zu seinem Vorgesetzten usw. handelt.

In unserem einfachen Fall, wo es zwischen den Stämmen keine gemeinsamen Normen gibt, an den sie sich orientieren können, richtet jede Seite ihre Vorstellung an den Machtmitteln aus, die der anderen Seite zur Verfügung stehen (Stärke, Waffen, Schläue, usw.). Daraus ergeben sich dann immer neue Aktions- und Reaktionsgefüge (man kann auch sagen: Figurationen), die auf der jeweils eingesetzten Macht des anderen basieren.

[...]


[1] Vgl. Norbert Elias: Was ist Soziologie? Weinheim und München 2004. S. 9

[2] ebd. S. 16.

[3] ebd. S. 18.

[4] ebd. S. 14.

[5] Norbert Elias: a.a.O.: S. 15.

[6] ebd. S. 34.

[7] Vgl. Norbert Elias: a.a.O.:S. 35.

[8] ebd. S. 37.

[9] ebd. S. 37.

[10] Kapitelüberschrift Norbert Elias: a.a.O.:S. 37

[11] Vgl. Norbert Elias: a.a.O.: S.38.

[12] Vgl. Norbert Elias: a.a.O.: S. 40.

[13] ebd. S. 42

[14] ebd. S. 46.

[15] ebd. S. 46.

[16] Norbert Elias: a.a.O.: S. 75.

Excerpt out of 17 pages

Details

Title
Was ist Soziologie?
Subtitle
Eine Ausarbeitung zu Norbert Elias’ gleichnamigem Werk
College
University Karlsruhe (TH)  (Institut für Soziologie, Medien- und Kulturwissenschaft)
Course
Die Soziologie von Norbert Elias
Grade
2,3
Author
Year
2006
Pages
17
Catalog Number
V83208
ISBN (eBook)
9783638895187
ISBN (Book)
9783638895200
File size
444 KB
Language
German
Keywords
Soziologie, Norbert, Elias
Quote paper
M.A. Florian Schneider (Author), 2006, Was ist Soziologie?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83208

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