"Göttliche Macht und menschliches Medium" - zur Rolle des Gerüchts in der griechischen Antike


Dossier / Travail de Séminaire, 2000

24 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1) Gerücht und Gottheit

2) Gerücht und Mensch

3) Gerücht und Mythos

4) Gerücht und Orakel

5) Gerücht und Kommunikation

6) Anmerkungen und Zitatverweise

7) Benutzte Literatur

1) Gerücht und Gottheit

"Das botenfrohe Feuer ließ
Durch unsere Stadt schnell Gerücht
Eilen, aber ob es wahr, wer weiß es ?
Oder ist es ein Gott gesandter Wahn ?" 1)

"Drum jäh, als käm's von einem Gott ging ein Gerücht
Bei den Achaiern um, du seist dahin und tot." 2)

"Also handle und meide der Menschen hässlichen Leumund.
Hässlicher Leumund ist schlimm, denn leicht und ohne dein Zutun
Naht er, doch ihn ertragen, ist hart, und schwer, ihn denn abtun.
Schlechter Leumund vergeht nie ganz, wenn mancherlei Leute
Leumund verbreiten. Er wird darum auch Gottheit geheißen." 3)

Schon diese drei Zitate umfassen einen großen Teil der Bandbreite, mit welcher das Gerücht in der griechischen Antike verbunden wurde.

Zuerst schildert Aischylos die Reaktion der Bürger vom Mykene auf die Feuersig-nale, welche die Rückkehr des Agamemmnon aus Troja ankündigten. Im zweiten Zitat gibt Sophokles die schmerzerfüllten Worte des Teukros wieder, mit welchen dieser am Leichnam seines Bruders Ajax in kundtut, wie er von dessen Tod erfah-ren hat. In den 'Werken und Tagen', aus welchen das dritte Zitat stammt, gibt He-soid in Liedern, Sprüchen und Gedichten zum Jahres- und Tagesablauf der Men-schen vom Lande unter anderem Ratschläge, wie das Leben im Einklang mit den Göttern zu meistern ist.

Das Gerücht verkündet hier sowohl gute als auch schlechte Botschaften. Es kann die Betroffenen hoffnungsfroh stimmen als auch in Trauer stürzen. Zugleich wird aber auch deutlich, dass niemand ihm blindlings vertrauen darf, sondern Skepsis angebracht ist - bis hin zu dem Rat, sich vor dem vernommenen Gerücht zu hüten oder ihm womöglich aus dem Weg zu gehen.

Allen gemeinsam aber ist ein hervorstechendes Merkmal: Die Verbindung von göttlichen Einflüssen mit dem, was Menschen sagen und verkünden!

Erwähnt Aischylos etwas, was von einem Gott auf den Weg gebracht worden sein kann, so tritt bei Sophokles ein Gott selbst als möglicher Überbringer der Nachricht auf. Hesiod nun erhebt das Gerücht selbst ins metaphysische und weist ihm den Rang einer Gottheit zu. Diese Bedeutungsteigerung führte hin bis zu einer eigenständigen Göttin, die den Namen pheme, der attischen Dialektvariante des do-rischen Begriffs phatis (Rede, Sage, gute und schlechte Nachrede, Offenbarung), 4) erhielt.

Dieser pheme, die Aischylos sogar als eine der "größten Göttinnen" bezeichnet, schreibt er auch einen Altar zu, der für sie in Athen errichtet wurde. 5) Dies soll um 465 v. Chr. geschehen sein. Grund war der Sieg eines griechischen Heeres unter dem attischen General Kimon über die Perser und was dafür wohl ausschlagebend war, die Tatsache, dass die Nachricht hierüber Athen noch am selben Tag erreichte.6) Für die im mythischen Denken verhafteten Menschen des antiken Griechenland konnte ein solches Ereignis keine natürlichen Ursachen haben. Es erforderte göttliches Eingreifen.

Pausanias bestätigt noch einige Jahrhunderte später die Existenz einer solchen Kultstätte der "göttlichen Stimme" und erwähnt, wohl um ihre Bedeutung ins rech- te Maß zu setzen, in ihrer Nachbarschaft auch Altäre für Aidos (die sittliche Scheu) und Horme (den Trieb). 7)

Aber nicht nur in der klassischen Zeit Griechenlands tritt uns das Gerücht in sei-ner Verbindung zum Göttlichen entgegen. Bereits Homer bemühte ossa (Sage, Ge-rücht im Gegensatz zur bestimmten Nachricht; personifiziert: Botin des Zeus) 8) um sowohl die Schnelligkeit als auch die Wichtigkeit der übermittelten Botschaft hervorzuheben:

