Die Sozialdemokratische Partei ist heute die mit Abstand älteste und wohl auch traditionsreichste Partei in der politischen Landschaft der Bundesrepublik. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stellt sie eine von zwei großen Volksparteien und hat sich als beständiger Faktor der deutschen Politik etabliert. Dies war in der aus Sicht moderner rechtsstaatlicher Prinzipien eher selten ruhmreichen Vergangenheit Deutschlands vor 1945 bei Weitem nicht immer der Fall. Im autoritär geprägten Kaiserreich Wilhelm I. und seines Kanzlers Otto von Bismarck wurde die noch in den Kinderschuhen steckende sozialdemokratische Bewegung nicht nur mit großem Argwohn, sondern als Gefahr für das bestehende System betrachtet, die mit höchst restriktiven Maßnahmen im Zaum zu halten war. Das Sozialistengesetz, welches in den zwölf Jahren von 1878 bis 1890 Bestand hatte, bildete den Höhepunkt dieser Repressionen. Gleichzeitig initiierte die Regierung Bismarck mehrere Sozialreformen, die den Arbeitern auf den ersten Blick zugute kamen und der Erwartung nach ihre Protestbereitschaft senken sollten. Dennoch wurden Sozialdemokratie und Arbeiterbewegung nicht zerschlagen; man erlebte im Gegenteil einen bis zu diesem Zeitpunkt nie gesehenen Aufschwung, der sich vor allem in den Wahlergebnissen der Sozialdemokraten und letztendlich im Ende des Sozialistengesetzes widerspiegelte.
Aufgrund welcher Tatsachen konnte eine Partei und das dazugehörige Klientel ihre Strukturen aufrechterhalten bzw. noch festigen und ausbauen, obwohl die gegebenen politischen Rahmenbedingungen eines ihr feindselig gesinnten autoritären Staates für sie in Gänze ungünstig erschienen? Wie konnte die Sozialdemokratie ein gezielt gegen sie gerichtetes Gesetz und die gleichzeitig staatlich initiierten Sozialreformen entgegen aller Erwartungen als Bewegung überstehen und gestärkt die politischen Auseinandersetzungen der Folgejahre führen? Mit den Gründen für diese Umstände beschäftigt sich diese Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der historische Hintergrund des Sozialistengesetzes
- Die Motive und Maßnahmen Bismarcks
- Anlass, Inhalt und unmittelbare Folgen des Sozialistengesetzes
- Die Ursachen für das Erstarken der Sozialdemokratie
- Wirtschaftskrise und Schutzzollpolitik
- Organisationsfähigkeit der Sozialdemokratie
- Verstärktes Klassen- und Selbstbewusstsein
- Außenwirkung der innerparteilichen Ausrichtung
- Juristische Bedingungen
- Die Presse der Sozialdemokratie
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die paradoxe Stärkung der Sozialdemokratie in Deutschland während der Zeit des Sozialistengesetzes (1878-1890). Sie analysiert, wie die Partei und ihre Anhänger trotz der Repressionsmaßnahmen des autoritären Staates ihre Strukturen erhalten und sogar ausbauen konnten.
- Die Motive und Maßnahmen Bismarcks zur Unterdrückung der Sozialdemokratie
- Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und der Schutzzollpolitik auf die Arbeiterbewegung
- Die Organisationsfähigkeit und strategische Anpassungsfähigkeit der Sozialdemokratie
- Das zunehmende Klassenbewusstsein und Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse
- Die Rolle der Presse und der innerparteilichen Ausrichtung der Sozialdemokratie
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein und stellt die Problematik der Erstarkung der Sozialdemokratie trotz des Sozialistengesetzes dar. Das zweite Kapitel beleuchtet den historischen Hintergrund des Sozialistengesetzes, indem es die Motive und Maßnahmen Bismarcks sowie den Anlass, den Inhalt und die unmittelbaren Folgen des Gesetzes beschreibt. Das dritte Kapitel analysiert die Ursachen für das Erstarken der Sozialdemokratie, wobei die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und der Schutzzollpolitik, die Organisationsfähigkeit der Sozialdemokratie, das zunehmende Klassen- und Selbstbewusstsein der Arbeiter, die Außenwirkung der innerparteilichen Ausrichtung, die juristischen Bedingungen und die Rolle der sozialdemokratischen Presse untersucht werden.
Schlüsselwörter
Sozialistengesetz, Sozialdemokratie, Arbeiterbewegung, Bismarck, Wirtschaftskrise, Schutzzollpolitik, Organisation, Klassenbewusstsein, Selbstbewusstsein, Presse, Juristische Bedingungen, Repression, Erstarken, Paradoxie.
- Citation du texte
- Jens Wittig (Auteur), 2007, Die Sozialdemokratie unter dem Sozialistengesetz - Die Gründe für das paradoxe Erstarken einer politischen und sozialen Bewegung 1878-1890, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83673