"Also zogen die Massen der Völker von Schiffen und Zelten,
Schar an Schar, zur Versammlung, entlang am tiefen Gestade,
Denn ein Gerücht (ossa, d. Verf.) von Zeus gesendet, war unter den Männern
Plötzlich entbrannt und trieb sie zur Eile, bis alle versammelt." 9)

So berichtet er im zweiten Gesang der Ilias wie sich der Bericht des Agammemnon über seinen von Zeus gesandten Traum, der ihm den Sieg verhieß, unter den Män-nern des griechischen Heeres verbreitete und ihnen neue Hoffnung gab. Auch in der Odyssee übernimmt Zeus Botin die Rolle des Nachrichtensprechers:

"Aber Ossa, die schnelle Verkünderin, eilte ringsum
Durch die Stadt mit der Botschaft vom traurigen Tod der Freier." 10)

So wurden die Bewohner von Odysseus' Reich von den dramatischen Ereignissen im Hause des heimgekehrten Königs unterrichtet.

Für die Griechen war es aufgrund des ihnen eigenen mythischen Typus von Reli-giosität naheliegend jene Dinge, die sich weder mit den Händen noch mit logos fas-sen ließen, ins Metaphysische zu entrücken. Dazu gehörte auch etwas so flüchtiges wie ein Gerücht.

Ob es über gute oder schlimme Ereignisse berichtete, ob über einzelne Menschen, über Städte oder ganze Völker, das Gerücht verfügte, als letztendlich von den Göttern gesandt, über göttliche Attribute. Damit aber auch über die Macht, den Einfluss und auch die Glaubwürdigkeit, die die Olympier selbst besaßen.

Diese feste Verbindung von Gerücht und Gottheit befähigte die diesem Phämo-men ausgesetzten Menschen dazu, die Botschaft nicht nur als durch die Götter ver-mittelt, sondern als von den Göttern selbst kommend zu begreifen. pheme lässt sich in all ihrer Verschwommenheit für die damalige Zeit auch als ein 'Kommunika-tionsmittel' zwischen Göttern und Menschen auffassen.

2) Gerücht und Mensch

Aber auch die zutiefst menschliche Seite des Gerüchts war den Griechen nicht fremd. Seine Entstehung, Verbreitung und besonders die damit verbundene Absicht wird in den antiken Quellen als Produkt von lebenden und fassbaren Menschen beschrieben und einer kritischen Analyse unterworfen.

So widmet Theophrast in seinen "Charakterbildern" der Beschreibung eines Ge-rüchteerfinders mehrere Seiten. Er schildert ihn als Menschen mit ganz bestim-mten Verhaltensweisen: ein freundliches Auftreten verbindet dieser mit einer ge-heimnisvollen Aura. Das (oder die) Opfer werden direkt angesprochen, ohne dass sie selber jedoch zu Wort kommen. Der Gerüchtemacher beantwortet seine Fragen

selbst: "[...] Weißt Du das Neueste über die bewusste Geschichte?[...]"; "[...]Ich glaube, da kann ich dir reichlich Neuigkeiten auftischen![...]" 11) usf.

Er legt sich nicht fest und berichtet nur von Dingen, die "die Spatzen ja schon von den Dächern [pfiffen]" 12) ohne selber wirklich Stellung zu beziehen. Diese Re-deweise in Konjunktiven und das "[...] streng vertraulich nur für dich![...]", 13) ob-wohl es schon die halbe Stadt weiß, rundet das ganze Bild nur noch ab.

Diese psychologische Beschreibung zeigt einen Menschen von starkem Mittei-lungsbedürfnis, überzeugt von der eigenen Wichtigkeit, ohne jedoch die Bereit-schaft zu besitzen, die Konsequenzen seine Redens und Tuns auch zu übernehmen. Er liebt es, einen Stein ins Rollen gebracht zu haben und den weiteren Verlauf der Dinge vom sicheren Logenplatz aus zu betrachten.

Sicher übertreibt Theophrast maßlos, wenn er die Produktion von Gerüchten nur als das "Erdichten falscher Wahrheiten und Ereignisse[...]" 14) zum Schaden der Mitmenschen ansieht. Aber zumindest ein überliefertes Ereignis macht deutlich, welche katastrophalen Konsequenzen damit verbunden sein können: der Fall des Alkibiades.

Die attische Flotte sollte während des Peloponnesischen Krieges im Jahre 415 v. Chr. unter seinem Oberbefehl gegen Syrakus auslaufen. In der Nacht, die dem Lichten der Anker vorausging, waren jedoch Götterbilder in der Stadt verstümmelt und damit entweiht worden. Diesen Vorgang nutzte Androklos, ein geschworener Feind des Alkibiades:

"Er veranlasste einige Sklaven und Abhängige, seinen politischen Gegner bei den Behörden anzuzeigen. Der Grund: Alkibiades und seine Freunde hätten zumindest früher einmal bei nächtlichen Umzügen unter Alkoholeinfluß Götterbilder verstüm-melt und die heiligen eleusinischen Mysterien parodiert". 15)

"Nun behauptete zwar niemand direkt, dass Alkibiades für die Verstümmelung der Hermen verantwortlich sei; zuzutrauen sei ihm ein solcher Schabernack aber ohne weiteres". 16)

Alkibiades wollte eine sofortige Aufklärung, was Androklos aber verhinderte. So segelte die Flotte ab. Erst als sie schon bei Sizilien angelangt war und durch For-cierung des Gerüchts die Stimmung gegen ihn seinen Höhepunkt erreicht hatte er-hielt er den Befehl sich in Athen zu rechtfertigen. Das Ergebnis ist bekannt. Alki-biades schlug sich auf die Seite Spartas und die attische Flotte erlitt ohne ihren genialen Feldherren eine vernichtende Niederlage. Athen verlor nicht zuletzt des-halb auch den gesamten Krieg.

Eine Schuld seinerseits an der Schändung der Götterbilder wurde nie bewiesen oder widerlegt. Es war auch nicht mehr wichtig. Die Gerüchteschmiede hatten fürs Erste ihr Ziel erreicht. Ob sie das letztendliche Ergebnis so gewollt hatten kann wohl bezweifelt werden.

Das Gerücht selbst hatte jedoch erneut seine Macht bewiesen, wenn auch eine Verbindung zur göttlichen Sphäre hier nur am Rande gegeben war.

Aber nicht nur einzelne Menschen, ihre Verhaltensweisen und Absichten brach- ten die antiken Schriftsteller mit dem Gerücht in Verbindung. Auch ganze Berufs- gruppen und sogar das unterschiedliche Geschlecht hatten mit seiner Erzeugung und Verbreitung zu tun.

Das Resultat der mißglückten attischen Flottenexpedition erfuhren die Athener zuerst durch einen Barbier. Dieser hatte, nachdem er die Neuigkeit von einem überlebendem Sklaven gehört hatte nichts Eiligeres zu tun, als von Piräus nach Athen auf die Agora zu laufen und mit seiner Schilderung einen Volksauflauf her-beizuführen.

Plutarch berichtet über diese Geschichte in einem Kapitel seiner 'Moralia, wobei er die Schwatzhaftigkeit dieser Berufsgruppe allgemein anprangert. Wie Theophrast sieht auch er es psychologisch: "Er rannte also aus seiner Werkstätte eilends in die

Stadt, auf dass keiner den Ruhm sich erwürbe, diese Kunde in der Stadt zu verbreiten und er als zweiter hinzukäme". 17)

Der Barbier ließ sich in seiner Sucht nach Gerüchten nicht einmal durch die Folter abbringen, welche ihm die misstrauischen und allen schlechten Nachrichten abgeneigten Athener unterwarfen. Als er nach der Bestätigung seiner Aussage vom

Rad losgebunden wurde, wollte er zuallererst wissen, ob bekannt sei wie der Feld-herr Nikias umgekommen ist. "Eine so unausrottbare, unverbesserliche Leiden-schaft kann die Gewohnheit aus der Geschwätzigkeit machen" 18) resummiert Plu-tarch.

Ähnlich wie Barbiere erhalten auch Schiffsführer und Matrosen aus vielen Quel-len Informationen und geben diese auch reichlich weiter:

"Nicht bin ich Bildhauer, um müßig in sich ruhende Bild-
werke zu schaffen, die auf dem Sockel nur
Stehn; nein, auf jeglichem Frachtschiff
ziehe und jeglichem Boote, süßer Sang, hier
Von Aigina fort und allwärts tu es kund,
Dass Lampons Sohn, der gliederstarke Phyteas,
Den Siegerkranz im Allkampf Nemeas erfocht, [...]" 19)

[...]

Fin de l'extrait de 24 pages

Résumé des informations

Titre
"Göttliche Macht und menschliches Medium" - zur Rolle des Gerüchts in der griechischen Antike
Université
Technical University of Berlin  (Arbeitsstelle für Semiotik)
Note
1,7
Auteur
Année
2000
Pages
24
N° de catalogue
V83524
ISBN (ebook)
9783638020077
ISBN (Livre)
9783638922814
Taille d'un fichier
570 KB
Langue
allemand
Mots clés
Göttliche, Macht, Medium, Rolle, Gerüchts, Antike
Citation du texte
Siegfried Exler (Auteur), 2000, "Göttliche Macht und menschliches Medium" - zur Rolle des Gerüchts in der griechischen Antike, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83524

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